Mattheuer, Die Flucht des Sisyphus, 1972 ausMarxiana
Der wirkliche Reichtum
der Gesellschaft und die Möglichkeit ständiger Erweiterung ihres
Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der
Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder
reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht. Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da,
wo das Arbeiten, das durch Not und bloße Zweckmäßigkeit bestimmt ist,
aufhört; es liegt der Natur der Sache nach jenseits der eigentlichen
materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der
Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu
erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss
es in allen Gesellschaftsformationen und unter allen möglichen
Produktionsweisen. Mit seiner Ent-wicklung erweitert sich dies Reich der
Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse [sich erweitern]; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem
Gebiete kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die
assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur
rationell regeln, unter ihre gemeinsame Kontrolle bringen, statt von
ihnen als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem
geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur
würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollzieht. Aber es bleibt immer
ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche
Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das aber nur auf jenem
Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist ihre Grundbedingung. _______________________________________ Karl Marx. Das Kapital III,MEW Bd. 25, S. 826
Das Verhältnis des Mannigfaltigen zu einander nennt man die Form. ___________________________________________________________________________________ J. G. Fichte, Grundlage der Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre,SW III, S. 60
Nota.Die Überschrift ist eine Schlussfolgerung aus dem Zitat. Nur Verhältnismäßiges hat eine Form. Verhält- nismäßigkeit alias Relation ist der Gegensatz zu Qualität, Washeit - nicht Quantität; die ist selber nur eine Rela- tion. Qualitäten als solche verhalten sich zu nichts.
Als solche wahrgenommen werden Qualitäten freilich im Verhältnis zu andern Qualitäten. So wird süß süßer im Vergleich mit salzig. Relativ süßer. Relation ist Form, Qualität ist Stoff. (Was ich allerdings als einen Stoff ansehe im Unterschied zu seiner Form, ist relativ. Denn ein Verhältnis haben sie ja nur durch mich.) JE
Nota.Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden.
Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog>
Wer nicht sehenden Auges riskiert, sich lächerlich zu machen, ist für die Wissenschaft verloren. Er macht wie die blinde Henne höchstens zufällig mal einen Fund.
aus FAZ.NET, 18. 3. 2019 Warum Frauen so wenig verdienen
Unter gleichen Bedingungen verdienen Frauen durchschnittlich zwei Prozent weniger als Männer.
Von Patrick Bernau(Text)
Jens Giesel(Grafik)*
Frauen werden in der Arbeitswelt diskriminiert – so heißt es oft.
Doch die wichtigeren Gründe für die Gehaltsunterschiede zwischen Männern
und Frauen liegen im Privatleben.
Wie
es an diesem Montag in Deutschland klingt, das kann jeder schon
auswendig. „Frauen werden unfair bezahlt“, wird es dann heißen. Denn an
diesem Montag ist „Equal Pay Day“, also der Tag, bis zu dem Frauen
unentgeltlich gearbeitet haben, während die Männer schon seit dem ersten
Tag des Jahres ordentlich verdienen. So wird die amtliche Statistik
allgemein interpretiert.
Keine Frage: Frauen
bekommen weniger. Im Durchschnitt verdienen Frauen 17,09 Euro je Stunde,
Männer 21,60 Euro. Woran das liegt, dazu gibt es eine Geschichte, die
immer wieder erzählt wird und die Frauen eine Opferrolle zuweist. Sie
geht in etwa so: Die Chefs in den Unternehmen sind meistens Männer. Die
wissen die Arbeit der Frauen nicht zu schätzen, auch weil die oft so
bescheiden auftreten. Also bekommen die Frauen weniger Gehalt. Hat nicht
erst ein Fall bei der Investmentbank UBS gezeigt, dass arbeitende Mütter jahrelang weniger Bonus bekamen?
Das führt dazu,
dass die Frauen weniger Geld in die Familie einbringen als der Mann.
Also müssen sie sich zu Hause um die Kinder kümmern, während der Mann
Karriere machen darf. Sogar wenn die Frau mehr arbeiten würde, hätte sie
nur mehr Stress: Die Hausarbeit und die Organisation der Familie
blieben ohnehin an ihr hängen, weil sich die Männer erfolgreich drücken.
Auch das Ehegattensplitting trägt dazu bei, dass sich eine richtige
Berufstätigkeit der Frau nicht rechnet. All das könnte sich ändern, wenn
nur mehr Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der Unternehmen
vertreten wären.
So geht die
eine Erzählung. Es gibt aber auch noch eine andere. Die läuft so: Junge
Frauen verdienen in den gleichen Berufen ungefähr genauso viel wie
Männer. Weniger wird es nur, wenn sie sich für schlechter bezahlte
Berufe entscheiden. Sie haben eben noch andere Werte als Geld. Oft
heiraten sie aber Männer, die ein kleines bisschen älter sind und einen
lukrativeren Beruf haben. Deshalb verdienen sie weniger als ihr Ehemann.
An die Erziehung der Kinder stellen sie hohe Anforderungen, also
übernehmen sie den Großteil der Kinderbetreuung.
Während die
Frauen nur noch Teilzeit arbeiten, machen die Männer Überstunden und
holen sich die Lohnerhöhungen. Zwar haben die Unternehmen sich schon
längst zum Ziel gemacht, Frauen zu fördern – hat nicht selbst Google
gerade erst festgestellt, dass Frauen auf vergleichbaren Positionen
mehr verdienen als Männer? Doch im Karriere-entscheidenden Alter
zwischen 30 und 40 haben sich viele gute Frauen selbst aus dem Rennen
genommen, sie arbeiten ja nur noch 60 Prozent. So werden zur allgemeinen
Überraschung trotzdem immer wieder die Männer befördert.
Die Entscheidung über das Gehalt fällt im Privatleben
Beide Erzählungen enthalten ein Korn
Wahrheit, doch am Equal Pay Day am Montag wird die erste Erzählung die
Debatte dominieren. Dabei ist die zweite Erklärung viel näher an der
Wahrheit, als ihr politisch zugestanden wird. Dass Frauen weniger
verdienen als Männer – diese Entscheidung wird eher im Privatleben als
bei der Arbeit getroffen.
Dieser Artikel ist aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Wenn Sie mehr davon lesen wollen, testen Sie die F.A.S. doch einfach als digitale Zeitung. Wie es geht, erfahren Sie hier... Mehr erfahren
Das zeigt schon
die bekannteste Analyse der Gehaltsunterschiede. Seit Jahren spricht
Deutschland über den Unterschied zwischen der „Lohnlücke“ und der
„bereinigten Lohnlücke“: Frauen verdienen je Arbeitsstunde über 20
Prozent weniger als Männer, meldet das Statistische Bundesamt. Doch wenn
die Statistiker vergleichen, wie viel Frauen auf vergleichbaren Stellen
verdienen, dann landet man plötzlich bei „höchstens sechs Prozent“
Lohneinbußen für Frauen – die sogenannte bereinigte Lohnlücke.
Doch selbst
diese Zahl überschätzt die Gehaltsunterschiede kolossal. Denn die
Statistik hat einen wichtigen Mangel: Sie weiß nicht, ob jemand
Elternzeit genommen hat. Sie weiß nur, wann die Leute angefangen haben
zu arbeiten. Sie vergleicht also nach zehn Jahren oft Männer mit zehn
Jahren Berufserfahrung und Frauen mit ein paar Jahren Berufserfahrung
und ein paar Jahren Elternzeit. Kein Wunder, dass Frauen da weniger
verdienen.
Warum Frauen weniger als Männer verdienen, in Prozentpunkten*
Am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut hat deshalb die Ökonomin Christina Boll mit Kollegen andere Daten gesucht und die Lohnlücke noch einmal berechnet.
Sie stellte fest: Mehr als fünf Prozentpunkte der Lohnlücke gehen
darauf zurück, dass Frauen weniger Berufserfahrung haben als Männer.
Übrig bleibt in dieser Rechnung eine Gehaltslücke von rund zwei Prozent.
Egal, wie man es misst: Die Gehaltsunterschiede sind anfangs klein und
wachsen erst nach dem 30. Geburtstag, also wenn die Kinder kommen.
In Westdeutschland ist beliebt, dass Frauen nur Teilzeit arbeiten
Und warum sind es in Deutschland so oft die
Frauen, die Elternzeit nehmen und Teilzeit arbeiten? Das wurde an einem
Freitagmorgen Anfang des Jahres in Atlanta deutlich. Im sehr
futuristischen Marriott-Hotel trafen sich in einem fensterlosen kleinen
KonferenzraumÖkonomen aus der ganzen Welt, die die Bezahlung von Männern und Frauen erforschen. Dort wurde verglichen, was mit Frauen geschieht, wenn sie Kinder bekommen.
Schweden, Österreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten wurden
analysiert – doch nirgends verloren die Frauen in den Jahren nach ihrer
ersten Geburt so viel Gehalt wie in Deutschland. Mütter verzichten in
Deutschland durchschnittlich auf mehr als die Hälfte des weiteren
Gehaltes – wegen Elternzeiten, Teilzeitarbeit und verlorenen
Karrierechancen.
Liegt das nur
daran, dass Plätze in deutschen Kinderkrippen so rar sind? Nein, glaubt
Josef Zweimüller, Volkswirt an der Universität Zürich, der diesen
Vergleich mit erarbeitet hat. Er weiß: Wie sich die Gehälter von Frauen
entwickeln, hängt von den gesellschaftlichen Vorstellungen in den
Ländern ab. Und die sind in Deutschland oft ganz klar: Wenn Frauen
Nachwuchs haben, arbeiten sie weniger.
Dass Frauen mit
Schulkindern Vollzeit arbeiten – im Vorzeigeland der
Gleichberechtigung, in Dänemark, finden das 76 Prozent der Bürger gut.
Selbst unter den katholischen Iren finden noch 41 Prozent, dass Mütter
Vollzeit arbeiten sollten. In Westdeutschland aber liegt die Zustimmung
nur bei 22 Prozent – und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen. Der
Grund, aus dem viele Frauen für die Kinder zu Hause bleiben, ist
einfach: Deutschland will das so. Zumindest der Westen. In
Ostdeutschland findet Vollzeitarbeit eine gesellschaftliche Mehrheit,
dort ist auch die Gehaltslücke deutlich niedriger.
Es zeigt sich
ein großer Unterschied zwischen den Forderungen von
Familienpolitikerinnen und den Prioritäten der Westdeutschen. Mancher
ist erst zufrieden, wenn Frauen genauso viel verdienen, also auch
genauso arbeiten wie Männer. Dabei ist das vielen Frauen offenbar gar
nicht so wichtig, wenn sie im Gegenzug Zeit mit der Familie haben
können. Graphik:
Sollten Mütter von Schulkindern in Vollzeit arbeiten? Zustimmung in Prozent*
Vor zwei Jahren
hat die SPD durchgesetzt, dass Unternehmen auf Anfrage
Gehaltsvergleiche zwischen Männern und Frauen offenlegen müssen. Das
fällt nicht immer leicht, aber bis heute haben die Deutschen diese
Möglichkeit kaum genutzt. Eine Evaluation des Gesetzes steht noch aus,
doch von großen Diskriminierungen weiß das Familienministerium bisher
nicht zu berichten. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund nennt keine.
Stattdessen fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack:
„Betriebe müssten verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis zu
überprüfen.“ Sie glaubt: Dass es so wenige Frauen in Vorständen gebe,
liege daran, dass die keine Chance bekämen.
Die statistische Lohnlücke schrumpft so schnell nicht
Das erzählen Praktiker anders. Die
Unternehmen suchen schon teils verzweifelt nach geeigneten Frauen.
„Frauen können an der Spitze der Unternehmen inzwischen teilweise mehr
verdienen als Männer“, sagt Christian Böhnke, der als Headhunter bei
„Hunting Her“ speziell nach Frauen sucht, „jedenfalls wenn sie gut
verhandeln.“ Nur die Verhandlung laufe nicht immer gut. Er erzählt: Vor
kurzem rief ihn eine Frau an, die auf ihrer alten Stelle mehr als
300.000 Euro im Jahr verdient habe. Als er sie gefragt habe, was sie
künftig verdienen wolle, rückte sie in einem fünfminütigen Monolog von
ihren Gehaltsvorstellungen immer weiter ab – bis sie bei 200.000 Euro
ankam, „wenn wirklich alles andere passt“. Böhnkes Fazit: „Frauen ködert
man nicht, indem sie sich einen 7er-BMW statt eines 5ers als
Firmenwagen zulegen können.“
Falls also
Frauen und Männer unterschiedlich arbeiten wollen, wie viel Zwang darf
der Staat dann ausüben, um das anzugleichen? Die Frage könnte
theoretisch bleiben. Headhunter Böhnke stellt fest, dass Unternehmen im
Kampf um gutes Personal sowieso ihre Arbeitsbedingungen so verändern,
dass sie auch Wünschen der Frauen entgegenkommen.
Eines
allerdings wird sich trotzdem so schnell nicht bessern: die statistische
Lohnlücke. Die zeigt nämlich die Löhne sämtlicher arbeitender
Deutscher, auch der 60-jährigen, deren Karriereentscheidungen schon vor
Jahrzehnten gefallen sind. Am Statistischen Bundesamt hat der zuständige
Gruppenleiter Martin Beck ausgerechnet: Selbst wenn junge Männer und
Frauen von jetzt an immer gleich viel verdienen und man die Lohnlücke in
fünf Jahren noch mal ermittelt– „da wird sich nicht viel verändern.“
*) aus technischen Gründen kann ich die Graphiken auf meinem Blog leider nicht wiedergeben.
Nein, das ist keine surrealistische Renaissance-Parodie. Aber wenn man so will, ein Vorläufer: Es stammt von dem flämischen Manieristen Jacob de Backer und wurde um 1580 auf die Leinwand gebracht.
Fragment eines Traums Cy Twombly: Malerei und Skulptur in Basel.
von Volker Bauermeister 2010,
im Jahr vor seinem Tod, fand Cy Twombly einen Platz im Louvre. In dem
Deckengemälde der Salle des Bronzes ist von der bekannten lässig
fahrigen Handschrift aber nichts. Kein Farbenüberschwang wie im
malerischen Spätwerk. Ein befremdend ausdrucksloses Bild ist das da. Und
doch ein Twombly. Der hat sich immer der Erwartung entzogen. Louvre, Deckengemälde, Saal der griechischen Skulpturen Eine
kleine, klar konturierte Ausstellung des augenblicklich geschlossenen
Kunstmuseums Basel in seiner Filiale für Gegenwartskunst zeigt Twombly
in seinen früheren Jahren. Die Zeit bis knapp über 1970 hinaus (nur zwei
Skulpturen sind später datiert) repräsentiert der dafür noch mit
Leihgaben ergänzte museumseigene Werkblock. Mit Twombly exponiert
Museumschef Bernhard Mendes Bürgi nach Frank Stella einen weiteren
Amerikaner. Nun aber einen, der selbst auch in Basel, wo man die
US-amerikanischen Zeitgenossen früher als anderswo in Europa wahrnahm,
erst nach einigem Zögern Aufnahme fand. Mendes Bürgi zitiert einen
Vorgänger im Amt, Franz Meyer, der sich an die Vorbehalte erinnerte. Bei
Twombly missfiel, so Meyer, dass alles "offen, flüchtig" war – und der
Mann obendrein so unverblümt lustvoll.
Untitled, 1954 Die
schwarztonige, deckende Ölfarbe ist als dunkler Grund eingesetzt, in
den die weisstonigen Pinselspuren hineingearbeitet sind und stellenweise
in Grautöne übergehen. Diese Interaktion der Farbmaterie bleibt nicht
auf der Fläche des Gemäldes stehen, sondern erzeugt einen subtilen
Tiefeneffekt: Was scheinbar auf die Oberfläche des Bildes aufgetragen
ist, sinkt in die dunkle Tiefe des Grundes ein. Zusammen mit den sehr
sparsam aufgetragenen Spuren gelber und roter Farbe, die an gezielt
gesetzte Glanzlichter erinnern, zeigt diese Tiefenwirkung Ähnlichkeit
mit den Hell-Dunkel-Effekten und Körpermodellierungen der barocken
Ölmalerei. (Aus dem Begleittext der Ausstellung) Ja,
Twombly gewöhnte sich alles ab, was gewöhnlich erwartet wird, was die
Handschrift betrifft und das Bild als System. Ein Frühwerk von 1954
kehrt auf dunklem Grund abstrakt-expressionistische Gestik quasi ins
Negativ. Schon in die anschließenden römischen Jahre gehört dann "Study
for Presence of a Myth", das als erstes in die Sammlung kam. Ein junger
Amerikaner, der im alten Europa den kulturellen Fond findet! Twombly
rebellierte auf eine andere Weise gegen die etablierte Abstraktion als
die Landsleute und Freunde, die zu Stichwortgebern der Pop Art wurden.
Auf Kulturgeschichte zu rekurrieren, war nicht weniger gewagt als
plötzlich den Alltag zu zitieren. Twombly gelingt beides: unmittelbar
jetzig zu sein und verblüffend poetisch historisch.
Arcadia, Rom 1958 Das
Wechselspiel von Zeichnung und Schrift erzeugt eine Unbestimmtheit, die
sich für das Medium der Malerei als äusserst fruchtbar erweist.
Prozesse des Sehens und des Lesens durchdringen sich spannungsvoll,
beginnen miteinander zu interagieren. Die Malerei wird nicht in den
Bereich der Sprache und Semiotik überführt, sondern das Register
malerischer Möglichkeiten wird bereichert, womit sich ihr neue
Möglichkeiten eröffnen. (Ausstellungstext) "Study
for Presence of a Myth" ist in einen weiß getünchten Grund eher
gezeichnet als gemalt. Die "Studie" wirkt wie eine Notizblockseite im
Gemäldemaßstab. Zahlenreihen, Graphismen, vehemente Streichungen, die
bilden ein zerrissenes Gewölk. Der Titel skizziert noch den Horizont.
"Präsenz eines Mythos". Ein Muster der Welterklärung wäre noch einmal
gefragt? Ausgemalt ist – wie an der späten Pariser Decke mit den ins
linkische Himmelblau geschriebenen Namen der griechisch-antiken
Bildhauer – dann aber gar nichts. Ein nervöses Fragment von etwas. Das
ist es: Bruchstück eines sehnsüchtigen Traums.
Untitled, Rom 1961
Es
wäre verfehlt, die sinnliche Intensität dieses Bildes auf eine
ursprüngliche und quasi präkulturelle Gebärde der Malerhand zu
reduzieren, denn einmal mehr öffnen die figurativen, symbolischen und
schriftlichen Elemente das Bild und bringen es in Verbindung mit einer
kulturellen Ordnung jenseits des spontanen Malakts. So findet die
exzessive Farbigkeit und Gestik eine Resonanz in den zahlreichen Herzen,
in denen die ungezähmte Leiblichkeit auf symbolische Weise gebändigt
und dargestellt wird. (Ausstellungstext) Zur
Malerei findet Twombly wieder zurück. Nicht aber zur volltönenden
Formkunst. Was sich zeigt (im unbetitelten Großformat der Daros
Collection aus dem Jahr 1961) ist rhapsodisch, ruppig, eruptiv. In
freier Liebe lässt Twombly die Farbe blühen, sich in Fleischtönen
entblößen. Hingekritzelte Zeichen bringen Liebesorgane ins Spiel. In
einer Unzahl glücklich sinnlicher Momente wirkt dies Triebgemälde wie
ein Fest ohne Grenzen. Bacchanal. Olymp und durchlebte Niederung in
einem.
Untitled, 1969 (Steib-Schenkung)
Ein
ganz und gar konträres, strikt minimalistisches Stück gibt der
Ausstellung den Anlass. Zum ersten Mal zu sehen ist das Geschenk des
Basler Architektenehepaars Steib an das Kunstmuseum. Ein
flächendeckendes Cremeweiß, darin ein rasch gezeichnetes Rechteck. Von
einer "feinen fensterartigen Öffnung" spricht Mendes Bürgi. Allerdings
versperrt Schraffur den Ausblick, und es ist die milchig helle Fläche
drumherum, die ins Weite weist. Untergründig lässt sie auch Gewesenes
durchscheinen. Das in dem "fensterartigen" Geviert pointierte Hier und
Jetzt schließt so Erinnerung ein. Von der Geschichtlichkeit des Bildes
wäre zu reden.
Nini's painting 1971 Rom
Die
dynamisch gezogenen Linien und die All-over-Technik, mit der das
gesamte Bildfeld gleichmässig und flächendeckend bearbeitet ist,
erinnern an die Drip-Paintings von Jackson Pollock. Die Dynamik von
«Nini's Painting» zeugt dabei weniger von einer kraftvollen Geste als
vielmehr von einer leichten und zarten Linienführung, die dem Bild eine
harmonische Rhythmik verleiht. So wirkt die eigentümliche Verdichtung
von geschichteten Linien und Farbe keineswegs beengend, sondern im
Gegenteil offen und leicht. (Ausstellungstext) Und
lichte Schichtenmalerei des römischen Twombly ist auch "Nini's
Painting". Darin verflicht sich die Handschrift zur Textur und
verwandelt die Fläche zum fluktuierenden Raum. Twombly sehen wir der
Freundin Nini Pirandello nach deren Freitod frei aus dem Handgelenk ein
Grabdenkmal zeichnen oder schreiben. Eine der fünf Fassungen ist in
Basel. In der souveränen Flüchtigkeit klingt Vergänglichkeit an; der
Schreibfluss fasst das dauernde Vergehen in eine klaglose Klage. So
sieht Entgrenzung aus, wenn sie zum Bild wird. Museum für Gegenwartskunst, Basel. Bis 13. März 2016, Di bis So 10-18 Uhr. Und hier noch der Ausstellungstext zu meinem Kopfbild: Das
sichtbar aufgetragene und dabei nicht vollständig deckende Weiss
verbindet die unterschiedlichen Teile zu einem ästhetischen
Zusammenhang, indem es deren materielle Heterogenität der Oberfläche
schafft; andererseits wird durch den sichtbaren Farbauftrag und die
farbfreien Leerstellen die Farbe als Verbindung der Teile selbst
akzentuiert. Nota. - Das kann meine vierjährige Tochter auch,
hat ein namhafter Zeitungsmann wohl gesagt, und das machte die Runde.
Es hängt Twombly - außer bei den Aficionados - bis heute an. Bei vielen,
ach, den meisten Stücken muss man sagen: zu Recht.
Ionisches Meer, 1987. (Das könnte die vierjährige Tochter vielleicht doch nicht, oder höchstens zufällig, aber nicht mit Absicht. Und dann ist ein keine Kunst.) Aber
wenn daraus geschlossen wird, dann könne es keine Kunst sein, denn die
kommt von Können, so wird es falsch. Wenn ihm das gefiel, wenn er es
gerne malte, wenn Andre darauf etwas zu sehen meinen, was sie vorher
nicht kannten - welchen handwerklichen Kanon verlangt man dann noch, und
wieso? Wenn er wiedergeboren würde, würde er alles nochmal genauso
malen, aber keinem Menschen zeigen und für sich behalten, hat er gesagt.
Warum soll man ihm das nicht glauben? Vielleicht
war er wohlhabend und auf den Verkaufspreis nicht angewiesen. Dann
verstünde ich auch, warum ich das Gefühl nicht loswerde: Der Mann hat
das alles zum Hohn auf den Kunstmarkt gemacht. Warum soll ich über meine Bilder reden? hat er gesagt. Ich habe sie doch gemalt. Das reicht. Wenn ich dann lese, welcher Tiefsinn den Ausstellern eingefallen ist, denke ich: Das ist ein Gesamtkunstwerk unter dem Titel Die Selbstreflexivität der Gegenwartskunst und ihres Geschäftsbetriebs.
Untitled 1985 Ich
will aber nachtragen: Das ist ein bisschen ernst gemeint. Es ist
nämlich nicht wahr, dass er nichts konnte. Ich habe einiges aus den 80er
Jahren gesehen - siehe oben -, das man sich gut eine Weile lang
anschauen kann. Vielleicht zeige ich das hier mal, aber vorher will ich
mir doch erst noch ein wenig mehr ansehn. JE 28. September 2015
aus Die Presse.com, 21.11.2014 | 17:04 ausLevana, oder Erziehlehre Gewerkschaft: Nein zu Ganztagsschule Ablehnung für das Konzept der Industriellenvereinigung, das auch eine Gesamtschule vorsieht. Harsche Kritik auch am Ministerium.
Wien.
Die von der Industriellenvereinigung (IV) neu angefachte Diskussion
über das heimische Schulsystem ärgert eine Gruppe ganz besonders: die
Lehrergewerkschaft. „Diese Diskussion bringt uns keinen Millimeter
weiter“, beklagt etwa Jürgen Rainer, Lehrervertreter an den
berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS). Die von der
Industriellenvereinigung vorgeschlagene Einführung einer Gesamt- wie
auch einer Ganztagsschule lehnt der Lehrervertreter dezidiert ab.
Rainers Begründung dafür: „Die Schulform an sich ändert nichts an der
Qualität. Es kommt auf den einzelnen Lehrer und auf das, was in der
Schule passiert, an.“ Insofern nütze der IV-Vorstoß lediglich der
Industriellenvereinigung selbst. „So komme ich als Institution eben ins
Gespräch“, sagt der Lehrergewerkschafter. Harte Worte
fand der BMHS-Lehrervertreter auch gegenüber dem Bildungsministerium.
Dieses mache die Schulen zum „Exerzierfeld für Reformen“. Lehrer seien
ständig mit „widersprüchlichen Vorgaben“ konfrontiert, und das
verunsichere und belaste die Pädagogen. Bei vielen sei mittlerweile der
Eindruck entstanden, dass das Ministerium lediglich eine
„Inkompetenz-Kompetenz“ habe.
Angesichts
neuer Studienergebnisse, die, wie „Die Presse“ berichtete, belegen,
dass Lehrer unter großem Stress und einer hohen psychischen Belastung
leiden, fordert Rainer erneut, mehr Schulpsychologen und Sozialarbeiter einzusetzen.
„Wir fühlen uns in diesem Punkt alleingelassen“, sagt der
Lehrervertreter. Die Hoffnung, dass die Politik hier bald eine Lösung
finde, habe er nicht mehr. (j.n.)
Nota. -Habe
ich was verpasst, bin ich inzwischen voreingenommen? Das kannte ich aus
Deutschland bisher wirklich nicht, dass sich Lehrergewerkschafter gegen die Ganztagsschule stellen. Bei uns war die GEW immer
deren aggressivster Vorreiter, und den standespolitischen Zweck haben
sie nie verhehlt: mehr Stellen, mehr Stellen, mehr Stellen. Sind
Österreichs Lehrer weitsichtiger und ahnen, dass die Stellen gar nicht
bei ihnen, sondern bei den pädagogischen Hilfskräften anfallen werden?
Oder fühlen sie bloß, dass der Wind sich dreht? Dass auch sie nicht aus
pädagogischer Verantwortung, sondern aus Standesinteresse sprechen,
machen sie gleich im Nachsatz klar: Für die Dreckarbeit sollen
Psychologen und Sozialfuzzis angeheuert werden; ihnen selbst ist das zu
lästig.
23. 11. 2014
Nota II. -Was ma da wohl draus geworden sein? Ich hab nie wieder was davon gehört. JE
Vormenschen wie Lucy waren dümmer als moderne Gorillas
Das Gehirn
von Australopithecus afarensis war offenbar weitaus schlechter
durchblutet, als es die Hirne moderner Menschenaffen sind
von Thomas Bergmayr
In der äthiosemitischen Sprache Amharisch wird sie Dinkinesh genannt,
"die Wunderbare", die restliche Welt kennt sie freilich als "Lucy" – eines der berühmtesten vormenschlichen Individuen überhaupt.
Ihre Überreste wurden 1974 im Afar-Dreieck in Äthiopien am Ufer eines
längst versiegten Gewässers von dem US-amerikanischen Paläoanthropologen
Donald Johanson entdeckt, von zeitgenössischen Raubtieren
glücklicherweise unberührt. Dies dürfte einer der Hauptgründe gewesen
sein, warum die 3,2 Millionen Jahre alten Gebeine ein zwar nicht
komplettes (rund 40 Prozent davon sind erhalten), aber sehr gut
interpretierbares Skelett eines Australopithecus afarensis ergaben.
Umstrittene Zuordnung
Die Erstbeschreibung von Lucy sorgte zunächst für Diskussionen,
unter anderem weil die weltbekannten Paläoanthropologen Mary Leakey und
Richard Leakey Einspruch erhoben. Mittlerweile gilt die Zuordnung
allerdings als gesichert. Ob Lucy bzw. Australopithecus afarensis jedoch
tatsächlich einen direkten Vorfahren des modernen Menschen
repräsentiert, ist nach wie vor unbewiesen. Zumindest aber wird eine unmittelbare Verwandtschaft mit der späteren Gattung Homo angenommen. Seinen prominenten Namen erhielt das Lucy-Fossil übrigens von dem bekannten Beatles-Song Lucy In The Sky With Diamonds, der am Tag der Entdeckung im Forschercamp mehrfach vom Tonband abgespielt wurde.
Man geht davon aus, dass es sich bei Lucy um ein Weibchen gehandelt
hat, wirklich belegt ist das jedoch nicht. Zum Zeitpunkt ihres Todes – möglicherweise starb sie durch einen Sturz von einem hohen Baum
– dürfte Lucy zwischen zwölf und 20 Jahre alt gewesen sein. Analysen
der bisher bekannten Skelettteile zeigen ziemlich eindeutig, dass
Australopithecus afarensis bereits aufrecht ging und vermutlich weit über einen Meter groß war. Andere anatomische Merkmale sprechen hingegen dafür, dass Lucy zumindest zeitweise auch auf den Bäumen lebte.
Das Original von Lucys Skelett wird heute in einem Tresor im Nationalmuseum von Äthiopien in Addis Abeba verwahrt.
Die eher kleinen Zähne von Australopithecus afarensis lassen darauf
schließen, dass sich diese Vormenschenart vor allem von Pflanzen und
Nüssen ernährte. Für den Verzehr von Fleisch waren diese Zähne noch
nicht scharf genug. Mit anderen Worten: Lucy war wohl noch keine Jägerin
– eher eine Gejagte, gemessen an den vielen Raubtieren ihres
Lebensraums – und daher vielmehr eine Sammlerin. Wie es um die geistigen
Fähigkeiten von Lucy und ihren Artgenossen stand, ist jedoch bis heute
ein Rätsel.
Die Schädelkapazität von Australopithecus afarensis betrug bis zu 450
Kubikzentimeter, was im Durchschnitt weitaus mehr ist als der Platz,
der den Gehirnen heutiger Schimpansen oder Gorillas zur Verfügung steht.
Und doch dürfte Lucy deutlich "dümmer" gewesen sein als alle modernen
Menschenaffen. Davon zumindest geht ein Team um Roger Seymour von der
University of Adelaide in einer Studie im "Fachjournal Proceedings of
the Royal Society B" aus. Grundlage für diese Annahme ist die
Blutversorgung des kognitiven Teils des Australopithecus-Gehirns, auf
die sich aus der Größe jener Löcher im Schädel der Vormenschen
rückschließen lässt, in denen die Hauptarterien Platz fanden.
Die Wissenschafter glichen die aus elf Australopithecus-Schädeln
gewonnenen Beobachtungen von Arterienverläufen mit jenen von Menschen
und anderen Säugetieren ab und stellten sie den Analysen von 96
Menschenaffen-Schädeln gegenüber. Das überraschende Ergebnis: Die
Gehirne der modernen Menschenaffen, also Schimpansen, Bonobos, Gorillas
und Orang-Utans, sind allesamt wesentlich besser durchblutet, als es
jene von Australopithecus afarensis waren.
Ein durchschnittlicher Berggorilla mag zwar ein geringeres
Gehirnvolumen besitzen als Lucy – und doch ist er vermutlich
intelligenter als sie es war.
Die Synapsenanzahl gilt
"Das Resultat war unter uns
Anthropologen unerwartet, immerhin ging man lange Zeit davon aus, dass
die Gehirngröße in direktem Zusammenhang mit der Intelligenz steht",
sagt Seymour. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nicht
allein die Menge der Hirnzellen, die mit der Gehirngröße korrespondiert,
ein Messwert für die Intelligenz ist, sondern vor allem die Anzahl der
Verbindungen zwischen den Neuronen. "Diese Verbindungen, auch bekannt
als Synapsen, steuern den Informationsfluss im Gehirn. Je größer die
synaptische Aktivität, desto umfangreicher die
Informationsverarbeitung", so Seymour.
Um diese zerebrale Aktivität mit Energie zu versorgen, braucht es
eine entsprechende Blutzufuhr, und die war bei Lucy und ihren
Artgenossen vermutlich nur etwa halb so groß wie beim Gehirn eines
modernen Gorillas, wie das Team um Seymour berechnet hat.