aus männlich
Es war
ja was dran an den diversen Frauenemanzipationsbewgungen der letzten
zweihundert Jahre, aber nicht immer das, was sie selber meinten - und
schon gar nicht, was der Spätfeminismus der eben vergehenden Generation
in seinen letzten Zügen uns noch immer vorhaucht.
In der
Arbeiterfrauenbewegung des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten
Jahrhunderts kam niemand auf die Idee, von einer jahrtausendealten
Unterdrückung "der Frau" durch "den Mann" zu reden. Zu nahe waren sie
noch der Realität des Klassenkampfes, aus der diese Denkfigur stammt, um
nicht ihre völlige Unangemessenheit zu bemerken.
Wie
hätte man sich das vorzustellen - ein Kollektivsubjekt 'die Männer'
unterwürfe sich das Kollektivsubjekt 'die Frauen', um es - umsonst - für
sich arbeiten zu lassen?
Zwischen Kapital und Arbeit lag das vor aller Augen: Es war der Markt, auf dem sich beide begegneten, und es waren die Marktgesetze, die für einen 'ungleichen Tausch' sorgten; der indessen ungleich nur durch seine historische Prämis- se war: indem die eine Seite (in Geld dargestellte) Waren austauschte, während die andere Seite nur die nackte Arbeits- kraft selbst anbieten konnte.
War eine vergleichbare historische Prämisse irgendwann irgendwo im Verhältnis zwischen den Geschlechtern eingetreten?
Die Rede vom Patriarchat
ist eine Nebelkerze. Es seien Männer, die politisch herrschen, weil
Männer Waffen tragen und Kriege führen können. Und das setze sich -
irgendwie - bis in die persönlichsten Beziehungen zwischen Männern und
Frauen in Ehe und Familie fort...
Bei der Betrachtung vorbürgerlicher, und das heißt agrarischer Gesellschaften stellt sich aber etwas anderes heraus: Ihre beherrschende Realität sind die isolierten Hauswirtschaften, wie Marx sie (nicht als erster) nannte. Sie sind - waren - das Wahre an dem konservativen Kampfruf, die Familie sei "die Keimzelle der Gesellschaft", nämlich die familia in ihrem ursprünglichen oskisch-lateinischen Sinn als oikos, Haushalt, ganz ungeachtet eventueller Blutsverwandtschaften.
Politische
Herrschaft war ihnen gegenüber nur Epiphänomen, da mochten Haupt- und
Staatsaktionen statthaben und Reiche einstürzen, während unten, wo die
Menschen ihren tatsächlichen Stoffwechsel mit der Natur betrieben,
jahrhun- dertelang alles blieb, wie es war.
Beherrscht in der traditionellen Hauswirtschaft 'der Mann' 'die Frau'?
Die
Frau vertritt die Hauswirtschaft nach innen, der Mann nach außen - vor
allem, wo es um das Hauptgeschäft, die Vermarktung der Überschüsse aus
der landwirtschaftlichen Produktion und ergo um die größeren Beträge
geht. Die Geldwirtschaft macht sich aber zunächst nur mittelbar
bemerkbar, beim Tausch von Getreide gegen Vieh etwa tritt Geld nur als
Verrechnungsgröße auf. Was an Silber- und Kupfermünzen tatsächlich
gebraucht wird, mag die kleine Haus- industrie - Töpfer-, Web- und
Flechtarbeiten - einbringen, und die ist wiederum Frauensache. Dieses
Geld fließt gleich in den Konsum der Hauswirtschaft ein, nicht in die
Produktion. Grob kann man sagen: Während die Produktion Männer- sache
ist, ist die interne Verteilung und die Organisation des Konsums
Angelegenheit von Frauen.
In dem Maße aber, wie die Geldzirkulation um sich greift, dringt der Markt - und der ist der harte Kern der (natürlich bürgerlichen) Öffentlichkeit - in immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ein. Und Öffentlichkeit ist seit Menschengedenken eine männliche Domäne; Einerseits der Markt, andererseits Politik und ihre Fortführung im Krieg.
Bis zu dem Punkt, wo die Geldwirtschaft die Produktion selbst ergreift. Nämlich als die sogenannte ursprüngliche Akkumulation
des Kapitals die Bauern vom Land vertreibt, die isolierten
Hauswirtschaften vernichtet und die Arbeitskraft nötigt, sich für Geld
ans Kapital zu verkaufen. Zwar ist der Markt, und also der Arbeitsmarkt,
das öffentlichste Gebiet, das es gibt. Aber hier herrschen nicht
Männer, schon gar keine proletarischen, sondern Kapitaleigner, und
unterdrückt werden nicht nur Männer, sondern bald auch ihre Frauen und
Kinder, und Remedur schafft allein wiederum eine Öffentlichkeit, nämlich
die Arbeiterbewegung und der Klassenkampf, und sehr zögernd, aber
schließlich doch, nehmen daran auch die Frauen teil. Doch ihren Platz
bekommen sie nicht spendiert, sie müssen ihn erkämpfen; so wie die
Arbeiterbewegung sich ihren Platz in der bürgerlichen Öffentlichkeit erkämpfen musste.
Mit dem
Entstehen der großen Industrie greift der Markt schließlich bis in die
privatesten Winkel hinein, die Privathaus- halte sind die längste Zeit
"Keimzellen der Gesellschaft" gewesen. Als Haushälterinnen werden die
Frauen zusehends ersetzlich durch Dienstleistungsindustrie, öffentliche
Subsidien und Haushaltselektrik, aber eine automatische Kompensa- tion
durch Aufwertung ihrer Stellung in der Öffentlichkeit geschieht nicht.
Das ist das Reelle an der Legende von der Unterdrückung der Frauen: dass
sie die Abwertung, die sie im Privaten erfahren hatten, in der
Öffentlichkeit durch eigene Anstrengung ausgleichen müssen.
Doch auch da hat die Arbeiterbewegung die entscheidende Vorarbeit schon geleistet. Man kann darüber philosophieren, ob sie mehr hätte können oder gar sollen; die historische Leistung der Arbeiterbewegung war aber, auf der einen Seite die restlose Demokratisierung des bürgerlichen Gemeinwesens durchzusetzen und auf der andern den Wohlfahrtsstaat zu erzwingen. Die Bedingungen für die Gleichstellung der Frau im öffentlichen Leben waren damit gegeben.
Dass
einem nichts in den Schoß fällt, ist aber wohl von der Gesellschaftsform
unabhängig, und dass die Meisten nur ungern für andere Platz machen,
sicher auch. Hier und dort muss immer mal ein wenig Druck gemacht
werden, und dass dabei auch schrille Töne vorkommen, kann man ertragen.
Jedenfalls kann keine Gesellschaft auf die Dauer erlauben, dass
Potenziale brachliegen, schon gar nicht, wenn sie in globaler Konkurrenz
zu anderen steht. Aber genau das würde sie fördern, wenn sie Reservate
schaffen wollte, wo Privilegien - nun nicht mehr der Herkunft, sondern des Geschlechts - verhindern, dass sich im gesellschaftlichen Wettbewerb Qualität behaupten kann, und stattdessen Mittelmaß subventio- niert.
Insofern ist der zeitgenössische Feminismus rein parasitär. Dass seine Sprechröhre ihr unversteuertes Einkommen mittlerweile als Quotenfrau beim größten Revolverblatt der Republik verdient, sagt alles.
aus derStandard.at, 8. Juni 2019 aus Geschmackssachen
Im Auge des Betrachters
Verfügt
der Mensch über einen Sinn fürs Schöne? Was bewirken schöne Dinge, und
was passiert bei der Bewertung von Schönheit im Gehirn? Psychologen
geben Antworten
von Julia Sica
Pfauenmännchen buhlen mit ihrem auffälligen
Gefieder um die Aufmerksamkeit von Pfauenweibchen. Der Attraktivere hat
bessere Chancen bei der Partnerwahl – das war bereits Charles Darwin
bewusst. Als menschliche Merkmale, die Artgenossen zur Fortpflanzung
animieren sollen, gelten hingegen etwa Gesichtssymmetrie und
Hautreinheit. Wer hier gut ausgestattet ist, wirkt auf sein Umfeld
gesund und schön.
Bei
dieser Funktion hört es mit der Schönheit noch lange nicht auf.
Immerhin müssen wir keine Pfauenweibchen sein, um die blaugrün
schimmernden Federn ihrer Partner elegant zu finden. Auch Darwin
mutmaßte, dass es einen spezifischen Schönheitssinn gebe, mit dem man
die gesamte Umgebung ästhetisch wahrnimmt und bewertet.
"Unsere
Sicht der Welt wird davon gesteuert, wo die schönen Dinge sind", sagt
Helmut Leder, Leiter des Instituts für Psychologische
Grundlagenforschung der Uni Wien. Bei der vom Wissenschaftsfonds FWF und
der Agentur PR&D veranstalteten Reihe "Am Puls" diskutierte er
vergangene Woche mit dem plastischen Chirurgen Artur Worseg darüber, wie
uns der Schönheitssinn beeinflusst.
Am Wiener Institut liegt der
Forschungsfokus auf dem Visuellen, obwohl sich die Schönheitswahrnehmung
auch auf angenehme Melodien oder Gerüche beziehen kann. Bezeichnend
ist, dass eine Einschätzung, ob man etwas schön findet, sehr schnell
abläuft.
In einem Experiment fanden Leder und Kollegen heraus,
dass Versuchspersonen beim Anblick typischer schöner Gesichter und
Muster leicht lächelten – selbst dann, wenn sie bewusst gar nicht sagen
konnten, ob es sich um einen angenehmen Reiz handelte oder nicht. Im
Gegenzug konnte die Stimulation eines Gesichtsmuskels der Verärgerung
gemessen werden, wenn ganz kurz ein unschönes Bild erschien.
Glücksgefühl in der Not
"Die
Studie zeigt auch: Wenn uns etwas schön vorkommt, bringt das kleine
Dosen Freude in unseren Alltag. Schöne Dinge machen uns glücklich", sagt
Leder. Wie essenziell diese Art des Glücksempfindens sein kann, lässt
sich beispielhaft in Krisengebieten und -situationen erkennen. In
Frauengefängnissen stehen bei Insassinnen Make-up-Produkte hoch im Kurs,
und selbst in kriegsgebeutelten Gegenden in der Ukraine und im Nahen
Osten – und gerade dort – legen viele Menschen Wert auf Schönes: Kunst,
Kultur, ein gepflegtes Äußeres.
Die deutsche Literaturprofessorin
Barbara Vinken, die sich mit Ästhetik und Mode beschäftigt, sagte dazu:
"In der Kleidung wird die Intaktheit des Selbst widergespiegelt. Je
stärker man bedroht wird, desto stärker der Wille nach Intaktheit."
Wie
sehr schöne Menschen im Alltag unsere Wahrnehmung beeinflussen, ist
daran zu erkennen, dass unser Blick wesentlich häufiger und länger auf
ihnen ruht. Das klingt naheliegend. Die Stärke dieses Effekts ist aber
so groß, dass man im Umkehrschluss mittlerweile durch die bloße
Beobachtung von Augenbewegungen sagen kann, welche Gesichter als schöner
gelten. Ohne die Testpersonen befragen zu müssen.
Komplexes Schönheitsempfinden
Dass
wir uns dezidiert zu Schönem hinwenden, weil es uns guttut und
angenehme Empfindungen auslöst, kann sich evolutionär entwickelt haben.
Neben biologisch erklärbaren Merkmalen ist Schönheitsempfinden aber
weitaus komplexer, erläutert der Wahrnehmungsforscher Leder. Denn was
wir als schön ansehen, ist von unserem kulturellen Umfeld abhängig, dazu
kommen kurzfristige Erscheinungen wie Moden.
Doch wie
funktioniert dieser Schönheitssinn – besonders, wenn die Bewertung so
rapide und nahezu unbewusst abläuft? "Es, gibt prinzipiell zwei
Möglichkeiten. Haben wir einen Zähler für das Schönheitsmaß, der uns
etwa auf einer Skala sagt, ob ein Gesicht wenig, mittel- oder sehr schön
ist? Oder haben wir einen Prototyp, der einem symmetrischen
Durchschnittsgesicht entspricht, und wir beurteilen die Abweichungen
eines neuen Gesichts – wie eine große Nase oder sehr eng stehende Augen –
ausgehend von diesem Prototyp?
Um zu testen, welche der beiden
Annahmen näher an der Realität ist, hat Leder einen weiteren Versuch
mitentwickelt. Dabei machten sich die Forscher den sogenannten
Gesichtsinversionseffekt zunutze, der schlichtweg besagt, dass es
Menschen schwerer fällt, auf dem Kopf stehende Gesichter zu erkennen.
"Wenn wir eine Art eingebauten Schönheitsmesser hätten, müsste die
Schönheit bei einem aufrechten Gesicht am höchsten bewertet werden, weil
er nur dann optimal anwendbar ist", so Leder.
Foto von Grace Kelly von Milton H.
Green
Innerer Prototyp
Das Ergebnis zeigte
allerdings: Um 180 Grad gedrehte Gesichter erhalten die besten
Bewertungen. Anstatt dass positive Eigenschaften eines Gesichts summiert
werden, schätzen wir eher ab, in welchen Aspekten es negativ von der
Norm abweicht. Weil uns dies bei umgedrehten Bildern schwerer fällt,
werden sie schöner beurteilt, argumentieren die Studienautoren. Es gibt
also erste Hinweise dafür, dass wir Schönheit mit einer Art innerem
Prototyp abgleichen und bewerten.
Was aber passiert, wenn dieser
ideale Prototyp mit künstlich verschönerten Fotos gefüttert wird, die in
den Medien vorherrschen? "Unser Gehirn, unser Wahrnehmungssystem ist
uralt und hat damit keine spezifische Verarbeitung für virtuell
manipulierte Gesichter. Sie sehen der Realität ähnlich und werden daher
automatisch als Gesicht erkannt", sagt Leder.
"Dies fließt also
trotzdem in meine Repräsentation davon ein, wie ein Mensch aussieht. Und
das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ich mich selbst und
andere für unzureichend und unschön halte." Wichtig sei daher, sich
diesen Eindruck regelmäßig bewusst zu machen und zu hinterfragen. Die
Begeisterung für klassisch Schönes mag Teil der menschlichen Natur sein –
"sie ist aber auch eben nur ein Teil unserer Natur, nur eine Seite des
Schönseins."
Variable Schönheit
Bei der Sorge
darum, wie die eigene Wirkung einzuschätzen ist, kann man sich zumindest
im vertrauten Umfeld entspannen. Die ästhetische Bewertung eines
Gegenübers spielt nämlich vor allem beim Kennenlernen eine Rolle, also
wenn es etwa um Bewerbungsverfahren oder Partnersuche geht. Unter
Freunden ist man einander vertraut genug, um mit "innerer Schönheit" zu
punkten.
Und es sollte auch eine Studie britischer Forscher nicht
vergessen werden: Das Team um den Psychologen Mike Burton verglich
unterschiedlich attraktive Personen mithilfe mehrerer Aufnahmen. Es
zeigte sich, dass die Variabilität einer einzelnen Person ziemlich groß
ist: Menschen, die allgemein weniger attraktiv eingeschätzt wurden,
sahen auf Bildern, die sie an "guten Tagen" erwischt hatten, immer noch
besser aus als allgemein Attraktivere auf einem schlechten Bild.
Nota. - Mit
all diesen empirischen Untersuchungen zum ästhetischen Wahrnehmen ist
es dasselbe: Sie betreffen Motive, die viele gemeinsam als schön
beurteilen. Das liegt am Verfahren: Statistik ist natur- gemäß
quantifizierend, sie erfasst große Mengen und am liebsten gar
Durchschnitte. Wenn sie ihre Daten beisammen hat, zählt sie aus. Und
siehe da: Je größer die Menge, umso näher liegt die Versuchung, nach
einer 'gemeinsamen Ursache' zu suchen.
Und da gibt es dann zwei Möglichkeiten. Entweder biologisch vorgegebene Reiz-Reaktions-Abläufe oder eingeborene Archetypen.
Doch
beides übergeht das, was am ästhetischen Erleben das Erhebliche und
daher das Problematische ist: das Urteilen. Wenn ich dem nachgebe, wozu
ich sowieso neige, dann urteile ich gerade nicht, sondern
verzichte auf ein Urteil. Was anderes ist es, wenn ich nach momentanem
Schwanken zu meinem ersten Reflex zurückkehre. Dann habe ich mir mein
Urteil vielleicht leichtgemacht, aber eben doch geurteilt.
Denn bedenke: Wenn wir tatsächlich alle denselben Geschmack hätten, dann... gäbe es das Ästhetische nicht, weil man es nicht unterscheiden könnte. Ohne Unterscheidung kein Urteil. Von Geschmack kann nur die Rede sein, wenn wir grundsätzlich einem jeden seinen eigenen Geschmack anmuten.
So wenig das Ästhetische sonst auch mit Vernunft zu tun haben mag - in dem Punkt sind sie einig: Sie muten Jedem ein eigenes Urteil zu. *
*)
Ihr Unterschied ist der: Da es bei der einen um das Zusammenwirken
geht, verlangt sie für das eigene Urteil gemeinsame Gründe. Das
Ästhetische hat ein jeder für sich und braucht gar keine Gründe; und das
macht seine Besonderheit aus: dass es ohne Grund urteilt.
JE 9. Juni 2019
aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Jede mögliche / Wissenschaft hat einen Grundsatz,
der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern vor ihr vorher gewiss
seyn muss. Wo soll nun dieser Grundsatz erwiesen werden? Ohne Zweifel in
derjenigen Wissenschaft, welche alle möglichen Wissenschaften zu
begründen hat. – Die Wissenschaftslehre hätte in dieser Rücksicht
zweierlei zu thun. Zuvörderst die Möglichkeit der Grundsätze überhaupt
zu begründen; zu zeigen, wie, inwiefern, unter welchen Bedingungen, und
vielleicht in welchen Graden etwas gewiss seyn könne, und überhaupt, was
das heisse – gewiss seyn; dann hätte sie insbesondere die Grundsätze
aller möglichen Wissenschaften zu erweisen, die in ihnen selbst nicht
erwiesen werden können. ...
Die Wissenschaftslehre ist selbst eine Wissenschaft. Auch sie muss daher zuvörderst einen Grundsatz
haben, der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern zum Behuf ihrer
Möglichkeit als Wissenschaft vorausgesetzt wird. Aber dieser Grundsatz
kann auch in keiner anderen höheren Wissenschaft erwiesen werden; denn
dann wäre diese höhere Wissenschaft selbst die Wissenschaftslehre, und
diejenige, deren Grundsatz erst erwiesen werden müsste, wäre es nicht.
Dieser Grundsatz – der Wissenschaftslehre, und vermittelst ihrer aller
Wissenschaften und alles Wissens – ist daher schlechterdings keines
Beweises fähig, d.h. er ist auf keinen höheren / Satz zurück zu führen, aus dessen Verhältnisse zu ihm seine Gewissheit
erhelle.
Dennoch soll er die Grundlage aller Gewissheit abgeben; er
muss daher doch gewiss und zwar in sich selbst, und um sein selbst
willen, und durch sich selbst gewiss seyn. Alle anderen Sätze werden
gewiss seyn, weil sich zeigen lässt, dass sie ihm in irgend einer
Rücksicht gleich sind; dieser Satz muss gewiss seyn, bloss darum, weil
er sich selbst gleich ist. Alle andere Sätze werden nur eine mittelbare
und von ihm abgeleitete Gewissheit haben; er muss unmittelbar gewiss
seyn. Auf ihn gründet sich alles Wissen, und ohne ihn wäre überhaupt
kein Wissen möglich; er aber gründet sich auf kein anderes Wissen,
sondern er ist der Satz des Wissens schlechthin.
Dieser Satz ist
schlechthin gewiss, d.h. er ist gewiss, weil er gewiss ist*.
Er ist der Grund aller Gewissheit, d.h. alles was gewiss ist, ist
gewiss, weil er gewiss ist; und es ist nichts gewiss, wenn er nicht
gewiss ist. Er ist der Grund alles Wissens, d.h. man weiss, was er
aussagt, weil man überhaupt weiss; man weiss es unmittelbar, so wie man
irgend etwas weiss. Er begleitet alles Wissen, ist in allem Wissen
enthalten, und alles Wissen setzt ihn voraus.
*) Man kann ohne Widerspruch nach keinem Grunde seiner Gewissheit fragen. handschr. Marginalie
____________________________________________________
J. G. Fichte, Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 46 ff.
aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem
Die Kantische Philosophie
ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt:
Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu
erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
__________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 5f.
Nota I. - Kants Induktion führt
ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und
stellt sie zusammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese
zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und nicht deduziert. Schon
gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das
sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.
18. 6. 17
Nota II. - Aber weshalb hat er bei den Kategorien Halt gemacht?
Dass er sie auf
induktivem Wege aufgeunden hatte, war genial genug. Natürlich kann er so
nichts beweisen. Aber dass er nach seinem Verfahren auf mehr oder
andere als diese zwölf hätte kommen können, ist ihm bislang auch nicht
nachgewiesen worden. Soweit kann man die Sache auf sich beruhen lassen.
Aber um tiefer zu bohren und die Frage zu klären, wo die Kategorien - oder das Apriori, wie er es nennt - her- gekommen sind, hätte er wie irgendein Dogmatiker freihändig zu spekulieren beginnen müssen. Die einfachste spekulative Antwortung - Gottes Ratschluss -
lag aber längst vor, er hätte sie durch eine bessere Variante ver-
drängen müssen. Das hat er gar nicht erst versucht, und ob seine
Aussage, er habe dem Glauben Platz schaffen wollen, ein wahres
Bekenntnis oder eine Ausrede war, ist unter diesen Umständen
gleichgültig. Es liefe auf das- selbe hinaus.
Das tiefer Bohren hätte auch nicht geschehen können durch Erweiterung - Vertiefung - des zu untersuchenden Materials; man wüsste ja nicht einmal, wo man anfangen soll. Es musste vielmehr das Verfahren vertieft, nämlich radikalisiert
werden. Das hat Fichte unternommen, aber nicht, indem er analytisch
Scheibchen für Scheibchen von den induktiv freigelegten Kategorien
abzog, um an ihre Gründe vorzudringen; sondern indem er diesen
Arbeitsgang im Gedankenexperiment übersprang.
Wie war Kant verfahren? Er hatte vom gegebenen Material der Vernunft -
den Begriffen* - nach und nach die besonderen Bestimmungen abgezogen.
Zuerst scheiden sich Noumena und Phainomena. Noumena sind reine
Denkbestimmungen; bei den Phainomena kommt als Differentia specifica die
Erfahrung hinzu. Von der werden wieder, Schritt für Schritt, die
konkreten Bestimmungen abgezogen. Bleibt übrig ein 'apriorischer'
Fundus, den er in vier mal drei Kategorien und zwei Anschauungsfor- men
aufteilt. Kategorien und Anschauungsformen lassen
sich nicht selber analytisch zerlegen. Sie müssen en bloc abgezogen
werden von der stets gegenwärtigen, ausgesprochen-unausgesprochenen
Prämisse des Ich denke, das alle unsere Sätze muss begleiten können.
Ziehen wir vom Denken
all die Bestimmungn ab, die es von anderen Tätigkeiten unterscheiden
könnten, so bleibt übrig: reine Agilität ohne alle Bestimmung. Wollen
wir von da aus den Weg zurück zum entwickelten Vernunftsystem
beschreiten, von dem wir ja ausgegangen sind, so muss als erster
Schritt ein sich-selbst-Bestimmen der reinen Agilität vorgestellt
werden. Und siehe da: Die Agilität erweist sich ipso facto als nicht gar so rein, denn sie zeigt sich als bestimmen-könnend.
So muss verfahren, wer Kants induktives Verfahren radikalisiert.
*) Begriffe sind Vorstellungen, die so weit bestimmt sind, dass sie im Gedächtnis verzeichnet und durchs Symbol Anderen mitgeteilt werden können.
PS. Dass ich es nicht vergesse: Hier handelt es sich um den ersten, analytischen Gang der Wissen- schaftslehre.
JE, 1. 6. 19
aus Marxiana
Le platonisme où va-t-il encore se nicher! –
"Wo überall wird sich der Platonismus noch einnisten!" seufzt Marx an
einer ganz beiläufigen Stelle über die Fetischisierung des
Gebrauchswerts.* Dass der Platonismus überall schon drinsteckt und sich gar nicht erst einnisten muss, wo immer Hegel'sche Dialektik webt und wabert; und selbst schon, wo der Alltagsverstand des Krämers waltet – ist ihm selber noch nicht klar.
Dass die Bedeutung – der 'Begriff' – das Wesen der Dinge ausmacht und ihre Wirklichkeit bloß Erscheinung ist, spukt selbst ihm noch immer durch den Hinterkopf, wo im Stirnlappen doch längst die kritische Auffassung Platz gegrif- fen hat: dass die 'Bedeutung' der Dinge immer nur das ist, was ein Subjekt mit ihnen im Lebens-vollzug anfängt – weil es eine Absicht auf sie hat.
*) Marx, Das Kapital I, MEW Bd. 23, S. 388 Anm.
divinatrix aus Levana, oder Erziehlehre
Es ist ein Fehler in unsern Erziehungen, daß wir gewisse Wissenschaften
so früh anfangen, sie verwachsen so zu sagen in unsern Verstand, und der
Weg zum Neuen wird gehemmt. Es wäre die Frage ob sich die Seelenkräfte
nicht stärken ließen ohne sie auf eine Wissenschaft anzuwenden.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, A
Lysipp, Eros
aus Geschmackssachen
Anschauen ist ein sich-Verlieren im ganz-Andern. Das ist seine Versuchung; es ist im Plato'schen Sinn erotisch.
Problematisch wird es beim bildenden Künstler. Seiner Einbildungskraft hat ein Bild vorgeschwebt, in dem er sich verloren hat. Aber er will es wiedergeben. Er muss es von sich absondern, um es fassen zu können. Doch sobald er es gefasst hat, ist es kein wirklich Anderes mehr; er müsste es so fassen, dass es, ungeachtet seiner Vertrautheit mit ihm, allen Andern als 'ganz anders' vorkommt. Und das ist sein formales, sein künstlerisches Problem: Er kann sich an die Ausarbeitung seiner Wiedergabe nicht heranmachen ohne Berechnung.
Es
gab bildende Künstler, deren Bilder so aussehen, als habe mit der
Berechung ihre bildnerische Produktion angefangen und die Anschauung sei
aus einem fertigen Repertoire an irgendeiner Stelle nur herbeigezogen
worden. Ich denke, um nicht viel Ärger zu riskieren, an William Bouguereau: Die einen sagen, es sei akade- misch, die andern sagen, es ist Kitsch.
Kunst wäre es, wenn seine Einbildungskraft ihm ein Bild hat vorschweben lassen, das, nachdem es durch den Fleischwolf seiner
tastend-bestimmenden Experimente gegangen ist, doch immer noch so stark
geblieben wäre, dass es die Einbildungskraft der andern so dazu
versucht, sich in ihm zu verlieren, wie er es tat, bis er sich ans
reflektierende Wiedergeben gemacht hat.
Ein Künstler ist er, wenn es ihm gelang, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen, ohne dass jeder es sehen kann.
Es gibt aber auch solche, die von vorn bis hinten nur bluffen.