Frauen verdienen mehr, als sie zugeben
Traditionelle Rollenbilder verleiten Paare zu falschen Angaben. Das
legt eine neue Studie nahe. Ist die Lohnlücke womöglich kleiner als
gedacht?
Von Johannes Pennekamp
Von Johannes Pennekamp
Männer
sollten die Familie ernähren und deshalb mehr verdienen als ihre
Partnerin, die sich zu Hause um die Kinder kümmert. Diese
gesellschaftliche Norm, die in Zeiten der Gleichberechtigung in den
Augen vieler Menschen veraltet ist, sitzt offenbar tiefer in unseren
Köpfen als bislang angenommen. Darauf lässt eine Studie schließen, die
jetzt vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
in Mannheim veröffentlicht wurde. Michaela Slotwinski und Anja Roth,
die beide an der Universität Basel forschen, zeigen in ihrer
Untersuchung, dass ein hoher Anteil von Paaren in Umfragen angibt, dass
die Männer mehr verdienen – selbst wenn es in Wahrheit umgekehrt ist.
„Viele der Befragten passen ihre Antworten so an, dass sie der
männlichen Ernährer-Norm entsprechen“, sagt Forscherin Slotwinski.
Männer verdienen im Schnitt
deutlich mehr als Frauen. In Deutschland ist ihr Einkommen um 21
Prozent höher als das der Frauen, hat das Statistische Bundesamt
errechnet. Die „bereinigte“ Lohnlücke, die unter anderem
berücksichtigt, dass Frauen andere Berufe wählen und häufiger in
Teilzeit arbeiten, beträgt hierzulande 6 Prozent. Nur bei etwa jedem
siebten Paar verdient die Frau mehr als der Mann.
Gehaltsangaben mit Vorsicht zu genießen
Gehaltsangaben mit Vorsicht zu genießen
Das ist in der Schweiz, wo die Forscherinnen das Phänomen untersuchten, ähnlich. Die Ökonominnen verglichen amtliche Einkommensdaten mit den Angaben, die Frauen und Männer machten, wenn man sie persönlich danach fragte. Dabei kam raus: „Der Anteil der Paare, in denen die Frau mehr verdient, die jedoch in der Umfrage angeben, sie würde weniger verdienen, liegt bei 34,56 Prozent“, sagt Slotwinski. Jedes dritte Paar gibt also nicht zu, dass die Frau die Hauptverdienerin ist. Interessanterweise mogelten nicht nur die Männer, die Frauen vertuschten ihre höheren Gehälter ungefähr genauso häufig. „Beide Geschlechter wollen offenbar normkonform erscheinen“, schlussfolgert die Ökonomin. Besonders oft vertuschten die Paare ihre Einkommensverhältnisse, wenn Frauen schlechter oder gleich gut ausgebildet waren wie der Mann oder wenn Frauen weniger Stunden arbeiteten und dennoch mehr verdienten.
Ist die Lohnlücke also in Wirklichkeit viel kleiner als gedacht? Wenn die Berechnungen auf Umfragen beruhen, lautet die Antwort nach Meinung der Forscherinnen „ja“. „Läge der tatsächliche Gender Wage Gap bei etwa 10 Prozent, dann würde er basierend auf den Umfragedaten auf 10,9 bis 11,3 Prozent geschätzt“, schreiben sie. Allerdings verlassen sich die Statistiker in Deutschland nicht auf Umfragen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes beruhen auf der sogenannten Verdienststrukturerhebung. Für diese befragt die Behörde alle vier Jahre Betriebe nach den gezahlten Löhnen. Die Mitarbeiter selbst werden nicht befragt.
Dennoch hat die Untersuchung der beiden Forscherinnen praktische Relevanz. Bislang glaubten Forscher, die Gehaltsumfragen analysierten, dass viele Frauen mit Absicht nur so viel arbeiten, dass sie etwas weniger verdienen als ihr Partner. Jetzt zeigt sich, wie sehr solche Gehaltsangaben mit Vorsicht zu genießen sind. Wenn Politiker überlegen, was sie unternehmen müssen, um die Lohnlücke zu verkleinern, sei das eine wichtige Information.
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