Zuförderst
über den Doppelsinn des Wortes Gefühl, der auch Herrn E. an meiner
Meinung irrig gemacht. Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des
Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit
ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu
ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen
werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen. Ich
habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es
ist das unmittelbare Gefühl der Ge- wißheit und Notwendigkeit eines
Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der
entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die
theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen
übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem
Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch
theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins
Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. –
Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das
Gefühl? __________________________________________ J. G. Fichte Rückerinnerungen, Antworten, Fragen[S. 146]
Mit
der allgemeinen Effeminierung des öffentlichen Lebens in der westlichen
Welt ist eine Umwertung der Werte geschehen. Kommunikation und
Kooperation sind als das schlechthin Positive (weil Menschliche)
zum obesrten Maßstab geworden, das Sachliche muss sich rechtfertigen
durch den Grad, in dem es zu Frieden, Harmonie und Nachhaltigkeit
beiträgt. Dies ist der erschlichene Sieg der gruppendynamischen
Sektenlehre nach einem halben Jahrhundert: Das eigentlich Sachliche ist die Bezie- hungsebene, das sogenannt Sachliche dient nur zur Täuschung.
Das nimmt langsam ein Ende. Die Effeminieruung mit ihrem Schrittmacher, dem Feminismus, war die mentale Schauseite des Siegeszuges der Angestelltenzivilisation
im 20. Jahrhundert. Deren sachliche Grundlage war die fortschreitende
Ersetzung der Handarbeit durch maschinelle Fertigung und das dem
entsprechende Ausufern der vermittelnden, verwaltendenFunktionen
in der Produktion. Seither der Aufschwung der Gruppendynamik, die der
analytischen Arbeitsplatzbewertung im letzten halben Jahrhundert den
Rang abgelaufen hat.
Mit der digitalen Revolution
geht auch das zu Ende. Die intelligenten Maschinen verwalten sich immer
mehr selbst. Die Tätig- keiten, die weiblichen Neigungen (auch bei den
Männern) am besten entsprachen, fallen in der Produktion schlicht und
ein- fach weg. Und Produktion, das zeigt sich nun wieder, ist eine
sachliche Frage und keine Beziehungskiste. Dem entspricht es wiederum,
dass über Kooperation wieder nüchterner gesprochen und geschrieben wird;
siehe oben.
PS. Das Sachliche ist nicht durch Beziehungen bestimmt, sondern durch Zwecke. Die wiederum unterliegen der Kritik, und die mag nicht jedEr. (Und wo es um Zwecke geht, geht es um Machen; Beziehung lässt sich nur erleben.)
Es
gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des
natürlichen und gemeinen, da man unmittel-bar Objekte denkt, und den des
vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und
Bewußt- sein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine
Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die
Transzendentalphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre
genannt habe, Theorie und Wissenschaft alles Wissens, keineswegs aber
selber ein reelles und objektives Wissen.
Die
philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt
nicht recht, und schwankten hin und her zwischen beiden. Das unmittelbar
vor Kant herrschende Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem
guten Bewußtsein in dem Standpunkte des gemeinen Denkens und hatte
nichts geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und
durch die Kraft ihrer Syllogismen neue Objekte des natürlichen Den- kens
zu erschaffen. [...]
Diesem
System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die
Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt
durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts
für reell gelten läßt, das sich nicht auf innere oder äußere Wahrnehmung
gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Meta- physik das System
reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll,
leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik
gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben,
und es wird, da noch kein verständiges und verständliches Wort
vorgebracht worden, um dieselbe zu ret- ten, dabei ohne Zweifel auf ewige
Zeiten sein Bewenden haben.
Unser
System, das die Erweiterungen wieder zurückweist, läßt sich ebensowenig
einfallen, das gemeine und allein reelle Denken selbst zu erweitern,
sondern will dasselbe lediglich darstellen und erschöpfend umfassen. Wir
den- ken im philosophischen, das objektive Denken. Unser philosophisches
Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in
diesem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser
philosophisches Denken ist lediglich ein Instrument, durch welches wir
unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument
als unnütz weggeworfen.
Zellen im sich entwickelnden Auge reagieren erstaunlich empfindlich auf Licht
Überraschend sensibel: Trotz noch
geschlossener Augen könnte der Fötus im Mutterleib mehr sehen als
gedacht. Denn bestimmte Zellen in der sich entwickelnden Netzhaut
registrieren nicht nur, ob Licht da ist oder nicht. Sie nehmen sogar
schon unterschiedliche Lichtintensitäten wahr und sind komplex
miteinander vernetzt, wie Experimente mit Mäusebabys nahelegen. Damit
könnten diese Zellen eine wichtigere Rolle für die Entwicklung von Auge
und Gehirn spielen als bislang angenommen.
Was bekommen ungeborene Babys im Mutterleib
von der Außenwelt mit? Tatsächlich erstaunlich viel: Wie Mediziner
inzwischen wissen, entwickeln sich vor allem der Geschmack und das Gehör
des Fötus schon sehr früh. Etwa ab dem sechsten Monat beginnt dann auch
der Sehsinn
des Ungeborenen aktiv zu werden. Zwar sind seine Augen zu diesem
Zeitpunkt noch geschlossen, doch durch die Lider hindurch nimmt der
Fötus bereits Licht wahr.
Verantwortlich für diese Fähigkeit sind bestimmte Ganglienzellen in
der sich entwickelnden Netzhaut. Diese lichtempfindlichen Zellen stehen
mit unterschiedlichen Bereichen des Gehirns in Verbindung und fungieren
beim Fötus wie An-Aus-Schalter: Sie können anzeigen, ob Licht einfällt
oder nicht. Auf diese Weise helfen sie zum Beispiel dabei, beim
Ungeborenen einen Tag-Nacht-Rhythmus zu etablieren.
Sehen mit geschlossenen Augen
In letzter Zeit mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass diese
Ganglienzellen mehr Informationen über den Lichteinfall registrieren als
angenommen, und möglicherweise sogar untereinander kommunizieren. Um
mehr darüber herauszufinden, haben Franklin Caval-Holme und Marla Feller
von der University of California in Berkeley nun die sechs bekannten
Subtypen dieser Zellen bei neugeborenen Mäusen untersucht. Die Nager
sind kurz nach der Geburt noch fast blind und ihre Augen geschlossen –
ähnlich wie beim Fötus nach dem zweiten Trimester. Bei ihren Experimenten stellten die Wissenschaftler Erstaunliches
fest: Tatsächlich scheinen die lichtempfindlichen Ganglienzellen in der
Retina ein regelrechtes Netzwerk zu bilden. Die Zellen verfügen demnach
über eine elektrische Verbindung, sie kommunizieren über sogenannte Gap Junctions miteinander.
Überraschend komplex
„Wir dachten bisher, dass die Ganglienzellen im sich entwickelnden
Auge zwar mit dem Gehirn verbunden sind, aber noch nicht mit dem Rest
der Retina“, erklärt Feller. „Nun zeigt sich: Sie sind miteinander und
auch mit anderen Zellarten verbunden – das war ein überraschender Fund.“
Noch spannender aber: Wie die Forscher herausfanden, reagiert dieses
Zellnetzwerk spezifischer auf Licht als erwartet. Es registriert
offenbar auch die Lichtintensität und kann sich daran anpassen. Je
stärker die Verbindung der Zellen über die Gap Junctions war, desto
lichtempfindlicher waren sie dabei in vielen Fällen.
Was bedeutet diese Erkenntnis nun? Zum einen zeichnet sich damit ab,
dass neugeborene Mäuse – und möglicherweise auch Föten im Mutterleib –
mehr sehen als bislang angenommen. Weil die Ganglienzellen im unreifen
Auge unerwartet komplex auf Lichtreize reagieren, könnten sie außerdem
eine größere Rolle für die Entwicklung von Auge und Gehirn spielen, wie
die Wissenschaftler betonen.
„Vermitteln mehr als gedacht“
„Studien haben gezeigt, dass die lichtempfindlichen Ganglienzellen
wichtig für Dinge wie die Entwicklung von Blutgefäßen in der Retina und
die Etablierung der circadianen Rhythmik sind. Doch das sind
‚Licht-an-Licht-aus-Reaktionen‘, für die entweder Licht oder kein Licht
nötig ist“, sagt Feller. Dass die Zellen auch auf die Intensität des
Lichts reagieren, könne bedeuten, dass sie für weitere Prozesse von
Bedeutung sind: „Diese Zellen vermitteln womöglich mehr Informationen
als gedacht.“
Weitere Untersuchungen müssen die Funktionsweise der Ganglienzellen
im unreifen Auge in Zukunft näher beleuchten – und klären, ob diese
Erkenntnisse auf den Menschen übertragbar sind. Grundsätzlich gilt der
Sehsinn als Nachzügler bei der Sinnesentwicklung. Er reift erst weiter
aus, wenn sich die Augen des Kindes in der 26. Schwangerschaftswoche
öffnen. Doch selbst nach der Geburt ist ein Säugling zunächst noch
extrem kurzsichtig, sieht die Welt um sich herum nur unscharf und
erkennt keine Farben. (Current Biology, 2019; doi: 10.1016/j.cub.2019.10.025)
Quelle: University of California Berkeley 3. Dezember 2019
Manfred
Frank schließt seinen Beitrag zu Fichte in der Frankfurter Allgemeinen vom 23. 11. '19
mit der beziehungsreichen Frage: „Aber
warum darf man aus der Hinterlassenschaft eines Philosophen nicht
eine bleibende Einsicht heraussieben, selbst wenn sie zu weiteren
Fragen drängt?“
Das
geht gegen die Vertreter jener angelsächsischen sprachanalytischen
Philosophenrichtung, die sich selber eigenartigerweise
„Systematiker“ nennen und glauben, ein jeder könne in der
Philosophie ganz von vorn an-fangen und sich seine Maßstäbe selber
machen. Exemplarisch stellt er Fichtes Gedanken eines ursprüngli- chen Bewusstseins, in dem Subjekt und Objekt noch nicht
geschieden waren, in den Mittelpunkt.
Fichte
ist bis heute der berühmteste Unbekannte der Geistesgeschichte. In
Kompendien und Nachschlagwer- ken kommt er vor als Subjektiver Idealist
auf dem Weg 'von Kant zu Hegel'; als ein Scharnier, das einen Wert in
den beiden Flügeln hat, die es verbindet. Dass Manfred Frank ihm
einen großen Aufsatz widmet, ist zu be- grüßen. Nicht begrüßen
kann ich, dass er ihn dabei zu einem Bewusstseinsphilosophen
herabstuft.
Fichtes
Ehrgeiz war ein anderer. Er wollte die von Kant begonnen
Vernunftkritik zu Ende führen. Er hinter- ließ nicht bloß eine
Einsicht, sondern ein ganzes System; nicht ein System der ganzen Welt
wohlbemerkt, sondern ein System der ganzen Vernunft – die
Wissenschaftslehre.
Bewusstes
Sein sind auch die Wahnbilder des Irren. Doch Sache der Philosophie
sind sie nicht. Was immer gewusst wird, wäre gleich-gültig, wenn es
nicht vernünftig wäre. Also geht es nicht um das Bewusstsein (und
sei es Selbstbewusstsein) als solches, sondern um das vernünftige
Bewusstsein. Denn das ist, was er- klärt werden muss: das Vorkommen von
Vernunft in der Welt, vom gesunden Menschenverstand bis hin zu Mikro-
und Makrophysik. Nicht, dass sie ist, aondern warum
sie
gelten soll. Nämlich ob und wie weit sie begründet ist.
Vernunft
gibt es nicht als gesicherten Fundus, sondern nur als Tätigkeit.Vernünftig
handeln heißt Erfahrung machen und Zwecke setzen mittels definierter
Begriffe und geprüfter Schlussregeln. Vernunftkritik soll zei- gen,
wie das möglich wurde. Vernunft, wie sie einmal ist, ist ihr
Ausgangspunkt und Gegenstand. Ihr Verfah-ren kann sie indessen nicht
sein, denn das gilt es ja eben zu begründen. Vernunftkritik muss –
genetisch, nicht logisch – zeigen, wie aus Vorstellungen Begriffe
allererst werden. Das nennt man Transzendentalphi- losophie.
Die
Sache der Philosophie
Sie
verfährt zunächst analytisch oder regressiv. Sie beginnt bei der
Gegebenheit der Vernunft. Vom tatsäch-lichen Wissen zieht sie eine
begriffliche Bestimmung nach der andern ab und legt seine
Handlungsweise selbst frei. Kant fand: Die erfahrende Vernunft
gründet auf Voraussetzungen, dem Apriori
- ab da erst werden
Erfahrungsbegriffe möglich. Wo wir die Voraussetzungen herhaben, hat
er, 'um zum Glauben Platz zu schaf-fen', nicht weiter erörtert.
Dazu war Fichte zunächst nicht bereit, er wollte dem
Wissen bis auf den
Grund gehen.
Er wollte die Möglichkeit eines Wissens vor der Erfahrung und vor
den Begriffen aus einer eignen Quelle erweisen. Das Apriori selber –
die Kategorien und Raum und Zeit – hat keine Bestimmungen mehr, die
man abziehen könnte, ab hier wird ein spekulativer Sprung nötig.
Übrig bleibt am Ende der Wissensakt selbst: S
p dass q.
Wer oder was ist S? Erfahren kann es nicht werden, denn von ihm geht
alle Erfahrung aus. Es muss vor aller Empirie als schlechthin tätig
– agil, sagt Fichte – angenommen werden. Es kann daher nichts von
außen in es hineingelangen. Was es fühlend erlebt, sind die
Widerstände, auf die seine Agilität stößt. Agierend nimmt es sich
selber wahr – als agierend und als sein Agieren wahrnehmend. Das
ist es, was Manfred Frank mit Dieter Henrich Fichtes ursprüngliche
Einsicht nennt – das Ich setzt sich, indem es sich in sich selbst
unterscheidet und entgegensetzt....
Der
springende Punkt ist aber der: Fichtes Ich ist kein Bewusstsein,
sondern ein Noumenon, weiter
nichts. „Das
bestimmende Ich ist etwas einfaches Absolutes, durch bloßes Denken
produziertes, ein Noumen. Darin wird ja nicht gedacht ein sich
wirklich bestimmendes Ich, da bloß die Form gedacht wird, das bloße
Vermö- gen.“*
Ein Noumen ist ein reinesGedankending,
während ein Phänomen in Raum und Zeit erfahrbar ist. Zu jedem
Phänomen lässt sich ein Noumen denken – das ist dann das ominöse
Ding-an-sich. Ein bloßes Nou- men dagegen kann eine Schnapsidee sein;
oder einen Gedanken bezeichnen, der einem bloßen Erfahrungs- datum
Sinn und Zweck zuschreibt, denn aus den Phänomenen selbst kann man
sie nicht herausfinden. Man muss sie vielmehr hineinprojizieren.
Fichtes
Ich ist dasjenige an einem
wirklichen Bewusstsein, was seine Vernünftigkeit ausmacht. Dies
Noumen wird nicht als seiend behauptet. Es wird lediglich als
Erklärungsgrund gesetzt. 'Was Vernunft ist' (wie sie zu- standekommt),
wird verständlich
nur
unter Annahme eines solchen sich-selbst-setzenden X. Ob
dieser (in der Vorstellung) notwendigen Voraussetzung außerhalb der
Vorstellung 'etwas entspricht' (und was),
hat nicht die Transzendentalphilosophie zu erörtern, sondern die
positive Wissenschaft: empirische Psychologie und Hirnforschung.
Sache
der Transzendentalphilosophie ist es nicht, sich den
Realwissenschaften unterzuschieben, sondern ihnen die Fragen zu
stellen, die sie beantworten müssen, damit... na ja, damit die
Philosophie etwas Sinn- vollesaussagt, das erlaubt,
zwischen den dürren Fakten etwas zu verstehen; und damit
Wissen mehr als nur verwertbar ist, Ergebnis
der Fichte'schen Untersuchung ist: Vernünftig ist ein Bewusstsein,
das sich aus Frei-heit Zwecke setzt – die es indes zu verantworten
hat, weil es mit anderen Ichen in einer Reihe vernünftiger Wesen
verbunden ist, die seine Vernünftigkeit verbürgen, indem sie seine
Zwecke anerkennen in tätiger Aus-einandersetzung mit ihren eigenen
Zwecken.
Eine
so vervollständigte Vernunftkritik wäre nicht, wie Kant beanstandet hat,
„bloße Logik“, denn
die Wis- senschaftslehre knüpft nicht Begriffe nach allgemeinen Regeln
an einander, sondern entwickelt (und be- stimmt) aus Vorstellungen
neue Vorstellungen. Das ist nicht einfach Ableitung, sondern
sinnhafte Begrün- dung. Die
ganze Welt liegt darin beschlossen.
Die
Gemengelage
Fichteselbst war sehr bald mit seiner ersten, noch scholastischen
Darstellung der Wissenschaftslehre – die indes die einzige
schriftlich Fassung bleiben sollte - unzufrieden, die manchen
Leser bis heute verleitet, sein Ich metaphysisch misszuverstehen. Und
vor allen Dingen damit, dass er gleich beim Ich begonnen hatte, statt
es aus der Vernunftkritik erst herzuleiten. Eben das unternahm
er in der Vorlesungsreihe Nova methodo aus den Jahren 1797/99.Die ist allerdings nur als Kollegnachschrift erhalten und liegt
erst seit vierzig Jahren gedruckt vor.
Sie
ist sozusagen eine Ausgabe Letzter Hand - letzter Hand nämlich vor
Fichtes dogmatischer Wendung nach dem Atheismusstreit, in der er sich von der
Transzendentalphilosophie im besondern und vom Kritischen Prinzip im
allgemeinen losgesagt hat. Sie
ist ihrerseits nicht vollendet, er gibt in der Schlussvorlesung einen
Abriss dessen, was er noch vorhat. Dort findet sich ganz am Ende die
Wendung zum Ästhetischen als der einzigen Möglichkeit, aus dem
vernünftigen Alltagsbewusstsein überzugehen zu seiner
Selbstreflexion in der Wissenschaftslehre. Es ist dieser Übergang,
der die Wissenschaftslehre zu einem System werden lässt. Doch wer
weiß schon davon?
Seit
Mitte des 17. Jahrhunderts - seit dem 30jährigen Krieg - war
Vernunft an Stelle der Offenbarung zum unbestrittenen Maßstab der
Philosophie geworden. Sie ist im Zuge des pp. Deutschen Idealismus
unter die Räder gekommen; und als sie sich im Neukantianismus wieder
aufgerappelt hat, doch nur als Philologie. Ums kurz zu machen: Dabei
ist es bis heute geblieben. Vernunftkritik ist nie wieder zum Thema
geworden; so wenig, dass ein philosophischer Autor, der auf sich
hält, das Wort Vernunft gar nicht erst in den Mund nimmt. Im breiten
Publikum herrscht dagegen die treuherzige Vorstellung von einem
konsensuellen Juste Milieu. Vernunft ist aber Kampf und Sieg des
besseren Arguments. Vernunft ist erforderlich, wo Entschei-dungen
getroffen werden sollen; um sie vor sich herzuschieben, reicht
Gemütlichkeit. Vernunft wird nicht gehäkelt und gestrickt, sondern
gehauen und gestochen. Wie anders wollte sie der Unvernunft sonst
bei- kommen? Die ist ja von Natur im Vorteil.
Doch
sind die Voraussetzungen wie immer ungünstig. Zu beginnen wäre nicht
beim breiten Publikum, sondern bei den Philosophierenden. Die stehen
sich aber seit Jahr und Tag als zwei feindliche Lager ge- genüber,
sprachanalytische Systematiker hier, kontinentale Philologen da. Das
Material ist ihnen zwar ge-meinsam: die Begriffe. Doch während die
einen sich an deren unendlichen Differenzier- und Interpretier- barkeit
erfreuen, wollen die andern durch akribisches Definieren je
stahlharte Kerne festklopfen, an denen jeder weitere
Bestimmungsversuch abprallen muss; Wahrheitspartikel ohne
Voraussetzung, So hängen sie ohne sich dessen zu versehen dem vonWittgenstein überkommenen logischen Atomismus an und erwarten im
Ernst, wenn jedes sprachliche Missverständnis ausgeräumt ist, sei
allem Zwist unter und Menschen der Boden entzogen.
Die
'kontinentalen' Philosophen finden hingegen im unendlichen Für und
Wider, Einerseits Andererseits und Zwar Aber ihr Auskommen; farbiger
ist das auf alle Fälle. Man kann, wenn alle Steine umgewendet sind,
es ein zweites und ein drittes Mal beginnen. Es kommen stets wirklich
neue Einsichten zustande. Doch irgend- wann liegen sie so eng
beieinander, dass die verbleibenden kleinen Unterschiede wirklich
nicht mehr nach ihrer Auflösung schreien. Dem Philosophierer wird
langweilig und Philosophie wird zum Bildungsgut, das nur noch fürs
ästhetische Betrachten taugt (doch manchmal reichlich).
Über
den eigentlichen Gegensatz – den Nutz und Frommen der Begriffe –
reden sie gar nicht, sondern reden nebeneinander her. Manfred Frank
fasst als möglichen Vermittlungspunkt die aus der analytischen
Philoso- phie hervorgegangene amerikanische Theory Of Mind ins Auge.
Fichtes Ich spielt dort eine prominente Rol- le, aber ganz aus seinem
transzendentalen Sinnzusammenhang gerissen. Theory Of Mind ist eine
Hybride aus Philosophie und Kognitionspsychologie. Worin ihr
wissenschaftlicher Zugewinn bestünde und ob sie die Gegensätze
auflösen oder nur verwirren kann, ist unklar. Dass die Analytiker
aber mit ihrer
Arbeit an einem Ober- oder Grundbegriff der
eigenen Voraussetzungslosigkeit - paradox gesagt - den Boden entziehen,
kann einem
Kontinentalen schon gefallen. Er hätte aber nur einen Punkt
markiert. Eine argumentative Überwin- dung der Fronten ist gar nicht
möglich, weil sie keine Voraussetzungen miteinander teilen; umso mehr
Wör- ter lassen sich allerdings aufbieten.
Aus
der Klemme hülfe, wenn es gewollt würde, ein energisches
Wiederaufgreifen der so lange liegen geblie-benen Vernunftkritik. Sie
rührt nicht in der Schaumkrone der Begriffe, sondern beobachtet die darunter lie- genden Tiefenströmungen der Vorstellung. Der Gegensatz von
Kontinentalen und Historikern würde sich von selbst erledigen und damit viele brachgelegte Intelligenzen für einen Neustart der Vernunft aktivieren. Man- che
haben davor kalte Füße, aber das ist die Schlacht, die es zu schlagen
gilt. Die Zeit schreit förmlich da- nach.
aus Der Standard, Wien, 24. 11. 2014 ausLevana, oder Erziehlehre "Die Lehrer spielen sich als Richter auf"
Christine Eichel über vergiftetes Schulklima, bindungsfähige Lehrer und Unterricht à la "Friss, Vogel, oder stirb" INTERVIEW | LISA NIMMERVOLL Eichel: Bindung
und Bildung gehören zusammen, das ist in der Forschung unstrittig. Mit
einem solidarischen, unterstützenden Gegenüber lernen wir motivierter,
leichter und nachhaltiger. Hat ein Schüler Probleme, oft unverschuldet,
weil er aus einem bildungsfernen Elternhaus stammt, wird er vom Lehrer
aber meist abgelehnt. So gerät der Schüler in eine negative Schleife,
wird verhaltensauffällig, die Konflikte schaukeln sich hoch. Die Lehrer
spielen sich als Richter über gute und schlechte Leistungen auf. Vielen
ist es egal, ob ihre Schüler erfolgreich sind. Das spüren die Kinder und
Jugendlichen. Geraten sie aber an einen Lehrer, der ihnen signalisiert,
dass ihr Erfolg ihnen am Herzen liegt, entsteht eine fruchtbare
Lernbeziehung. Ein Umdenken ist erforderlich, und das ist ein langer
Prozess, der von der Öffentlichkeit intensiv begleitet werden muss. Von
selbst nehmen nur wenige Lehrer die Notwendigkeit dieses Rollenwechsels
ernst. Die meisten meinen noch, es reiche aus, mit den immergleichen
kopierten Aufgabenzetteln in die Klasse zu marschieren, nach dem Motto:
"Friss, Vogel, oder stirb".
....
STANDARD:Was meinen Sie mit "Bindung"? Sind Sie sicher, dass sich Lehrer "binden" wollen?
Eichel: Viele
Lehrer halten das für eine Zumutung, habe ich bei meinen Lesereisen
erfahren. Sie fühlen sich schlicht überfordert. Wenn ich erzähle, wie an
der ehemals chaotischen, gewaltgebeutelten Rütli-Schule in Berlin das
Ethos einer Beziehungskultur gelebt wird, sind sie baff. Diese Schule
hat sich eklatant zum Positiven verändert, seit die Lehrer sich als
Bindungspersonen verstehen, sie besuchen jeden Schüler vor dem neuen
Schuljahr zu Hause, sprechen mit den Eltern, machen sich ein Bild vom
Umfeld. Die Lehrer veranstalten Elternfrühstücke und vieles mehr, was
eine gemeinsame Zusammenarbeit begünstigt. Alle machen mit - auch Eltern
aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund. Und die
Lehrer versichern, dass sich die Mehrarbeit lohnt, weil sie zeit- und
kräftezehrende Konflikte im Klassenzimmer verhindert. Leider ist dieses
Beispiel nicht repräsentativ. Die Unwissenheit über die Relevanz eines
bindungsorientierten Unterrichts ist ein Skandal.
STANDARD: Wie
können Lehrerinnen und Lehrer "so etwas wie Beziehungskultur" in der
Schule herstellen, wenn sie alleine in einer Klasse stehen?
Eichel: Das
Missverständnis beginnt schon damit, dass viele Lehrer meinen, sie
ständen einer Gruppe gegenüber. Sie sind Teil der Gruppe, natürlich mit
einer spezifischen Rolle und Funktion. Das Stichwort ist
Classroom-Management. Probleme wie Renitenzen und Provokationen müssen
souverän gemanagt werden, indem der Lehrer dem betreffenden Schüler
Aufmerksamkeit schenkt, zum Beispiel in einem Einzelgespräch. Das alte
Denken, ein Lehrer müsse seine Schüler wie ein Dompteur seine Raubtiere
im Griff haben, ist überholt. Jeder Mensch will geliebt und anerkannt
werden. Das klingt simpel, vielleicht sogar sentimental, ist aber die
Wahrheit. Wenn ein Lehrer ausstrahlt, dass er sich als Teil der Gruppe
fühlt, dass ihm jeder am Herzen liegt und dass er auch als Mensch an
seinen Schülern interessiert ist, erledigen sich viele Probleme.
STANDARD: Sie verlangen eine "Erneuerung von innen, nicht eine Reform von außen". Wie geht das?
Eichel:Lernforscher
und renommierte Pädagogen wie John Hattie sind sich einig, dass die
Lehrerpersönlichkeit eine zentrale Rolle für den Bildungserfolg der
Schüler spielt. Es geht um Haltung. Die kann man nicht per Reform
erzwingen. Zunächst sollten Lehrer bei sich selbst anfangen, denn alle
Studien belegen, dass es ihnen nicht gutgeht - angesichts von
Spitzenquoten bei Burnout,
körperlichen und psychischen Erkrankungen. Sie fühlen sich überfordert
und angefeindet. Und nicht nur das Klassenzimmer, auch das Lehrerzimmer
ist oft vermintes Terrain. Ein kooperatives Klima unter den Lehrern wäre
deshalb ein Anfang (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 24.11.2014)
Christine Eichel (55)
promovierte an der Uni Hamburg in Philosophie mit einer Arbeit über
Theodor W. Adorno, danach 15 Jahre Autorin, Regisseurin und Moderatorin
für diverse TV-Sender, Gründungsredakteurin und Leiterin des
Kulturressorts des Magazins für politische Kultur "Cicero", später bei
"Focus", nun freie Autorin in Berlin.
Nota. -Sehen Sie ins Gesicht des Lehrers (finden Sie auch, er sieht aus wie Janusz Korczak?)
Es gefällt ihm, er hat Freude, ein Schüler hat ihm seinen Hampelmann
mitgebracht, er dreht ihn um und lässt sich die Mechanik zeigen. Das
sind die Sternstunden der 'pädagogischen Situation': wenn der eine den
andern lehrt, mit seinen Augen zu sehen. Das ist gegenseitig, anders
geht's auf die Dauer nicht. JE, 24. 11. 2014
Die
kosmische Hintergrundstrahlung ist mehr als 13 Milliarden Jahre alt und
damit die älteste Strahlung im Universum. Die winzigen
Temperaturunterschiede (rot und blau) lassen unter anderem Rückschlüsse
auf die Form des Universums zu.
aus nzz.ch, 13.11.2019
Ist das Universum doch geschlossen? Drei Astronomen behaupten das – und ecken damit an.
Flach
und unendlich ausgedehnt soll er sein, der Kosmos. Das stimme nicht,
behaupten nun drei Forscher und beschwören eine Krise der Kosmologie
herauf. Mit ihrer Meinung stehen sie allerdings ziemlich allein auf
weiter Flur.
von Christian Speicher
Die
Kosmologie wurde lange Zeit belächelt. Mangels präziser
Beobachtungsdaten stand sie im Ruf, keine echte Wissenschaft zu sein.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Kosmologische Parameter wie das
Alter oder die Expansionsrate des Universums lassen sich inzwischen mit
einer Genauigkeit von wenigen Prozent messen. Dadurch ist es möglich
geworden, das neue Bild vom Kosmos an der Realität zu messen.
Im
Grossen und Ganzen kommt das Standardmodell der Kosmologie bei diesem
Realitätstest gut weg. Zwar können sich Kosmologen keinen Reim darauf
machen, warum sich das heutige Universum schneller auszudehnen scheint,
als es präzise Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung nahelegen.
Abgesehen von diesem Krisensymptom steht das Modell jedoch mit ganz
verschiedenen kosmologischen Beobachtungen im Einklang. Jetzt behaupten drei Forscher allerdings,
die Krise der Kosmologie gehe viel tiefer und werde lediglich durch die
dem Standardmodell zugrunde liegende Annahme kaschiert, das Universum
sei flach. Tatsächlich spreche einiges dafür, dass das Universum
gekrümmt und in sich geschlossen sei wie die Oberfläche einer Kugel in
zwei Dimensionen.
Keime späterer Galaxien
Eleonora
di Valentino, Alessandro Melchiorri und Joseph Silk stützen sich bei
ihrer Analyse auf Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung mit dem
europäischen Planck-Satelliten. Diese Strahlung entstand, als das
Universum 380 000 Jahre alt war. Mit der Ausdehnung des Weltalls wurde
auch die Wellenlänge der Strahlung gedehnt, so dass sie heute als
Mikrowellenstrahlung wahrgenommen wird, die überall annähernd die
gleiche Temperatur hat. Schaut man jedoch ganz genau hin, so offenbaren
sich auf kleinen Skalen winzige Temperaturunterschiede. Sie rühren
daher, dass die Materie schon kurz nach dem Urknall kleinste
Dichteunterschiede aufwies, die sich später zu Galaxien und
Galaxienhaufen auswachsen sollten.
Misst
man die Stärke dieser Temperaturschwankungen in Abhängigkeit von ihrer
Ausdehnung, so lassen sich aus der Hintergrundstrahlung diverse
kosmologische Parameter ableiten. Einer davon ist die Krümmung des
Universums. Welche Geometrie der Kosmos als Ganzes hat, hängt von seiner
Materie- und Energiedichte ab. Ist diese grösser als eine kritische
Dichte, so ist das Universum gekrümmt und in sich geschlossen. Ist die
Materie- und Energiedichte hingegen gleich der kritischen Dichte, so
reicht die Gravitation der Materie nicht, den Raum zu krümmen. Er ist
flach und unendlich ausgedehnt wie ein Blatt Papier in zwei Dimensionen.
Aus
der Stärke und der Ausdehnung der Temperaturschwankungen in der
kosmischen Hintergrundstrahlung können Forscher ableiten, ob das
Universum offen (links), flach (Mitte) oder geschlossen (rechts) ist.
Aus
theoretischen Gründen favorisieren Kosmologen ein flaches Universum.
Doch schon der Planck-Arbeitsgruppe war vor einigen Jahren aufgefallen,
dass die Daten ihres Satelliten nicht völlig konsistent mit dieser
Annahme sind. Die Ablenkung, die die kosmische Hintergrundstrahlung im
Gravitationsfeld der Materie entlang ihres Weges erfährt, sprach
tendenziell dafür, dass das Universum überkritisch und mithin gekrümmt
ist. Diese leichte Präferenz für ein gekrümmtes Universum verschwindet
allerdings, wenn man die Planck-Daten mit anderen Beobachtungsdaten
kombiniert. Damit trug der Planck-Satellit dazu bei, dass sich das
gegenwärtige Standardmodell der Kosmologie etablieren konnte, in dem das
Universum als flach angenommen wird.
Die
drei Forscher halten das Vorgehen der Planck-Arbeitsgruppe allerdings
für falsch. Man dürfe verschiedene Datensätze nur dann kombinieren, wenn
sie konsistent miteinander seien, sagt Alessandro Melchiorri von der
Universität La Sapienza in Rom. Sonst verschleiere man die Widersprüche
zwischen verschiedenen kosmologischen Beobachtungen. Melchiorri ist
einer der drei Autoren. Pikanterweise ist er auch Mitglied der
Planck-Arbeitsgruppe.
In
ihrer Publikation haben die drei Forscher untersucht, welche
Konsequenzen es hat, wenn man die Präferenz für ein gekrümmtes Universum
ernst nimmt. Zunächst einmal zeigen sie, dass ein geschlossenes
Universum 41-mal wahrscheinlicher ist als ein flaches, wenn man sich
alleine auf die Planck-Daten stützt. In einer Arbeit, die bisher nur als Preprint vorliegt, kommt Will Handley von der Cambridge University zu einem ähnlichen Ergebnis.
Bestärkt
sehen sich die Forscher dadurch, dass die Annahme eines gekrümmten
Universums bekannte Widersprüche in den Planck-Daten zum Verschwinden
bringt. Geht man vom Modell eines flachen Universums aus, so liefert die
Analyse der Temperaturschwankungen auf kleinen und grossen Skalen
leicht unterschiedliche Werte für einige kosmologische Parameter. Das
ist nicht der Fall, wenn man das Standardmodell der Kosmologie erweitert
und eine Krümmung des Raumes zulässt.
Der Preis der Krümmung
Allerdings
hat die Annahme eines gekrümmten Universums einen Preis. Sie führt zum
Beispiel dazu, dass der aus den Planck-Daten abgeleitete Wert für die
Hubble-Konstante – diese gibt an, wie schnell sich das Universum heute
ausdehnt – kleiner wird. Dadurch würde die Diskrepanz mit der direkt
gemessenen Expansionsrate noch grösser, als sie es jetzt schon ist.
Zudem würden sich auch die Spannungen mit anderen kosmologischen
Beobachtungsdaten verschärfen. Melchiorri und seine Mitarbeiter ficht
das aber nicht an. Sie sehen darin ein Indiz, dass man die Probleme des
Standardmodells bisher unterschätzt hat und die Krise der Kosmologie
schwerwiegender ist als gedacht.
Martin
Kunz von der Universität Genf, wie Melchiorri ein Mitglied der
Planck-Arbeitsgruppe, teilt diese Ansicht nicht. An der Analyse von
Melchiorri und seinen Mitarbeitern hat er nichts auszusetzen. Was ihn
stört, ist die Interpretation der Planck-Daten. Dass es in diesen Daten
kleinere Unstimmigkeiten gebe, sei seit längerem bekannt. Andere
Mitglieder der Planck-Arbeitsgruppe hätten diese kürzlich ausführlich diskutiert.
Die in der Gruppe vorherrschende Meinung sei, dass die Unstimmigkeiten
auf moderate statistische Fluktuationen zurückzuführen seien. Deshalb
vom Modell eines flachen Universums abzurücken, sei nicht
gerechtfertigt, so Kunz. Dazu seien die Unstimmigkeiten nicht gravierend
genug.
Vor
allem aber stört sich Kunz daran, dass ein gekrümmtes und in sich
geschlossenes Universum das Problem mit der Hubble-Konstante verschärft.
Wenn die Situation nicht besser, sondern schlimmer werde, sei das ein
schlechtes Argument für eine Erweiterung des Standardmodells der
Kosmologie.
Das theoretische Modell
ist dazu da, in einer Sache ihren Sinn freizulegen. Wenn man sieht, wie
sie funktioniert und welche Resultate sie erbringt, wenn man Kontingenz
ausscheidet und sie auf sich selbst reduziert, so mag man darin einen
Zweck erkennen, der sich mit den Zwecken vergleichen lässt, die man
selber verfolgt: Danach wird man die Sache bewerten.
Wenn dies nicht die Absicht ist, wenn man nicht bewerten und verwerten
will, und sei es zu Erkenntniszwek- ken, kann man kein Modell entwerfen.
Merke: Ohne eine solche Absicht lässt sich eine Sache gar nicht als 'sie selbst' bestimmen; nicht unterscheiden, was dazu gehört und was kontingent ist.
26. 10. 16
Nota. -Das ist das erkenntnislogische Problem: Wer vom Kosmos ein stimmiges Modell darstellen, nämlich Alles "auf einen Nenner" bringen kann, scheint einen Zweck desselben aussagen zu wollen. Das ist auch nicht ganz falsch. Denn um eine sinnvolle Ordnung hineinzubringen, muss er sie beabsichtigen. Von alleine kommt sie nicht zustande. Doch nur dann müsste er sie nicht selber verantworten. Wenn es sich aber rechnerisch von ganz allein ergäbe, wär' er fein rus. Darum versuchen sie es immer und immer wieder.