Ich muss das Objekt so
oder so vorstellen, wenn ich es richtig vorstellen will: Indem ich das
sage, meine ich, ich könnte es auch nicht-richtig vorstellen wollen, unddieNotwendigkeitmeinesDenkensistnurbedingtundhängtab von
meiner Freiheit. Was ist dies für eine Freiheit und wo kommt sie vor?
Ich bin beschränkt in
A; die ideale Tätigkeit, die aus dieser Beschränktheit hervorgeht, ist
auch beschränkt. Diese beschränkte ideale Tätigkeit ist die Anschauung
Y. Diese ist aber hier der Strenge nach nichts als eine von unsvorausgesetzteIdee, denn sie ist ja nicht für das Ich. Soll sie für das
Ichetwas sein, somuss vonneuemdar-auf reflektiert werden, das Ich
muss von neuem sie setzen.
Man nehme an, diese neue Reflexion soll mit Freiheit geschehen.
Die praktische
Tätigkeit lässt sich ganz unterdrücken, so dass gar keine mehr übrig
wäre, sondern nur ein Stre- ben nach ihr. Aber der Charakter der idealen
Teäigkeit ist, dass sie mir bleibe und nicht aufgehoben werden könne.
Sie soll nur in//98// Y beschränkt sein, aber sie kann nicht aufgehoben werden; sie ist
sonach nur zum Teil beschränkt und kann sich von dieser Beschränktheit
losreißen; in der Anschauung Y ist die ideale Tätigkeit nur zum Teil
beschränkt, sie kann sich losreißen mit Freiheit. Ob sie sich unbedingt
losreißen müsse oder nicht, oder falls das letzte stattfinden sollte,
unter welchen Bedingungen, werden wir sehen.
Das Ich soll gesetzt
werden als das Anschauende, aber das Ich ist nur das Tätige und nichts
anderes. Sonach muss die Anschauung als Produkt der freien Tätigkeit
gesetzt werden, und nur dadurch wird sie es. Aber Tätig- keit lässt sich
nach dem allgemeinen Gesetz der An-schauung nur setzen als einÜbergehen
vonBestimmbarkeitzurBestimmtheit. Ich sollmichtätig setzenheißt,
ichsollmeinerTätigkeitzusehen.Dies ist aber ein Übergehen vom
Unbe-stimmten zum Bestimmten. Soll die Anschauung also als frei gedacht
werden, so muss sie auch in demselben Moment gebunden gesetzt werden.
Freiheit ist nichts ohne Gebunden-heit et vice versa. Das Losreißen ist
nicht möglich ohne etwas, wovon gerissen wird. Nur durchGegensatzentstehtBestimmtheitdesGesetz- ten.
Wie kann nun Freiheit
und Beschränktheit der idealen Tätigkeit beisammen sein? So: Wird auf
die Bestimmtheit des praktischen (realen) Ich reflektiert, so muss
auch Y notwendig so gesetzt werden, also nur die Synthesis ist
notwendig. Oder: Soll die Vorstellung wahr sein, so muss ich den
Gegenstand so vorstellen, ob aber diese Synthesis vorgenommen werde,
dies hängt von der Freiheit des Vorstellenden ab, welches [sic] in sofern keinem Zwange un-terworfen ist. _______________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,Hamburg 1982, S. 97f.
Nota. -Der Eintrag schließt unmittelbar an den gestrigen
an. Es ging darum, wie 'das Ding außer uns der Wahrheit gemäß
dargestellt' werden kann. Ist nun etwa doch die Rede davon, was das Ding
"an sich" sei? Wahrheit bezieht sich hier offenbar nicht auf das Ding, sondern auf die Vorstellung
vom Ding. Es geht darum, dass in der Vorstellung sich schließlich
nichts vorfindet, als was im Verlauf der vorstellenden Tätigkeit
wirklich gesetzt und bestimmt wor-den ist; es geht um die Wahrhaftigkeit
des Vorstellenden. Eine andere Wahrheit kann es für die
Transzendentalphilosophie nicht geben.
*
Als vernünftig soll gelten ein Denken, das dem Schema der Wissenschaftslehre folgt. Nach ihm konstituiert sich die Reihe vernünftiger Wesen. Jene ist die
Vernunft in ihrer Wirklich-keit. So weit sie dem Schema folgen - so weit
sie vernünftig denken -, müssen sie alle in der Darstellung der Dinge
außer uns übereinstimmen: Das bedeutet Wahrheit.
Sie müssen, sofern sie die Eingangsbedingung gewählt haben und ihr treu geblieben sind: Das Ich setzt sich, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - reale Tätigkeit - und be-stimmt sich, indem es sich sich-selbst entgegensetzt - ideale Tätigkeit; daraus folgt alles. Die Notwendigkeit dieses oder jenes Denkens, der Denkzwang tritt
ein lediglich unter dieser Bedingung; sie wurde durch Freiheit gewählt
und wird durch Freiheit erhalten. Jeder, der spinnen will, mag spinnen. JE, 26. 10. 18
Nota - Das
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Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der
entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die
theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den lo-gischen Gesetzen
übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem
Urtei-le über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch
theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins
Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. –
Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein sub-jektiver
Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das
Gefühl?/
Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht
eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist
unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit
und Wahrheit, begleitet nur ein gewisses Denken.
Es
ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit
selbst ist und das Gefühl der Gewißheit unabtrennlich einfaßt, alle
Menschen über dieses Gefühl überein-kommen müssen und es jedem anzumuten
ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht
des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet.
Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.
Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität. Das
Objekt ist ja nicht durch die sinnlichen Gefühle: denn auch diese sind
nur Prädikate desselben, die schon ein Objekt, schon eine Erfassung
dessen, was eigentlich nur subjective [sic]ist, voraussetzen. Es ist
durch das Denken. – Drum ist dieses nicht ein bloßes Denken. Woher das
in ihm entsprechende [sic]? Aus dem intellektuellen Gefühle. ________________________________________________ J. G. Fichte,Rückerinnerungen, Antworten, Fragen[S. 146f.]
Nota I. -
Gewiss ist ein Denken, das sich seiner gewiss ist - das ist ja wohl
eine Tautologie. Wie auch anders? Ausdrücklich sagt er: Wahrheit
verbürgt es nicht. Es bezeugt lediglich die Wahrhaftigkeit dessen, der
so oder so meint. Die Gründe für sein Someinen wird er vertei-digen müsse
gegen jeden andern aus der Reihe vernünftiger Wesen, dessen Gefühl der
Ge-wissheit einer andern Meinung gilt. Und sie werden streiten. Dass sie
sich einigen, setzt vor-aus, dass das Gefühl der Gewissheit des Einen
schließlich derselben Meinung gilt wie das Gefühl der Gewissheit des
Andern. Doch ob oder ob nicht, steht nirgends geschrieben.
Wenn es über dem Gefühl meiner Wahrhaftigkeit, d. h. dem Gefühl der Übereinstimmung meines Denkens mit sich selbst, ein Gefühl für die Wahrheit geben
sollte, wäre es das Ge-fühl der Übereinstimmung meines Meinens mit einem
Sein-an-sich. Nicht nur ist die Idee eines Gefühls für ein Ansich
Unfug; Unfug ist die Vorstellung von einem Ansich.
Mit andern Worten: Durch kein wie immer geartetes Gefühl wird Streit überflüssig. Die
ge-prüften Gründe werden bestehen, die mangelhaften Gründe müssen
weichen. Einer mag trotzig auf seiner widerlegten Meinung behar- ren,
und wenn er reich nud stark ist, kommt er im Leben damit eine Weile
durch. Doch auf die Dauer - und im Kreise der Gelehrten recht bald -
werden die bewährten Gründe aufgehoben und die widerlegten verworfen. Es
werden mit der Zeit Gesichtspunkte auftreten, die für eine Revision
sprechen; dann beginnt derselbe Prozess aufs neue. Mehr Wahrheit gibt es
nicht.Und wozu könnte sie gut sein?
Nota II. - Von einer Stimmungslage - "mir ist grad so" - ist natürlich nicht die Rede. Son-dern von einer denkpraktischen Erfahrung: 'Wie
immer ich es anstelle: Anders geht es nicht.' Wenn ich mich nicht
selbst für beschränkt halten wollte - was ich nicht könnte, wenn ich es
wäre -, müsste ich annehmen: Ein anderer kann es auch nicht. Wenn er mich eines bessern belehrt, bin ich betreten und sage erstmal ein Weile nichts. JE, 22. 8. 18
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Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.
Wittgenstein, Tractatus N° 4.0031
Wenn sie Kritik sein soll und nicht bloß Krittelei, dann muss sie einen Gesichtspunkt wählen, unter dem sie kriti- siert; ein Kriterium, an dem
sie prüft. Bei der Sprache könnte das ihre kommunikative Leistung sein
oder ihre Aussagekraft: nennen wir es: Wahrheitsfunktion; wohl wissend,
dass es sich nur um subjektive Wahrhaftigkeit handeln kann. Zum einen:
Kann, und unter welchen Bedingungen kann die Sprache mitteilen,
was gemeint ist? Das betrifft ihre technische Leistung, nämlich für die
Gemeinschaft, deren Zusammenhang durch die Sprache vermittelt ist. Zum
andern: Kann die Sprache aussagen, was gemeint ist? Das ist eine Performanz, die über das Technische hinausgeht, denn ihr Prius ist das, was gemeint ist; und was gemeint werden könnte unabhängig von seiner sprachlichen Form.
Wittgenstein beginnt
als Logiker, und auch als Sprachkritiker geht es ihm um die Genauigkeit
dessen, was mit- geteilt wird, nicht aber um das, was mitgeteilt wird. Das war stattdessen das Thema Mauthners. Wenn die Spra- che gar nicht fassen kann, was 'eigentlich' ausgesagt werden soll, kann sie es schon gar nicht mitteilen;
darüber muss man sich dann nicht mehr den Kopf zerbrechen. Dass in der
Realität des Sprachverkehrs eine Menge von Ungefähr den diskursiven
Fortgang und daherMitteilung überhaupt erst möglich macht, verweist darauf, dass das Gemeinte zuerst bildhaft angeschaut werden musste, bevor es indaskonventionelleRezeptakel des Begriffs gefügtwerdenkonnte.VomStandpunktderMitteilungwärediepräziseFassungdes Rezeptakelswohlwünschens- wert. Aber nicht vom Standpunkt dessen, was mitgeteilt werden soll. Dem passt die bildhafte Form besser.
Jede sprachliche Mitteilung grenzt irgendwo anKunst.Künstlich
wirkt sie in den exakten Wissenschaften oft darum, weil sie das
Künstlerische absichtlich unterdrücken - und gerade sein Fehlen
hervorheben, was dasselbe hintenrum ist. Indes, in den exakten
Wissenschaften kommt es gerade darauf an, dass ein Glied so perfekt wie
möglich an das andere anschließt: Wo das den Sinngehalt einschränkt,
wird man eben ein paar Zwischenglieder einfügen, weil auf Schönheit kein Wert gelegt wird. DiekommteventuellwiederinFrage,woesumdieAnschau- ung (sic) des im Diskurs auseinandergelegten Ganzen geht. Das aber ist eine wissenschaftstechnische Frage und keine philosophische. Sie betrifft die Mitteilung und nicht den Gehalt.
Das philosophische
Problem liegt ganz woanders: Wie kann man von dem reden, was vor und
unterhalb der sprachlichen Form liegt, ohne sich selber der sprachlichen
Form zu bedienen? Das war das meta-logische Pro- blem, dem Fichte die Wissenschaftslehregewidmet hat. Die gegebene Sprache - das Sprachspiel, sagte einer - hat in ihren Begriffen ein allerfassendes Instrumentarium geschaffen, die einanderallewechselseitigbedeuten.Justie- rungen sind da nur immanent möglich. Doch die Frage Was? und Woher? müsste in den bildhaften Urgrund des Vorstellens selbst hinabtauchen.
Den Punkt, von dem aus sie die Rekonstruktion dann in Angriff nimmt,
kann sie sich nicht frei aussuchen. Sie muss ihn aufsuchen nach Regeln, die sie rechtfertigen kann. Die Wissenschaftslehre
hat das unternommen. Ob und wieweit es ihr gelungen ist, ist ein anderes
Thema. Aber Wittgenstein hat es nicht einmal versucht. Er blieb
meilenweit davon entfernt.
Ich kann von ihnen abstrahieren oder ich kann sie auch anders denken,
also findet kein Denkzwang statt. Aber dann stelle ich das Ding nicht
der Wahrheit gemäß dar; aber soll meine Vorstellung dem Dinge gemäß
sein, so findet Denkzwang statt. Aber was ist denn das für eine
Wahrheit, an die meine Vorstellung gehalten werden soll?
Es ist die Frage nach
der Realität, die wir der Vorstellung zu Grunde legen. Unser eigenes
Sein in praktischer Hinsicht ist die Wahrheit, es ist das unmittelbar
Bestimmte, wovon sich weiter kein Grund angeben lässt. Die- ses unser
eigenes Sein deuten wir durch ein Ding außer uns; dieses Ding außer uns
ist seiner Wahrheit gemäß dargestellt, wenn es auf ein inneres Sein
deutet. Aus einem Quantum Beschränktheit in mir folgt diese oder jene Be-schränktheit außer mir. ______________________________________________________ J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 97
Nota. -Was ist Wahrheit? Unser eigenes Sein - und zwar in praktischer Hinsicht - ist die Wahrheit. In praktischer Hinsicht heißt: in Bestimmung zu... Wozu
ist mein Sein praktisch bestimmt? Zu unendlichem Übergehen vomUnbestimmtenzumBestimmten;bestimmtzuunendlichemBestimmen. NichtmeineBestimmtheitistmithin die Wahrheit meines Seins, sondern das Übergehen.
Das dürfte nun wohl als Kernsatz der Wissenschaftslehre gelten - wenn nämlich einer so unklug wäre, sie lehren zu wollen. In Hinblick auf das Gefühl- im folgenden Absatz kommt er darauf zurück - erhellt schon-mal dies: Ein Denkzwang und das entprechende Gefühl, genötigt zu sein, stellt sich nur ein, wenn ich den Vorsatz gefasst
habe, 'wahr' zu denken. Aber den kann ich nur aus Freiheit fassen. Ein
'Leiden', ein Gefühl des Gezwungenseins kommt nur vor unter Bedingung
eines vorausgegangenen Akts der Freiheit.
Das ist nun ganz etwas
anderes als das sinnliche Fühlen, von dem zuvor stets die Rede war. Er wird an Stelle der Anschauung des einzelnen Gefühls bei diesem bestimmten Denkakt den gesamten Zustand
des ganzen artikulierten Organismus ins Spiel bringen müssen. Die
Scheidung von sinnlich und intelligibel ginge verloren; nicht aber die
von real und ideal. JE, 25. 10. 18
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Es gibt Wahrnehmungen (Vorstellungen), die eo ipso von einem Gefühl des Beifalls oder der Missbilligung begleitet sind. -
So sind die logischen Operationen: Ihre Ergebnisse sind richtig oder falsch. Dieses Urteil selbst lässt sich nicht weiter erklären oder begründen. Es ist evident.
Evidenz ist eine ästhetische Qualität.
aus e. Notizbuch, Ende Jan. 2009 Was sagt das aber über die Wahrheit der Ergebnisse aus? Gar nichts, wenn man unter Wahrheit die Überein- stimmung der Aussage mit dem Sachverhalt versteht, denn der eine ist ein materielles, die andere ein intellek- tuelles Datum, die einander schlechterdings inkommensurabel sind. Wahrheit kann nur bestehen in der Über- einstimmung der Vorstellung mit der Aussage; als Wahrhaftigkeit.
Auswertung von 24.000 Trauminhalten stützt Kontinuitäts-Hypothese
Spiegel des Alltags: Die
computergestützte Auswertung von mehr als 24.000 Träumen bestätigt die
Annahme, dass wir im Schlaf vor allem unsere Wachein-drücke verarbeiten –
die Erfahrungen unseres alltäglichen Lebens. So waren die Trauminhalte
von Männern oft negativer und stärker von aggressiven Handlungen geprägt
als die von Frauen. Die Träume Heranwachsender spiegeln dagegen ihren
Übergang ins Erwachsenenalter wider.
Schon seit Jahrhunderten rätseln Menschen darüber, was Träume
bedeuten. Sind sie Botschaften unseres Unbewussten und spiegeln unsere
tiefsten Wünsche wider, wie Sigmund Freud und andere Psychoanalytiker
vermuten? Oder entstehen die Trauminhalte nur aus dem Leerlauf unseres
Geistes – ein Nebenprodukt der Verarbeitung tagsüber gemachter
Erfahrungen? Bislang sind diese Fragen nicht abschließend beantwortet –
die Meinungen der Wissenschaftler gehen noch immer auseinander.
Maschinenhirn als Traumdeuter
Mehr Aufklärun000 Traumberichten auszuwerten, die in zwei internationalen
Datensammlungen enthalten sind. Der Algorithmus kann anhand bestimmter
Begriffe und ihrer Bedeutung und Konnotation drei Kernmerkmale der
Trauminhalte erfassen und bewerten.
„Bisher waren die meisten Versuche, Trauminhalte automatisiert
auszuwerten, darauf beschränkt, die im Traum transportierten Emotionen
zu erfassen“, erklären die Forscher. „Andere für die Traumforschung
wichtige Aspekte, wie die auftauchenden Charaktere und ihre
Interaktionen, blieben dagegen unberücksichtigt.“ So nutzt eine gängige
Analyseskala, Hall und Van Castle, genau diese Aspekte, um Trauminhalte
einzuordnen.
Charg könnte nun eine Methode bieten, die Alessandro Fogli
von der Universität Rom und seine Kollegen entwickelt haben. Sie nutzten
ein lernfähiges Computerprogramm, um automatisiert die Trauminhalte von
mehr als 24.aktere, Interaktionen und Emotionen
Das von Fogli und seinen Kollegen entwickelte Computersystem ging die
Traumberichte Satz für Satz durch und extrahierte anhand von Wortwahl,
Grammatik und Kontext zunächst, wer die Akteure waren – ob Mann oder
Frau, lebender Mensch oder Geist/Fantasiewesen. Dann ermittelte der
Algorithmus auf Basis der verwendeten Verben, welcher Natur die
Interaktionen der Handelnden sind – freundlich, aggressiv oder sexuell.
Als letztes bewertete das Programm die in den Berichten verwendeten
Wörter in Bezug auf ihren emotionalen Gehalt. Auf Basis eines speziellen
Emotions-Lexikons stufte es die Trauminhalte nach den Grundgefühlen
Ärger, Angst, Spannung, Vertrauen, Überraschung, Trauer, Freude und Ekel
ein. Um die Zuverlässigkeit des Tools einzustufen zu können, verglichen
die Forscher einen Teil seiner Analysen mit der einiger ausgebildeter
Schlafforscher und Psychologen. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass
solche Technologien wichtige Aspekte von Träumen erfassen und
quantifizieren können“, sagt Fogli.
Setzen sich Unterschiede im Alltag bis in den Traum fort?
Dann folgte die eigentliche Untersuchung: Auf Basis dieser
automatisierten Analyse untersuchten die Wissenschaftler, ob sich in den
Trauminhalten Hinweise darauf finden, dass die „Kontinuitäts-Hypothese“
zutrifft. Sie geht davon aus, dass wir im Traum unsere alltäglichen
Erfahrungen verarbeiten und weiterleben.
„Unser Alltag ist von einer Vielzahl von Faktoren geprägt, dazu
gehören unser Geschlecht, die aktuelle Lebensphase, tiefgreifende
Erlebnisse oder auch die Erfahrung alltäglicher Gewalt“, erklären die
Forscher. Wenn die Kontinuitäts-Hypothese zutrifft, müssten sich demnach
Träume von Frauen systematisch von denen der Männer unterscheiden, die
von Jugendlichen von denen Erwachsener oder auch die eines
Kriegsveteranen von denen eines Menschen, der nie beim Militär war.
Genau das haben Fogli und sein Team mithilfe ihrer Software überprüft.
Männer träumen anders als Frauen
Das Ergebnis: Die Träume von Männern und Frauen unterscheiden sich
tatsächlich in einigen grundlegenden Aspekten. „Männerträume enthalten
mehr Kennzeichen der Aggression und mehr negative Emotionen“, berichten
die Forscher. „Frauen dagegen berichten häufiger über positive Gefühle
und freundliche Interaktionen der Traumcharaktere.“
Nach Ansicht von Fogli und seinem Team spiegelt dies durchaus die
durchschnittlichen Alltagserfahrungen der beiden Geschlechter wider:
„Ähnlich wie im richtigen Leben neigen Frauen dazu, freundlicher und
weniger aggressiv zu sein als Männer“, erklären sie. Demgegenüber
spiegeln die Trauminhalte Heranwachsender häufig ihren Übergang vom Kind
zum Erwachsenen wieder: „Izzy erlebte als Teenager im Traum viele
negative Emotionen, später spielten sexuelle Interaktionen eine immer
größere Rolle“, schildern die Forscher ein Beispiel.
Resultate spreche für die Kontinuitäts-Hypothese
Während diese Tendenzen bei der Analyse nur einzelner Traumberichte
oft noch nicht deutlich werden, lassen sie sich durch die Auswertung
großer Mengen an Traumberichten besser vergleichen und quantifizieren.
Die große Datenbasis erleichtert es somit, solche Aspekte zu erkennen,
wie die Wissenschaftler erklären. Sie schließen aus ihren Ergebnissen,
dass die Hypothese einer Fortsetzung der Alltagserfahrungen bis in den
Traum hinein zutrifft.
„Unsere Resultate stützen die Idee, dass es eine Kontinuität zwischen
dem gibt, was eine Person tagsüber im echten Leben erfährt und was sie
träumt“, so Fogli und seine Kollegen. (Royal Society Open Science, 2020;
doi: 10.1098/rsos.192080)
Quelle: Royal Society
26. August 2020
- Nadja Podbregar
Nota. - Mehr als diese beiden Möglichkeiten - Verarbeitung von Erlebtem oder Ausdruck von Wünschen - kann der gesunde Menschenverstand sich nicht vorstellen. Vielleicht ist ere aber beschränkt?
Einstweilen haben wir aber nur die zwei. Die These von der Repräsentation von Erlebten - was deren Durchsetzung mit Erhofften und Befürchtetem ja nicht ausschließt - klingt mir zunächst plausibler; weil nämlich die andere These ein ganzes methaphysisches Dogmen-gespinst voraussetzt. Doch ist die Methode gar nicht überzeugend. Ich weiß von mir - und es sollte mich wun-dern, wenn mir einer widerspräche -, dass ich den sogenannten Inhalt meiner Träume gar nicht wiedererzählen kann, sondern bestenfalls ein paar Episödchen, eingebettet in die mehr oder minder kunstvolle Ausmalung einer Atmosphäre. Warum nicht? Weil es eine Geschichte mit Anfang und Ende und einem dazwischen verlaufenden roten Faden gar nicht ist.
Was sie dort in ihren Karteien gespeichert und ihre Algorithmen sortiert haben, sind gar keine Träume, sondern im Bewusstsein gefilterte, verdichtete, umgedeutete und plausibi-lisierte Nachdichtungen, über deren Wahrhaftigkeit der Träumer selbst am schlechtesten urteilen könnte; wenn auch als einziger.
Psychoanalytiker haben es da leicht. Nicht nur, weil sie sowieso nichts ganz genau nehmen; sondern weil zwar das, was der Träumer berichtet, vielleicht nicht das exakte Abbild seines Traumes ist; doch jedenfalls steckt von dem, was er normalenweise nicht zugeben würde, mehr darin, als in dem, was er - sagen wir mal: - vor Gericht eingestünde. Es ist ja nicht Sache des Analytikers, ihm seine Träume zu deuten. Sondern die Deutung des Traumes ist - nach psychonalytischem Verständnis - die selbstheilende Arbeit des Patienten; wie immer sie ausgeht. Wenn er dabei dem Therapeuten was vormacht, wird daraus neues Material des analytischen Prozesses. Was authentisch es ist oder gefaked, kann ihnen ganz egal sein. Darum werden sie auf Untersuchungen wie die obige pfeifen. Sie werden sagen: Das Untersuchungsverfahren ist so angelegt, dass es zu einem andern Ergebnis gar nicht führen konnte. Zu Recht.
Die Unterscheidung
betrifft die Frage nach der Notwendigkeit. Die Psychologie beobachtet,
wie soundsoviele Menschen unter ihren je gegebenen Lebensumständen (ggf.
im Labor) tat-sächlich denken. Die philosophische Fragestellung will
ergründen, ob sie mit Notwendigkeit so denken oder nur zufällig; also ob
sie auch anders denken könnten, wenn... wahre Ergeb-nisse erzielt werden sollen. Die Frage nach der Wahrheit der Denkresultate und die nach der Notwendigkeit sind der Sache nach ein und dasselbe. Nur unter der
Voraussetzung, dass wahre Denkergebnisse überhaupt möglich sind, lässt
sich richtiges von falschem Denken unterscheiden. Die psychologische
Untersuchung kann sich allenfalls auf die Pragmatik des Denkens
erstrecken: wie und wieweit aus Erfolg und Misserfolg des Denkens "im
praktischen Leben" gelernt wird. aus e. Notizbuch, 7. 12. 1994
In der Sache bin ich
heute klüger. Die Notwendigkeit eines Denkens entscheidet in keiner
Weise über die Wahrheit seiner Resultate. Wenn man unter Wahrheit
nämlich eine Überein-stimmung zwischen der Vorstellung und ihrem Gehalt
versteht; oder zwischen der Bedeu-tung eines Dings und seinem Sein. Das
gibt es nicht nur nicht, sondern es hat nicht einmal Sinn. Was soll das
heißen: der Geruch der Aprikose stimmt mit ihrem spezifischen Gewicht
überein? Das ist einfach Quatsch.
Die Frage kann
allenfalls sein, ob ich über die Schritte, durch die ich zu meinem
Urteil über die Bedeutung des Dinges gekommen bin, Rechenschaft ablegen
und zeigen kann, dass ich die gebotene Vorsicht habe walten lassen. Da
die Bedeutung der Sache kein Objektivum ist, sondern eine Zurechnung,
kann es gut sein, dass ich mich mit dem Einen oder Andern nicht über sie
einigen kann. Denn die Bedeutung der Sache für mich hängtabvomZweck,denichmitihrverbinde. Verständigensolltenwiruns können, wenn wir den Zweck teilen. Andernfalls müssten wir uns um den Zweck streiten.
Der oben angesprochene Unterschied zwischen Psychologie und Philosophie ist der: In der Philosophie geht es um unter gegebenen Bedingungen notwendige
Urteile. Das wären sol-che, die - unter den gegebenen Bedingungen -
jeder mit jedem teilen müsste. In der Psycho-logiegehtesumdieMeinungen,AnsichtenundGefühle, die ein IndividuumodereineGrup-pe
von Individuen zufällig haben. Das eine hat mit dem andern so viel und so wenig zu tun wie das Ding mit seiner Bedeutung.
31. 10. 18
Nota. Das
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lichtkunst.73, pixelio.deausWissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik Der Faden der Betrachtung wird an dem hier durchgängig als Regulativ herrschenden Grundsatze: nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich setzt,
fortgeführt. Wir legen das oben abgeleitete Factum zum Grunde, und
sehen, wie das Ich dasselbe in sich setzen möge. Dieses Setzen ist
gleichfalls ein Factum, und muss durch das Ich gleichfalls in sich
gesetzt werden; und so beständig fort, bis wir bei dem höchsten
theoretischen Factum an- kommen; bei demjenigen, durch welches das Ich
(mit Bewusstseyn) sich setzt, als bestimmt durch das Nicht-Ich. So endet
die theoretische Wissenschaftslehre mit ihrem Grundsatze, geht in sich
selbst zurück, und wird demnach durch sich selbst vollkommen
beschlossen. _____________________________________________________________________________________
Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen.
Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll.Er soll diejenige Thathand- lung ausdrücken,
welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewusstseyns nicht
vorkommt, noch vor- kommen kann, sondern vielmehr allem Bewusstseyn zum
Grunde liegt, und allein es möglich macht. Bei Darstel- lung dieser Thathandlung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht
denken werde, was man sich zu denken hat – dafür ist durch die Natur
unseres Geistes schon gesorgt – als dass man sich dabei denken werde,
was man nicht zu denken hat. Dies macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig.
Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht – kann Thatsache des Bewusstseyns werden, was an sich keine / ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewusstseyns, noth- wendig denken müsse. ...
Die Gesetze,
nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen
Wissens schlechterdings denken muss, oder – welches das gleiche ist –
die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht
als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt
und ausgemacht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von dem
Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtigkeit
richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein
unvermeidlicher Cirkel. ________________________________________________________ J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre,SW Bd. I, S. 91f.
Nota. -Wenn es aber zirkulär ist, dann ist es kein Wissen. Wenn am oberen Ende genausoviel steht wie am unte- ren, dann ist nichts hinzukommen - und das Wissen folglich leer.
Dies,
wenn die Wissenschaftslehre eine logische Herleitung aus gegebenen
Begriffen wäre - so wie die metaphy- sischen Systeme vor Kant.Die
Wissenschaftslehre ist dagegen ein retroaktives Postulat. Sie ist keine
Konstrukti- on der Wirklichkeit aus Prämissen, sondern eine eine
experimentelle Unterschung des Gangs unserer Vorstel- lungstätigkeit. Es
wird der Untersuchung eine problematische Behauptung zu Grunde gelegt -
und nur, wenn nach Abschluss der Untersuchung nicht mehr und nicht
weniger und schon gar nichts anderes steht als am An- fang; nur, wenn
nichts hinzugekommen und der Zirkel lückenlos geschlossen ist, hat sich
die problematische Eingangsbehauptung bewährt.
Was immer es tut: Das Ich 'setzt sich', indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt - und zwar immer fort. Alle
Tätigkeit des Ich ist Fortschreiten in der Bestimmung von Unbestimmtem.
Von nicht anderem kann es wissen. Das ist - zusammenfassend - leicht
gesagt. Doch um es einzusehen, war die hirnbrechende Ochsentour der Wis-
senschaftslehre unumgänglich. Der sachliche Gehalt der realen
Wissenschaften wird davon um keinen Deut er- weitert. Aber sie können
nun ihres Wissens gewiss sein - wenn anders Wissen überhaupt möglich sein soll.
*
Die Frage Was ist Wissen? - oder:
Was ist wahr? - formuliert Fichte um in: Wie kommen wir zu der Annahme,
dass einigen unserer Vorstellungen Dinge außerhalb unserer
Vorstellungen entsprechen? Das ist der prosaische Kern, der in der
pompösen Frage nach der Warheit drinsteckt. JE 29. 7. 18
aus welt.de, 21. 3. 2022 Pierre-Auguste Renoir, Frau mit einem Fächer, ca. 1879 zuGeschmackssachen
Niemand hat den Fortschritt wollüstiger geleugnet
Als Impressionist wurde er viel geschmäht wegen seiner Nymphomanie.
Doch feiern muss man Renoir als den Maler, der das Rokoko in die Moderne
rettete und die Sehnsüchte bedient, welche die neue Zeit nicht
befriedigen konnte.
Man
muss nicht alle Tage im Museum herumgeschlichen sein. Man hat doch
gleich eine Vorstellung, wenn man den Namen hört. „Renoir“: Sonne, davon
viel, blendendes Licht, blühende Gärten, flirrende Sommer. Ein
Winterbild hat der Maler nicht gemalt – anders als sein
Impressionisten-Kollege Claude Monet. Und vor den vielen Nackten im
Freien ist es auch nie so, dass es einen frösteln würde. Immer weht
diese arkadische Wärme durch die Waldlichtungen und an den Flußufern und
in den gemütlichen Stuben, in denen Gabrielle die Kleider ausgezogen
und sich aufs Kanapee gelegt hat.
Welteinverständiger kann
Welteinverständnis kaum sein als in diesem so populär gewordenen Werk.
Und schon immer war es etwas schwierig, das vermeintliche
Fortschritts-Idiom des Impressionismus mit den heiter zufriedenen,
seltsam zeitenthobenen Inhalten dieser Bilder zusammenzubringen.
War
„Impressionismus“ nicht doch polemische Abkehr von den
Realismus-Klischees der Akademien, nicht Sezession, Aufbruch der Malerei
in eine Gegenwart, die sich all der Wirklichkeitsfragmente bewusst sein
wollte, aus denen Auge und Hirn die sinnliche Welt zusammensetzen? Was
aber ist geleistet für eine wahrnehmungskritische Moderne, wenn sich
vier Badende am Nudistenstrand mit Krabben necken und dabei ihren Spaß
haben wie die Wassernixen bei Arnold Böcklin?
Es
ist in Wahrheit ganz anders gewesen, sagt, zeigt eine große Frankfurter
Ausstellung. Genau besehen war dieser Pierre-Auguste Renoir ein
Spätgeborener, ein Zeitgenosse vielleicht auch, aber mehr noch Genosse
einer verlorenen Zeit. „Ich stamme“, hat er von sich gesagt, „aus dem
18. Jahrhundert. Und ich glaube, dass nicht nur meine Kunst von Watteau,
Fragonard, Hubert Robert herrührt, sondern dass ich einer von ihnen bin.“
Städel feiert Renoir-Rokoko-Revival
Und
als ihn der Kunsthändler Ambroise Vollard fast bestürzt gefragt hat:
„Sie leugnen jeden Fortschritt in der Malerei?“ Da gab er mit schönster
Selbstverständlichkeit zurück: „Jawohl, ich leugne den Fortschritt in
der Malerei! Kein Fortschritt in den Ideen, keiner in der Technik.“
Was
wäre, wenn man die Fortschrittslosigkeit einmal ernst nähme und den
Enkel zusammen mit den Großeltern ausstellen würde? Auf ins Städel
Museum! „Renoir Rococo Revival“: Aufschlussreicher, unterhaltsamer kann
kunsthistorisches Nachdenken nicht sein.
Pierre-Auguste Renoir, „Nach dem Mittagessen“, 1879
Man
ist schon durch eine Anzahl Kabinette spaziert – vorbei an lauter
Epoche-übergreifenden Wahlverwandschaften und steht jetzt vor dem
größten Bild der Ausstellung, Renoirs monumentalem „Ausritt im Bois de
Boulogne“ aus dem Jahr 1873. Damals ging man noch nicht joggen, aber
auch der Sport im Sattel war Sport, und die Amazone sitzt aufrecht auf
dem trabenden Grauschimmel, der Junge neben ihr auf dem Pony schaut
stolz zur Reiterin auf, und das alles ist derart aus der Untersicht
gemalt, dass man meint, die Pferde seien mit ihren feuchten Nüstern
schon über einem.
Ein paar Saalmeter weiter macht ein Paradegaul
einen mächtigen Sprung. Auf seinem Rücken die französische Königin
Marie-Antoinette. Untadelige Haltung. Adel in Bestausstattung.
Louis-Auguste Brun hat das Herrscherinnenbild gemalt, exakt 90 Jahre vor
Renoir. Damals hat die unglückliche Maria-Theresia-Tochter noch nicht
wissen können, dass sie zehn Jahre später auf der Place de la Concorde
guillotiniert werden würde.
Wird diese berühmte russische Kunstsammlung beschlagnahmt?
Ganz
Paris war an dem 16. Oktober 1793 auf den Beinen. Sie soll noch einmal
zum Jardin national geblickt haben, wo sie gerne ihr Prachtross
bestiegen hat. Dann zeigte der Scharfrichter dem blutlüsternen Volk das
abgeschnittene Königinnenhaupt. Der Chronist Thomas Carlyle vermerkt:
„Lang anhaltende Rufe ‚Vive la République‘“.
Die
Hurras sind bald im Terror erstickt. Es gehört zu den Wundern der
französischen Geschichte, dass vom unvorstellbaren Schrecken der
Revolution nur die „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“-Phrase geblieben
ist, dass man sich alsbald mit Napoleon durch ganz Europa gekämpft hat
und an den Bourbonen-Thronen wieder bereitwillig huldigen wollte, um
schließlich unter dem „Bürgerkönig“ Louis-Philippe zur zivilen
Erfolgsnation zu erstarken, die sich auch von der schmachvollen
Niederlage gegen das preußische Deutschland die Laune nicht verderben
ließ, die ihr glorioses Stadtleben morgens mit dem Ausritt im Bois de
Boulogne begann und am Nachmittag im Louvre die Gemälde bestaunte, die
von den Fantasien und Visionen, Erzählungen und Selbstdeutungen der
vorrevolutionären Zeit geblieben waren.
Wenn man an Flauberts Romane
denkt, an die Lebensbrüche, die der Schriftsteller vor dem szenischen
Hintergrund des Juste Milieu seziert, dann erscheint die levitierte
Gegenwärtigkeit, die der Maler Renoir vor dem szenischen Hintergrund der
pudrigen Rokoko-Malerei des 18. Jahrhunderts veranstaltet, in der Tat
eine bedenkenswerte Anverwandlung.
So hat man den Impressionismus noch nicht gesehen
So
ganz der Fortschreibung jener hochkultivierten Gestik ergeben, mit der
eine abgetane Epoche der sozialen Wirklichkeit entgegengemalt hat. Es
ist wirklich überzeugend, wenn man zusammen sieht, wie die Ahnen ihre
Kostümfeste auf gepflegten Park-Bühnen aufführen, und der Enkel die
gleiche zeitlos theatralische Stimmung im Stadtwald und am Seineufer
erreicht.
In großen Kapiteln verfolgt die Ausstellung die
Nachbarschaften – immer Rokoko neben Renoir, Renoir neben Rokoko. Frauen
beim Lesen und bei der Handarbeit, Frauen im Boudoir, Frauen beim
Baden, Aktdarstellungen, Rollenporträts und wenn man nicht auch noch vor
Landschaften und Stillleben stünde, wäre die ganze Ausstellung ein
einziger malerlüsterner Blick des faszinierten Mannes auf das Weib.
Renoir, „Weiblicher Akt in einer Landschaft“, 1883
François Boucher, „Ruhendes Mädchen (Louise O ́Murphy)“, 1751
Und
doch ist es eine Renoir-Ausstellung und keine
Impressionisten-Ausstellung. Was für ihn gilt, gilt nicht für seine
Mitstreiter. Degas imaginiert eine ferne Italianità, Manet nimmt Maß am
spanischen Fach. Monet beobachtet seine Bürgersleute bei ihren
familiären Lustbarkeiten und braucht dazu keine Ermunterung von
Altvorderen wie Watteau, Fragonard oder Boucher. Es ist schon ein
Alleinstellungsmerkmal in Renoirs Werk, wie er der kandierten
Perückenwelt, die es ihm so angetan hat, bis in den schmelzenden
Farbauftrag nachempfindet – und so die geschichtsvergessenen Sehnsüchte
seiner zutiefst konservativ grundierten Zeit bedient.
Was gar
nicht heißt, dass diese Bilder nicht auch etwas hätten, was keinem der
Maler des Ancien Régime geglückt wäre. Vor dem fabelhaften
Frauen-Porträt von 1874, vielleicht ist Gabrielle gemalt, das
Lieblingsmodell mit Familienanschluss, mit überkreuzten Armen und
versunkener Teilnahmslosigkeit, vor dieser ungemein selbstbewussten
Personenzeichnung fällt einem der Kritiker Zola ein, der zu einem
anderen berühmten Renoir-Bild „Lise mit Schirm“ – Lise Tréhot war die
Tochter des Postmanns von Ecqueville – geschrieben hat: „Sie ist eine
unserer Frauen, eine unserer Geliebten vielmehr, die mit großer
Wahrhaftigkeit und einer geglückten Suche nach modernen Formen gemalt
ist.“
Renoir: ein Glücksfall
Unbeschwerte
Umschau in der Gegenwart unter Anleitung unbeschwerter Dystopien einer
abgesunkenen Vergangenheit. Als ob nichts dazwischen gewesen wäre, kein
Empire, kein napoleonischer Klassizismus, keine Romantik à la Delacroix,
zehrt der Maler vom Überschwang seiner Möglichkeiten, pflegt sein
problemloses Verhältnis zur Tradition, dieses wunderbare Vertrauen ins
Bild.
Wenn
modernetypisch die Zweifel sind, die Bedenken am
Weltwiedererschaffungsprojekt des Malens, dann kann Renoirs Moderne
nicht eine sein, die am besonderen Erscheinen der Dinge im Bild zu
erkennen wäre. Krisenaugenblicke? Der Maler Renoir bei hemmender
Selbsterforschung: Was mache ich da, wozu und zu welchem Ende und mit
welchen Mitteln? Kaum vorstellbar.
Wenn
es denn überhaupt so etwas wie ein Weltverhältnis in diesem Werk gibt,
dann eines der schönen theatralischen Trübung, des ästhetischen
Vorbehalts, der kunstgeschichtlichen Bedingtheit. Anders als mit den
historischen, den ererbten Bildern im Kopf hat das Malerauge nicht sehen
können, nicht sehen wollen.
Wohl sind sie alle Zeitgenossen,
die Freunde und die Freundinnen, die Bürgersfrauen und Bürgersmänner,
die dem virtuosen Porträtisten Modell gesessen sind. Aber kaum einmal,
dass an ihrem Middle-Class-Profil nicht auch das Kostümierte auszumachen
wäre, die malerisch zudiktierte Rolle.
Renoirs „Der Spaziergang“ von 1870
Erfunden
hat Renoir nichts. Nichts, was die Bildergeschichte revolutionär
vorangebracht, nichts, was sie in eine ganz neue Richtung gelenkt hätte.
Er hat die Bildergeschichte fortgesetzt, er hat einfach weitergemalt.
Er hat mit leichthändigem Nachdruck dafür gesorgt, dass die triumphale
Geschichte der Bilder nicht zu Ende geht. Und keine moderne
Bildermacher-Skepsis war laut genug, um ihn aus dem Traum der alten
Bilder-Sinnlichkeit aufwecken zu können.
Zumal der Traum sich
weich den Träumen seiner Generation anschmiegte, die ja Nation erst
wurde, als sie begann, sich mit den Empfindungsformeln jenes fernen 18.
Jahrhunderts neu zu begründen. Im literarisch künstlerischen Gedenken an
den ebenso höfischen wie großbürgerlichen Widerstand gegen den Zerfall
der aristokratischen Kultur mit ihren feinziselierten Lebensformen,
ihrer anakreontischen Antiken-Verklärung und all den sehnsüchtigen
Erzählformen, mit denen das Rokoko wie in Trance über den Einspruch der
aufklärerischen Intelligenz um Rousseau, Diderot oder d‘Alembert
hinweggeschwebt war.
Das macht den Eigensinn von Renoirs Werk
aus, dass es sich so entschieden unzuständig erklärt zur Kritik an der
bewegten Epoche, an den unaufhaltsamen Brüchen in den sozialen
Bindungen. Dass es dem unglücklich modernen Bewusstsein keine
Spiegelbilder nachmalt oder vorausmalt. Dass es keine anderen Bilder
kennt als die Bilder, die vom Glück des gelungenen Bildes zeugen.
Und
so gesehen erscheint auch die Nymphomanie des oftmals diskreditierte
Spätwerks nicht einfach als Ausdruck von verirrtem Geschmack. Da verrät
sich der Maler nicht als seniler Dauererotiker, sondern radikalisiert in
Wahrheit seine Abstinenz von Zeit und Raum. Die dreiste
Nacktkörper-Tummelei ist nichts anderes als Chiffre für das unversiegte
Begehren, das der Maler im sinnlichen Akt des Malens und im sinnlichen
Resultat des Bildes immer wieder neu erfährt.
„Es ist so
köstlich, sich der Wollust des Malens hinzugeben“, hat Renoir seinem
wohl verdutzten Kunsthändler Vollard gebeichtet. Und als er das sagte,
hat Watteau, der Liebesinsel-Maler, auf seiner Liebesinsel beseligt
gelächelt. Hingabe ist immer gut. An die Wollust erst recht.
Nota. - So oft ich auch geschrieben sehe - einen anderen Berührungspunkt zwischen Renoir und dem Rokkoko als den allgegegenwärtigen rosigfarbenen Babyspeck kann ich wirklich nicht erkennen. Mancher Rokkokomaler hatte ein Faible für schwindelerregende Land-schaftsperspektiven, Renoir dagegen hat für den Raum eine hoheitliche Geringschätzung, vor geraden Linien und rechten Winkeln graut ihm regelrecht. Und die anatomischen Schnitzer, die bei ihm fast die Regel sind, wären den zünftig ausgebildeten Rokokomeistern niemals unterlaufen
Die Rokkokoleute sind aristokratisch-dekadent oder taten wenigstens so, Renoir ist gutbür-gerlich positiv - man merkts schon an den ungebrochenen Industriefarben, die er direkt aus der Tube nimmt.
Dass er ein herzensguter Kerl gewesen sein soll, hat mit Kunst so wenig zu tun, wie dass Edgar Degas, zu dem er fast bis zum Schluss gehalten hat, ein ausgesprochenes Scheusal war. Ich glaube, das Rokkoko will man ihm nur anhängen, um uns an den Gedanken zu gewöhnen, dass er zwar gesellschaftlich zu den Impressionisten zu zählen ist, aber künst-lerisch eigentlich nicht dazugehörte; so wie es sich für Degas ja wohl herumgesprochen hat. JE