Samstag, 18. April 2020

Der bildungsindustrielle Komplex

Doré, Leviathan
aus FAZ.NET, 8. 3. 2019                                                                                                                                           aus Levana, oder Erziehlehre

Leistungsmessungen wie der Pisa-Test werden von einem globalen Netzwerk diktiert, sagt der Soziologe Richard Münch. Der Pisa-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, widerspricht. Ein Streitgespräch. 

Von Martin Wiarda

Herr Münch, in Ihrem neuen Buch warnen Sie vor einem „globalen bildungsindustriellen Komplex“. Die nationale Bildungspolitik werde davon abgehalten, nach ihrer bisherigen Logik zu arbeiten. An ihre Stelle sei ein globales Netzwerk getreten unter der Führung der OECD und anderer Akteure, mit dem OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher als einer der zentralen Figuren.

Richard Münch: In diesem internationalen Netzwerk konzentriert sich die Macht. Seine Akteure sind or-ganisiert im sogenannten Pisa-Konsortium. Das sind die Agenturen und Unternehmen hinter dem interna-tionalen Schulvergleichstest, der global umsatzstärkste Bildungskonzern Pearson gehört genauso dazu wie die größte Testfirma der Welt, der Educational Testing Service (ETS). Aber auch staatlich finanzierte Ein-richtungen sind dabei, der australische Council for Educational Research zum Beispiel oder in Deutschland das Dipf – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Es geht um die Beantwortung der Frage nach dem Wesen von Bildung, das anhand eines angloamerikanischen Modells von Basiskompe-tenzen beschrieben und mit Hilfe von eigens entwickelten Tests abgeprüft wird.

Herr Schleicher, wie fühlt man sich als Zentralfigur des bildungsindustriellen Komplexes?

Andreas Schleicher: Ich weiß nichts von einem solchen Komplex.

...
 

Nota. - Bildungsindustrieller Komplex? "Ich weiß nichts von einem solchen Komplex." Leo Trotzki sagte in Hinblick auf die sich ausbildende Sowjetbürokratie: Die Bürokratie gebietet unerbittlich wie Jehova, du sollst meinen Namen nicht aussprechen.

Wissenschaftlich hat sich PISA selbst desavouiert, als es sich weigerte - bis heute -, nicht nur seine Auswer-tungen, sondern auch die erhobenen Daten, die ihnen zugrunde legen, an die Öffentlichkeit zu bringen. Man kann ihnen glauben oder nicht.
 

Warum sollte man?

PISA ist keine Einrichtung der Erziehungswissenschaften - das wäre zweifelhaft genug -, sondern der Regie-rungen und der Industrie. Es vertritt Interessen, aber das sind nicht die der Bildung, sondern die von Politik und Wirtschaft an Ausbildung für den Markt - den keiner vorausberechnen kann, doch um die Zukunft der heranwachsenden Generation geht es gar nicht, sondern um die kurz- und mittelfristigen Verwertungsbedin-gungen des Kapitals. Ausschuss mag es immer geben, aber das ist nicht dessen Sorge. 
 
Welches seine Erfolgskriterien sind, lässt Schleicher durchblicken: "Glauben Sie, wir hätten ohne Pisa den Trend zur Ganztagsschule bekommen?" Was PISAs übelste Giftbeule ist, liegt im ausschließlichen Interesse des bildungsindustriellen Komplexes. Dass die Ganztagsschule der Bildung nützt, hat seit Jahrzehnten nun schon keiner mehr zu behaupten gewagt, und dass unsere Schulhöfe ein Ort sozialen Lernens und der Inte-gration von Migrantenkindern wären, trauen sie sich auch nur noch bei Gelegenheiten zu sagen, wo sie unter sich und sicher sind, dass von Mobbing und Gewalt keine Anwesender reden wird.

Und im übrigen hat noch nie einer behauptet, PISA wolle selber Macht ausüben. Die Macht, die PISA aus-übt, indem es sie weiterleitet, ist die der Industrie.

8. 3. 19


Nota II. - Nicht zu überhören ist der Anklang an den militärisch-industriellen Komplex, von dem Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsansprache an die Amerikaner geredet hat. Glauben Sie, die  hohe Generalität und die Bosse der Rüstungskonzerne hätten damals "von einem solchen Komplex" je was gehört?
JE 


 

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