
Es wird Zeit, dass das
Thema unter seinem eignen Namen zur Sprache kommt: die Schwemme der
'sprachanalytischen' Philosophie, die aus Amerika herüberschwappt, was
an sich nichts Unanständiges ist; die doch aber den in Europa ganz
ungewohnten Gedanken landläufig macht, man könne es in der Philosophie zu was bringen, ohne
sich mit dem vertraut gemacht zu haben, was von klugen Köpfen seit
zweieinhalbtausend Jahren auf diesem Gebiet angeschatzt wurde.
Der Frankfurter Allgemeinen gebührt das Verdienst, das Thema über die Seminarräume hinaus in die breite Öffentlichkeit getragen zu haben:
Das sprachanalytische Bauklötzchenspiel.
"Ein Gespenst geht um an Deutschlands philosophischen Seminaren: das Gespenst eines Weltsiegs der analytischen Philosophie und
eines Massenexodus der geschlagenen kontinentalen Philosophie. Wohin
zieht sie? Vorwiegend in andere Erdteile: nach Ostasien, Australien,
Brasilien oder, ausgerechnet, in die Vereinigten Staaten, von denen der
entscheidende Schlag gegen die kontinentaleuropäische
Philosophietradition geführt wurde."
So schrieb Manfred Frank am 24. 9. in der FAZ. "Wer heute das Markenzeichen der deutschsprachigen Philosophie, den deutschen Idealismus (die unmittelbar an Kant anschließende spekulative deutsche Philosophie), studieren will, wird kaum von einer deutschsprachigen Universität durch ihr Lehrangebot, geschweige durch ihre Lehrpläne dazu ermutigt. Ja, ein Student wird ernsthaft überlegen, ob er sein Interesse nicht besser in Sydney, Notre Dame, Georgetown oder Chicago wird befriedigen können. Die Universitäten zumal der Vereinigten Staaten haben eine lange Tradition in der Aufnahme deutscher Philosophen, die sich im geistigpolitischen Klima ihrer Heimat unwohl fühlten oder geradezu verfolgt wurden."
Gestern brachte dieselbe Zeitung eine Replik des Berliner analytischen Philosophen Tobias Rosefeldt.
Zunächst zum Faktischen: Wohl habe es einen Rückgang der Beschäftigung mit der philosophischen Tradition - Continental Philosophy heißt das auf Amerikanisch - gegeben. "Dass die Lage so dramatisch ist, wie Frank sie beschreibt, lässt sich aber mit guten Gründen bezweifeln. An den Instituten in Basel, Konstanz, Leipzig und Tübingen sind in jüngerer Vergangenheit insgesamt fünf Lehrstühle mit Philosophen besetzt worden, die ihren Forschungsschwerpunkt im deutschen Idealismus haben. Im Fall von Konstanz ist das sogar an einem traditionell stark analytisch ausgerichteten Institut geschehen, an dem es zuvor noch nie jemanden mit diesem Profil gab."
Doch sogleich folgt ein Satz, der schon an die philosophische Sache selber rührt: "Nimmt man zudem an (wie jeder vernünftige Mensch es tun sollte), dass die Glanzzeit der deutschsprachigen Philosophie nicht, wie Frank schreibt, der deutsche Idealismus nach Kant, sondern die klassische deutsche Philosophie seit Kant ist, dann entpuppt sich die Behauptung, dass zu dieser Epoche in Deutschland nicht mehr intensiv geforscht und gelehrt wird, als drastische Übertreibung." Zu den vernünftigen Menschen zählt er Manfred Frank dann ja wohl nicht, und ich dürfte mich auch nicht dazu zählen. Denn zwar nehme ich das Wort 'deutscher Idealismus' nur mit gespitzten Lippen in den Mund, aber das, was Manfred Frank meint, halte auch ich für den noch immer springenden Punkt nicht nur der deutschen, sondern der Philosophiegeschichte überhaupt: die eine, einzige Generation, in der die Philosophie im Zeichen der Kritik und der kantisch-kopernikanischen Wende stand.
Dreißig Jahre Hegel, dann ein Vierteljahrhundert verbrannte Erde, die er und seine Gefolgsleute hinterlassen haben, danach ein gutes halbes Jahrhundert Universitätsphilosophie, von der die Neukantianer immernoch das beste Stück ausmachten - das mag es sein, was Tobias Rosefeldt unter der "klassischen deutschen Philosophie seit Kant" versteht. Dass die dem analytischen Heuschreckenschwarm nicht ganz unverdient erlegen ist, wie Rosefeldt durchblicken lässt, wird in der Tat ein vernünftiger Mensch kaum bestreiten; wohl aber seine Begründung: Beschäftigung mit der Geschichte der Philosophie liefe auf sterile Philologie hinaus, und davon habe die analytische Welle so manche deutsche Universität glücklich befreit.
Wahr ist, dass unter analytischen Auspizien mancher Student glaubt, das, was in zweieinhalb Jahr-tausenden vor ihm gedacht wurde, unbeachtet liegen lassen und unbefangen ganz von vorne anfangen zu können - sofern er nur seinen Wortgebrauch hinlänglich geklärt hat. Und so "begann in jüngerer Zeit eine neue Scholastik, eher: ein neuer Wolffianismus an Deutschlands Philosophischen Seminaren. So nannte man die Philosophie, die im achtzehnten Jahrhundert im Anschluss an Christian Wolff aus Leibnizens genialen Aperçus eine zusammenhängende, eine systematische 'Schulphilosophie' - eben eine Scholastik - zu errichten versuchte und flächendeckend die deutschen Universitäten beherrschte. Schon damals gab es eine allgemein anerkannte Terminologie, man stritt sich um Tüttelchen von Wortdefinitionen, man spaltete die dünnsten Begriffshärchen; aber man war sich einig im Dissens, weil man die gleichen Verfahren und dieselben Definitionen benutzte." Diese Leute glaubten, alles verstanden zu haben, sobald sie es nur definieren konnten, hat, wenn ich nicht irre, Marx einmal über jene Schule gesagt, der auch sonst auf den an deutschen Hochschulen walten-den "doktrinären Definitionsdünkel" nicht gut zu sprechen war.
Und genau an der richtigen Stelle fügt Manfred Frank ein: "Der scholastische Trend wird durch die Uniformierung und Verschulung der Studiengänge nach Bologna fast alternativlos. Statt großer Themen, statt Forschungen mit großem Atem ist eine Mikrologie von Argumentanalysen um ihrer selbst willen in die philosophischen Debatten eingezogen, die das Interesse gerade auch der an-schlussfähig geglaubten Naturwissenschaftler verspielt, die Philosophie isoliert und das Gros der Studenten abschreckt oder ins Ausland vertreibt."
Dem tritt Rosefeldt mit einer kühnen Volte entgegen: "In der historischen Philosophie versucht man zu verstehen, was ein bestimmter Autor behauptet, wie er es begründet und ob das, was er sagt, plausibel ist. Systematisch zu philosophieren heißt dagegen, selbst eine philosophische Frage zu beantworten und die Schriften anderer Autoren nur dazu zu verwenden, dies auf die beste mögliche Weise zu tun. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als die der Interpretation. ... Denn hat man einmal verstanden, was es heißt, selbst zu philosophieren, dann ist klar, dass man das nicht einfach mit den Worten und Methoden von Kant und Hegel tun kann. Das funktioniert so wenig, wie man heute im Stil von Beethoven Musik komponieren kann. Man braucht eine eigene Sprache, eine, deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf."
Wenn die Bauklötzchen nur fein säuberlich gebastelt sind, werden alle Türmchen halten, so schief sie auch wären. Das meint er im Ernst: Nicht die Welt, nicht das Leben, nicht - ach Gott - die Existenz bedürfen der Erhellung; sondern die Wörter, die man darüber sagt, müssen so sein, dass sie nicht der Interpretation bedürfen. Er meint gar keine systematische, er meint eine lexikalische Philosophie.
Anders als Manfred Frank bin ich philologisch ganz unbeschlagen. Ich lese die Quellen, um selber etwas zu verstehen - die Texte; natürlich; aber nur, um die Themen zu verstehen, von denen sie handeln. Ganz ohne Philologie geht das nicht immer ab, aber "das dichte semantische Potential dieser Klassiker sorgt dafür, dass sich in ihnen immer wieder Neues entdecken lässt. Neues mit Wahrheitsanspruch, nicht, was von der philosophischen Tradition in den Staaten wegen seines 'Tiefsinns' kurzerhand verächtlich der Poesie zugeschlagen und an literaturwissenschaftlichen oder Critical-Theory-Departments behandelt wird. Neues, das die Kraft besitzt, auch das Konzert der aktuellsten Analyse noch zu innovieren."
Manfred Frank hat sich während eines ganzen akademischen Lebens ganz besonders der Philosophie der deutschen Romantik angenommen, der Philosophie, in der der Kant'sche Keim, der transzendentale Gedanke noch virulent war. Eben weil sich nicht in den akademischen Kanon eingegangen, weil sie nicht 'traditionell' geworden, weil sie kein akademisches Guthaben ist, das man bunkern kann. Von der ursprünglichen Einsicht Johann Gottlieb Fichtes, des Philosophen im Jenaer Romantiker-Kreis, "urteilte Dieter Henrich 1966, die Philosophie habe sie vergessen, mehr noch, hat sie niemals zur Kenntnis genommen".
Es geschieht mir nicht oft, dass ich einem fremden Text vorbehaltlos zustimmen kann.
Das Schisma zwischen Kontinentalen und Worterklärern.
In der von Manfred Frank und Tobias Rosefeld in der FAZ begonnenen Kontroverse hat vorgestern am selben Ort der Berliner Philosoph Rolf-Peter Horstmann das Wort ergriffen. Hier aus seinem insgesamt lesens-werten ausführlichen Text nur ein kurzer Ausschnitt:
"... Was dagegen die sich als systematisch verstehenden philosophischen Forscher betrifft, so werden auch sie in ihrer übergroßen Mehrzahl keineswegs Rosefeldts Beschreibung entsprechen. Dies deshalb, weil die meisten zwar irgendwelche Fragen beantworten, zugleich aber vollständig unklar ist, was an diesen Fragen philosophisch sein soll. Natürlich steht es einem frei, jede Frage, die in irgendeinem Sinn kontrovers beantwortet werden kann, eine philosophische zu nennen. Die seltsame Vermehrung der Subdisziplinen der Philosophie (Umweltphilosophie, Wirtschaftsphilosophie, Sportphilosophie, Internetphilosophie, Neurophilosophie und vieles andere mehr) könnte als Indikator dafür genommen werden, dass diese Freiheit bedenkenlos genutzt wird.
Molekularsprache der Analytik
Doch die Kehrseite dieser Freiheit ist der Schrecken, eigentlich gar nichts mehr mit der Rede von philosophischen Fragen meinen zu können. Rosefeldts hehrer Traum vom systematischen Selbstdenker wird daher entweder von allen verwirklicht, die irgendeine Meinung zu irgendeinem Thema irgendwie verteidigen, oder er kann nur durch diejenigen realisiert werden, die ein als philosophisch anerkanntes Problem traktieren. Die von ihm als Beispiele philosophischer Probleme genannten Fragen ("was die grundlegende Struktur der Wirklichkeit ausmacht, wie sich das menschliche Bewusstsein zur Natur verhält und ob es unbedingte und allgemeingültige Normen gibt") lassen ahnen, dass seine Gruppe der Systematiker ziemlich klein ausfallen wird. Ihre Auswahl scheint außerdem nahezulegen, dass Rosefeldt durchaus einen Sinn für die Autorität der Tradition hat. Schließlich handelt es sich bei seinen paradigmatischen Fragen um solche, die tief verwurzelt sind in der Geschichte der Philosophie.
Doch Rosefeldt will uns vor allem verständlich machen, warum der von ihm zu systematischer Philosophie ernannte Umgang mit diesen Fragen geradewegs auf die Unvermeidlichkeit der analytischen Philosophie führen soll. Dieses Ziel glaubt er durch folgende Überlegung zu erreichen: "Die Wende zur analytischen Philosophie in Deutschland muss deswegen vor allem als Durchsetzung der Einsicht verstanden werden, dass es sich lohnt, sie zu vollziehen. Denn hat man einmal verstanden, was es heißt, selbst zu philosophieren, dann ist klar, dass man das nicht einfach mit den Worten und Methoden von Kant und Hegel tun kann. (...) Man braucht eine eigene Sprache, eine, deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf. Dazu macht die analytische Philosophie das heute in den Augen der meisten systematischen Philosophen überzeugendste Angebot, das zudem für viele Bereiche der Philosophie de facto alternativlos ist." Aha, so ist das also: Die kristallklare Sprache der analytischen Philosophen hat das altdeutsche Kauderwelsch eines Kant und Hegel abgelöst, weil der seine Fragen selbst beantwortende Systematiker sich im reinen Äther interpretationsimmuner Bedeutungen aufhalten muss, will er seinem Handwerk "auf die beste mögliche Weise" nachgehen.
Wer auch immer Rosefeldt diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, es muss jemand gewesen sein, der in den letzten zwanzig Jahren keinen einzigen Blick in die in unserem Sprachraum für "analytisch" geltenden Publikationen geworfen hat. Nicht nur begegnet man zu fast allen Themen einen hochspezialisierten Jargon, dessen Esoterik mühelos mit dem Fachvokabular eines Journal of Molecular Endocrinology oder einer anderen medizinischen Subdisziplin mithalten kann, man wird sich auch ganze Jahrgänge von einschlägigen Zeitschriften hindurch selten mehr, häufig weniger gut unterhalten finden durch nicht enden wollende Diskussionen, was denn nun eigent-lich zum Beispiel mit Begriffen wie "access consciousness" oder "volition" genau gemeint sein soll. Dass die analytische Philosophie eine Sprache implementiert, deren Klarheit Mehrdeutigkeiten ausschließt und daher nicht der Interpretation bedarf, wird man getrost zu einem der vielen Mythen des philosophischen Alltags zählen können. ..."
Insgesamt kommt Horstmann zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um ein wirkliches "Schisma in der Philosophie" handle, sondern bloß um Übertreibungen (für die er freilich hauptsächlich die Rosefeldt'sche Seite verantwortlich macht). Im Grunde sei alles in bester Ordnung; man muss wohl nur, mag ein spitzzüngiger Leser hinzufügen, die Verwendung der Wörter etwas genauer festlegen.
*
Ich finde mich in dieser Sache doppelt angesprochen. Zum einen bin ich ein 'Kontinentaler', wie man es nur wünschen kann, ich mache nicht einmal ein Hehl daraus, dass ich vor allen Dingen einem Vor-Denker verpflichtet bin, nämlich Fichte. Zum andern finde ich mich als einen Systematiker wieder, nämlich in einem Wortsinn, den man auch verstehen kann. Es ist mir das peinliche Glück widerfahren, meine Gedanken zu einem System bilden zu können und, wie mir daher scheint, auch zu sollen; zu einem System mit einem begründeten Ausgangspunkt und einem Fluchtpunkt, der sich rechtfertigen lässt.
Ich wüsste nicht, wer aus der sprachanalytischen Schule in diesem mir allein intelligiblen Sinn systematisch dächte. Soviel ich weiß – aber dass mein Wissen in dieser Sache unsystematisch und daher ergänzungsfähig ist, räume ich freimütig ein – handelt es sich bei deren Bemühungen um mikrologische Wortklaubereien, aus denen nicht einmal ersichtlich wird, wozu sie taugen sollen; geschweige denn, ob sie's tun. Systematisch ist gar nichts daran, das liegt alles kunterbunt nebeneinander wie eine Handvoll Murmeln.
*
Notabene. Ich halte keine akademische Stellung, ich muss gegen niemanden kollegial bleiben. Ich kann mir eine Wortwahl erlauben, von der andere nur träumen dürfen. Das hat seinen Preis, ich muss mich mit diesem Blog begnügen.
Bedeutungsquäntchenphysiker und Quartalshistoriker.

Da ist zunächst die Behauptung, die sprachanalytische Art des Philosophieren sei "systematisch". Wie es gerade zu diesem contre-sens kommen konnte, ist schleierhaft. Molekulare Analytik, hat Rolf Peter Horstmann geschrieben: Sie feilen und putzen an den Wörtern, um deren atomaren Bedeutungskern freizulegen, der dann doch wieder nur in... ihrer Verwendung bestehen soll. Dass ein systematischer Gedanke dahintersteht, kann man allenfalls vermuten: nämlich die Vorstellung, Wahrheit bestünde aus der endlosen Kette aneinander 'angeschlossener' Sinnpartikel, jedes so irreduzibel wie ein Quark oder Neutrino; Bedeutungsquäntchenphysik.
Verständlicher erscheint allerdings das Epiteton, mit dem sie die Gegenpartei schmähen: "Historiker". Das soll nämlich heißen, die Vertreter der 'kontinentalen' Philosophie schauten nur rückwärts, kauten gedroschenes Stroh und spalteten verstaubte Wörter; bei ihnen dagegen sei alles frisch und jung, bei ihnen darf jeder seinen ganz eigenen, ganz neuen Blick auf die Themen der Welt werfen, ohne sie vorher in die Wurstpellen der Tradition pressen zu müssen.
Das ist zwar hochmütig, doch kann man immerhin einen Sinn darin erkennen. Es ist aber ein falscher. Manfred Frank macht darauf aufmerksam, dass sie im Grundsatz nicht minder historisch verfahren als die 'Kontinentalen': denn gottlob redet auch bei ihnen nicht jeder nur mit sich selbst, sondern knüpft an die Argumente seines Vorredners an, dreht und wendet und seziert sie und hält sich was darauf zu gute, wenn er daran "anschließen" kann. Auch sie meinen nicht wirklich, dass ein Jeder mit dem Philosophieren immer wieder von vorn anfängt, auch sie nehmen zur Kenntnis, dass vor ihnen auch schon gedacht worden ist; es findet im Diskurs eine Anschatzung statt, Neues kommt hinzu, Überholtes wird ausgemustert; mitunter voreilig, dann muss man es zurückholen.
So machen auch sie es, anders gehts ja nicht. Der Unterschied ist nur, dass die einen bis Heraklit und Parmenides zurückblicken und die andern nur aufs letzte Quartal. Das ist vergleichsweise wenig.
Neuscholastik.
Alle Philosophie vor Kant redet auf der ersten semantischen Ebene, auf der Objekt-Ebene.
Die Transzendentalphilosophie redet nicht von den Objekten, sondern von der ersten semantischen Ebene. Sie ist eine zweite semantische Ebene: Metà-Ebene.
*
Die Scholastiker redeten vorzugsweise von der intentio, was mit 'Bedetung' zu übersetzen ist; von den Dingen sei's in dieser, sei's in jener Bedeutung. Die Bedeutungen waren ihr Turnierplatz, nicht die Dinge. Aber so nahe sie transzendentalen Fragestellungen immer wieder kamen - ergriffen haben sie sie nie.
Schon bei Kant gerät in der transzendentalen Sichtweise das Ding-an-sich arg in Zweifel, in der Folge wurde es ganz ausgetrieben. Das kam den Scholastikern gar nicht in den Sinn. Ihre dogmatische Prämisse waren Aristoteles' Entelechien. Die hatten, wie später die Leibniz'schen Monaden, "keine Fenster". Man durfte sie beiseitelassen, ohne in logische Verlegenheit zu geraten.
Mit andern Worten, die Scholastiker redeten nicht von den Dingen, aber auch nicht von der ersten semantischen Ebene. Sie hielten auch keine Meta-Rede. Sie redeten - wie eine zeitgenössische philosophische Richtung - le- diglich von 'den Wörtern und ihrer Verwendung'. Ihre 'Ebene' schwebt irgendwo im Niemandsland. Darum wirkt die eine heute so gegestandslos und die andere so scholastisch.
*
Bis hinein in die transzendentale Fragestellung haben es die Scholastiker nicht geschafft. Aber bis zu ihrer Eingangspforte.
Der epochale Beitrag der Scholastik zur westlichen Geistesgeschichte ist der Nominalismus. So komplex oder kompliziert die Lösungen des Universalienproblems bis Abaelard auch werden sollten: dass den Nominis eine eigene Seinsweise zukämen, kam nie in Frage. Wenn sie im Rücken auch eine dogmatische Gewissheit hatten: Nach vorn war ihr Blick entschieden kritisch.
Denn anders als bei unseren zeitgenössichen Analytikern geschehen die Bedeutungsverschiebungen bei den Nominis nicht in einem abstrakten und insofern unwillkürlichen Sprachspiel, sondern in einer veränderten Absicht - intentio - der redenden Subjekte. Dass einer die individuellen Entelechien übergreifenden Bedeutung dieselbe Realität zukommen sollte wie den Individualitäten selber, war nach ihren Prämissen nicht denkbar. Nomina sind flatus voci, Stimmhauche und rein willkürliche Zeichen. Das, was die Nomina bezeichnen, bleibt davon ganz unberührt.
Wie eine solche Auffasung zustande kommt, kann ich, wenn sie auch nicht meine ist, immerhin verstehen. Worauf die zeitgenössischen sprachanalytischen Begriffsreinigungen hinaussollen, verstehe ich aber nicht. Es kommt mir vor, als solle nach akribischer Analyse der 'Verwendung der Wörter im Spachspiel' durch definito- rische Präzision ein kristalliner Bedeutungskern freigelegt werden, an dem der Begriff gewissermaßen ankert, wie immer er jeweils verwendet werden mag. Die 'Verwendung' der Begriffe geschieht im Satz durch ihre Kombina- tionen mit andern Begriffen - Bedeutungskernen, zu denen wir hier Verben und Adjektive ebenfalls zählen -, durch die sie alle gewissermaßen ihre Schatten aufeinander werfen.
Voraussetzungen hat diese Sichtweise, anders als die der aristotelischen Scholastiker, nicht. Aber sie läuft auf etwas hinaus: Die Bedeutungskerne sehen den platonischen Ideen zum Verwechseln ähnlich.*
Erinnern wir uns: Im scholastischen Universalienstreit standen aristotelische Franziskaner gegen platonische Dominikaner. In der westlichen Geistesgeschichte haben sich die Franziskaner behauptet. Drehen die Analytiker das Rad der Geschichte bloß zurück?
*
In den realen Wissenschaften hat sich im Westen der Nominalismus durchgesetzt in seiner ruppigsten Form, der von Thomas Hobbes. Die Philosophie wurde seither in die Ecke gedrängt und kehrte in Gestalt der ratio- nalistischen Metaphysik zum dogmatische Denken zurück. In Leibnizens Vernunftsystem traten die Monaden an die Stelle der Entelechien, aber die Schärfe der scholastischen Dialektik war in der Kraftmeierei der Renaissance verlorengegangen. Die neue Epoche hatte keinen Sinn mehr für rasiermesserscharfe Reflexion und Analyse, das Schaffende, Positive trat in den Vordergrund: Entwurf, disegno. In der Römischen Kirche trat an die Stelle des sezierenden Disputs die dogmatische Kathedrale des Hl. Thomas (ein Dominikaner).
Es war die Realgeschichte, in der der kritische Elan des Scholastik verpuffte, und nicht die immanente Entwick- lung der philosphischen Diskurse. Die Welt waar noch lange nicht reif für die transzendentale Fragestellung, die Kritik konnte sich nicht ein eigenes Fundament schaffen.
Heute ist die Welt überreif für den transzendentalen Standpunkt, das Fundament ist gelegt und eigentlich schon Richtfest gefeiert. Worauf also warten die Philosophen noch? Man muss doch nur zugreifen.
Warum man jenseits des Atlantik stattdessen die Glasperlenspiele der mittelalterlichen Scholasik neubelebt, ist ein Rätsel. Aber vielleicht ist bloß den amerikanischen Sudenten die abendländische Philosophie noch immer ein unentdeckter Kontinent.
*) ...so wie seinerzeit das Produkt von Husserls eidetischer Reduktion und Gegenstand seiner Wesensschau.
Nix gilt.
Im landläufigen Diskurs der Postmoderne ist analytische Sprachphilosophie – “die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel” - eine Verbindung eingegangen mit dem zeitgemäßen Konstruktivismus: “Sind ja doch alles nur Konstrukte…”
Die Quintessenz: Nix gilt und Anything goes.
Und wenn man sich die Welt ansieht, wie sie ist, haben sie nicht einmal Unrecht. Einen immanenten Sinn wird man aus der Welt nicht herausdestillieren. Aber man wird einen Sinn hinein’konstruieren’ müssen. Und das tun die Postmodernen ja auch. Indem sie nämlich Sätze sagen, die allgemeine Geltung beanspruchen: 1) “die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel” – und 2) “Sind ja doch alles nur Konstrukte…”
Recht haben sie: “Es gibt” keine allgemeinen Geltungen.
Unrecht haben sie: Es muss allgemeine Geltung geben, wenn… sinnvolle Sätze möglich sein sollen. Die Sätze Nix gilt und Wahrheit gibt es nicht erheben Anspruch auf Wahrheit und Geltung. Es sei denn, sie verzichteten darauf, für sinnvoll gehalten zu werden.
So würde es wieder stimmen.
•April 19, 2009
Was an Worten gelegen ist.

Nil in verbis machte die Royal Society zu ihrem Wahlspruch, als Isaac Newton ihr Sekretär war. Das sollte heißen: Der Naturwissenschaft ist an Wörtern nichts gelegen. Kant zeigte danach, dass auch in der Philosophie an Wörtern nichts gelegen ist. Jene Philosophie, die sich heute die 'analytische' nennt, verkündet ahnungslos: Nil extra verbis.
Februar 25, 2010
Begriffsfetisch
Der springende Punkt beim Begriff ist nicht, wie scharf er definiert wurde, sondern wie weit er wann und unter welchen Bedingungen gilt.*
Darüber kann er freilich selber keine Auskunft geben. Man kann es nur aus der Distanz beurteilen.
*) Es gilt nur etwas in Hinblick auf eine Absicht: sofern man etwas will.
im Januar 2016
Der Begriff passt nirgends richtig.
Worauf der Begriff passt, darauf passt er immer, sonst war er kein Begriff. Was man so ansehen kann, aber auch anders, worauf also mal dieser und mal jener Begriff passt, auf das passt keiner.
Das ist aber der Fall bei fast allem, das im Leben vorkommt, und vor allem: bei allem, was in unserer Vorstellung vorkommt. – Was bleibt dann noch übrig? Eigentlich nichts. Mit andern Worten: Eigentlich passen Begriffe auf nichts, oder richtiger: Begriffe passen auf nichts eigentlich. Immer nur uneigentlich, immer nur einstweilen, immer nur vorübergehend.
Ein Begriff ist gar kein Schlüssel. Eher eine Kneifzange oder ein Brecheisen.
Und nochmal: Analytisch oder kontinental?
Unter der Überschrift Was ohne Deutung bleibt, ist leer veröffentlichte die FAZ gestern einen kurzen Beitrag des kanadischen Philosophen Charles Taylor zu der von ihr begonnenen Kontroverse zwischen 'analytischer' und 'kontinentaler' Philosophie. Diese Gegenüberstel- lung sei nur die Oberfläche, meint Taylor. Wichtiger sei viel mehr der "Unterschied, der sich aus den verschiedenen Antworten auf die Frage ergibt, ob die Philosophie eine autarke Fachdisziplin ist; ob Philosophen also ihre Fragen ohne Rückgriff auf die Erkenntnisse anderer Fachgebiete beantworten können oder nicht."
Er knüpft dabei an den Kernsatz aus dem Beitrag von Tobias Rosefeldt an: Zweck der Philosophie sei es, eine eigene Sprache zu entwickeln, "deren Bedeutung so klar ist, dass sie nicht erst der Interpretation bedarf." Sind die Begriffe scharf genug definiert, bleiben keine Probleme übrig. Das meint Taylor mit der "verhängnisvollen Vorliebe vieler analytischer Philosophen für das selbstgenügsame Philosophiemodell". Wenn schon innerhalb des Fachs kein Raum für Interpretation bleiben soll, dann ist ein Aus-, Zurück- und Übergreifen auf andere Fächer – Geschichte, Ethik, Soziologie – schon gar nicht mehr statthaft.
Dies wiederum beruhe auf "einem positivistischen Weltbild, das die Hermeneutik unter Generalverdacht stellt". Was immerhin eine originelle Wende wäre, denn bislang hatte man den Positivismus so verstanden, als würde er die ganze Philosophie als bloße Hermeneutik abtun und ins Reich der Fabeln verweisen. Dies hätten die 'Analytiker' mithin überwunden, indem sie die Philosophie selber zu einer autarken positiven Wissenschaft 'von den Begriffen' purifiziert und gerettet hätten.
An dem Punkt bricht Charles Taylor ab. Für ihn ist damit das Terrain abgesteckt, und auf welcher Seite er steht, ist ja außer Frage, weshalb ihn die Redaktion der FAZ auch ohne Zögern einen Sozialphilosophen nennt.
Der Beitrag schafft mehr Verwirrung, als dass er zur Klärung beitrüge. Ob die Philosophie 'ein Fach' ist – oder vielleicht das öffentliche Forum aller andern Fächer –, ist eine Frage; wie weitdieses Fach reicht, bedürfte gegebenenfalls einer eigenen Erörterung. Darf es übergrei- fen? Darf es Anleihen machen? Worauf darf es sich berufen?
Letzeres kommt dem Kern der Sache näher. Wenn sie ein Fach ist – ein wissenschaftliches, denke ich wohl –, dann muss sie auf eigenen Prämissen beruhen. Dann aber muss ihre Kritik; – immanent – von diesen Prämissen ausgehen. Von anderen, äußeren Prämissen aus ließe sich bestreiten, dass sie ein Fach und dass sie eine Wissenschaft ist. Das eine ist Kritik, das andere Metakritik, das sind zwei Paar Schuhe.
Soviel gegen Taylor. Es geht aber auch gegen die Analytischen. Denn Prämissen, die das Philosophieren zu einem Fach konstituieren könnten, kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen. An denen müssten sich die scharf definierten Begriffsmoleküle ja überprüfen lassen – und das hieße interpretieren. Ein Fach kann ihr Philosophieren daher nicht sein, und eine Wissenschaft schon gar nicht. Jeder Begriff für sich und aus eignem Rechtsgrund (vermut- lich der "Anschlussfähigkeit" im jeweiligen Kontext): Das ergäbe gerade kein 'Fach', son- dern nur eine pragmatische Hilfsdisziplin der realen Wissenschaften. Womit wir dann doch wieder beim "positivistischen Weltbild" wären.
Das positivistische Weltbild beruht – nach Kant muss man es genau so formulieren – auf dem Verbot jedweder Wissenskritik. Die Dinge sind, was sie sind, wo ist da das Problem? Die Transzendentalphilosophie hat ein für allemal geantwortet: Von der Wirklichkeit weißt du gar nichts, sondern nur von dem, was in deinem Bewusstsein vorkommt, und das sind Vorstellungen. Die mögen ja richtig sein, das wollen wir gerne unterstellen. Aber wie das möglich ist – das würden wir doch schon herausfinden wollen. Dieses Herausfinden heißt Philosophieren.
Hieße die Frage: Ist diese oder jene Vorstellung berechtigt? – so müsste auf reales Wissen von außerhalb der Philosophie zurückgegriffen werden. Aber wo es um das Vorstellen selber geht, kann nicht auf reales Wissen von außerhalb zurückgegriffen werden; denn dessen Begründetheit steht ja hier in Frage, und das gilt auch von der empirischen Psycho- logie: Deren Wissen kann höchstens so begründet sein, wie Wissen überhaupt, also kann sie es nicht selber begründen.*
Das ist ein eng gefasster Begriff von Philosophie, er ist rein kritisch; aber er ist hart und haltbar. Unmittelbar taugt er zu nichts, da haben die Nörgler Recht. Doch mittelbar taugt er zu allem und ohne ihn taugt nichts: Er ist der Prüfstein, an dem sich Alles bewähren muss. Aber um das Vorstellen selber geht es. Die brauchbaren Begriffe sind bloß Derivate, die seien euch geschenkt.
*) Sollte die Hirnphysiologie eines Tages bildgebend sichtbar machen, wie aus einem Sinnes- eindruck eine Vorstellung entsteht, so könnte das nur beweisen, dass sich diese Praxis gattungsgeschichtlich als nützlich bewährt hat; aber wir wollten mehr wissen.
17. 1. 2016
Die Frage nach dem System stellt sich beim Philosophieren von selbst.

Subjektiv betrachtet, fängt die Philosophie doch immer in der Mitte an, wie das epische Gedicht.
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Friedrich Schlegel, Athenaeum, Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798
Ein hübscher Aphorismus zum Thema philosophischer Systematik.
Jeder Philosoph fängt mit seinem Philosophieren irgendwo mittendrin an. Ganz einfach, weil er vor dem Entschluss zu philosophieren schon allerlei gewusst und seinem gesunden Menschenverstand unterzogen haben muss. Das nimmt er naiv als Startkapital und fängt an zu wirtschaften. Erst nachträglich, in dem Maße nämlich, wie er auf unerwartete gedank-liche Probleme stößt, denkt er daran, sein Kapital zu inventarisieren – ob es wirklich so reichlich war, wie er dachte, und wie große Risiken er sich damit leisten kann. Das ist Meta-philosophie, und obwohl sie logisch an den Anfang gehörte, kommt sie immer erst hinter-drein.
Und dann, wenn er sich fragt, welches Risiko seinen Einsatz wert ist, taucht erstmals in klarer Kontur die Frage auf, worauf er überhaupt hinauswill. Und siehe da, das praktische Problem verhält sich auf einmal zum metaphilosophischen wie Kopf und Zahl. Unmöglich zu sagen, welches den Vorrang hat. Und nun erscheint auch all das, was er bisher schon ge-schafft hatte, geschafft zu haben meinte, als der theoretische Teil eines aufzustellenden Systems. Der hängt jetzt aber in der Luft, nämlich mitten zwischen den komplementären Vorbehal-ten des praktischen und des metaphilosophischen Teils. Eine Generalrevision ist nötig; eine Kritik des theoretischen Teils. Und wenn man schonmal so weit ist, wird sich in der Durch-führung der Kritik erweisen, dass recht eigentlich sie selber den theoretischen Teil ausmacht!
Nun aber erscheint sie als das Hauptstück, plat de résistance, des ganzen Systems. Weil näm-lich nur durch sie Metaphilosophie und praktische Philosophie zusammengeführt werden konnten. Der praktische alias Meta-Teil ist zwar der, auf den es am Ende ankommt. Aber möglich wurde er erst durch die Kritik, als deren Klammer.
9. 9. 2014
Wieso ich diesen Eintrag heute erneut poste? Weil ich vorher die ganze WL nova methodo wiedergegeben und den Anfang der Grundlage gleich nachgetragen habe. Schließlich habe ich, um den Unterschied zu verdeutlichen, den Anfang des 'neuen' Vortrags der WL, wie Fichte ihn im Philosophischen Journal vorgestellt hat, dazugetan. Es fällt auf: Die erste Dar-stellung in der Grundlage fängt in der Tat "mittendrin" an. Begriffe und Verfahren werden so benutzt, als sei deren Geltung längst festgestellt; wie und von wem wird nicht erörtert.
Wie ein System dargestellt wird ist aber nicht ohne Inzidenz darauf, was für ein System es ist. Hierauf will ich hinaus: Fichte ist tatsächlich erst mit der 'neuen Darstellung' von einer logischen zu einer genetischen Darstellung übergegangen, und das heißt: von einer Konstruk-tion aus Begriffen zu einer Entwicklung aus Vorstellungen. Bemerkenswert, dass er diesen Unterschied nur gelegentlich und nebenbei erwähnt, nie aber thematisch. Denn nie spricht er auch aus, dass er nicht, wie heute weitgehend angenommen, eine 'Bewusstseinsphiloso-phie' verfasst hat, sondern in specie eine Definition der Vernünftigkeit. Natürlich spricht er es nicht aus, denn Kritik der Vernunft war der zweck der Kantschen Philosophie, und dass er diese radikalisieren und vollenden musste, war ihm noch ganz selbstverständlich.
*
Die unterschiedlichen Anfänge der beiden Darstellungen im Besondern zu untersuchen ist eine Sache, die ich nicht übers Knie brechen werde. Aber irgendwann komme ich darauf zurück.
Nun also zum dritten Mal. Erstens ist es wirklich so, dass Philosophie in einem spezifischen Sinn keinen Bestand hat, wenn sie nicht früher oder später auf ein System hinausläuft: einen Argumentationsbogen, in dem am Ende auf kohärente Weise die Frage beantwortet wird, die zu der ganzen Untersuchung den Anlass gab - und zugleich die Frage beantwortet, ob die Antwort den ganzen Aufwand wert war.
Zweitens hat die Postmoderne diesen Anspruch nachhaltig verunglimpft; nicht mit Grün-den, sondern mit Redensarten. Ihr Erbe haben die logischen Teilchenmechaniker der Ana-lytischen Schule übernommen. Sie verdienen es redlich, indem sie es überspitzen: Um den Hohn vollzumachen, nennen ausgerechnet sie sich Systematiker.
Da muss man heut erstmal semantische Sauberkeit schaffen.
29. 10. 18
Ach
was, ich sags einfach so, wie ich es meine: Wer als Philosoph nicht
bereit ist, bis zum Schluss zu gehen, ist entweder gar keiner, oder er
ist als Philosoph ein Drückeberger.
Die Systematik mit Pedanterie verwechseln, gehören meistens zur ersten Gruppe; die kon-tinentalen Historiker meist zur zweiten.
16. 9. 2020

Das Prinzip der modernen Wissenschaft ist die Analyse; und darum ist sie atomistisch?
Recte: Sie ist vorderhand (im intendierten Ergebnis) atomistisch - und darum verfährt sie analytisch. Die Grund- vorstellung ist nämlich die, Wahrheit sei zusammengesetzt aus letzten, kleinsten, unauflöslichen Wahrheitspartikeln ('Begriffe'), die ihrerseits (als Entelechien?) das Gesetz in sich tragen ('Logik'), sich zu Molekülen zusammenzufü- gen, zu Zellen, zu Organismen; zum "Kosmos".
Der Organizismus ist nur auf den ersten Blick das "genaue Gegenteil"; indem er die Reihenfolge umkehrt. Die in- nere Verfassung ist aber dieselbe, der Streit geht nur darum, auf welcher Seite die ("onto"-) logische Priorität liegt, von welcher Seite her die Geltung ausgeht.
Aber dass das, was erscheint, sein Gesetz, wie es erscheint, in sich selber trägt, darüber sind sie ja einig; nur ob dieses von oben nach unten oder von unten nach oben weist, das ist strittig.
Die kritische Auffassung stellt sie gleichrangig nebeneinander und löst sie auf.
(In der Mikrophysik haben sich die "Unteilbaren" als höchst flüchtig erwiesen, je näher man an sie herankommt, umso mehr lösen sie sich auf, in bloße "Ladungen", die nicht einmal mehr res extensae sind, sondern bloße "Wel- len"...
aus e. Notizbuch, 30. 4. 07
Der Eintrag ist offenbar nicht fertiggeworden. Es müsste nämlich folgen:
Die ewige metaphysische Versuchung des Geistes war immer und wird immer sein, die Gesetze des Denkens für irgendwie dasselbe zu halten - ein Spielgebild, den Schatten, das Schema - wie die Bewegungsgesetze der Welt; und daher das organische oder eben das atomistische Modell auf die Welt der Vorstellungen zu übertragen.
'Die Welt ist alles, was der Fall ist' lässt sich gar nicht denken ohne eine atomistische Prämisse. Alle "Fälle", die "sind", sind die jeweils kleinsten Einheiten des Wahren (des Geltens),* und jede müsste sich für sich selber iden- tifizieren, d. h. von den andern isolieren und absolut setzen lassen. Klar, dass dann für ein Subjekt nichts mehr zu tun bleibt.
Indes, das Ich 'tritt in die Philosophie ein' durch die Hintertür; "indem" nämlich "die Welt meine Welt ist". Bevor sich über die Welt irgendetwas aussagen lässt, ist dies "der Fall": Die Welt ist meine Welt, sonst könnten alle ande- ren Fälle, die sind, auf sich beruhen bleiben. In Sachen Geltung ist dies der Ausgangspunkt, der jedem weiteren Schritt zu Grunde liegt. Aber so wahr ich Einer bin, ist demnach auch die Welt eine, und was im Einzelnen gilt, gilt nur, sofern der Grund-Satz gilt: Die Welt ist meine Welt.
*) 'Was der Fall ist' bezeichnet in jenem bekannten Satz selbstverständlich nur logische Fälle.
27. 10. 14
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