Wissenschaftskritik
Warum die Forschung Querdenker braucht.
Eine der Konventionen des wissenschaftlichen Arbeitens lautet: Man würdigt vorangehende Befunde und knüpft mit der eigenen Arbeit an sie an. Auf grundlegend neue Ideen kommt man so allerdings kaum.
von Christiane Gelitz
Wer psychologische Forschung betreibt, baut in der Regel auf der Arbeit derer auf, die das gleiche Feld beackert haben. »Connected psychology«, so nennt das der Psychologe Dario Krpan von der London School of Economics und meint damit eine an frühere Befunde »gebundene« Psychologie. In den »Per-spectives on Psychological Science« plädiert er dafür, daneben eine disconnected psychology zu etablieren: eine »ungebundene« Psychologie, die sich abseits der Lehrmeinung allein an wissenschaftlichen Prinzipien und Methoden orientiert.
- Querdenken.
- Ist Philosophie eine Sache der Universitäten?
- Apologie des bloggenden Philosophierers.
- In eigner Sache.
Der Kerngedanke: Forscher sollten nicht immer an die Erkenntnisse ihrer Vordenker anknüpfen, denn das begrenze den Spielraum für neue Ideen. Die traditionelle Forschung leide unter solchen Konventionen, vor allem darunter, die Befunde der einflussreichsten Fachleute bevorzugt zu berücksichtigen und originelle eigene Ideen zu vernachlässigen. Viele bahnbrechende Erkenntnisse stammten von Außenseitern wie Albert Einstein, argumentiert Krpan. »Im Allgemeinen scheint sich Wissenschaft dann weiterzuentwickeln, wenn Außenseiter, die nicht mit den dominierenden Forschern ihres Felds arbeiten, neue Ideen einbringen.«
Ähnliche Überlegungen stellte ein Forschungsteam 2019 im »American Economic Review« an. »Bringt jede Beerdigung einen Fortschritt für die Forschung?«, so lautet der Titel der Studie von Pierre Azoulay vom Massachusetts Institute of Technology und seinen Kollegen. Ihre These: Erst das Ableben der Kory-phäen erlaube es den Disziplinen, »sich in neue Richtungen zu entwickeln und die Grenzen des Wissens zu erweitern«. Die engen Kollegen angesehener Wissenschaftler würden nach deren Tod zwar weniger for-schen, umso mehr aber andere Fachkollegen, die zuvor nicht zu widersprechen wagten. Und letztere würden daraufhin auch häufiger zitiert.
Wie Krpan schreibt, hätten schon andere vor ihm auf das »System der fehlenden Diversität« hingewiesen. Mit handfesten Belegen könne er seine These zwar nicht untermauern, räumt er ein. Aber er sieht sie zum Beispiel in der Vielfalt der Sprachen und Kulturen bestätigt. Diese hätten sich nur deshalb so unterschied-lich entwickeln können, weil viele von ihnen über Jahrhunderte wenig Kontakte hatten. Eine gänzlich »un-gebundene« Psychologie hält er allerdings für ebenso falsch. Den größten Erkenntnisfortschritt brächte eine Kombination von beidem: die bewährten Wege weiterzugehen und neue Wege zu suchen.
Nota. - Auf den ersten Blick könnte man meinen, das träfe auf die pp. Geisteswissenschaft eher zu als auf die exakten Fächer. Letztere haben zwar auf die Dauer einen Fundus gesicherter Fakten angelegt. Doch das Problem, wie sie zu sichern sind, haben sie ebenfalls. Und da kommt es überall außer auf die Methoden auch aufs ingenium an.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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