Ein Schalter, der süchtig macht
Drogen
greifen in die Funktion des Belohnungssystems im Gehirn ein. Neuronale
Schaltkreise verändern sich, wenn jemand süchtig wird. Die Forschung des
Neurologen Christian Lüscher zeigt, wie das geschieht.
von Lena Stallmach (Text), Joana Kelén (Infografik)
Dennoch werden «nur» 20 bis 30 Prozent der gelegentlichen Konsumenten süchtig, was bedeutet, dass sie den Konsum nicht mehr kontrollieren können und auch bei negativen Konsequenzen nicht darauf verzich-ten können. Beim Rauchen geht man davon aus, dass dies bei etwa 5 bis 10 Prozent der Personen, die damit anfangen, geschieht.
Aber woran liegt es, dass manche Menschen eine Sucht entwickeln und andere den Konsum gut kontrollie-ren können? Diese Frage beschäftigt Suchtforscher schon seit vielen Jahrzehnten.
Der
Neurologe Christian Lüscher von der Universität Genf sucht tief im
Gehirn nach einer Antwort, näm-lich auf der Ebene der Nervenzellen und
der sie verbindenden Kontakte, der Synapsen. Seit gut zwanzig Jahren
erforscht er die Schaltkreise der Sucht und wird dafür nun mit dem
Otto-Naegeli-Preis ausgezeich-net. Seine Ergebnisse beruhen auf
Untersuchungen bei Mäusen. Doch sie weisen einen Weg auf der Suche nach
medizinisch-therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung von Drogen- und
Esssucht, wie es in der Medienmitteilung der Otto-Naegeli-Stiftung
heisst.
Lüscher begann seine Arbeit in einer Zeit, als man dazu überging, Sucht als eine Erkrankung des Gehirns zu sehen. Jahrzehntelange Forschung hatte gezeigt, dass viele Drogen, ebenso wie gutes Essen oder Sex, das Hirn-interne Belohnungssystem aktivieren. So unterschiedlich Substanzen wie Nikotin, Kokain oder Ecstasy sind – sie alle erhöhen die Menge des Botenstoffs Dopamin im sogenannten Nucleus accumbens, was neurobiologisch wie eine Belohnung wirkt.
Ein besonders starkes Lernsignal
Das tun sie auf verschiedene Art und Weise. So docken Cannabis, Nikotin oder Kokain an unterschiedliche Rezeptoren und Nervenzellen an. Aber immer mit dem gleichen Effekt: In einem zentralen Teil des Beloh-nungssystems, dem Nucleus accumbens, wird mehr Dopamin ausgeschüttet (siehe Infografik). Zu dieser Erkenntnis haben Lüschers Arbeiten wesentlich beigetragen.
Drogen aktivieren das Belohnungssystem
Des Weiteren haben er und sein Team gezeigt, wie die drogenbedingte Dopaminausschüttung die Kommunikation der Nervenzellen langfristig verändert. Dopamin führt dazu, dass Synapsen ausgebaut und verstärkt werden, was die Signalübertragung fördert. Eine solche Verstärkung haben amerikanische Forscher 2001 bei Mäusen bereits nach einer einmaligen Dosis Kokain beobachtet. Allerdings werden solche Veränderungen mit der Zeit auch wieder rückgängig gemacht.
Synapsen werden weiter ausgebaut und damit das Signal verstärkt
Bei
wiederholtem Konsum entstehen aber drogenbezogene Schaltkreise zwischen
verschiedenen Hirnregionen, mit dem Effekt, dass Mäuse ebenso wie
Menschen ein stärkeres Verlangen nach der Droge entwickeln. Dabei
erhalten beispielsweise Erinnerungen an bestimmte Orte oder Personen,
die mit der Drogeneinnahme zusammenhängen, eine besondere Bedeutung. Sie
können den Drang verstärken und sogar viele Jahre nach einem Entzug
einen Rückfall auslösen.
Doch nicht nur die drogenbezogenen Schaltkreise steuern das Verhalten, sondern auch andere Nervenzellverbindungen, die beispielsweise einen Menschen an das unangenehme Gefühl nach der Drogeneinnahme erinnern, an das leere Portemonnaie oder an das Bedürfnis, sich besser um die Kinder zu kümmern. Solange die negativen Konsequenzen einen Menschen davon abhalten können, Kokain zu nehmen oder übermässig Alkohol zu trinken, spricht man nicht von Sucht. Doch bei manchen Menschen kippt das Verhältnis zwischen diesen Schaltkreisen, und das Verlangen nach der Droge ist stärker als alles andere.
Doch nicht nur die drogenbezogenen Schaltkreise steuern das Verhalten, sondern auch andere Nervenzellverbindungen, die beispielsweise einen Menschen an das unangenehme Gefühl nach der Drogeneinnahme erinnern, an das leere Portemonnaie oder an das Bedürfnis, sich besser um die Kinder zu kümmern. Solange die negativen Konsequenzen einen Menschen davon abhalten können, Kokain zu nehmen oder übermässig Alkohol zu trinken, spricht man nicht von Sucht. Doch bei manchen Menschen kippt das Verhältnis zwischen diesen Schaltkreisen, und das Verlangen nach der Droge ist stärker als alles andere.
Belohnung auf Knopfdruck
Lüschers Team bei Mäusen einen Schaltkreis identifiziert, der bei der Entstehung dieses zwanghaften Drogenkonsums eine entscheidende Rolle spielt. Die Forscher arbeiteten dafür mit Mäusen, denen sie eine Art Schalter ins Gehirn eingebaut hatten. Dieser ermöglicht eine direkte Stimulation des Dopaminsystems durch einen Laserstrahl, was dann ähnlich wie eine besonders starke Droge wirkt. Wenn die Mäuse einen Hebel in ihrem Käfig dreimal drückten, folgte die Stimulation der Nervenzellen und damit eine sofortige Belohnung.
Der Schaltkreis der Sucht
Die Forscher untersuchten daraufhin, wie sich die Schaltkreise der süchtigen Mäuse von denen der nichtsüchtigen unterschieden. Dabei machten sie eine verstärkte Verbindung zwischen dem sogenannten orbitofrontalen Kortex im Vorderhirn und dem dorsalen Striatum aus, das ebenfalls Teil des Belohnungssystems ist. Verstärkten die Forscher diese Verbindung bei den nichtsüchtigen Mäusen durch gezielte elektrische Stimulationen, zeigten auch diese Tiere im Experiment mit den Elektroschocks einen zwanghaften Konsum. Schwächten die Forscher die Verbindung dagegen bei den süchtigen Mäusen, konnten sich diese nachher besser beherrschen.
Warum dieser entscheidende Schaltkreis bei einem Teil der Tiere verstärkt wird und bei einem anderen nicht, untersuchen die Forschenden derzeit. Sie nehmen an, dass die beiden Gruppen unterschiedliche Voraussetzungen mitbrachten. Da die Versuchstiere genetisch identisch waren, kann es nicht an den Genen liegen. Zwar ist Suchtverhalten zu einem gewissen Teil genetisch bedingt, wie man aus Zwillingsstudien weiss, doch die psychosozialen Umstände spielen ebenfalls eine grosse Rolle. So weiss man etwa, dass traumatische Erlebnisse in der Kindheit, aber auch langanhaltender Stress das Risiko für eine Suchterkrankung erhöhen. «Solche Erfahrungen schlagen sich auch auf die Biochemie der Zellen nieder, was die Entstehung bestimmter Schaltkreise begünstigen kann. Man spricht von epigenetischen Mechanismen», erklärt Lüscher.
Therapien verbessern
Auch wenn es den Forschern damit noch nicht gelungen ist, die Ursache zu klären, so kann das Wissen über zentrale neurobiologische Schaltkreise wertvoll sein, wenn es um künftige Therapien geht. Zwar sind die Methoden, mit denen sich die Schaltkreise der Sucht durch elektrische Stimulation bei den Mäusen auflösen lassen, nicht für den Einsatz am Menschen geeignet. Denn eine so gezielte Stimulation ist nur möglich, wenn man den Tieren mit gentechnischen Methoden molekulare Schalter einbaut.
Doch haben die Forscher in einer anderen Studie mit Mäusen gezeigt, dass auch eine unspezifische Elektrostimulation wie die Tiefe Hirnstimulation, die etwa bei Parkinsonpatienten zum Einsatz kommt, in Kombination mit Medikamenten eine gute Wirkung erzielt. Dabei wird eine Elektrode in das Gehirn implantiert und kann dort gewisse Areale stimulieren. Das Problem ist nur, dass alle Nervenzellen gleichermassen stimuliert werden: solche, die eine Synapse schwächen, ebenso wie diejenigen, die sie stärken. Deshalb kann sich die Wirkung aufheben.
In Kombination mit einem Medikament, dass die Dopaminrezeptoren blockiert, erzielte die Stimulation jedoch den gewünschten Effekt: Die Synapse wurde geschwächt, und das Suchtverhalten nahm ab.
In der Theorie ist dies eine elegante Lösung. Doch die praktische Umsetzung ist schwierig. Zwar gibt es ein paar Beispiele, bei denen die Tiefe Hirnstimulation bei Suchtpatienten eingesetzt wurde. Aber eine Studie mit mehreren Patienten habe sich noch nicht realisieren lassen, sagt Lüscher. In den Niederlanden hätten Forscher einen Versuch gestartet, aber sie hätten nicht genug Freiwillige gefunden. «Es gibt Tausende Parkinsonpatienten, die bereit sind, sich eine Elektrode ins Gehirn zu implantieren. Doch bei Suchtpati-enten ist dies nicht der Fall», sagt er. Eine Therapie, die auf diesem Konzept beruht, lässt sich derzeit nicht verwirklichen.
Aber das Wissen über die Schaltkreise und synaptischen Veränderungen könne auch sonst für die klinische Forschung genutzt werden, sagt Lüscher, beispielsweise beim Testen neuer pharmakologischer Substanzen. Aber auch für Verhaltenstherapien kann es nützlich sein, um die Problematik des Suchtverhaltens besser zu erklären.
Nota. - Soweit also die Chemie der Sucht. Sie kann aber wohl nicht alles erklären, sonst müssten doch die Testergebnisse stets bei 100% liegen. Der Kernspruch von Alfred Adler bleibt wegweisend: Die Biologie ist eins; was das Subjekt draus macht, ist was andres. Ich war jahrzehntelang Sozialarbeiter und konnte mich des Eindrucks nie erwehren, dass man zu Suchtverhalten charakterlich disponiert sein muss - sich selber nämlich nichts abschlagen kann, was auf mangelnden Abstand hindeutet. Das liegt an der Grenze zum Irrsinn; denn Re flexion ist die Voraussetzung von Vernunft, die ihrerseits Voraussetzung des Zusam-menlebens in westlichen Kulturen ist.
Das seien persönliche Eindrücke, die das Material für Vorurteile abgeben? Dass sie experimentell praktisch nicht geprüft werden können, beweist aber nicht, dass sie sachlich unbegründet sind.
JE
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