Samstag, 3. September 2022

Donatello in Berlin.


aus FAZ.NET, 2. 9. 2022     
                     Donatello, David, Bronze; Loggia, Florenz                                        zu Geschmackssachen

Der große Rätselsteller
Marmor, Stein und Terrakotta spricht: Eine Berliner Ausstellung zeigt, dass Renaissance auch Unergründlichkeit und nie ganz aufzulösende Spannung bedeutet. Donatello ist der Begründer dieser Formenwelt.


von Stefan Trinks

Sich als „Erfinder der Renaissance“ zu bezeichnen, wie Berlin die erste Donatello-Ausstellung in Deutschland in der Gemäldegalerie am Kulturforum bewirbt, wäre dem Florentiner Bildhauer des fünfzehnten Jahrhunderts nie eingefallen. Zwar wurde Donato di Niccolò di Betto Bardi als Sohn eines Wollkämmers in Florenz als Kapitale der Renaissance schon 1386, also noch im vierzehnten Jahrhundert Dantes und Petrarcas geboren. Doch beginnen die ersten nachweisbaren Werke erst 1408, zu einem Zeitpunkt, als Giotto, Ghiberti oder Brunelleschi bereits zentrale Werke der Renaissance geschaffen hatten. Doch geschenkt der zu großsprecherische Untertitel. Ohne Zweifel ist Donatello einer der größten Bildhauer der Renaissancekunst, und erstaunliche neunzig Werke aus aller Welt bezeugen das in Berlin. Alle Hauptwerke sind da – und wo sie ortsfest wie die Judith in der Florentiner Loggia dei Lanzi oder die Propheten am Dom sind, zeigt man zumindest Echos von ihnen. Was aber nicht einmal Florenz hat: Aus dem Dom zu Padua, wo der Künstler von 1453 bis 1454 arbeitete, stammen das prächtig wimmelnde Altarrelief des „Eselswunders“ sowie das ein Meter achtzig große Lettnerkreuz, beide aus Bronze

Immer entgrenzen Donatellos Figuren den eng bemessenen Bildraum oder die Rahmen der Reliefs durch Gesten oder durch schiere körperliche Präsenz. Dabei unterscheidet er die Stofflichkeit jedes einzelnen Bildelements penibel: Der Schleier der Muttergottes wirkt wirklich transparent fein gewoben, Selbst die Brauen des Kindes auf dem schimmernden Babyspeck werden vom Bildhauer anders behandelt als die gezupften Augenbrauen der idealschönen „florentinischen“ Muttergottes mit ihrer feinporigen Haut. Haptik, die mit dem Auge abzutastende Oberflächentextur, be­deu­tete alles für Donatello."  

David, Marmor, 1408-09

Er wollte sich niemals langweilen

Doch sagt sich das so leicht dahin. Auf den Einsatz von Farbe meist verzichtend, muss der Bildhauer diese Nuancen ein und demselben Marmor abtrotzen. Für sein frühestes nachweisbares Werk, den marmornen David von 1408/09, benutzt er daher einen farbig gemaserten Marmor. Dieser ermöglicht es ihm, das aus mehreren Stücken Leder grob zusammengenähte Wams ebenso überzeugend als schillernde Tierhaut zu präsentieren wie den Mantel aus Wolle darüber oder das medusenhaft ab­ste­hen­de Haar des bereits geköpften Go­liath zu Davids Füßen, auf dem noch die Le­derschlinge mit der todbringenden Steinschleuder aufruht. Die Farben muss sich der Betrachter sowohl bei der Madonna mit Kind als auch bei dem jugendschönen Heroen mit noch gotischem Schwanenhals wie beim Schwarzweiß-Fernsehen hinzudenken. Obwohl der Lederwams Davids dick und solide wie ein Brustpanzer wirkt, drückt er mit einer auffälligen Geste des allein ausgefahrenen Zeige- und Mittelfingers dennoch so fest in ihn hinein, dass das Leder nachgibt. Auf Augenhöhe wie jetzt in Berlin wirken die Finger völlig überlängt. Sie sind aber für die untersichtige Aufstellung in fünfzehn Meter Höhe am Chor des Florentiner Doms konzipiert. An genau dieser Stelle wäre der David, wenn er je dort aufgestellt worden wäre, der Vorgänger von Michelangelos Fünf-Meter-David gewesen – Vorbild war er auch so.

Donatello & Michelozzo, Tanzende Spiritelli, von der Außenkanzel des Doms zu Prato, 1434–38

Sein Oberflächen-Impressionismus der per se ja nur einfarbigen Werke ist gut an dem dionysisch wilden Putten-Reigen der marmornen Kanzelreliefs zu erkennen, die einst recht weit oben außen am Dom zu Prato angebracht waren: In den Details sind die Spiritelli genannten Geisterwesen roh und unfertig belassen, hochgewachsene Besucher können von oben die nicht auspolierten Löcher des Drillbohrers als typischem Werkzeug auch der antiken Sarkophage in den Schattenfugen erkennen. In einem der in Berlin gezeigten Hauptwerke hingegen, dem einstigen Lettnerkreuz des Doms in Padua, zeigt sich die ganze Kraft der engen Beziehung Donatellos zum bis in die Schamhaare ausformulierten, vorzugsweise männlichen Körper. Ohne Zeichen der Passion wie Blut, Schweiß und Tränen leiden Haut und Muskeln durch ihre enorme Anspannung manifest.

Dieser Oberflächenfetischismus erfasst alle Materialien, die er bearbeitet, also Terrakotta, Wachs, Stein, Glas (aus dem Londoner Victoria &Albert-Museum stammt die nach Donatellos Arzt benannte „Chellini-Madonna“, der den Tondo als Ge­schenk für seine Heilkünste erhielt, dessen Rückseite aus tiefblauem Glas ist, das die exzentrische britische Vorbesitzerin als Aschenbecher nutzte), Marmor und immer wieder Bronze: wie bei seinem neoantiken Reiterstandbild, von dem der riesige Werkstatt-Pferdekopf in Berlin stammt, oder dem Florentiner Bronze-David.

Pferdekopf für ein Reiterdenkmal, der sogenannte Protome Carafa, von 1456.

Pyrrhus-Siege in Bronze

Über den um 1440 gegossenen Junghelden [siehe Kopfbild] wurde viel geschrieben, auserklärt ist die lebensgroße Figur mit ihren 158 Zentimetern bis heute nicht. Warum der zwischen (in Florenz deplatziertem) Jägerhut und kecker Stutzer-Kopfbedeckung changierende Helm, der zudem von einem recht zerfleddertem Lorbeerkranz umwunden ist? Sein Blick bleibt bis heute rätselhaft wie das Lächeln der Mona Lisa. Es ist keine Arroganz des Siegers, aber auch kein demütiges oder gar gottesfürchtiges Herabblicken auf den übermächtigen und dennoch überwundenen Gegner, der zwar mit Alterszügen dargestellt, aber nicht durch übles Aussehen diskreditiert wird. Eher zeigt Davids Blick eine erschreckende Leere, wie ein postkoital zombiehafter Leerlauf – der Liebestriumph der Jugend über das Alter?

Derartige Erschöpfungszustände sind bei dem neckisch ehernen „Amor-Attis“ aus dem Bargello in Florenz nicht zu befürchten. Wie bei Jim Morrison von den Doors offenbart seine lose sitzende Lederhose mehr, als sie verhüllt, denn die Hosenbeine sind an seinem Gürtel aufgehängt und Unterhose trägt der Knabe keine. Die Geste der noch kindlichen Finger dirigiert eine Liebesmelodie in die Luft, die wohl keine fromme Weise ist. Ein Amor kann der an den Füßen Geflügelte sein, auch Züge eines Attis, des Geliebten der Urmutter Kybele, lässt der Vergleich mit daneben ausgestellten antiken Kleinbronzen dieses Gottes erkennen, und da er auf einer Schlange steht, sogar solche des jungen Herkules Sauroktonos.

Amor-Attis, 1435-40

Als Donatello 1466 als Meister der Ambiguität und inoffizieller Hofkünstler der Medici in seiner geliebten Geburtsstadt Florenz stirbt, hat er mit seinen die Skulptur transzendierenden Formen nicht nur dafür gesorgt, dass der zwei Generationen jüngere Michelangelo sich an ihm abarbeiten muss. Seine Brechungen des Raums sowie seine deutungsoffenen Figuren sollten noch Rodin und selbst Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts wie Brâncuși maßgeblich prägen.


Donatello. Erfinder der Renaissance. Gemäldegalerie, Berlin; bis 8. Januar 2023. Der Katalog kostet 35 Euro.

Kruzifix aus dem Dom zu Padua, 143-1444


Nota. - Nein, sich als Erfinder der Renaissance aufzuspielen, wäre Donatello schon deshalb nicht eingefallen, weil es nicht nur den Ausdruck, sondern auch das, was er bedeutete, zu seiner Zeit noch gar nicht gab. Giotto und seine Nachfolger hätten, wären sie danach gefragt worden, vielleicht bestätigt, dass sie sich durch ein Bestreben nach Schönheit und Natürlichkeit von ihren künstlerischen Vorgängern unterschieden; aber dass es sich dabei um ein rinascimiento der griechisch-römischen Antike handelte, konnte erst einem Nachgeborenen auf- und einfallen.

Doch wie soll man Stefan Trinks' Lobgesang auf Donatellos Kult der Oberfläche anders auffassen als die Feststellung, dass sich was Besseres über diesen Künstler summa summarum eben nicht sagen lässt?

Es ist aber nicht richtig, einen Künstler nur danach zu beurteilen, ob er der Kunst etwas zeitlos Unvergleichliches hinzugefügt hat. Wenn einer den Geschmack seiner Zeit in einer unstrittig gültigen Weise zur Darstellung gebracht hat, dauert sein Werk vielleicht ebensolange, wenn nicht länger.
JE

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