Samstag, 29. Februar 2020

Frauen verdienen mehr, als sie zugeben.

aus FAZ.NET, 11. 2. 2020                                                                    

Frauen verdienen mehr, als sie zugeben
Traditionelle Rollenbilder verleiten Paare zu falschen Angaben. Das legt eine neue Studie nahe. Ist die Lohnlücke womöglich kleiner als gedacht? 

Von Johannes Pennekamp

Männer sollten die Familie ernähren und deshalb mehr verdienen als ihre Partnerin, die sich zu Hause um die Kinder kümmert. Diese gesellschaftliche Norm, die in Zeiten der Gleichberechtigung in den Augen vieler Menschen veraltet ist, sitzt offenbar tiefer in unseren Köpfen als bislang angenommen. Darauf lässt eine Studie schließen, die jetzt vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim veröffentlicht wurde. Michaela Slotwinski und Anja Roth, die beide an der Universität Basel forschen, zeigen in ihrer Untersuchung, dass ein hoher Anteil von Paaren in Umfragen angibt, dass die Männer mehr verdienen – selbst wenn es in Wahrheit umgekehrt ist. „Viele der Befragten passen ihre Antworten so an, dass sie der männlichen Ernährer-Norm entsprechen“, sagt Forscherin Slotwinski.

Männer verdienen im Schnitt deutlich mehr als Frauen. In Deutschland ist ihr Einkommen um 21 Prozent höher als das der Frauen, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Die „bereinigte“ Lohnlücke, die unter anderem berücksichtigt, dass Frauen andere Berufe wählen und häufiger in Teilzeit arbeiten, beträgt hierzulande 6 Prozent. Nur bei etwa jedem siebten Paar verdient die Frau mehr als der Mann.

Gehaltsangaben mit Vorsicht zu genießen

Das ist in der Schweiz, wo die Forscherinnen das Phänomen untersuchten, ähnlich. Die Ökonominnen verglichen amtliche Einkommensdaten mit den Angaben, die Frauen und Männer machten, wenn man sie persönlich danach fragte. Dabei kam raus: „Der Anteil der Paare, in denen die Frau mehr verdient, die jedoch in der Umfrage angeben, sie würde weniger verdienen, liegt bei 34,56 Prozent“, sagt Slotwinski. Jedes dritte Paar gibt also nicht zu, dass die Frau die Hauptverdienerin ist. Interessanterweise mogelten nicht nur die Männer, die Frauen vertuschten ihre höheren Gehälter ungefähr genauso häufig. „Beide Geschlechter wollen offenbar normkonform erscheinen“, schlussfolgert die Ökonomin. Besonders oft vertuschten die Paare ihre Einkommensverhältnisse, wenn Frauen schlechter oder gleich gut ausgebildet waren wie der Mann oder wenn Frauen weniger Stunden arbeiteten und dennoch mehr verdienten.

Ist die Lohnlücke also in Wirklichkeit viel kleiner als gedacht? Wenn die Berechnungen auf Umfragen beruhen, lautet die Antwort nach Meinung der Forscherinnen „ja“. „Läge der tatsächliche Gender Wage Gap bei etwa 10 Prozent, dann würde er basierend auf den Umfragedaten auf 10,9 bis 11,3 Prozent geschätzt“, schreiben sie. Allerdings verlassen sich die Statistiker in Deutschland nicht auf Umfragen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes beruhen auf der sogenannten Verdienststrukturerhebung. Für diese befragt die Behörde alle vier Jahre Betriebe nach den gezahlten Löhnen. Die Mitarbeiter selbst werden nicht befragt.

Dennoch hat die Untersuchung der beiden Forscherinnen praktische Relevanz. Bislang glaubten Forscher, die Gehaltsumfragen analysierten, dass viele Frauen mit Absicht nur so viel arbeiten, dass sie etwas weniger verdienen als ihr Partner. Jetzt zeigt sich, wie sehr solche Gehaltsangaben mit Vorsicht zu genießen sind. Wenn Politiker überlegen, was sie unternehmen müssen, um die Lohnlücke zu verkleinern, sei das eine wichtige Information.

Unser Fuß.

aus scinexx                                                                                                                                zu Jochen Ebmeiers Realien

Nicht das Längs-, sondern das Quergewölbe verleiht dem menschlichen Fuß seine Stabilität
 

Verblüffende Entdeckung: Entgegen gängiger Annahme bekommt der menschliche Fuß seine Stabilität primär von seinem Quergewölbe – der seitlichen Krümmung des Mittelfußes. Erst sie sorgt dafür, dass unser Fuß trotz der enormen Belastung beim Abrollen nicht seine Form verliert, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Diese Erkenntnis hat nicht nur praktische Bedeutung, sie wirft auch ein ganz neues Licht auf die Evolution des menschlichen Fußes und des aufrechten Gangs. 

Unser Fuß ist eine geniale Konstruktion der Natur – und einzigartig für die menschliche Spezies und ihren aufrechten Gang. Während die flachen Füße der Menschenaffen bei jedem Schritt in der Mitte abknicken, bleibt unser Fuß dort steif. Den Grund dafür vermuteten Forscher bisher im Längsgewölbe – der bogenförmigen Wölbung zwischen Ferse und Ballen. Durch ein Geflecht von Sehnen gehalten, stützt dieses Gewölbe den Mittelfuß und verleiht ihm eine elastische Festigkeit – so jedenfalls dachte man. 

Krümmungen im Test 

Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte, wie nun Madhusudhan Venkadesan von der Yale University in New Haven und seine Kollegen herausgefunden haben. Denn der menschliche Fuß besitzt noch ein zweites Gewölbe: das Quergewölbe im Mittelfuß. Und diese bislang biomechanisch kaum untersuchte Komponente ist für die Festigkeit unserer Füße sogar noch viel wichtiger als das Längsgewölbe, wie Experimente enthüllen.
 

Für ihre Studie nutzten die Forscher zunächst ein virtuelles Modell und einen vereinfachten Nachbau des menschlichen Fußes, um die Beziehung zwischen Krümmung und Steifigkeit des Fußgewölbes zu untersuchen. Venkadesan und sein Team veränderten die Gewölbekrümmung dieser Modelle und ermittelten, welchen senkrecht dazu wirkenden Kräften es standhalten konnte.

Quer ist wichtiger als längs 

Das überraschende Ergebnis: Veränderte sich nur die Krümmung des Längsgewölbes, hatte dies entgegen den Erwartungen kaum einen Einfluss auf die Stabilität des Fußes. Anders war dies beim Quergewölbe des Fußmodells: „Wir haben festgestellt, dass Plastikmodelle und Simulationen mit ausgeprägterer Querwölbung schwerer zu biegen sind als flachere“, berichtet Koautor Mahesh Bandi vom Okinawa Institute of Science and Technology.

 
Gewölbe und Kraftwirkungen am menschlichen Fuß

Dies bestätigten ergänzende Biegetests und Kraftmessungen mit den Füßen von menschlichen Leichen. Wurden die Quersehnen im Mittelfuß durchtrennt, sackte das Quergewölbe ab und damit verlor auch der Fuß seine Stabilität, wie die Forscher feststellten. Ihren Messungen zufolge trägt das Quergewölbe mehr als 40 Prozent zur Fußsteifigkeit bei, das Längsgewölbe dagegen nur rund 23 Prozent. 

Gängiges Bild auf den Kopf gestellt 

Das bedeutet: Das seit fast einem Jahrhundert gängige Bild unseres Fußes und seiner biomechanischen Funktionsweise ist überholt. Denn statt des Längsgewölbes spielt das Quergewölbe die Hauptrolle für die besondere Stabilität unserer Füße. Die Wissenschaftler vergleichen sein Wirkprinzip mit dem Wölben einer Banknote oder eines Pizzastücks: Drückt man die Seiten leicht nach oben, hängt das Ende nicht herunter, sondern bleibt gerade.
 

„Das gleiche gilt auch im Fuß“, sagt Venkadesan.“Natürlich ist es dort nicht so einfach wie bei einem Blatt Papier, weil viele andere Gewebe und Strukturen beteiligt sind, aber das Prinzip ist das gleiche.“ Wenn wir unser Gewicht auf die Ballen verlagern, drückt das auflastende Gewicht die Mittelfußknochen auseinander und spannt die Sehnen des Quergewölbes. Dies macht den Mittelfuß steif und sorgt dafür, dass er dem Druck nicht durch Einknicken nachgibt.

Neue Sicht auf Vormenschen-Gang 

Das könnte auch ein neues Licht auf die Evolution des menschlichen Fußes und den Gang unserer Vorfahren werfen. Denn die Fußabdrücke im afrikanischen Laetoli belegen, dass der Vormensch Australopithecus afarensis schon vor 3,4 Millionen Jahren ähnlich lief wie der moderne Mensch, obwohl diese Spezies kein Längsgewölbe im Fuß besaß. Dafür aber besaß der Australopithecus im Unterschied zu Menschenaffen bereits ein leichtes Quergewölbe, was seinem Fuß die nötige Stabilität für den aufrechten Gang verliehen haben könnte.
 

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich ein menschenähnliches Quergewölbe schon vor rund 2,5 Millionen Jahren entwickelt haben könnte – 1,5 Millionen Jahren vor der Entstehung der Gattung Homo“, sagt Venkadesan. „Dies könnte ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum anatomisch modernen Menschen gewesen sein.“ (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2053-y)
Quelle: Yale University, Okinawa Institute of Science and Technology

 
Nadja Podbrega


Nota. - Unsere Hände halten wir für ein Wunderwerk der Evolution. Aber genau besehen unterscheiden sie sich nicht sehr von den Händen der Affen. Wesentlich unterscheiden sich von deren Hinterhänden dagegen unsere Füße. Und die sind zugleich die genetische Bedingung für die Feinstruktur - unserer Hände; die näm- lich verdanken wir dem aufrechten Gang.. 
JE

Bedeutung und Urteil sind Wechselbegriffe.

stuttgarter zeitung                                                                       aus Philosophierungen

Dem Phänomen eine Bedeutung zuschreiben ist das Urteil, dass eines, das erscheint, einem unterliegt, das gilt. Urteilen heißt, über die Bedeutungen befinden. Bedeutung und Urteil sind Wechselbegriffe.

9. 9. 03





Spekulieren heißt ein Schema entwerfen.


Vernunft hat sich selbst zur Voraussetzung. Wie könnte sie sich also beurteilen? Sie müsste sich im Kreise drehen, denn sie stieße überall nur wieder auf sich als Prämisse von allem.

Denn davon, wie sie wurde - nämlich wie sie wurde -, haben wir noch keine Erfahruung machen können - die Vernunft ja immer schon zu ihrer Bedingung hat. Wir können aber im Gedankenspiel so tun, als ob wir einen Gegenstand - Sache, Ding - erfahrungssmäßig kennen gelernt hättenen, und ihn dann im Spiel das tun lassen, was er tun müsste, um schließlich Vernunft als sein Produkt hervorzubringen. Das wäre experimentieren mit einem Schema.

Es wird sich dann erweisen, ob der pp. Gegenstand sich in diesem Experiment bewährt. Da könnte man frei- lich ewig suchen und wäre auf den bloßen Zufall angewiesen, der selbst im Denkexperiment nichts beweist.

Die Wissenschaftslehre fängt darum nicht bei einer beliebigen phantasmagorisch frei eingebildeten Prämise an, sondern bei dem unvermeidlich anzunehmenden Grund der Vernunft, den der erste, kritisch-analytische Gang der Transzendentalphilosophie freigelegt hatte: ein freies Wollen, das sie Ich nennt. Dies war zwar aufgefunden worden; aber nicht in der Erfahrung, sondern selbst nur spekulativ: als ein Schritt hinter das erste/letzte Erfahr- bare zurück. Das Experimentieren mit dem Schema muss hier an die Stelle der Erfahrung treten.

Allerdings verfährt auch die positive empirische Wissenschaft im Prinzip nicht anders. Auch ihre Versuche be- ginnen mit einem spekulativ konstruierten Sachverhalt alias Hypothese, und sie fügt ihn ein in ein in ein vorge- dachtes Schema; aber eines, das sich in füheren Erfahrungen schon bewährt hat. Aber damit ist auch sie nicht fertig. Ob alles klappt, muss sie in jedem Fall erst noch versuchen. In der Mathematik nennt man das, wenn ich nicht irre, eine Vollständige Induktion. Ihre Vollständigkeit macht ihren spekulativen Anteil aus, um dessent- wegen sie - wie übrigens auch alle Erfahrung - nicht einfach reell ist.


PS. Etymologisch wäre es korrekt, auch dieses Verfahren empirisch zu nennen. Denn gr. εμπειρια heißt lediglich 'auf e. Versuch beruhend'; von πειρα- Auch im Denken versucht man; vielleicht öfter als im wirklichen Leben...

Freitag, 28. Februar 2020

Abstraktes Modell und Geschehen in der Zeit.

                                                                                   zu Marxiana 
            
Wir haben gesehn, daß der Productionsproceß im Ganzen betrachtet Einheit von Productions- und Circulati- onsprozeß ist. Bei der Betrachtung des Circulationsprozesses als Reproductionsprozeß (ch. IV Buch II) wurde dieß näher erörtert. Worum es sich in diesem Buch handelt, kann nicht sein allgemeine Reflexionen über diese „Einheit“ anzustellen. Es gilt vielmehr die konkreten Formen aufzufinden und darzustellen, welche aus dem Proceß des Capitals – als Ganzes betrachtet – hervorwachsen. ❲In der wirklichen Bewegung der Capitalien tre- ten sie sich in solchen konkreten Formen gegenüber, für die die Gestalt des Capitals im unmittelbaren Produc- tionsprozeß, wie seine Gestalt im Circulationsprozeß nur als besondre Momente erscheinen. Die Gestaltungen des Capitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, im gewöhnlichen Bewußtsein der Productionsagenten selbst, und endlich in der Action der verschiednen Capitalien auf einander, der Concurrenz auftreten.❳
__________________________________________________  
K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-65,  MEGA II/4.2.; S. 7 


Nota. - So beginnt der II. Band des ersten Versuchs von Marx, das in den Grundrissen gesammelten sachlichen und logischen Stoffs in eine intelligible Form zu bringen. Doch schon in diesem geplanten zweiten Band läuft er ihm aus dem Ruder: Denn was folgt, sind viele Seiten voller mathematischer Formeln ohne irgendeine be- griffliche Entwicklung. Insofern muss obige Einleitung erstmal für sich stehen. 


Das kann sie aber auch. Man muss sie nur wörtlich nehmen: Im I. Band wurde keineswegs die Bewegungen des Kapitals beschrieben, so wie sie in Raum und Zeit vorkommen, sondern wurde ein abstraktes Modell entworfen, das anzeigt, worauf die wirklichen Bewegungen der Marktakteure hinauslaufen, wenn man sie in ihrem Gesamtzusam- menhang betrachtet. Diesen Zusammenhang hat der Autor für unser besseres Verständnis vorab in Begriffen dargestellt, damit wir verstehen, worin der Sinn des ganzen kapitalistischen Systems besteht. 

Was wirklich geschieht, soll dagegen erst ab diesem II. Band beschrieben werden. Denn tatsächlich wäre anders- herum gar nicht zu verfahren. Faktisch ist das Geschehen auf dem Markt ein unübesichtliches Durcheinander, wo eine Aktion die andere durchkreuzt. Was man in disem Satz gesagt hat, muss man im nächsten schon wieder zurücknehmen. In der bloß empirischen Beschreibung wäre der Prozess dere kapitalistischen Produktion ein bloßes Chaos ohne Anfang und Ende. Wie gut er es auch selber verstanden haben möchte - rein empirisch kann der Wissenschaftler, der erklärtermaßen kritische zumal, die kapitalistische Wirtschaftsweise in ihrem zeitlichen Verlauf gar nicht beschreiben.

Das ist der theoretisch springende Punkt: Das Modell war jenseits von Raum und Zeit, im bloßen Begriff sozu- sagen, und ob es zur Darstellung des wirklichen Geschehens taugt, muss sich erweisen, indem man die Zeit in das statische Modell einführt.

Und damit beschäftigen sich Marxens endlose mathematischen Formeln auf den folgenden Seiten.
JE





Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

L'art pour l'art.

Kandinsky         zu Geschmackssachen
 
Mit der Kunst ist es wie mit jeder produktiven Tätigkeit: Wenn man sie nicht als Selbstzweck betreibt, wird nichts draus. 

Von Kandinsky heißt es, er habe über Sinn und Zweck der Kunst manch esoterischen Schwulst geschrieben. Ich habe das nie gelesen. Was der Künstler über sein Werk sagt, ist diskursiv zu beurteilen, wenn man sich für so- was interessiert, aber nicht ästhetisch. 




Was liegt schon an Wörtern?

wandernbonn                              zu Geschmackssachen

Wenn dir sonst kein Kraftwort einfällt, sag einfach: massiv.





Der Bilbao-Effekt.

Bilbao. Rechts unten das Guggenheim-Museum                                                                                                               zu Geschmackssachen

"Es gibt Momente, da muss Architektur ikonografische Prägnanz liefern. In Bilbao ist das gelungen. Das Museum ist der neue Nabel der Stadt. Das gesamte Koordinatennetz läuft dort zusammen. Das Museum übt eine Zentripetalkraft auf die Stadt aus, zieht sie in sich hinein. Ganz Bilbao scheint den Blick auf das Guggenheim zu richten." Das sagte Gehrys spanischer Kollege Rafel Moneo im Interview. Und tatsächlich ist die Zeit gekommen, wo man den Architekten von Bilbaos Guggenheim Museum in Schutz nehmen muss, aber nicht zuletzt gegen sich selbst. Noch vor Zaha Hadid, Libeskind und all den Herzogs und de Meurons steht er für das gegenwärtige Starsystem in der Architektur mit ihren grotesken Creationen, deren hauptsächliches ästhetisches Merkmal die Originalität mit allen Mitteln ist: der wahre Bilbao-Effekt.



Den hätte es aber nie gegeben, wäre nicht Gehrys Coup an der Biskaia damals ein architektonischer Volltreffer gewesen. Bilbao war bis dahin in ganz Spanien - woanders kannte man das Kaff ja nicht, Spanienreisende machten einen Bogen darum - berüchtigt durch sein "Image einer hässlichen, grauen, schmutzigen Stadt": so formuliert es die wikipedia.  


 Baracaldo, Altos Hornos de Vizcaya

Dabei ist die Stadt am äußersten Ende der Bucht von Biskaia malerisch gelegen. Zwischen den zerklüfteten Ausläufern der kantabrischen Berge an einer langen, schmalen, sich langsam öffnenden Flussmündung gelegen, verspricht sie dem Reisenden, der sich ihr zu Lande oder zu Wasser nähert, eine Wohltat für die Augen. Ist er aber drin in der Stadt, fällt er in ein graues Loch. Das einzig Ansehnliche, das Viertel Casco Viejo, konnte sich zu einem
wirklichen Zentrum nicht entwickelt, das Flusstal war zu eng, die Stadt konnte nur flussab- oder flussaufwärts wachsen, und Casco Viejo liegt zudem auf dem schmaleren Flussufer. Als im neunzehnten Jahrhundert die Industrie explosionsartig wuchs, wucherte sie naturgemäß flussab dem Hafen zu, und es waren die Hochöfen, die seither Bilbaos Bild geprägt haben. Das einzige städtebauliche Erbstück, das die Gründerjahre Bilbao hinterlassen haben, ist die Plaza Moyúa, die aber auch nicht viel eignes Gesicht hat.


 Plaza Moyúa

In den siebziger Jahren brach in Bilbao wie überall in der Welt die Stahlindustrie zusammen. Sie hinterließ der Stadt einen ganzen Kosmos von Hässlichkeit. Mit Kosmetik war es nicht getan. Sollte die Stadt eine Zukunft bekommen, war ein echter Neustart nötig.












 
Es musste ein Kracher her, den man weit über Spaniens Grenzen hörte, und den haben die Stadtväter auch bekommen:










Um zu gewinnen, muss man wagen, da waren sie bei Gehry an den richtigen Mann geraten. Ein Gebäude, das an seinem klug gewählten Platz den Charakter eine ganzen Stadt umprägt! Es war ja nicht Gehry allein.


Arquitectos Juan Coll-Barreu & Daniel Gutiérrez Zarza


Rafael Moneo, Unversitätsbibliothek

Jetzt ist Bilbao ein Markenzeichen, und alle kommen, wenn gerufen wird.




Das ist für die Insel im Fluss, die Ría, vorgesehen.

Aber auch in anderer Hinsicht ist Bilbao inzwischen ein Markenzeichen, und ich stelle mir vor, dass Gehry sich darob inzwischen mehr als einmal vor Wut in den großen Zeh gebissen hat. Denn n icht nur von ihm wollten seither alle 'sowas wie in Bilbao', und er war so schwach, sich drauf einzulassenn, und das ist dabei herausgekommen:




















Es ist Kitsch.

Und man stellt verblüfft fest, dass diese erzwungene Originalität merkwürdig eintönig ist. Das liegt aber nur an Protz und Pomp, gar nicht so sehr an Gehrys geschmacklichen Vorlieben. Wo er's auch mal eine Nummer kleiner tut, und dann auch wieder am rechten Platz, ist es auf seine Art wieder ganz in Ordnung, wie damals in Bilbao:





Das Möbelmuseum MARTA liegt beim ostwestfälischen Herford,
außerhalb einer von Krieg und Nachkriegszeit ziemlich unversehrten Kleinstadt und ihrer Wallanlage. Ein bisschen was Krasses muss da schon sein, sonst gehn sie alle in die Fußgängerzone Kaffee trinken. Aber allzu krass nun auch wieder nicht, sonst drückt es das Städtchen beiseite (und wird viel zu teuer).

Würde Gehry sowas eigentlich gern öfter machen? 

Dass ihn Viele nicht mehr für seriös halten, hatte aber seinen Ursprung schon in Bilbao selbst. Denn das Museum, damals noch ein Unikat und archtektonischer Leuchtturm, wurde von anbeginn verhöhnt und veralbert, indem man ihm programmatisch den Puppy von Jeff Koons vor die Nase setzte:







Damit nicht genug. Zur Seite bekam es diese Alberei:





Es ist eine Arbeit von Louise Borgeois und gehört zum Bestand des Museums. Aber mit neun Metern Höhe hat es drinnen keinen Platz gefunden, und nun wird es draußen von Puppy ebenso ins Lächerliche gezogen wie Gehrys Bauwerk. Den wird man nicht nach seiner Meinung gefragt haben, denk ich mir. Andernfalls hätte er den Ruch der Unseriosität verdient, der ihm seither anhaftet. 


Und auch die lächerliche Brücke gleich nebenan.



Die war allerdings schon vor ihm da.


24. 12. 13




Nota. Die obigen Bilder gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.