Mittwoch, 4. Mai 2022

Für jeden Gedanken ein besonderes Netzwerk.


aus scinexx.de, 4. 5. 2022                                                          Wenn eine Maus eine neue Erinnerung abspeichert, bilden Neuronen im gesamten Gehirn ein Erinnerungsnetzwerk.                                                             zuJochen Ebmeiers Realien, zu

Erinnerungen sind hirnweite Netzwerke
Gehirn speichert einen Gedächtnisinhalt nicht lokal, sondern über das gesamte Gehirn verteilt
 
Verstreut statt lokal: Anders als gedacht speichert unser Gehirn einen Gedächtnisinhalt nicht nur in wenigen Arealen der Großhirnrinde ab. Stattdessen legt es für jede Erinnerung ein über das gesamte Hirn verteiltes Netzwerk an, wie eine Studie enthüllt. Beim Abspeichern und beim Abrufen der Erinnerung werden dadurch auch Neuronen aktiv, die im Mittelhirn und Hirnstamm liegen und damit in bisher unberücksichtigten Gedächtnis-Arealen.

Gängiger Lehrmeinung nach entstehen Erinnerungen durch biochemische Veränderungen in bestimmten Hirnzellen und Arealen. Dabei gilt vor allem der Hippocampus als die Zentrale, die das Abspeichern und Abrufen von Gedächtnisinhalten im Cortex kontrolliert. Je stärker dabei die Verknüpfung zwischen der „Zentrale“ und den Speicherorten, desto besser können wir uns an die jeweiligen Informationen erinnern.

Mäusen beim Erinnern ins Gehirn geschaut

Doch wie lokal ist unser Gedächtnisspeicher? Wird eine spezifische Information immer nur von den vernetzten Neuronen eines begrenzten Hirnareals repräsentiert? Dieser Frage sind Dheeraj Roy vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen nachgegangen. Anstoß dazu gaben ihnen die Theorien des deutschen Zoologen Richard Semon, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee von Gedächtnis-Engrammen vertrat – über das Gehirn verteilten Netzwerken der Erinnerungen.

Gedächtnis-Engramme
Aktive Neuronen im Mäusegehirn beim Abspeichern (oben) und Abrufen des neuen Gedächtnisinhalts.

Um dies zu überprüfen, markierten die Forschenden Neuronen in 247 verschiedenen Hirnregionen ihrer Testmäuse mit einem Fluoreszenzmarker. Dieser leuchtete auf, wenn ein für das Abspeichern oder Aufrufen einer Information benötigte Gen in den Hirnzellen dieser Areale aktiv wurde. Anschließend setzten sie die Mäuse einer Situation aus, in der sie eine neue Erinnerung bilden mussten: Sie wurden aus ihrem gewohnten Käfig in einen Behälter gesetzt, in dem sie einen schwachen Stromschlag bekamen – eine unangenehme, einprägsame Erfahrung.

Vernetzte Aktivität im gesamten Gehirn

Es zeigte sich: Neben Neuronen in schon bekannten Gedächtnisarealen wie dem Hippocampus, der für Angst zuständigen Amygdala und dem Cortex leuchteten auch viele weitere Hirnbereiche auf. „Zusätzlich zu den schon zuvor als Zentren für das Lernen und das Gedächtnis identifizierten Arealen umfassten diese auch Strukturen im Mittelhirn und in den Kernen des Hirnstamms“, berichten Roy und seine Kollegen. Das Aktivitätsmuster – Engramm – erstreckte sich über fast das gesamte Gehirn der Maus.

Demnach umfasst schon ein einzelner Gedächtnisinhalt weit mehr als nur ein lokales Netzwerk der Erinnerung: „Die Kartierung des Engramms einer spezifischen Erinnerung bestätigt, dass ein Gedächtnisinhalt nicht in einer Hirnregion gespeichert wird, sondern in einer Kette von Engramm-Ensembles, die über multiple Hirnregionen verteilt liegen“, schreiben die Wissenschaftler.

Lokale Aktivierung „weckt“ das ganze Netzwerk

Interessant auch: Als Roy und sein Team gezielt einzelne Neuronen in den Erinnerungs-Netzwerken ihrer Mäuse aktivierte, leuchteten daraufhin auch weite Teile des restlichen Engramms auf. „Zumindest ein Teil des Musters, das beim natürlichen Gedächtnis-Abruf auftritt, ließ sich so reproduzieren“, so die Forschenden. Auch das Verhalten der Tiere passte dazu: Sie reagierten ähnlich ängstlich wie beim natürlichen Abrufen der angstbesetzten Erinnerung, beispielsweise wenn sie wieder in den zuvor mit dem Elektroschock verknüpften Behälter gesetzt wurden.

„Das stützt die Annahme, dass die erfolgreiche Reaktivierung dieser Gedächtnis-Ensembles eine entscheidende Komponente des erfolgreichen Erinnerns ist“, konstatieren die Forschenden. Je mehr Teile des Gedächtnis-Netzwerks beim Abrufen aktiviert werden, desto stärker und deutlicher ist ihren Tests zufolge die Erinnerung. „Die Kombination mehrerer Engramme zu einem solchen Netzwerk könnte demnach dazu dienen, eine Erinnerung effizienter abzuspeichern und abzurufen“, mutmaßt Roy.

Hilfe für Gedächtnisstörungen?

Nach Ansicht des Forschungsteams bestätigen ihre Erkenntnisse die Theorien von Richard Semon, könnten aber auch für die moderne Neurologie hilfreich sein – beispielsweise bei der Suche nach Ursachen für Gedächtnisausfälle und vielleicht sogar bei Therapien. „Wenn eine Gedächtnisstörung auf einer Fehlfunktion des Hippocampus oder Cortex beruht, dann könnte es vielleicht helfen, wenn man andere an den Erinnerungs-Engrammen beteiligte Areale stimuliert“, sagt Roy.

Dazu beitragen könnte eine von den Forschenden erstellte Rangliste von 117 Hirnarealen, die bei ihren Mäusen am Gedächtnis-Engramm beteiligt waren. „Künftige Studien können diese Ressource nutzen, um solche Engramm-Zellensembles und ihre funktionelle Verknüpfung noch besser zu kartieren“, so das Team. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-29384-4)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology (MIT)

Dienstag, 3. Mai 2022

Wo ist die Grenze der Miniaturisierung?

 
aus derStandard.at, 2. 5. 2022             So darf man sich das Rekordgetriebe freilich nicht vorstellen. Der Durchmesser des Zahnrades beträgt nur 1,5 Nanometer, das entspricht einem 50.000stel der Dicke eines menschlichen Haares.                    zuJochen Ebmeiers Realien,

Das kleinste Getriebe der Welt besteht aus nur 71 Atomen
Forscher schufen ein mit Licht angetriebenes Zahnrad mit einem Durchmesser von nur 1,3 Nanometern

Dass wir mit unseren Handys im Grunde Hochleistungscomputer mit uns herumtragen, ist vor allen Dingen der Miniaturisierung elektronischer Bauteile zu verdanken. Die Rechen-power, die wir in Händen halten, füllte noch im Jahr 2000 ganze Räume. Bis zu den unüber-windlichen Grenzen der Miniaturisierung ist es zwar noch ein Stück, in den Nanobereich sind die Forschenden mittlerweile aber schon vorgestoßen.

Ihre molekularen Maschinen, Schalter, Rotoren oder Motoren bestehen inzwischen nur mehr aus wenigen Atomen. Ein im Fachjournal "Nature Chemistry" vorgestelltes Zahnrad kratzt bereits an den Untergrenzen der Verkleinerung: Das von einem Forschungsteam in Deutschland konstruierte Werkstück ist das nach eigenen Angaben kleinste energiegetrie-bene Zahnrad der Welt.

Nobelpreis für molekulare Maschinen

Welche Bedeutung das neue Forschungsfeld hat, zeigt der Chemienobelpreis, der im Jahr 2016 an Jean-Pierre Sauvage, Sir J. Fraser Stoddart und Bernard L. Feringa für das Design und die Synthese von molekularen Maschinen vergeben wurde. Einige wichtige Bauteile solcher molekularen Maschinen wie Schalter, Rotoren, Pinzetten, Roboterarme oder sogar Motoren gibt es bereits auf Nanoebene.

Ein weiteres essenzielles Bauteil für jedwede Maschine ist das Zahnrad, welches es erlaubt, Bewegungen umzulenken, miteinander zu verkoppeln und Drehzahlen einzustellen. Auch für Zahnräder gibt es molekulare Gegenstücke, allerdings bewegen sie sich bisher nur passiv zufällig vor und zurück – was für eine molekulare Maschine wenig hilfreich ist.

Aus nur 71 Atomen besteht das Nanogetriebe der Forschenden. In Bewegung gesetzt wird es mit Licht.

Fundamentales Problem

Das molekulare Zahnrad, das die Forschungsgruppe um Henry Dube von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) entwickelt hat, ist nur 1,6 Nanometer groß damit ein Miniaturrekord. Bedeutsamer als der Rekord ist jedoch, dass es den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gelungen ist, ein molekulares Zahnrad und sein Gegenstück gezielt anzutreiben und damit ein fundamentales Problem für den Bau von Nanomaschinen zu überwinden.

Das Getriebe besteht aus zwei Komponenten, die miteinander verzahnt und aus lediglich 71 Atomen zusammengesetzt sind. Der eine Teil ist ein Triptycen-Molekül, dessen Struktur an einen Propeller oder ein Schaufelrad (in der Grafik in Silbergrau dargestellt) erinnert. Bei der zweiten Komponente handelt es sich um ein flaches Fragment eines Thioindigo-Moleküls ähnlich einer kleinen Platte (in der Grafik in Gold dargestellt). Dreht sich die Platte um 180 Grad, wird der Propeller nur um 120 Grad weitergedreht. Das Ergebnis ist eine 2:3-Übersetzung.

Molekulares Fotozahnrad

Gesteuert wird das Nanogetriebe durch Licht, es ist also ein molekulares Fotozahnrad. Durch die Lichtenergie direkt angetrieben, bewegen sich das flache Fragment/die Platte und der Triptycen-Propeller zur gleichen Zeit gekoppelt miteinander. Wärme allein reicht dagegen nicht aus, um die Zahnradbewegung zu erzeugen, wie das Team herausfand.

Als die Forscherinnen und Forscher das Lösungsmittel um das Zahnrad im Dunkeln aufheizten, drehte sich zwar der Propeller, die Platte jedoch nicht – das Getriebe rutschte sozusagen durch. Daraus schlossen sie, dass sich mithilfe von Licht das Nanogetriebe gezielt aktivieren und steuern lässt. (red.)

Studie
Nature Chemistry: "Photogearing as a concept for translation of precise motions at the nanoscale."

 

Nota. - Aha: So darf man sich das Miniturzahnrad also nicht vorstellen. Darf man es sich überhaupt (analog) vorstellen?  Die Graphik darunter ist bloß ein Schema: eine Hybride aus analog und digital.

Das sind Größen, für die unsere Augen nicht gemacht sind. Interessante Frage: Gibt es irgendwo eine absolute Grenze, die die Miniaturisierung nicht unterschreiten kann, oder gibt es immer wieder nur faktische, technische Hürden? 

Oder so: Etwas, das nur aus einem Atom 'zusammengesetzt' wäre, könnte nicht etwas sein - wäre selber nicht verwendbar, sondern könnte allenfalls zu 'etwas' hinzugefügt werden. Ab wann kann etwas selber 'etwas' sein? Technisch und absolut fielen hier zusammen.
JE

Montag, 2. Mai 2022

Angst vor der eigenen Courage.

                                                                                  zu

Die Frage nach der Herkunft unsrer Wertschätzungen und Gütertafeln fällt ganz und gar nicht mit deren Kritik zusammen, wie so oft geglaubt wird: so gewiß auch die Einsicht in irgendeine pudenda origo für das Gefühl eine Wertverminderung der so entstandnen Sache mit sich bringt und gegen dieselbe eine kritische Stimmung und Haltung vorbereitet.

Was sind unsre Wertschätzungen und moralischen Gütertafeln selber wert? Was kommt bei ihrer Herrschaft heraus? Für wen? in bezug worauf? – Antwort: für das Leben. Aber was ist Leben? Hier tut also eine neue, bestimmtere Fassung des Begriffs »Leben« not. Meine For-mel dafür lautet: Leben ist Wille zur Macht.

Was bedeutet das Wertschätzen selbst? weist es auf eine andere, metaphysische Welt zurück oder hinab? (wie noch Kant glaubte, der vor der großen historischen Bewegung steht.) Kurz: wo ist es entstanden? Oder ist es nicht »entstanden«? – Antwort: das moralische Wertschätzen ist eine Auslegung, eine Art zu interpretieren. Die Auslegung selbst ist ein Symptom bestimmter physiologischer Zustände, ebenso eines bestimmten geistigen Niveaus von herrschenden Urteilen:

Wer legt aus? – Unsre Affekte.
[254]
_________________________________
Nietzsche, Aus dem Nachlass (XII) 


Nota. - Beinahe hätte er den Hasen noch erwischt: "Leben ist auch nur eine Fiktion!" - Da hat er einfach mal nicht richtig aufgepasst, und schon hat er sich eine große Verlegenheit erspart. So fasst er nun 'den Begriff Leben bestimmter': Wille zur Macht! Nachdem er sich um seine Pudenda origo herumgedrückt hat, darf er unbefangen frei hantieren: sich ausden-ken, was immer ihm einfällt. Wenn er die Herkunft vertuscht, muss er die Kritik nicht weiter fürchten.


Nietzsche, es ist aber ein Skandal! Da fragst du, wo unsere Wertschätzung "herkommt"? Wie nennen wir doch aber die Fähigkeit, Werte zu schätzen, die mit unser Bequemlichkeit und Selbsterhaltung nicht zu tun haben? Richtig: die ästhetische. Und aus gerechnet Sie, lieber Herr, wollen sie unter "unsere Affekte" zählen?!

Ich kannte mal einen, der auf seine antimetaphysische Weltbetrachtung stolz war: "aber eine artistische"!
JE, 12. 1. 19
 
 
 
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE,