Mittwoch, 2. März 2022

Renoir und Rokoko im Frankfurter Städel.


aus FAZ.NET, 2. 3. 2022            Madame de Pompadour, gemalt von François Boucher im Jahr 1756                      zu Geschmackssachen

Als die Grande Nation auferstand 
Wer hat da bitte geschlafen? Das Städel Frankfurt zeigt anhand von 120 Gemälden von Auguste Renoir und anderen Impressionisten den Ursprung des Stils im Rokoko.
 
von Stefan Trinks

Ob man den Pariser Eiffelturm als technizistisches Meisterwerk oder als Neorokoko-spielerei sieht, macht einen großen Unterschied. Beide Ansichten schließen sich jedoch nicht aus. In seiner Machart ist er ingenieurstechnische Avantgarde, in seinen Ornament-formen jedoch retrospektiv. Entstanden doch im achtzehnten Jahrhundert etwa in Paris, Nancy, aber auch in Augsburg (als deutschem Zentrum feinster Silberschmiedearbeiten) Garten-Pergolen, die konisch zulaufen und so fein aus dem Edelmetall ziseliert sind, dass man sie für die heute noch in Paris als Souvenirs angebotenen Miniatur-Eiffeltürme halten könnte – wenn sie nicht eben aus der Zeit um 1770 stammten.

Mit einiger Sicherheit waren dem Im­pressionisten Pierre-Auguste Renoir diese Rokoko-Türmchen bekannt, wie ihm auch nahezu alles an berühmter Malerei vertraut war, die seit der Thronbesteigung Ludwigs XV. und damit dem Beginn des flamboyanten Rokokostils entstanden war, mit dem dieser den pompös-schweren Spätbarock seines Vaters vergessen machen wollte. Als der Eiffelturm zur Weltausstellung im Jahr 1889 eingeweiht wurde, war Renoir achtundvierzig Jahre alt. So weit, dass der Turm in die mit 120 Werken für Corona-Zeiten erstaunlich groß angelegte Sonderausstellung „Renoir – Rococo Revival“ des Frank-furter Städel einbezogen würde, geht das Museum zwar nicht. Es beleuchtet aber erstmals umfassend die kaum bekannten Bezüge von Renoirs Kunst zur Malerei des Rokoko. Einer der schönsten Bildvergleiche zeigt das in nuce: Neben Renoirs „Madame Monet“ im duftig japonisierenden blauen Kleid hängt François Bouchers „Madame de Pompadour“ in einem ebensolchen.

Nostalgie für die guten alten Zeiten

Doch woher stammt Renoirs Rokokofieber? Zunächst war er ausgebildeter Porzellanmaler und hatte vier Jahre in der Manufaktur der Gebrüder Lévy im Marais ge­arbeitet, was konkret bedeutete, Vorlagen galanter Feste von Antoine Watteau genauso wie Anzügliches von Boucher und Jean-Honoré Fragonard auf das weiße Gold zu übertragen. Vor allem aber lernte er, Blumen zu malen. Von Renoir stammt der er­staun­lich modern klingende Satz „Ich kann Blumen malen und brauche sie nur ‚Blumen‘ zu nennen, ohne dass sie eine Ge­schichte haben“ – solch selbstreferenzielle Logik könnte auch von Hockney sein.



Renoirs Antwort auf Boucher: „Madame Monet“ von 1874 posiert ebenfalls im blauen Kleid.

Prächtig ausgeleuchtet wird im Städel, wie das „Zweite Rokoko“ als Retrostil in Renoirs Zeit gesellschaftlich um sich griff – überall in Paris präsent und populär waren plötzlich feudale Gesamtkunstwerke aus Apartmentinterieurs mit stuckierten und geschnitzten Rocaillen. Unter Lünetten und geschwungenen Kassettendecken sa­ßen in Neorokoko-Studierzimmern Männer in rüschiger Retromode, vor intarsierten Schäferidyllen in flirrenden Sommerlandschaften im Boudoir standen die Da­men in ausladenden Krinolinenröcken. Die Restaurationskaiserin Eugenie wagte es gar, wieder die Mode ihrer enthaupteten Vorgängerin Marie-Antoinette zu sammeln und zu tragen. Wohlgemerkt haben Rokokoblüten selten etwas mit tatsächlicher Wirtschaftsblüte zu tun – vieles in dieser Blase war auf Verschuldung gebaut. In je­dem Fall reinszenierte das zu Reichtum gekommene Bürgertum die luxuriösen Ausstattungen des Rokokoadels. Knapp hundert Jahre nach dem Fall des Ancien Régime und unter dem Schock der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg projizierte sich ein nicht geringer Teil der Franzosen nostalgisch in die Zeiten der Grande Nation zurück.

Früher verhasst, heute für Überraschungen gut

Renoir spürt diese Sehnsüchte. Der aus einfachsten Verhältnissen stammende Maler muss sich anders als die Freunde Manet, Monet oder Degas an dem orientieren, was sich verkauft. Mit seinen weitergedachten Neorokokobildern bedient er den Markt, ohne sich im Geringsten verbiegen zu müssen. „Ich bin einer der ihren“, schreibt er seinem Galeristen Durand-Ruel – und meint damit Fragonard, Watteau und Hubert Robert. Durand-Ruel wiederum verkauft Renoirs impressionistische Bilder und ganze Raumdekorationen mit sicherem kommerziellen Gespür in originalen oder nachgeschnitzten Rokoko-Rahmen.

Impressionistische Farbenpracht: Renoirs „Frau mit Sonnenschirm in einem Garten“ von 1875 

Eins der verblüffendsten Beispiele dafür hängt mit einem leuchtend gemalten Bouquet vor grauem Manet-Hintergrund im letzten Raum der ersten Etage der auf zwei Stockwerken ausgebreiteten Fülle von 72 Renoirs und knapp 50 Rokokobildern und Impressionistenfreunden. Im Parterre sind die skizzierten historischen Hintergründe zu sehen; im Stockwerk darüber die wieder aufgegriffenen Lieblingsmotive des Rokoko wie die „Fêtes galantes“ und auf der Chaiselongue fläzenden Akte, teils Seite an Seite mit Cézanne vor der Montagne Saint-Victoire entstandene Landschaften und zarteste Natur-Aquarelle, aber auch die furiose „Welle“ aus Memphis, bei der das Feld aus Gischt im Vordergrund auch ein Acker voller Weizen sein könnte. Die zitierten Korrespondenzen werden abgerundet von Jean Siméon Chardin als König der haptisch-meditativen „Nature morte“, inspirierte Stillleben und wie bei Manet verloren stehende und musizierende Pierrots und Gi­tarreros der Commedia dell’arte.

Warum ist Rokoko grade so beliebt?

Spätestens hier wird man fragen, ob die Kunstgeschichte geschlafen hat. Hätte doch nichts näher gelegen, als die schon bei Gainsborough, Tiepolo, Watteau und Fragonard von ihren fixen Konturen befreiten Aktdarstellungen, Landschaften und Tüllstoffe als jene Vorformen des Impressionismus zu betrachten, die sie sind. Aber man wollte bei der Kunst des modernen Lebens unbedingt die Null-, nicht die Fortsetzung. Dass die Rückgriffe Renoirs und anderer Maler wie Degas, Manet, Claude Monet oder Berthe Morisot auf diese locker skizzenhafte Maniera heute dennoch wieder ein Museumspublikum zu überraschen vermögen, liegt vermutlich an der Stellung des Rokoko als ehemals meistgehasstem Stil überhaupt. Naturgemäß musste die Französische Revolution den Stil des weggefegten Systems als frivol-dekadent und zutiefst immoralisch geißeln. Für Stendhal war das Rokoko 1828 gar der Inbegriff schlechten Geschmacks. Der Klassizismus reagierte mit edler Einfalt, stiller Größe und einem Rollback aus züchtig gegürteten griechischen Chitons für die Frauen sowie einem Rüschenverbot für Herren auf das anarchisch Ungezügelte, und auch das dritte Rokoko wurde in den Zwanzigerjahren bald vom Bauhaus entstuckt (ein offizieller Begriff dieser Zeit übrigens für das „Bereinigen“ überladener Gründerzeitfassaden) und ausgenüchtert.



  Als der Porzellanmaler zur Meisterschaft fand: Den „Spaziergang“ malte Renoir im Jahr 1870

Auch maltechnisch lernt Renoir vom Rokoko. Seine Palette ist insgesamt heller und leuchtender als die anderer Maler. Die geradezu liebkosend in zahllosen Schichten aufgetragenen Rottöne und Inkarnatfarben, die er insbesondere seit dem Vor-Ort-Studium der rotlastigen Fresken Pompejis ins Pinkfarbene ausreizt, verfeinert er bis zur Überzüchtung. Als einziger Impressionist grundiert er zweimal, und zwar strahlend weiß, weil es für ihn als Porzellanmaler Pflicht ist, die Farben stärkstmöglich zum Strahlen zu bringen, was in den Gesichtern zu dem berühmten emaillehaften Schmelz führt. Als Einziger nimmt er wie sein Vorbild Watteau in der Technik der Trois Crayons eine Trikolore von nur drei Pastellkreiden zur Hand, die das Rokoko-Sfumato der Gesichter, das aureolenhafte Ausstrahlen des Teints auf seine Umgebung, erst ermöglichen.

Der spielerisch leichte Lernerfolg der Schau ist klar: Der Impressionismus hätte gewiss anders ausgesehen ohne den prägenden Einfluss der Rokokomalerei, der außer Renoir auch viele seiner Mitstreiter entflammen ließ. Fragt sich nur noch, was uns die auffällige Häufung von Rokoko-Ausstellungen derzeit bedeuten will? Tiepolo in Stuttgart, Boucher und Marie-Guillemine Benoist in Karlsruhe, Goya in Basel, Watteau in Berlin, nun eben Frankfurt und viele mehr sprechen für sich. Ob es ein unbewusster Einspruch der Museen gegen die zunehmend lautstark geforderten politisch korrekten Ausstellungen ist? Das wäre unbedingt zu begrüßen.

Renoir – Rococo Revival. Der Impressio­nismus und die französische Kunst des 18. Jahrhunderts. Im Städel, Frankfurt; bis zum 18. Juni. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

 

Nota. - Ja, da ist was dran: Seit drei, vier Jahren bemerke ich bei mir eine eigenartiges Faible für die Rokkoko-Malerei; nicht gerade für Boucher, aber für Fragonard, Watteau und Robert, auch natürlich für Gainsborough (als Landschafter; als Porträtist ist mir Reynolds lieber), sowie Tiepolo und Guardi. (Chardin ist ein Genre für sich.) Einige davon haben sich als Landschafter verdientgemacht und liegen mir folglich nahe, aber die andern? Und da hat Stefan Trinks Recht, die sind nicht politisch korrekt und haben auch sonst keine Aussage, die bringen es fertig, eine Blume zu malen und sie einfach Blume zu nennen. Aber eine Tendenz hat's doch, es ist spöttisch mit einem Tropfen Amaro, es hat ein süßes schweres Aroma von beginnender Fäulnis. Aber man kann es auch, wenn man mag, gar nicht bemer-ken, es ist ja alles Maskerade.  

Es mag gefallen oder nicht, es ist jedenfalls eine, es ist jedenfalls die und ich beiß mir auf die Zunge moderne Kunstauffassung. Das ihr gemäße Terrain fand sie in der Landschaft, und so komme ich endlich zum Impressionismus. In der Landschaftsmalerei hat sich Renoir nicht sehr hervorgetan. Die Menge ist auch auf diesem Feld beachtlich, doch richtig beein-druckend ist kaum etwas: Die Fertigkeiten eines Porzellanmalers sind für die Landschaft wenig hilfreich. Immerhin scheint er bei diesen Stücken weniger auf die Verkäuflichkeit ge-achtet und allerlei Neues ausprobiert zu haben .

Die Bilder, die Stefan Trinks für uns ausgesucht hat, sind kurz vor der hohen Zeit des Im-pressionismus entstanden, und man kann noch ein bisschen den Porzellanmaler wiederer-kennen - und bedauern, dass außer all den Rottönen so wenig davon übriggeblieben ist. Oder, im Gegenteil, dass er sich nicht gründlicher davon gelöst und die avantgardistischen Züge seiner Landschaften resoluter ausgebaut hat. Er hätte einen guten Fauve abgeben können. 
JE

Wechselwirkung ins Unendliche fort.

                           aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Verhältnis freier Wesen zu einander ist demnach notwendig auf folgende Weise be-stimmt und wird gesetzt als so bestimmt: Die Erkenntnis des einen Individuums vom an-deren ist bedingt dadurch, dass das andere es als ein freies behandelte (d. i. seine Freiheit beschränkt durch den Begriff der Freiheit des ersten). Diese Weise der Behandlung aber ist bedingt durch die Handelsweise des ersten gegen das andere; dieses durch die Handelswei-se und die Erkenntnis des anderen, und so ins Unendliche fort. 

Das Verhältnis freier Wesen zu einander ist daher das Verhältnis einer Wechselwirkung durch Intelligenz und Freiheit. Keines kann das andere anerkennen, wenn nicht beide sich gegenseitig anerkennen, und keines kann das andere behandeln als ein freies Wesen, wenn nicht beide sich gegenseitig so behandeln. 
_______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Bd. III,    S. 44



Nota. - Die gegenseitige Bestimmung als freie Wesen ist noch ganz formal; ein Material er-hält sie erst durch beider effektives freie Wählen von Zwecken - und dies "ins Unendliche fort". Es ist materialiter ein problematischer Begriff, weil seine konkreten Bestimmungen erst immer noch vollzogen werden müssen. 

Und die Zwecke sind - formaliter - so bestimmt, dass sie einander einschränken, aber nicht aufheben. Sie sind "gemeinsame" Zwecke in dem Sinne, dass sie nebeneinander bestehen.

Und merke: Der Vereinigungspunkt heißt Anerkennung.
JE, 2. 2. 19

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Bedeutendes von Unbedeutendem unterscheiden.

diepresse                              aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Geist ist zu allererst das Vermögen, zwischen Bedeutendem und Unbedeutendem zu unter-scheiden. Das Tier "kennt" diesen Unterschied nicht. Zwar bedeutet auch dem Tier dieses Etwas und Jenes nichts. Aber was ihm nichts bedeutet, nimmt es gar nicht erst 'wahr'. Das heißt, für es 'gibt es' diesen Unterschied nicht. Seine genetische Ausstattung hat "apriori" den Unterschied immer schon gemacht.

Nicht so für den Menschen. Er muss den Unterschied selber machen.

Es liegt nahe, dass ihm alles, was bleibt, zuerst einmal als bedeutender erscheint als alles, was sich ändert. Aber das kann sich... ändern. Es hängt davon ab, ob in seiner Erlebenswelt die sicheren Situationen vorherrschen, oder die unsicheren; zum Beispiel.


aus e. Notizbuch, 28. 8. 08

Einblick ins sterbende Gehirn.


aus scinexx.de                                                                                                                               zuJochen Ebmeiers Realien

Erster Blick ins sterbende Gehirn
Auffallende Dominanz der Gammawellen beim Tod könnte Nahtoderfahrungen erklären
 

Ein letztes Aufflackern: Zum ersten Mal ist es Forschern gelungen, die Hirnaktivität eines sterbenden Menschen im Detail mitzuverfolgen. Die Hirnstrommessungen enthüllten, dass die Hirnwellen nach Aussetzen des Herzes nicht einfach abflachen. Stattdessen gibt es eine kurze Phase verstärkter und koordinierter Aktivität der Gammawellen. Dies könnte Nahtoderfahrungen wie das Durchleben von Erinnerungen im Zeitraffer erklären.

Sie sehen ein helles Licht, glauben zu schweben oder sehen ihr Leben wie im Zeitraffer noch einmal an sich vorüberziehen: Werden Menschen nach einem Herzstillstand wieder ins Leben zurückgeholt, berichten viele von ihnen von solchen Nahtoderfahrungen. Bisher allerdings war unklar, wie diese neurophysiologisch zustande kommen. Denn gängiger Theorie nach ebbt die Hirnaktivität nach dem Tod einfach ab.

Inzwischen allerdings wecken einige neuere Befunde Zweifel an diesem Bild. So haben Wissenschaftler bei Ratten bereits eine kurze Phase erhöhter Hirnstromaktivität nach deren Tod gemessen. Und auch bei Menschen gab es erste Hinweise auf eine Art letzter Erregungswelle im Gehirn. Unklar blieb jedoch, was genau in dieser Zeit geschieht.

Aktivität des Gehirns beim Sterben aufgezeichnet

Jetzt ist es einem Team um Raul Vicente von der Hanan Universität In China erstmals gelungen, die Hirnaktivität beim Tode eines Menschen im Detail aufzuzeichnen. Möglich wurde dies, weil ein 87-jähriger Mann wegen Epilepsie in Krankenhaus eingeliefert und behandelt wurde. Dabei wurde sein Zustand mithilfe eines hochauflösenden Elektroenzephalogramms (EEG) überwacht. Nach wenigen Tagen jedoch erlitt er einen tödlichen Herzstillstand und durfte wegen einer Patientenverfügung nicht künstlich am Leben erhalten werden.

Das eröffnete dem Forschungsteam die Chance, mithilfe des EEG mitzuverfolgen, was im Gehirn beim Übergang vom Leben zum Tod passierte. „Wir haben 900 Sekunden der Hirnaktivität rund um den Todeszeitpunkt aufgezeichnet und daraufhin genauer untersucht, was in den 30 Sekunden nach dem Herzstillstand geschah“, erklärt Seniorautor Ajmal Zemmar von der University of Louisville in Kentucky.

Im Moment des Todes werden die schnellen Gammawellen dominant. 

Dominanz der Gammawellen

Die Hirnstrom-Daten enthüllten: „Unmittelbar bevor und nachdem das Herz stoppte, sahen wir Veränderungen in einem spezifischen Frequenzbereich neuronaler Oszillationen, den sogenannten Gammawellen“, berichtet Zemmar. In der Phase, in der die Aktivität im Gehirn allgemein abebbte, stiegen die relative und absolute Energie dieser schnellen Gammawellen an. Nach dem Herzstillstand blieb diese Dominanz der Gammawellen weiterhin erhalten, auch wenn ihre absolute Energie im Laufe von einer halben Minute nach dem Herztod langsam abebbte.

Auch die für Hirnprozesse wichtige Synchronisierung der Gehirnwellen im Gehirn des Sterbenden veränderte sich auf charakteristische Weise: Während die langsameren Wellen ihre Kopplung größtenteils verloren, zeigten die typischerweise um 30 Hertz schwingenden Gammawellen eine starke Kopplung zu den knapp halb so schnellen Alphawellen, wie das Team feststellte.

„Unsere Daten liefern damit den ersten Nachweis dafür, dass das sterbende menschliche Gehirn während der Sterbephase noch die Fähigkeit besitzt, koordinierte Aktivität zu erzeugen“, konstatieren die Forschenden.

Hirnaktivität passt zu typischen Nahtoderfahrungen

Das Spannende daran: Im gesunden Gehirn sind Gammawellen unter anderem mit Konzentration, der Verarbeitung von Informationen, dem Aufrufen von Gedächtnisinhalten verknüpft. Sie sind zudem auch beim Träumen und während tiefer Meditation messbar. Nach Ansicht von Vicente und seinen Kollegen könnte dies darauf hindeuten, dass das Gehirn beim Sterben und bis kurz nach dem Tod noch zu ähnlicher Aktivität fähig ist.

„Das Gehirn könnte durch das Erzeugen dieser Wellen tatsächlich eine Art letzten Durchlauf der gesammelten Erinnerungen auslösen – ähnlich den Erfahrungen, von denen Menschen nach Nahtod-Erlebnissen berichten“, sagt Zemmar. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte die bei dem Patienten aufgezeichnete Hirnaktivität durchaus einige der typischen Nahtoderfahrungen erklären.

Hat das Gehirn ein festes „Sterbemuster“?

In jedem Falle belegen die neuen Daten, dass die schon zuvor vereinzelt detektierte Aktivitätswelle im Gehirn Sterbender weniger diffus und zufällig ist als bislang gedacht. „Unsere Ergebnisse sprechen stattdessen dafür, dass das Gehirn beim Tod eine Reihe von festgelegten Aktivitätsmustern durchläuft“, schreiben Vicente und sein Team. Dieses feste Muster könnte sogar artübergreifend sein, da Forschende ganz ähnliche Hirnwellenmuster auch bei sterbenden Ratten aufgezeichnet haben.

Noch beruhen die Daten nur auf einem einzigen Patienten, der noch dazu nicht gesund war. Dennoch sehen Vicente und seine Kollegen darin erste wertvolle Hinweise darauf, wie unser Gehirn den Übergang vom Leben zum Tod erlebt. (Frontiers in Aging Science, 2022; doi: 10.3389/fnagi.2022.813531)

Quelle: Frontiers

Dienstag, 1. März 2022

Bedeutung und Erhaltungswert.

Gartendialog                                         aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem 

Bedeutungen, die in Bezug auf die Erhaltung stehen, kommen als solche im Erleben der Individuen vor, nämlich wo es um individuelle Erhaltung geht. Bedeutungen, die in Bezug auf die Erhaltung der Art stehen, kommen nur - durch "Auslese und Anpassung" - gene-rationenübergreifend im kollektiven Verkehr "zum Tragen". Sie 'wirken' in der Gattungs-geschichte regulativ, müssen also, um "erlebt" zu werden, symbolisch erschlossen sein, und nur so sind sie tradierbar.

Bedeutungen, die 'auftreten', aber in keinem Bezug zu irgendeinem Erhaltungswert stehen, können individuell "erlebt", aber überhaupt nur in symbolische Form "gemerkt" ("behal-ten") werden. Die symbolische Form der Bedeutung lässt sie so erscheinen, als sei sie außer-sinnlicher Herkunft.

aus e. Notizbuch, im November 08


Und ich höre schon den Einwand: Der Akt, der am unmittelbarsten mit der Arterhaltung zu tun hat, bedürfte kein bisschen der Symbolisierung, um gemerkt zu werden. - Doch wie die Dialektik so spielt: Wenn er um der Arterhaltung willen vollzogen werden soll, was ganz ungewöhnlich wäre, dann bedürfte er sogar besonders starker Symbole, um zu gelingen; wenn überhaupt. 
20. 8. 15

Die Venus von Willendorf kam von weither.


aus derStandard.at, 28. Februar 2022                                                          zuJochen Ebmeiers Realien; zu Geschmackssachen
 
Rätsel um Herkunft der Venus von Willendorf teilweise gelöst
Das Gestein, aus dem die 30.000 Jahre alte Figur geschaffen wurde, dürfte aus Norditalien stammen. Aber auch die Ostukraine wäre als Ursprungsort denkbar.

Die Venus von Willendorf wurde aus Gestein gefertigt, das höchstwahrscheinlich aus Norditalien, womöglich aber auch aus dem Donezbecken in der Ukraine stammt, berichtet ein Team um Gerhard Weber vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Die Steinzeitjägerinnen und -sammler hatten demnach schon eine weite Fußreise mit der berühmten Figur zurückgelegt, bevor sie in der Wachau verloren ging und rund 30.000 Jahre später, im Jahr 1908, ausgegraben wurde. Die Studie wurde im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht.

Die knapp elf Zentimeter große Frauenfigur war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol, das nicht nur in seiner Machart besonders ist, sondern auch was das Material betrifft. Während andere bekannte Venusfiguren meist aus Elfenbein oder Knochen, manchmal auch aus verschiedenen Gesteinen gefertigt sind, wurde für die Venus von Willendorf sogenannter Oolith verwendet, ein auch Eierstein genanntes poröses Sediment. Den Forschenden zufolge ist das einzigartig für solche Kultobjekte.

Venus im CT

Für die aktuelle Studie durchleuchtete das Forschungsteam die Venus nun mittels hochauflösender Mikro-Computertomografie (Micro-CT). "Wir entdeckten dabei, dass ihr Inneres sehr ungleichmäßig ist", sagt Weber. "Das ist eine besondere Eigenschaft, die man benutzen konnte, um ihre Herkunft zu bestimmen."

Micro-CT-Blick in die Venus: Links ist das Muschelfragment zu sehen (blau), das sich auf der rechten Seite des Kopfes der Figur befindet.

Zunächst konnten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter durch einen glücklichen Zufall eine Herkunft aus dem Wiener Becken ausschließen, wo Oolithe vorkommen. Im Inneren der Venus entdeckten sie ein eingelagertes Stück Muschelschale. Dabei handelte es sich um ein zweieinhalb Millimeter kleines Fragment des Muschelschlosses, das Paläontologen zufolge charakteristisch für Muscheln aus dem Zeitalter des Jura ist, der vor 145 Millionen Jahre endete. Die Wiener Oolithe stammen dagegen aus dem Miozän und sind somit höchstens 23 Millionen Jahre alt.

Aufwendiger Vergleich

Im nächsten Schritt besorgten die Geologen Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser von der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, wo die berühmte Figurine ausgestellt ist, Vergleichsproben von 33 Steinbrüchen nicht nur in Österreich und Tschechien, wo man die Herkunft bisher vermutete, sondern auch aus weiter Ferne: von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten, von Deutschland im Norden bis Sizilien im äußersten Süden. In detektivischer Kleinstarbeit wurden die inneren Gesteinsstrukturen der Venus dann mit denen der anderen Proben verglichen.

"Dabei wurde die Größe der Körner vermessen, mehrere Tausend davon mit Bildverarbeitungsprogrammen automatisch oder manuell markiert und die Strukturen verglichen", schreibt das Forschungsteam. Schnell zeigte sich: Keine der Proben aus einem Umkreis von 200 Kilometern passte auch nur annähernd. Das gilt auch für eine Probe des 136 Kilometer von Willendorf entfernten Steinbruchs Stránská skála bei Brünn (Tschechien), der anhand von äußerlichen Vergleichen als Ursprungsort des Venusgesteins vermutet worden war. Weber zufolge stammt das Material definitiv nicht von dort.

Weiter Weg

Stattdessen stammt das Gestein mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Nähe des Ortes Ala unweit des Gardasees in Norditalien, erklärt Weber. Die Proben von dort waren statistisch nicht von jenen der Venus zu unterscheiden. Demnach hat die Figurine, oder zumindest ihr Material, eine hunderte Kilometer weite Reise mitgemacht. Vermutlich hat diese Wanderung viele Jahre oder sogar Generationen gedauert, sagt Weber: Die damaligen Menschen waren Jäger und Sammler, die abhängig vom jeweiligen Klima und der Beutetiersituation von einem günstigen Standort zum nächsten zogen. "Vorzugsweise folgten sie den Flüssen", sagt der Wissenschafter.

Möglicherweise kam die Venus um die Alpen herum über die Pannonische Tiefebene in die Wachau. Es könnte aber auch über die Alpen entlang der Flussläufe der Etsch, des Inns und der Donau geschehen sein. Dieser Weg wäre zwar gut 730 Kilometer lang, würde aber größtenteils (außer einem kurzen Stück beim Reschensee) unterhalb von 1.000 Metern Seehöhe liegen.

Sollte der Venus-Ursprung doch nicht in Italien liegen, wäre die nächstpassende Alternative bei Isjum in der Ostukraine. Dieser Ort liegt aber 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt, außerdem stimmen die dortigen Proben nicht so gut wie jene aus Italien mit dem Venusgestein überein, berichten die Forscher.

Blick ins Innere

Die Vergleichsanalyse brachte auch weitere Informationen über das Innenleben der Venus ans Licht: "Der Oolith besteht aus lauter kleinen, zusammenklebenden Steinchen", erklärt Weber. Die einzelnen Steinchen wiederum entstanden durch Kalkanlagerungen an winzige Körnchen. Durch die Jahrmillionen haben sich beim Venusgestein diese inneren Körnchen aufgelöst. Dadurch sei es sehr porös und leichter mit Stein- oder Knochenwerkzeug zu bearbeiten.

"Zwischen diesen Ooiden befinden sich in der Venus nebst Muschelresten auch sechs sehr dichte größere Körnchen, sogenannte Limonite", berichten die Forschenden. Bisher ebenfalls rätselhafte halbkugelförmige Vertiefungen an der Oberfläche der Figurine haben den gleichen Durchmesser wie die inneren Limonite. "Sie sind vermutlich dadurch entstanden, dass dem Schöpfer der Venus die harten Limonite beim Schnitzen herausgebrochen sind", sagt Weber. "Beim Nabel hat er dann offenbar aus der Not eine Tugend gemacht." (red, APA,)

Der Begriff des Menschen ist der einer Gattung.

Leonardo                    zu Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Es ist jetzt erwiesen, was erwiesen werden sollte. Das / vernünftige Wesen kann sich nicht setzen als ein solches, es geschehe denn auf dasselbe eine Aufforderung zum freien Han-deln, ... Geschieht aber eine solche Aufforderung zum Handeln auf dasselbe, so muss es notwendig ein vernünftiges Wesen außer sich setzen als Ursache derselben, also überhaupt ein vernünftiges Wesen außer sich setzen, ... 

Der Mensch (so alle endliche [vernünftigen] Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch. Und da er nichts Anderes sein kann denn ein Mensch und gar nichts sein würde, wenn er dies nicht wäre - sollen überhaupt Menschen sein, so müssen mehrere sein. 

Dies ist nicht eine willkürlich angenommene, auf die bisherige Erfahrung oder auf andere Wahrscheinlichkeitsgründe aufgebaute Meinung, sondern es ist aus dem Begriff des Men-schen streng zu erweisende Wahrheit. Sobald man diesen Begriff vollkommen bestimmt, wird man von dem Denken eines Einzelnen aus getrieben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu können. Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht Begriff eines Einzelnen, denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung.

Die Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Men-schen müsssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen. 


Es dringt sich hierbei jedem die Frage auf: Wenn es notwendig sein sollte, einen Ursprung des ganzen Menschengeschlechtes und also ein erstes Menschenpaar anzunehmen - und es ist dies auf einem gewissen Reflexionspunkte allerdings notwendig -: Wer erzog denn das erste Menschenpaar? Erzogen mussten sie werden, denn der geführte Beweis ist allgemein. Ein Mensch konnte sie nicht erziehen, da sie die ersten Menschen sein sollten. Also ist es notwendig, dass sie ein anderes vernünftiges Wesen erzogen [hat], das kein Mensch war - es versteht sich, bestimmt nur so weit, bis sich sich selbst unter einander erziehen konnten. Ein Geist nahm sich ihrer an, ganz / so, wie es eine alte ehrwürdige Urkunde vorstellte, welche überhaupt die tiefsinnigste, erhabenste Weisheit enthält, und Resultate aufstellt, zu denen alle Philosophie am Ende doch wieder zurückkommt.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Bd. III,  S. 38ff. 


Nota. - Kant wollte dem Wissen eine Grenze ziehen, um Platz für den Glauben zu schaf-fen. Da aber der Glau- ben nicht Sache der Wisssenschaft ist, machte er an der Grenze selber Halt. Das tut Fichte hier nicht. Er verkündet dem Leser vielmehr, was er glauben solle, und welches die Quelle ist. Der kritische Leser wird sagen: Das kann sein Ernst ja wohl nicht gewesen sein. Man könnte vermuten, er habe vorab der Kritik von theologischer Seite in den Weg treten wollen, was ja auch von der ewähnten Kant-Stelle für möglich ge-halten wurde. Dass er persönlich obskurantistischen Spekulationen nicht abgeneigt war, hat er freilich vorher und nachher bezeugt. In seine wissenschaftliche, kritische und transzen-dentalphilosophische Arbeit hat er es aber nur an dieser Stelle einfließen lassen (soweit ich bisher weiß; aber ich bin misstrauisch geworden).

2. 2. 19

Nota II. - Die Stelle steht nicht in einer philosophischen Darstellung der Wissenschaftsleh-re, sondern in einer Abhandlung über das Naturrecht "nach Prinzipien der...". Sie entwickelt das Argument nicht selber, sondern referiert es bloß.

In der explizit genetischen Herleitung - WL nova methodo - wird in abstracto aus der freien Handlung, durch die ein Ich 'sich setzt', indem es sich ein/em NichtIch entgegensetzt, re-konstruiert, wie jenes Ich Schritt für Schritt auf dem Weg der Vernunft fortschreitet. Es soll bis an den Punkt gelangen, wo es in sich und wir in ihm ein wirkliches Ich erkennen kann: nämlich eines, das zur Vernunft nicht erst bestimmt, sondern bereits gelangt ist. 'Die Ver-nunft' als Vermögen oder die intelligible Welt als Topos existiert in der Wirklichkeit als das Setzen allgemeingültiger Zwecke. Allgemein gültig heißt gültig in der Reihe vernünftiger Wesen. Das Ich erkennt sich als ein vernünftiges, indem es die Aufforderung aus der ver-nünftigen Gesellschaft vernimmt und sich handelnd als Teil einer Reihe findet. -

Wir wissen, dass die Wissenschaftslehre als Vernunftkritik begonnen hat. Die historische Realität der Vernunft ist ihr Ausgangspunkt, zu dem sie in ihrer Arbeit der kritischen Re-konstruktion zurückfinden muss. Das ist der Zirkel, der in obiger Stelle aufscheint: Die Vernunft muss - und kann allein - sich selbst begründen. Ihr Sinn ist Vergesellschaftung. So war es am historischen Ausgangspunt der Kritik und anders kann es nicht sein am rekon-struierten Schlusspunkt der Wissenschaftslehre.

Dass der Sinn der Vernunft Vergesellschaftung ist, ist ihr Qualificandum. Es steht zu nichts im Verhältnis und ist selber ohne Form. Es wurde durch die kritische Analyse aus der Reihe der Bedingungen ausgesondert und ihr qua reines Ich zu Grunde gelegt. Dass es in den komplementären formalen Verfahren der kritischen Analyse und der rekonstruktiven Syn-these nicht auftaucht, hat seinen methodologischen Grund. Und dass Fichtes Einführung der 'Aufforderung durch die Reihe vernünftiger Wesen' auf den ersten Blick als gewaltsam auf-gefasst werden kann, ist verständlich. Sie ist das eigentliche Geheimnis der analytisch-synthetischen Methode.
15. 8. 21

Nota III. - Sonst in pädagogischen Dingen ein entschiedener Anhänger Rousseaus, stellt F. sich hier ebenso energisch auf den Standpunkt von dessen Widersacher Herder: 'Nur durch Erziehung wird der Mensch zum Menschen.' Es ist die Idee von einer zweiten, selbstge-machten Natur des Menschen, die seine erste, physische Natur überlagert und umgeprägt hat; und die allein die Eingangsthese rechtfertigen kann. Die aber lässt F. fort! In seinem Schwanken, ob wohl der Mensch seine Vernünftigkeit selbstgemacht, oder ob er die Ver-nunft von oben 'vernommen' habe, entscheidet er sich hier unmissverständlich für die kre-ationistische Antwort.

Wenn Fichte später sagt, "Aus nichts wird nichts", um die Ungewordenheit, Ewigkeit und Vorbestimmtheit der Vernunft zu erweisen, hat er sie freilich als Substanz ihrem Wirklich-werden vorausgesetzt. Doch kann sie ja in ihrer Wirklichkeit nichts anderes sein als ver-nünftiges Handeln.
 Zu dem kann man nicht nur, sondern kann man allein sich selbst be-stimmen; nicht bloß zum Handeln überhaupt, sondern gerade zu seiner Vernünftigkeit, so haben wir es von ihm gelernt.
20. 2. 16

Nota IV. - Die Leistungen des transzendentalen Subjekts hätten ihre Basis in der Natur-geschichte der Menschengattung, sagt Jürgen Habermas.* Wo die Vernunft herkommt, ist letzten Endes dasselbe wie die Frage, wie sich im Ausbildungsprozess von Homo sapiens die Fähigkeit entwickelt hat, Werturteile, nämlich qualifizierende Prädikate für Erscheinun-gen zu finden, die ohne Bezug auf die Erhaltungsfunktionen des individuellen und des Gat-tungslebens sind. Das geht nicht ohne Rückgriff auf empirische Befunde der Paläanthropo-logie. Nein, das ist nicht selber Transzendentalphilosophie; dort kommt nichts Empirisches vor. Transzendentalphilosophie, in der Empririschesnicht vorkommt, war es aber, was diese Fragestellung ermöglicht hat: Transzendentalphilosophie ist nichts als kritisch. Die Antwor-ten müssen hingegen von den reellen Wissenschaften aufgefunden werden.

*) in Technik und Wissenschaft als 'Ideologie', Frankfurt/M. 1969, S. 161

JE