
aus spektrum.de, 27. 1 .2022
Leben mit einer dünnen Haut
von Diana Kwon
... Ich
treffe Anna im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), das sich
über mehrere Häuserblocks im Zentrum von Mannheim erstreckt. Dort wird
sie wegen einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
behandelt – schweren Symptomen, die auf ein lang anhaltendes Trauma
folgen – sowie wegen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD),
gekennzeichnet durch intensive, instabile Emotionen, ein negatives
Selbstbild und Beziehungsprobleme, häufig auch Selbstverletzungen und
Suizidgedanken.
BPD und komplexe PTBS haben
einiges gemeinsam, zum Beispiel Probleme mit der Emotionsregulation und
dem Selbstbild. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass
die komplexe PTBS als Reaktion auf ein Trauma beschrieben wird, die BPD
jedoch nicht. Viele Menschen erfüllen die Kriterien für beide Störungen.
Inwieweit ein Trauma bei der BPD eine Rolle spielt, ist jedoch
Gegenstand intensiver Debatten in der Psychiatrie und Psychologie.
»Wir wissen, dass es keine Borderline-Störung ohne schwere frühe zwischenmenschliche Belastungen gibt« (Martin Bohus, Psychiater)
Studien
zeigen, dass zwischen 30 und 80 Prozent der Menschen mit BPD die
Kriterien für eine traumabedingte Störung erfüllen oder über frühere
traumabedingte Erfahrungen berichten. Den meisten klinischen Fachleuten
zufolge, die Menschen mit BPD untersucht oder behandelt haben, hat nicht
jeder, bei dem diese Störung diagnostiziert wird, ein Trauma erlebt –
zumindest nicht in der herkömmlichen Form. Es gibt allerdings immer mehr
Belege dafür, dass ein »Trauma« nicht eindeutig zu definieren ist:
Selbst wenn die belastenden Erfahrungen nicht der Lehrbuchdefinition
entsprechen, können sie bleibende Spuren im Gehirn hinterlassen und das
Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie der BPD erhöhen.
The effects of childhood maltreatment on brain structure, function and connectivity. Nature Reviews Neuroscience 17, 2016 / Scientific American Januar 2022; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft (Ausschnitt)
Diese Erkenntnisse stellen die Definition und Behandlung der BPD in Frage. Einige Fachleute und Betroffene fordern, die BPD in komplexe PTBS umzubenennen.
Sie argumentieren, dass die Überschneidungen groß genug sind. Die BPD
wurde lange Zeit stark stigmatisiert – selbst von Fachkräften. Die
betroffenen Patientinnen und Patienten gelten als manipulativ, schwierig
und behandlungsresistent. Andere sind der Meinung, dass zwar nicht jede
BPD eine komplexe PTBS ist. Es gebe aber genug Beweise dafür, dass
frühe Stressfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung der BPD spielen, um
die Störung umzubenennen.
»Ich denke, dass die
Borderline-Persönlichkeitsstörung nicht in das Konzept der
Persönlichkeitsstörung passt«, sagt Martin Bohus, Psychiater am ZI. »Sie
passt viel besser zu den stressbedingten Störungen, denn wir wissen,
dass es keine Borderline-Störung ohne schwere frühe zwischenmenschliche
Belastungen gibt.«
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Als Bohus sein ärztliches Praktikum auf einer psychiatrischen
Station absolvierte, sah er eine Patientin, die auf dem Boden saß und
sich mit dem Blut aus selbst zugefügten Verletzungen bemalt hatte. Er
erkundigte sich nach ihr. Der leitende Psychiater sagte dazu nur: »Eine
Borderline-Patientin, da kann man nichts machen. Entlassen Sie sie
einfach.« Und was, wenn sie Suizid begeht?, fragte Bohus. »Sie bringen
sich nie um«, antwortete der Psychiater, »sie sagen nur, dass sie es tun
werden.« Bohus folgte dem Rat seines Mentors und entließ die Patientin.
Kurz darauf nahm sich die Frau das Leben.
Bohus
ist inzwischen Mitte 60 und ein etablierter Psychiater. Diese Erfahrung
war die erste von vielen, die ihn erkennen ließen, dass etwas nicht
stimmte mit der Art und Weise, wie Kliniker Menschen mit BPS
behandelten. »Damals herrschte eine extrem konservative, ich würde sagen
feindselige, paternalistische, bevormundende Haltung gegenüber den
Klienten vor«, sagt Bohus.
Die Geschichte einer höchst umstrittenen Diagnose
Der Begriff »Borderline« wurde in den 1930er Jahren von dem deutsch-amerikanischen Psychiater Adolph Stern
geprägt. Er beschrieb damit eine Grauzone zwischen Neurose –
psychischen Leiden wie Depressionen und Angstzuständen, aber ohne
Halluzinationen oder Wahnvorstellungen – und Psychose, bei der die
Menschen den Bezug zur Realität verlieren. Diese Patienten, schrieb er,
sind »mit jeder psychotherapeutischen Methode extrem schwer zu
behandeln«.
Jahrelang blieb »Borderline« ein nebulöser Begriff.
Erst in den 1970er Jahren wurde er zu einer offiziellen Diagnose. Damals
untersuchte John Gunderson, Psychiater am McLean Hospital in
Massachusetts, eine Gruppe von Patienten, die fälschlicherweise eine
Schizophrenie diagnostiziert bekommen hatten. Er definierte sechs Hauptmerkmale,
die sie gemeinsam hatten: intensive Emotionen, typischerweise
feindselig oder depressiv; eine Vorgeschichte mit impulsivem Verhalten;
kurze psychotische Erfahrungen; chaotische Beziehungen; unlogische oder
wirre Gedankengänge, die sich beispielsweise in bizarren Antworten bei
unstrukturierten psychologischen Tests zeigten – und die Fähigkeit, nach
außen hin den Anschein von Normalität zu wahren.
Kurz darauf, im
Jahr 1980, fand die Borderline-Persönlichkeitsstörung Eingang in die
dritte Ausgabe des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders« (DSM), des wichtigsten Handbuchs, das Psychiater und
Psychologen in den USA, aber auch zu Forschungszwecken weltweit
verwenden. Sie ist dort eine von mehreren verschiedenen
Persönlichkeitsstörungen. Deren Kennzeichen sind charakteristische Denk-
und Verhaltensmuster, die von den gesellschaftlichen Erwartungen
abweichen und individuelle sowie zwischenmenschliche Probleme
verursachen.
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Die Diagnose trug dazu bei, die Grundlagen der Störung zu
erforschen und die Behandlungsmethoden voranzutreiben. Langzeitstudien
von Gunderson und seinen Kollegen zeigten auch, dass sich die meisten
Patienten trotz der vorherrschenden Meinung, Borderline sei eine
chronische, unheilbare Krankheit, letztlich doch wieder erholen. Umstritten ist nach wie vor, wie sich Borderline zu anderen Persönlichkeitsstörungen verhält.Die
BPD wird häufiger bei Frauen diagnostiziert, aber einige Studien deuten
darauf hin, dass der Anteil bei Männern und Frauen eigentlich ungefähr
gleich groß ist. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern
könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich Frauen eher in
psychiatrische Behandlung begeben und dass bei Männern eher eine
narzisstische, antisoziale oder andere Persönlichkeitsstörung
diagnostiziert wird. Wegen dieser und anderer Überschneidungen weisen
viele Fachleute darauf hin, dass es an Belegen für eine solche Unterscheidung
mangelt. Sie plädieren stattdessen für ein so genanntes dimensionales
Modell, das eine einzige, breit angelegte Diagnose
»Persönlichkeitsstörung« vorsieht und unter anderem durch die Schwere
der Symptome charakterisiert.
Andere Experten sprachen sich vehement gegen eine Überarbeitung
des bestehenden Systems aus. Zu ihnen gehörten Gunderson und Bohus. Sie
argumentieren, die vielen Forschungsergebnisse zu spezifischen
Störungen – insbesondere zur BPS – hätten zu maßgeschneiderten
Behandlungen geführt und ein neues Modell würde diesen Fortschritt
zunichtemachen und den Patienten schaden. Die neue Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD), des von der
Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Diagnosesystems, übernahm
ein neues dimensionales Modell, behielt aber eine separate
Borderline-Kennzeichnung bei, um die Anhänger der Diagnose zu beruhigen.
Das DSM, das zuletzt 2013 überarbeitet wurde, behielt die Kategorien
bei, bietet jedoch zusätzlich einen diagnostischen Rahmen für den
dimensionalen Ansatz. (Sowohl das DSM als auch die ICD werden weltweit
verwendet.)
»Es gibt genügend Forschungsergebnisse, die
darauf hindeuten, dass Traumata bei praktisch jeder
Persönlichkeitsstörung eine Rolle spielen können« (Julian Ford, klinischer Psychologe)
Es
gibt viele Unstimmigkeiten. Einige Experten wie Carla Sharp, Leiterin
des Labors für Entwicklungspsychopathologie an der University of
Houston, vertreten die Ansicht, dass die Merkmale der BPD nicht so verschieden
sind von denen der übrigen Persönlichkeitsstörungen. Andere, darunter
Bohus, sind der Auffassung, die BPD sei einzigartig und spezifisch mit
vergangenen traumatischen Erfahrungen verbunden. Wie solche Ereignisse
zu anderen Persönlichkeitsstörungen beitragen, ist dagegen unklar. In
den meisten bisherigen Studien zu Persönlichkeitsstörungen wurden
Menschen mit BPD untersucht, weil sie am häufigsten Hilfe suchen.
Julian
Ford, klinischer Psychologe an der University of Connecticut School of
Medicine, hält Traumata für eine mögliche Ursache für alle
Persönlichkeitsstörungen. »Es gibt genügend Forschungsergebnisse, die
darauf hindeuteten, dass Traumata bei praktisch jeder
Persönlichkeitsstörung eine Rolle spielen können«, sagt Ford. »Welche
Rolle das genau ist – ich weiß nicht, ob wir die Forschungsergebnisse
haben, um das zu bestimmen.«
Einstige Borderline-Therapie: »Abstieg in die Hölle«
Bohus
erinnert sich an die Zeit in seinen ersten Jahren als Psychiater am
Weill Cornell Hospital in White Plains, New York. Dort war er mit zwei
radikal unterschiedlichen Methoden zur Behandlung von BPD konfrontiert.
Bei der einen wurden die Patienten in eine geschlossene Abteilung
gesperrt und mit starken Medikamenten behandelt. Das Klima um sie herum
war feindselig und misstrauisch, und die meisten blieben ein Jahr oder
länger. In der anderen war die Abteilung offen, die Atmosphäre warm und
unterstützend. Die Patienten wurden ermutigt, sich gegenseitig bei der
Entwicklung von Fähigkeiten zu helfen, die es ihnen ermöglichten, ihre
Notlage zu ertragen. Die meisten ging es nach einigen Monaten spürbar
besser und sie konnten die Einrichtung verlassen.
Letztgenannte
Abteilung arbeitete nach einer Methode der US-Psychologin Marsha
Linehan, bei der selbst eine BPD diagnostiziert worden war. Kurz vor
ihrem Schulabschluss wurde sie in eine geschlossene Abteilung einer
psychiatrischen Klinik in Hartford, Connor, eingewiesen. Dort schnitt
sich Linehan mit scharfen Gegenständen die Gliedmaßen auf, verbrannte
sich mit Zigaretten und schlug ihren Kopf auf den Krankenhausboden. Ihre
Ärzte wandten eine Reihe von Behandlungen an, darunter Medikamente,
Elektroschocks, Isolation und Kältetherapie (bei der sie in kalte Decken
eingewickelt und an ein Bett geschnallt wurde).
»Sie
haben sozusagen keine emotionale Haut. Selbst die kleinste Berührung
oder Bewegung kann bei ihnen unermessliches Leid hervorrufen« (Marsha Linehan, Psychotherapeutin)
Linehan
beschreibt diese Zeit in ihren Memoiren als »Abstieg in die Hölle«.
Aber die eigene Erfahrung motivierte sie, ihr Leben der Hilfe für andere
Betroffene zu widmen. Sie identifizierte die Dysregulation von
Emotionen als treibende Kraft der Störung: Menschen mit BPD erlebten
ständig eine Achterbahn der Gefühle. »Borderline-Patienten sind das
psychologische Äquivalent von Patienten mit Verbrennungen dritten
Grades«, sagte Linehan 2009 dem »Time Magazine«.
»Sie haben sozusagen keine emotionale Haut. Selbst die kleinste
Berührung oder Bewegung kann bei ihnen unermessliches Leid hervorrufen.«
Scheinbar unbedeutende Provokationen könnten bei ihnen extreme Wut,
Scham oder Verzweiflung auslösen.
Auf dieser Grundlage entwickelte
Linehan eine neue Behandlung, die sie dialektisch-behaviorale Therapie
(DBT) nannte. Der Name »dialektisch« beschreibt das Gleichgewicht
zwischen Akzeptanz und Veränderung: sich selbst akzeptieren und
schädliches Verhalten ändern. Klinische Studien haben gezeigt, dass die
DBT einige der Symptome wie Selbstverletzungen, suizidales Verhalten und Krankenhausaufenthalte reduziert.
Als
Bohus die DBT in der Praxis erlebte, erkannte er, dass sie den anderen
damals verfügbaren Methoden zur Behandlung von BPS weit überlegen war.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland gründete er die erste auf die
Behandlung von BPD mit DBT spezialisierte Einrichtung des Landes.
Seitdem sind DBT-Kliniken in Europa und den USA weit verbreitet und
wurden auch in Lateinamerika, Asien und dem Nahen Osten eingerichtet.
Trotz der Vorteile der DBT stellte Bohus jedoch im Lauf der Jahre fest,
dass sie bei der Behandlung eines Problems, das viele seiner Patienten
erlebten, an ihre Grenzen stieß: der Traumatisierung.
Auch viele kleine Traumata wirken nach
Die
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wurde 1980 als offizielle
Diagnose in das DSM aufgenommen und war damit die erste psychische
Erkrankung, die durch eine äußere Ursache definiert wurde. Sie beschrieb
einen Zustand, in dem Probleme wie Rückblenden, Albträume und
Angstzustände nach einem schrecklichen Ereignis auftreten. Ähnliche
Beschwerden wie der im Ersten Weltkrieg beschriebene Granatenschock
waren schon seit Jahrzehnten bekannt. Doch erst das Bewusstsein für die
psychischen Bedürfnisse von Vietnamkriegsveteranen gab den
entscheidenden Anstoß.
Anfang der 1990er Jahre schlug Judith
Herman, Psychiaterin an der Harvard University, nach Sichtung der
Literatur über Traumaüberlebende die Diagnose »komplexe PTBS«
vor. Sie sollte ein Bündel von Symptomen beschreiben, die sich aus der
langfristigen Belastung durch extremen Stress ergeben. Diese Probleme,
so Herman, traten auf, wenn eine Person unter der Kontrolle einer
anderen stand, etwa in Gefängnissen, Arbeitslagern oder in manchen
Familien. Dazu zählen Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation,
instabile Beziehungen, pathologische Veränderungen der Identität und des
Selbstbilds sowie selbstzerstörerisches Verhalten.
»Die
derzeitige Formulierung der PTBS-Diagnose geht in erster Linie zurück
auf Beobachtungen an Überlebenden von relativ begrenzten traumatischen
Ereignissen«, schrieb Herman 1992 in einem Aufsatz.
»Sie erfasst nicht die vielfältigen Folgen lang anhaltender,
wiederholter Traumata.« Die Symptome von Menschen mit komplexer PTBS
könnten »zu leicht auf charakterliche Probleme zurückgeführt« und als
Persönlichkeitsstörung fehldiagnostiziert werden.
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Es folgten jahrzehntelange Debatten. Einer der größten
Knackpunkte ist die erhebliche Überschneidung zwischen dieser Diagnose
und der BPD. Lois Choi-Kain, Psychiaterin und Leiterin des McLean
Hospital's Gunderson Personality Disorders Institute, erinnert sich an
die heftigen Auseinandersetzungen in den frühen 2000er Jahren. »Es gab
eine große Kluft und eine fast wütende Kontroverse über die
Unterscheidung zwischen BPD und PTSD oder traumabezogenen Störungen, als
ob sie sich gegenseitig ausschließen würden und als ob nur eine davon
bestehen könnte«, sagt Choi-Kain. Sie spricht von zwei Lagern:
denjenigen, die meinten, die PTBS werde zu Unrecht als
Persönlichkeitsstörung pathologisiert, und anderen, die fanden, viele
Menschen mit BPD hätten zwar ein Trauma in ihrer Vergangenheit erlebt,
dies erkläre aber nicht die gesamte Störung.Eine Kernfrage, die
im Mittelpunkt dieser Debatte stand: Was gilt als Trauma? Obwohl einige
Menschen mit BPD schwere traumatische Erfahrungen gemacht haben und
eindeutig der komplexen PTBS-Diagnose entsprechen, trifft dies auf viele
Betroffene nicht zu.
Eine von ihnen ist die 49-jährige Rebbie
Ratner, bei der vor einem Jahrzehnt eine BPD diagnostiziert wurde. Sie
betreibt den Youtube-Kanal BorderlineNotes,
um das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen. Ratner hat lange
nach einer Erklärung gesucht für ihren emotionalen Schmerz und eine
Reihe anderer Probleme, darunter viele gescheiterte Beziehungen und eine
schwere Essstörung. Sie habe auch die Diagnose einer komplexen PTBS
erwogen. »Es hat mich nie ganz überzeugt«, sagt Ratner. »In meiner
Familie sind einige wirklich psychologisch schwierige Dinge passiert«,
fügt sie hinzu. Aber keines davon sei schwer wiegend genug gewesen, um
die Kriterien für eine traumabedingte Störung zu erfüllen. »Ich glaube,
ich habe Eltern, die mich wirklich lieben.«
In der fünften (und
jüngsten) Ausgabe des DSM umfasst der Begriff Trauma zum einen
Ereignisse, bei denen eine Person selbst und unmittelbar dem Tod, einer
schweren Verletzung oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist. Zum anderen
kann sie Zeuge davon werden, zum Beispiel bei der Arbeit wiederholt mit
solchen Ereignissen konfrontiert sein, oder erfahren, dass ein solches
Ereignis einer nahestehenden Person widerfahren ist.
»Die
Auswirkungen von emotionaler Misshandlung und emotionaler
Vernachlässigung sind in Bezug auf das Gehirn völlig gleichwertig mit
körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch« (Martin Teicher, Psychiater)
Für
viele Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, ist die Sache jedoch
nicht so eindeutig. Die offizielle Definition beschreibt ein Trauma
»mit großem T« – im Gegensatz zum »kleinen T«, dem Trauma belastender
Erfahrungen wie verbalem Missbrauch, Vernachlässigung, Mobbing und
Armut, die nicht als schwer wiegend genug angesehen werden. »Die
Definition von Trauma ist immer äußerst heikel«, sagt Andreas Maercker,
klinischer Psychologe an der Universität Zürich und einer der
Befürworter der komplexen PTBS.
Eine große US-Erhebung erfasste
potenziell traumatische Erfahrungen, die von Gewalt und Vernachlässigung
bis hin zum Aufwachsen in einem instabilen Elternhaus reichen.
Ergebnis: Fast zwei Drittel der Erwachsenen haben mindestens eine solche
Erfahrung gemacht. Neuroimaging-Studien zeigen, dass auch mehrere kleine Traumata bleibende Spuren im Gehirn hinterlassen können, vor allem, wenn derartige Belastungen in der Kindheit oder Jugend erlebt werden, wenn sich das Gehirn noch entwickelt.
Einige
Veränderungen sind sehr spezifisch. So fand man bei Menschen, die in
der Kindheit von ihren Eltern beschimpft wurden, Veränderungen in der
Hörrinde, die mit sprachlichen Schwierigkeiten zusammenhängen. Zu den
umfassenderen Auswirkungen gehören ein verkleinerter Hippocampus (eine
Struktur, die an Gedächtnis und Lernen beteiligt ist), eine erhöhte
Aktivität in der Amygdala (einem wichtigen Zentrum für die
Emotionsregulation) und Störungen in den Verbindungen zwischen diesen
und anderen Hirnregionen.
»Die Auswirkungen von emotionaler
Misshandlung und emotionaler Vernachlässigung sind wirklich sehr tief
greifend«, sagt Martin Teicher, Direktor des Developmental Biopsychiatry
Research Program am McLean Hospital. »Sie sind in Bezug auf die
Auswirkungen auf das Gehirn völlig gleichwertig mit körperlicher
Misshandlung oder sexuellem Missbrauch.«
Untersuchungen von Menschen mit einer BPD-Diagnose
haben Umweltstressoren zu Tage gefördert, die das Risiko für die
Entwicklung der Krankheit erhöhen. Dazu gehören »große T-Traumata« wie
sexueller Missbrauch in der Kindheit und »kleine T-Traumata« wie strenge
Erziehung, Vernachlässigung und Mobbing. Bohus und ein weiterer
Psychiater am ZI, Christian Schmahl, haben zusammen mit ihren Kollegen
herausgefunden, dass Patienten mit BPD und solche mit einer
Trauma-Geschichte einige neurobiologische Veränderungen gemeinsam
haben. Zu diesen Veränderungen gehören strukturelle und funktionelle
Anomalien im limbischen System, das mit Emotionen verbunden ist und die
Amygdala und den Hippocampus umfasst.
Diese Überschneidung, sagt
Schmahl, könnte auf eine Trauma- oder Stresssignatur der BPD hinweisen.
Eine klare Abgrenzung einer solchen neuronalen Signatur ist schwierig,
aber die bisherigen Ergebnisse haben bereits neue
Behandlungsmöglichkeiten eröffnet. Schmahl und seine Kollegen am ZI
testen derzeit, ob ein Neurofeedback-Training der Amygdala, bei dem die
Betroffenen lernen, ihre Hirnaktivität in Echtzeit zu kontrollieren, die
bestehenden Therapien ergänzen kann.
»Traumatische Erlebnisse,
sei es Mobbing in der Kindheit oder Vernachlässigung durch Eltern oder
Betreuer, haben langfristige Folgen für den Menschen. Sie beeinflussen
seine Fähigkeit, anderen zu vertrauen, seine Emotionen zu regulieren und
zu lernen, mit ihnen umzugehen«, sagt Shelley McMain, klinische
Psychologin am Centre for Addiction and Mental Health in Toronto. »Sie
haben weit reichende Folgen in verschiedenen Lebensbereichen.« Deshalb
sei es sehr wichtig, die Auswirkungen negativer Erfahrungen in der
Kindheit in der Therapie zu berücksichtigen.
Geboren mit einem sensiblen Temperament
Einige
Fachleute wie Choi-Kain sind der Ansicht, dass Stress und frühere
Traumata zwar eine große Rolle bei der Entwicklung der
Borderline-Persönlichkeitsstörung spielen, die Störung aber auch noch
andere Komponenten aufweist. So lassen Studien an Familien und an eineiigen und zweieiigen Zwillingen
(die fast 100 Prozent beziehungsweise ungefähr 50 Prozent ihrer Gene
teilen) auf eine genetische Komponente schließen. Solche biologischen
Dispositionen können bedeuten, dass ein Kind mit einem sensiblen
Temperament geboren wird, sagt Carla Sharp von der University of
Houston. Das mache es wahrscheinlicher, dass es schwierige Situationen
als beunruhigend empfindet.
Wie Choi-Kain außerdem feststellte,
hängen Trauma und BPD nicht nur in einer Richtung zusammen.
Borderline-Symptome wie emotionale Dysregulation und Empfindlichkeit
können die Fähigkeit beeinträchtigen, gut zurechtzukommen und zu
kommunizieren, erklärt sie. »Eine Person, die emotional und
zwischenmenschlich sensibel ist, wird impulsiv und wütend auf andere,
wenn sie sich verletzt oder bedroht fühlt, und es besteht die Gefahr,
dass sie missverstanden wird und ablehnende, vergeltende oder
kontrollierende Reaktionen von anderen erfährt.« Diese Schwachstellen
könnten erklären, warum Menschen mit dieser Störung immer wieder mit
sozialen Widrigkeiten konfrontiert werden, sagt Choi-Kain. In einer
Studie mit mehr als 2000 jugendlichen Mädchen ließ sich aus dem
Schweregrad ihrer BPD-Symptome vorhersagen, wie hart das Erziehungsverhalten der Eltern im Folgejahr war.
Dehalb
glaubt Choi-Kain, dass es mehr schaden als helfen könnte, die Diagnose
der BPD durch die einer komplexen PTBS zu ersetzen. »Eine Person kann
BPD entwickeln, weil sie ein sehr schwieriges Blatt auf die Hand
bekommen hat, sowohl biologisch als auch seitens der Umwelt«, sagt sie.
»Und die Menschen mit einem Trauma gesondert zu behandeln – das ist, als
würde man sagen, dass diese Störung nur dann legitim ist, wenn man
schwer traumatisiert wurde.«
Trauma durch Entwertung und Mangel an Fürsorge
Eines
der größten Rätsel ist, warum negative Erfahrungen in der Kindheit bei
manchen Menschen zu Störungen wie BPD, komplexer PTBS, Depression oder
Drogenkonsum führen – bei anderen jedoch nicht. Auf der Suche nach
Antworten führte Teichers Team bildgebende Studien an Personen durch,
die trotz Misshandlung in ihrer Kindheit keine psychiatrische Diagnose
bekamen. Überraschenderweise sah ihr Gehirn dem von Menschen mit einer
Vielzahl von Diagnosen sehr ähnlich – allerdings mit Unterschieden in bestimmten Regionen,
wie der Amygdala. Laut Teicher könnten diese Unterschiede erklären,
warum manche Menschen nicht unter psychischen Nachwirkungen leiden.
Was
anfällig macht, bleibt jedoch eine offene Frage. Wer später eine BPD
entwickelt, ist möglicherweise in einem Umfeld aufgewachsen, das Linehan
als »traumatisch entwertendes Umfeld« bezeichnet. Beispiele dafür sind
ein Mangel an Mitgefühl und Fürsorge seitens der Eltern in Zeiten der
Not, ständige Missbilligung durch Familienmitglieder oder Mobbing durch
Gleichaltrige. Häufen sich solche Erfahrungen, kann das Folgen haben,
wie ein Gefühl der Entfremdung und besonderer Empfindlichkeit gegenüber
Ablehnung, sagt Bohus. »Die meisten unserer Patienten haben wirklich
Mühe, positive Signale anzunehmen, und das alles auf Grund der Erfahrung
einer wiederholten traumatischen Entwertung«, sagt er.<
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Bei Frauen, die in ihrer Kindheit schweren sexuellen
Übergriffen ausgesetzt waren, fanden Bohus und seine Kollegen Hinweise
darauf, dass diejenigen, die darüber hinaus keine Entwertung erfuhren,
erfüllende Partnerschaften aufbauen und ohne psychische Probleme leben
konnten. Entscheidend ist laut Bohus, dass sie immer jemanden hatten,
mit dem sie über ihre Erfahrungen sprechen konnten: »Natürlich ist es
eine Katastrophe«, sagt er, »aber es ist nicht so katastrophal, wenn man
es teilen kann.«Ann sieht in der ständigen Abwertung durch ihre
Eltern die Wurzel ihrer Probleme: »Ich kann mich selbst nicht wirklich
lieben, weil meine Eltern mir gesagt haben, dass ich nicht liebenswert
bin«, sagt sie. »Ich muss jeden Tag dagegen ankämpfen. Jeden Tag wache
ich auf und sage mir, dass ich einen neuen Weg einschlagen will.«
Chronische Entwertung allein kann auch als eine Art kleines Trauma
betrachtet werden – und führt mitunter, ohne dass andere schmerzhafte
oder belastende Ereignisse hinzukommen, zur Entwicklung einer BPD.
Hanna (Name geändert) ist eine Patientin mit BPD am ZI. Sie sagt, der Mangel
an emotionaler Bestätigung, den sie als Kind erfahren hat, habe
wahrscheinlich zu ihrem Zustand geführt. »Ich bin mir nicht ganz sicher,
ob meine Mutter mich geliebt hat oder ob sie sich nur verpflichtet
fühlte, mich zu lieben. Von meinem Vater weiß ich, dass er mich liebte,
aber er war nicht in der Lage, es zu zeigen«, erzählt sie. »Wenn deine
Gefühle von deinen Eltern nicht bestätigt werden, dann lernst du nicht
wirklich, wie Beziehungen funktionieren oder wie du mit deinen Gefühlen
umgehen kannst.«
Die neue Therapie kombiniert zwei bewährte Verfahren
Die
Wohnklinik für Patienten mit BPD und komplexer PTBS in Mannheim ist in
einem der neuesten Gebäude des ZI untergebracht. Die Fassade besteht
größtenteils aus Glas, das Innere ist sauber und hell. Stephanie Mall,
eine junge Psychologin auf der Station, zeigt die Etage, in der die
erwachsenen Patienten untergebracht sind. Die Türen, an denen jeder
Patient seinen Namen aufgehängt hat, sind alle geschlossen, und es
herrscht eine unerwartet ruhige Atmosphäre. »Es ist nicht immer so
ruhig«, sagt Mall. Es ist Nachmittag, die meisten Patienten sind
unterwegs oder machen ein Nickerchen. Viele sind mittags erschöpft von
den Einzel- und Gruppentherapiesitzungen, die vormittags stattfinden,
erklärt sie.
Mall berichtet von einer Patientin, die nach einem
Suizidversuch in die Klinik kam. Sie war sehr krank, äußerst depressiv,
sprach kaum und schnitt sich ständig Wunden in den Arm, die so tief
waren, dass sie genäht werden mussten. Bei ihr wurde zunächst eine BPD
diagnostiziert. »Wir entdeckten gemeinsam, dass sie an einer PTBS litt«,
erzählt Mall. Die Frau hatte schwere sexuelle und nicht sexuelle Gewalt
erlebt. Erst nachdem sie mit dialektisch-behavioraler Therapie und dazu
traumaspezifisch behandelt wurde, zeigte die Patientin Anzeichen einer
positiven Entwicklung. »Sie verletzt sich nicht mehr selbst«, sagt Mall.
Sie sei auch nicht mehr suizidgefährdet. Zuvor sagten alle, sie sei
manipulativ, sie sei streitlustig, sie lehne sich ständig auf – »niemand
fragte, warum«.
Auf der ganzen Welt arbeitet eine Hand voll
klinischer Forschungsgruppen daran, den Schwerpunkt Trauma in die
Interventionen für BPD zu integrieren. Am ZI hat Bohus' Team eine neue
Behandlungsmethode entwickelt, DBT-PTSD genannt, die die
dialektisch-behaviorale Therapie mit einer traumafokussierten Therapie
kombiniert. Dabei wird der Patient in einer sicheren Umgebung Reizen
ausgesetzt, die traumatische Erinnerungen auslösen. Eines der Hauptziele
ist es, den Menschen zu helfen, ihre vergangenen traumatischen
Erfahrungen mit ihrem gegenwärtigen Zustand in Verbindung zu bringen –
und die damit zusammenhängenden Hinweise zu identifizieren, die negative
Gedanken und Verhaltensweisen auslösen. »Man muss diese Hinweise immer
wieder reaktivieren und dem Gehirn beibringen, dass sie nicht mehr
relevant sind«, erklärt Bohus. Die DBT allein ist gut darin, Menschen
die Fähigkeit zu vermitteln, ihre Emotionen zu beschreiben und zu
regulieren, um ihr Verhalten zu kontrollieren. Sie revidiert diese
Hinweise jedoch nur selten.
Bohus und seine Kollegen haben
kürzlich eine randomisierte, kontrollierte Studie in drei Ambulanzen in
Deutschland durchgeführt, um die Wirksamkeit der Behandlung bei Frauen
zu untersuchen, die an einer durch Missbrauch in der Kindheit
ausgelösten PTBS leiden und die Kriterien für eine BPD erfüllen. Ihre
2020 veröffentlichte Studie zeigte, dass sich die Symptome der PTBS und der BPD signifikant besserten, und zwar stärker als nach einer etablierten traumafokussierten kognitiven Therapie.
Das
Team passt nun diese Behandlung für Menschen mit BPD, aber ohne »großes
T-Trauma« an, um speziell die traumatische Entwertung zu behandeln. Die
Forschenden nennen diese neue Methode »structured exposure DBT« oder
SE-DBT. Eine Pilotstudie an zwei deutschen Kliniken und einer Klinik in
Kanada startet 2022. »Ich halte die Konzentration auf die
Traumaverarbeitung in der Psychotherapie für BPD für revolutionär und
wahrscheinlich überfällig«, sagt McMain, die die kanadische Studie
leiten wird. »Die Hoffnung ist, dass sich die Genesung beschleunigt.«
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Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Wohnklinik des ZI
für BPD und komplexe PTBS setzt Anna ihre Therapie nun ambulant fort. Sie
verarbeitet immer noch ihre vergangenen Traumata, doch ihre Fähigkeit,
ihre Gefühle zu kontrollieren, hat sich deutlich verbessert.Viele
Menschen mit der Diagnose BPD und komplexer PTBS haben Schwierigkeiten,
überhaupt eine Behandlung – die oft Monate, wenn nicht Jahre dauert –
zu bekommen, zum Beispiel, wenn sie für ihre Therapie selbst zahlen
müssen, wie in einigen Ländern üblich. Für Peggy Wang, eine
US-Amerikanerin, bei der sowohl eine BPD als auch eine komplexe PTBS
diagnostiziert wurde, besteht deshalb die größte Frage nicht darin,
welche der beiden Diagnosen besser passt. Sie kämpft mit vielen
Problemen, die sie auf den emotionalen und körperlichen Missbrauch durch
ihre Eltern zurückführt, wie Drogenkonsum, einer unsicheren beruflichen
Situation und dem Aufbau von gesunden Beziehungen. Wang erzählt, dass
sie in New York und Kalifornien zehn Jahre lang von Therapeut zu
Therapeut ging. Als sie den richtigen gefunden hatte, konnte sie nicht
mehr als ein paar Sitzungen bezahlen. »Die Etikettierung ist nicht das
Problem«, sagt Wang, »es geht darum, eine Lösung für all das zu finden.«
© Springer Nature Limited
Scientific American, Borderline Personality Disorder May Be Rooted in Trauma, 2022
Nota. - Gr. dià-gnôsis heißt nicht einfach Erkenntnis, sondern Hindurch-Sicht; hindurch nämlich durch die vielen Schleier, Verkleidungen und Maskeraden, denen die Erschei-nungen imtäglichen Leben unterliegen; und hinein ins Wesen, in den Kern der Dinge.
Ewig lange machte die Psychiatrie keinen Unterschied zwischen den Definitionen, die sie anhand beoachtbaren Verhaltens vornahm, und ihren Mutmaßungen über deren "Ursachen". Physische Erkrankungen haben solche Ursachen - schädigende Faktoren, Noxen, die dieses oder jenes Organ angreifen und sein Funktionieren beeinträchtigen. Ein Trauma zum Beispiel wäre eine solche Noxa.
Dass dieses Modell generell auch auf irreguläres Verhalten anwendbar wäre, ist durchaus zweifelhaft. Schon bei physischen Erkrankungen spielt die Art und Weise, wie der Organismus auf die Schädigung reagiert, eine Rolle. Bei krankhaften Störungen, die im psychischen Bereich ihren Ursprung haben, ist es aber typischweise die ausschlaggebende Rolle. Die Suche nach einer ersten Ursache führt viel zu oft in die Irre, denn sie ist naturgemäß oft ohne Ende und hindert den Arzt an pragmatischen Hilfen hic et nunc.
Es war ein bedeutender nicht nur theoretischer, sondern auch therapeutischer Fortschritt, dass das ICD auf die diagnostische Prätention ausdrücklich verzichtet hat und Krankheitsbilder allein anhand beobachtbaren Verhaltens beschrieb und pragmatisch die ersten Behandlungsschritte dort ansetzte, wo sie sich in vergleichbaren Fälle bewährt hatte - versuchsweise und nicht klüger sein wollend als der Patient. Dies Vorgehen verhindert ja in keiner Weise, immer auch nach andern Möglichkeiten Ausschau zu halten, denn es kann ja, wie Alfred Adler zu sagen pflcgte, alles auch ganz anders sein.
Wenn nun Frau Kwon vorschlägt, speziell für die Borderline-Störung zum noxologisch-diagnostischen Verfahren zurückzukehren, bräuchte sie starke Gründe. Dass sie den, wie sie selbst einräumt, hybriden Trauma-Begriff ins Feld führt und dann auch noch auf bloßen Verdacht - 'in vielen Fällen...' - , ist kein straker Grund. Denn meiner Treu, dass in dieser unseren Zeit die Therapeut*innen viel zu selten dem Verdacht nachgingen, irgendwo sei ein sexueller Missbrauch in der Kindheit im Busche, kann man doch nicht wohl sagen. Da hat schon Dr. Freud bei der Hysterie dran gedacht; war aber ein Fehler.
JE
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE