Sonntag, 1. Dezember 2019

Doch eine Krise des Standardmodells?


Die kosmische Hintergrundstrahlung ist mehr als 13 Milliarden Jahre alt und damit die älteste Strahlung im Universum. Die winzigen Temperaturunterschiede (rot und blau) lassen unter anderem Rückschlüsse auf die Form des Universums zu.
aus nzz.ch, 13.11.2019                                                                                                                           

Ist das Universum doch geschlossen? Drei Astronomen behaupten das – und ecken damit an.
Flach und unendlich ausgedehnt soll er sein, der Kosmos. Das stimme nicht, behaupten nun drei Forscher und beschwören eine Krise der Kosmologie herauf. Mit ihrer Meinung stehen sie allerdings ziemlich allein auf weiter Flur.

von Christian Speicher 

Die Kosmologie wurde lange Zeit belächelt. Mangels präziser Beobachtungsdaten stand sie im Ruf, keine echte Wissenschaft zu sein. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Kosmologische Parameter wie das Alter oder die Expansionsrate des Universums lassen sich inzwischen mit einer Genauigkeit von wenigen Prozent messen. Dadurch ist es möglich geworden, das neue Bild vom Kosmos an der Realität zu messen.

Im Grossen und Ganzen kommt das Standardmodell der Kosmologie bei diesem Realitätstest gut weg. Zwar können sich Kosmologen keinen Reim darauf machen, warum sich das heutige Universum schneller auszudehnen scheint, als es präzise Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung nahelegen. Abgesehen von diesem Krisensymptom steht das Modell jedoch mit ganz verschiedenen kosmologischen Beobachtungen im Einklang. Jetzt behaupten drei Forscher allerdings, die Krise der Kosmologie gehe viel tiefer und werde lediglich durch die dem Standardmodell zugrunde liegende Annahme kaschiert, das Universum sei flach. Tatsächlich spreche einiges dafür, dass das Universum gekrümmt und in sich geschlossen sei wie die Oberfläche einer Kugel in zwei Dimensionen. 

Keime späterer Galaxien 

Eleonora di Valentino, Alessandro Melchiorri und Joseph Silk stützen sich bei ihrer Analyse auf Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung mit dem europäischen Planck-Satelliten. Diese Strahlung entstand, als das Universum 380 000 Jahre alt war. Mit der Ausdehnung des Weltalls wurde auch die Wellenlänge der Strahlung gedehnt, so dass sie heute als Mikrowellenstrahlung wahrgenommen wird, die überall annähernd die gleiche Temperatur hat. Schaut man jedoch ganz genau hin, so offenbaren sich auf kleinen Skalen winzige Temperaturunterschiede. Sie rühren daher, dass die Materie schon kurz nach dem Urknall kleinste Dichteunterschiede aufwies, die sich später zu Galaxien und Galaxienhaufen auswachsen sollten.

Misst man die Stärke dieser Temperaturschwankungen in Abhängigkeit von ihrer Ausdehnung, so lassen sich aus der Hintergrundstrahlung diverse kosmologische Parameter ableiten. Einer davon ist die Krümmung des Universums. Welche Geometrie der Kosmos als Ganzes hat, hängt von seiner Materie- und Energiedichte ab. Ist diese grösser als eine kritische Dichte, so ist das Universum gekrümmt und in sich geschlossen. Ist die Materie- und Energiedichte hingegen gleich der kritischen Dichte, so reicht die Gravitation der Materie nicht, den Raum zu krümmen. Er ist flach und unendlich ausgedehnt wie ein Blatt Papier in zwei Dimensionen.


Aus der Stärke und der Ausdehnung der Temperaturschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung können Forscher ableiten, ob das Universum offen (links), flach (Mitte) oder geschlossen (rechts) ist.

Aus theoretischen Gründen favorisieren Kosmologen ein flaches Universum. Doch schon der Planck-Arbeitsgruppe war vor einigen Jahren aufgefallen, dass die Daten ihres Satelliten nicht völlig konsistent mit dieser Annahme sind. Die Ablenkung, die die kosmische Hintergrundstrahlung im Gravitationsfeld der Materie entlang ihres Weges erfährt, sprach tendenziell dafür, dass das Universum überkritisch und mithin gekrümmt ist. Diese leichte Präferenz für ein gekrümmtes Universum verschwindet allerdings, wenn man die Planck-Daten mit anderen Beobachtungsdaten kombiniert. Damit trug der Planck-Satellit dazu bei, dass sich das gegenwärtige Standardmodell der Kosmologie etablieren konnte, in dem das Universum als flach angenommen wird.

Die drei Forscher halten das Vorgehen der Planck-Arbeitsgruppe allerdings für falsch. Man dürfe verschiedene Datensätze nur dann kombinieren, wenn sie konsistent miteinander seien, sagt Alessandro Melchiorri von der Universität La Sapienza in Rom. Sonst verschleiere man die Widersprüche zwischen verschiedenen kosmologischen Beobachtungen. Melchiorri ist einer der drei Autoren. Pikanterweise ist er auch Mitglied der Planck-Arbeitsgruppe.

In ihrer Publikation haben die drei Forscher untersucht, welche Konsequenzen es hat, wenn man die Präferenz für ein gekrümmtes Universum ernst nimmt. Zunächst einmal zeigen sie, dass ein geschlossenes Universum 41-mal wahrscheinlicher ist als ein flaches, wenn man sich alleine auf die Planck-Daten stützt. In einer Arbeit, die bisher nur als Preprint vorliegt, kommt Will Handley von der Cambridge University zu einem ähnlichen Ergebnis.

Bestärkt sehen sich die Forscher dadurch, dass die Annahme eines gekrümmten Universums bekannte Widersprüche in den Planck-Daten zum Verschwinden bringt. Geht man vom Modell eines flachen Universums aus, so liefert die Analyse der Temperaturschwankungen auf kleinen und grossen Skalen leicht unterschiedliche Werte für einige kosmologische Parameter. Das ist nicht der Fall, wenn man das Standardmodell der Kosmologie erweitert und eine Krümmung des Raumes zulässt. 

Der Preis der Krümmung

Allerdings hat die Annahme eines gekrümmten Universums einen Preis. Sie führt zum Beispiel dazu, dass der aus den Planck-Daten abgeleitete Wert für die Hubble-Konstante – diese gibt an, wie schnell sich das Universum heute ausdehnt – kleiner wird. Dadurch würde die Diskrepanz mit der direkt gemessenen Expansionsrate noch grösser, als sie es jetzt schon ist. Zudem würden sich auch die Spannungen mit anderen kosmologischen Beobachtungsdaten verschärfen. Melchiorri und seine Mitarbeiter ficht das aber nicht an. Sie sehen darin ein Indiz, dass man die Probleme des Standardmodells bisher unterschätzt hat und die Krise der Kosmologie schwerwiegender ist als gedacht.

Martin Kunz von der Universität Genf, wie Melchiorri ein Mitglied der Planck-Arbeitsgruppe, teilt diese Ansicht nicht. An der Analyse von Melchiorri und seinen Mitarbeitern hat er nichts auszusetzen. Was ihn stört, ist die Interpretation der Planck-Daten. Dass es in diesen Daten kleinere Unstimmigkeiten gebe, sei seit längerem bekannt. Andere Mitglieder der Planck-Arbeitsgruppe hätten diese kürzlich ausführlich diskutiert. Die in der Gruppe vorherrschende Meinung sei, dass die Unstimmigkeiten auf moderate statistische Fluktuationen zurückzuführen seien. Deshalb vom Modell eines flachen Universums abzurücken, sei nicht gerechtfertigt, so Kunz. Dazu seien die Unstimmigkeiten nicht gravierend genug.

Vor allem aber stört sich Kunz daran, dass ein gekrümmtes und in sich geschlossenes Universum das Problem mit der Hubble-Konstante verschärft. Wenn die Situation nicht besser, sondern schlimmer werde, sei das ein schlechtes Argument für eine Erweiterung des Standardmodells der Kosmologie.



Das theoretische Modell. 

Das theoretische Modell ist dazu da, in einer Sache ihren Sinn freizulegen. Wenn man sieht, wie sie funktioniert und welche Resultate sie erbringt, wenn man Kontingenz ausscheidet und sie auf sich selbst reduziert, so mag man darin einen Zweck erkennen, der sich mit den Zwecken vergleichen lässt, die man selber verfolgt: Danach wird man die Sache bewerten.

Wenn dies nicht die Absicht ist, wenn man nicht bewerten und verwerten will, und sei es zu Erkenntniszwek- ken, kann man kein Modell entwerfen.

Merke: Ohne eine solche Absicht lässt sich eine Sache gar nicht als 'sie selbst' bestimmen; nicht unterscheiden, was dazu gehört und was kontingent ist.


26. 10. 16 


Nota. - Das ist das erkenntnislogische Problem: Wer vom Kosmos ein stimmiges Modell darstellen, nämlich Alles "auf einen Nenner" bringen kann, scheint einen Zweck desselben aussagen zu wollen. Das ist auch nicht ganz falsch. Denn um eine sinnvolle Ordnung hineinzubringen, muss er sie beabsichtigen. Von alleine kommt sie nicht zustande. Doch nur dann müsste er sie nicht selber verantworten. Wenn es sich aber rechnerisch von ganz allein ergäbe, wär' er fein rus. Darum versuchen sie es immer und immer wieder.
JE


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