
aus nzz.ch, 20.03.2020 zu Geschmackssachen
«Der Kunstmarkt ist lediglich eine Bankierspekulation»
Vincent van Goghs eigene Kunstmarkt-Strategien stellen ein vernachlässigtes Kapitel in der tragischen Erfolgsgeschichte dieses Künstlers dar.
von Manfred Clemenz
«Mein lieber Bruder, wenn ich nicht infolge dieser verfluchten Malerei verratzt und verrückt wäre, was für einen Kunsthändler würde ich abgeben.» Diese Zeilen schrieb Vincent van Gogh im Juli 1888 an seinen Bruder Theo. Van Gogh, der sieben Jahre lang Kunsthändler bei der renommierten Pariser Firma Goupil & Cie war, brachte damit seine Hoffnung zum Ausdruck, ein Erneuerer des Kunstmarkts zu werden, drückte mit seinen Worten aber auch sein wachsendes Leiden an der Kunst aus. Van Goghs Aufstieg zum charisma-tischen Künstler bestand nicht zuletzt auch in seiner ambivalenten, teils idealistischen, teils feindseligen Beziehung zum Kunstmarkt. Van Gogh tritt dabei als exemplarische Figur eines Künstlers in Erscheinung, der von Kollegen und Kritikern zunehmend gefeiert, vom Kunstmarkt jedoch fast vollständig ignoriert wird.

1887
Wie van Goghs Teilnahme an den Ausstellungen im Salon des Indépendants 1888–1890 oder auch seine grosse Resonanz bei der Ausstellung der Vingtistes in Brüssel 1890 zeigen, war er erfolgreicher als häufig angenommen. Doch das wirkmächtige Klischee vom verkannten Genie trug bereits damals zur Verklärung des Künstlers bei. In seiner Pariser Zeit (1886/87) hatte van Gogh eine vergleichsweise rationale Strategie entwickelt, um auf dem Kunstmarkt Fuss zu fassen. Er stellte seine Bilder im Café Tambourin und in den Sälen des Grand-Bouillon-Restaurants du Chalet aus, platzierte Bilder im Schaufenster seines Farbenhänd-lers Tanguy und tauschte Werke mit befreundeten Künstlern. Mit Ausnahme von zwei kleinen Bildern, die er Tanguy für einen Spottpreis verkaufte, blieben seine Bemühungen finanziell aber meistens erfolglos.
Wie van Goghs Teilnahme an den Ausstellungen im Salon des Indépendants 1888–1890 oder auch seine grosse Resonanz bei der Ausstellung der Vingtistes in Brüssel 1890 zeigen, war er erfolgreicher als häufig angenommen. Doch das wirkmächtige Klischee vom verkannten Genie trug bereits damals zur Verklärung des Künstlers bei. In seiner Pariser Zeit (1886/87) hatte van Gogh eine vergleichsweise rationale Strategie entwickelt, um auf dem Kunstmarkt Fuss zu fassen. Er stellte seine Bilder im Café Tambourin und in den Sälen des Grand-Bouillon-Restaurants du Chalet aus, platzierte Bilder im Schaufenster seines Farbenhänd-lers Tanguy und tauschte Werke mit befreundeten Künstlern. Mit Ausnahme von zwei kleinen Bildern, die er Tanguy für einen Spottpreis verkaufte, blieben seine Bemühungen finanziell aber meistens erfolglos.
Zugleich hatte van Gogh eine höchst eigenwillige Beziehung zu den Mechanismen des Markts. Schon früh verkündete er, die Kunsthändler müssten zu ihm kommen, nicht umgekehrt, der Handel mit Kunst sei ledig-lich eine «Bankierspekulation». Seine Schwierigkeiten, auf dem Markt Fuss zu fassen, lagen nicht in einem Mangel an künstlerischem Können oder an der Bereitschaft, sich künstlerisch anzupassen, begründet, son-dern in der Realitätsferne seiner weiteren Pläne für die Vermarktung seiner Werke.
Was die Kunst betrifft, eignete sich van Gogh unter dem kritischen Blick seines Bruders erfolgreich die Neuerungen des Impressionismus und Postimpressionismus an. Theo sah die anfänglichen Schwächen von Vincents Bildern und kritisierte sie schonungslos. Dieser wehrte sich vehement gegen Theos Kritik. Er be-klagte sich bei seinem Bruder, dass dessen Finanzierung von Vincents Lebensunterhalt blosse «Protektion» ohne Wertschätzung seines Werks sei.

1887
Vincent van Gogh schlug dem Bruder deshalb eine «Abmachung», eine Art Festanstellung, vor. Die finan-zielle Unterstützung sollte der Gegenwert für seine Arbeit sein, «und die Frage, ob meine Arbeiten Handels-wert haben, wird dadurch in keiner Weise berührt». Gleichzeitig sollte Theo sich aber weiterhin um den Verkauf kümmern, womit van Gogh in eine fatale Abhängigkeit geriet.
Schulden und Schuldgefühle
Eine Folge davon war, dass sich aufgrund der Unverkäuflichkeit seiner Bilder seine Schulden bei Theo anhäuften. Theo geriet immer stärker in die Rolle eines Mäzens, dem Vincent verpflichtet war – ein fol-genschweres Dilemma. Während seine Schulden und damit seine Schuldgefühle Tag für Tag stiegen, hielt Theo die Bilder Vincents nicht für ausgereift genug und bot sie deshalb auch nicht zum Verkauf an. Als er es 1888 doch riskieren wollte, sperrte sich Vincent dagegen. Er hatte mittlerweile resigniert, er zweifelte an seiner Kunst, die «Hoffnung und der Wunsch, sich durchzusetzen» waren zerbrochen. Nun wolle er nur noch aus «innerer Notwendigkeit», das heisst nicht mehr für den Markt, produzieren.

Gleichzeitig stellte Theo jedoch den Kontakt zu einem kunstverständigen Publikum her, indem er die Bil-der seines Bruders für die Ausstellungen der Indépendants und der Vingtistes einreichte, was Vincent zu-nächst ebenfalls verhindern wollte: Er fühle sich den Vingtistes nicht gewachsen, bekundete er. Durch diese Ausstellungen stieg aber sein künstlerisches Ansehen enorm.
Wenig erfolgreich waren dagegen van Goghs luftschlossartige Konstruktionen eines alternativen Kunstbe-triebs. Sein Plan einer Künstler-Kooperative, den er bereits in Paris entwickelt hatte und den er in Arles 1888 erneut aufgriff, sah vor, dass die Künstler des «Grossen Boulevards» (Monet, Degas, Renoir) mit den Künstlern des «Kleinen Boulevards» (van Gogh selbst, Signac, Seurat, Bernard und Gauguin) einen ge-meinsamen Bilder-Pool schaffen sollten. Bei Verkäufen sollten die Erlöse auf alle verteilt werden. Die re-nommierten Künstler würden sich aus moralischer Verpflichtung an dem Projekt beteiligen. Das Projekt war zum Scheitern verurteilt.

Noch abwegiger war ein Plan, den er ebenfalls in Arles entwickelte: ein internationales Kunsthändlernetz für Impressionisten, mit Filialen in Paris, London und Marseille. Dabei sollte ausgerechnet Hermanus Tersteeg, der Leiter der Den Haager Filiale von Boussod et Valadon (den Nachfolgern von Goupil & Cie), ehemaliger Vorgesetzter van Goghs und seit dieser Zeit sein Intimfeind, als Schlüsselfigur in Erscheinung treten: ein Kunsthändler, der die Impressionisten für Stümper und Kleckser hielt. Tersteeg antwortete nicht einmal auf van Goghs Vorschlag.
Noch einmal flackerte in Vincent van Gogh Hoffnung auf, was den Kunstmarkt betraf, als er sich im Gelben Haus in Arles etabliert hatte. Das Gelbe Haus sollte der Kern eines klosterartig organisierten Künstlerordens mit Gauguin als Abt werden. In seinem anfänglichen Überschwang erklärte sich van Gogh sogar bereit, sich dem populären Geschmack anzupassen, um Gewinn zu erzielen.
Vom Märtyrer zum Künstlergott
Vincents Briefe aus Arles 1888 sind Vorboten einer schweren Krise, in der Gauguins Ankunft in Arles nur ein kurzes hoffnungsvolles Intermezzo darstellte. Der Kunstmarkt trat jetzt völlig in den Hintergrund. Vincent machte Theo gegenüber eine schonungslose Rechnung auf. «Mich hat es nichts weiter gekostet als einen ruinierten Kadaver, mein angeknackstes Gehirn, um so zu leben, wie ich es konnte und musste [. . .]. Aber mein lieber Bruder, meine Schuld ist so gross, dass die Anstrengung, Bilder hervorzubringen, mein ganzes Leben aufgezehrt haben wird.»

Schulden vergifteten nunmehr van Goghs Leben. Jeder kreative Akt vergrösserte seine Schulden und damit seine Schuldgefühle. Das Problem wird zu einer Existenzfrage: «Ich fühle, dass ich bis zur seelischen Vernichtung und völligen körperlichen Leere schaffen muss, gerade weil ich überhaupt kein anderes Mittel habe, unsere Ausgaben je wieder hereinzubringen.»
Es waren verschiedene Umstände, die van Gogh schliesslich zum «Märtyrer» (Meier-Graefe), zum durch die Gesellschaft dazu bestimmten «suicidé» (Artaud) prädestinierten: so etwa das Malen als psychische und finanzielle Existenzfrage, aber auch die Legende des vom Kunstbetrieb verkannten Genies, sodann seine Selbstverstümmelung, sein temporärer Wahn in Arles und Saint-Rémy und nicht zuletzt sein mutmasslicher Suizid. Diese Mischung aus Fakten und Projektionen legte sich wie quasireligiöser Mehltau über seine reale Person, was schliesslich in seiner Apotheose als Künstlergott kulminierte.
Selbstporträt mit bandagiertem Ohr, 1889
Nota I. - Ob seine Krise in Arles nur eine momentane war, ist nachträglich nicht zu beurteilen. Er war offenbar eine schwer gestörte Persönlichkeit und schwankte zwischen Melancholie und Größenphantasie. Auf jeden Fall war sein Antrieb zum Malen nicht in erster Linie ein ästhetischer; die Fährnisse der Selbst-wahrnehmung bewegten ihn mehr: Wollte er die Kunst revolutionieren oder den Kunstmarkt? Wenn auch nachsichtige Betrachter, die vielleicht nur die Arbeiten aus der Provence im Auge haben, sein dortiges "Suchen und Experimentieren" als Ausweis eines "fleißigen und gut organisierten Systematikers" erkennen, sehe ich von seinen ersten Versuchen in Holland bis zu seinen letzten Tage immer wieder nur die Besessen-heit vom Ideal der eigenen unverwechselbaren Handschrift.
Van Gogh ist nicht mein Geschmack. Einige Sachen finde ich richtig gut, aber im großen Druchschnitt zeigen seine Bilder die unfruchtbare Jagd nach der Einzigartigkeit. Dass ich mich trotzdem ziemlich viel mit ihm beschäftige, hat keine ästhetischen Gründe, sondern die von mir geteilte Auffassung des großen Publikums seiner als Urbild des modernen Künstlers.
Nota II. - Einzig Rembrandt hat mehr Selbstporträts gemalt als er. Doch während jener sich unermüdlich selber für Ausdrucksstudien Modell gesessen hat und dabei zum uneingeholten Meister des Porträts wurde, hat van Gogh in die Tiefen seiner Seele geblickt. Was er dabei sah, war so unterschiedlich, dass Sie ihn anhand seiner Selbstporträts nicht wiedererkennen würden, wenn er Ihnen in der U-Bahn gegenübersäße; höchsten Bart- und Haarfarbe kämen Ihnen bekannt vor.
JE
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