Mittwoch, 15. Juni 2022

Ein Autodidakt baut die Kuppel des florentiner Doms.

aus spektrum.de, 15. 6. 2022                                                                                                               zu Geschmackssachen

Kleine Geschichte einer Domkuppel, die ein Quereinsteiger baute
Brunelleschi war kein Architekt, dennoch ergatterte er den Auftrag für den Kup-pelbau zu Florenz. Entgegen den Machenschaften eines alten Widersachers, wie unsere Kolumnisten erzählen.


von Richard Hemmer und Daniel Meßner

Jede Stadt hat ihr Wahrzeichen, wobei manche beeindruckender sind als andere – wie die Kuppel des Doms von Florenz. Das Besondere an diesem Bauwerk: Kein Architekt hatte sie geplant oder den Bau beaufsichtigt, sondern ein Goldschmied namens Filippo Brunel-leschi (1377–1446).

Die Geschichte des Doms begann allerdings Jahrzehnte bevor Brunelleschi auf die Welt kam. Im 13. Jahrhundert war Florenz die Hauptstadt der florentinischen Republik. Und wie andere Republiken Nord- und Mittelitaliens auch wollte sie ihren Status, ihren Reichtum und ihre Macht imposant zur Schau stellen. Vor allem Konkurrenten wie Venedig oder Pisa sollten beeindruckt sein, dass Florenz mit ihnen mithält. Also beschloss man im Jahr 1296, einen Dom zu bauen. Am Ort der Bischofskirche Santa Reparata wurde der Grundstein gelegt, die Aufgabe des Architekten übernahm Arnolfo di Cambio. Er sollte einer von vielen Baumeistern sein.

Kriege mit anderen Republiken und die Pest, die 1347 bis zu ein Fünftel der Bevölkerung dahinraffte, sorgten allerdings dafür, dass die Kathedrale erst Anfang des 15. Jahrhunderts in ihrer ganzen Pracht stand. Sie erhielt den Namen Santa Maria del Fiore.

Doch eine Sache fehlte noch, die Kuppel. Bis 1418 klaffte ein riesiges Loch mit einem Durchmesser von 45 Metern über dem Kirchenbau. Denn es gab schlicht keinen Plan, wie eine Kuppel in solchen Dimensionen tatsächlich baulich zu bewerkstelligen sei.

Kein Plan, wie man eine Domkuppel baut

Die übliche Bauweise mit einem Holzgerüst, um die Bögen zu stützen, hätte zu viel Holz benötigt. Zudem hätte das Gerüst auf Grund der Bauweise mindestens 16 Monate stehen bleiben müssen. In der Zeit wäre das Holz wohl morsch geworden. Doch auch die Kon-struktion selbst versprach nicht sicher genug zu sein. Eine solche Kuppel hätte durch ihr Eigengewicht zu viel Druck auf die Mauern ausgeübt. Es bestand daher die Gefahr, dass das gesamte Gebäude durch die Kuppel zum Einsturz gebracht würde.

Ein neuer Plan musste her. Die Opera, jene Organisation, die mit dem Bau der Kathedrale betraut war, rief deshalb einen Wettbewerb aus. Gesucht wurde eine realisierbare Konstruk-tion für die Kuppel. Und als Preisgeld lockte die hohe Summe von 200 Florentinern.

Es war die Stunde des Filippo Brunelleschi. Als ausgebildeter Goldschmied waren ihm Wettbewerbe nicht fremd. Knapp 17 Jahre zuvor, 1401, hatte Brunelleschi in einem Wett-streit gegen den Goldschmied Lorenzo Ghiberti (1378–1455) verloren. Damals ging es um die Türen des Baptisteriums, quasi das Kerngeschäft der beiden. Nun war aber eine bisher noch nie da gewesene architektonische Leistung gefragt.

Brunelleschi sah seine Chance: Das vergangene Jahrzehnt hatte er auf Reisen verbracht, einen Großteil davon in Rom. Dort studierte er – ganz im Sinne der aufkeimenden Renais-sance – antike Bauwerke oder zumindest das, was davon übrig war.

Die Kuppel ließ sich ohne Holzgerüst bauen

Brunelleschi reichte schließlich neben den besten Architekten der Toskana seinen Vorschlag ein. Er wollte nicht eine, sondern gleich zwei Kuppeln bauen, eine so genannte Doppel-schale. Um der Gefahr eines Einsturzes entgegenzuwirken, sollten die Mauern wie bei einem Fass mit Ankern und Ketten aus Eisen und Holz gesichert werden. Ein traditionelles Holzgerüst, um die im Bau befindliche Kuppel zu sichern – das war wohl der springende Punkt –, wurde für seine Pläne nicht benötigt.

Seine Teilnahme am Wettbewerb erregte allerdings Argwohn, denn Brunelleschi hielt sich, was die Details anging, sehr bedeckt. Nicht ganz unberechtigt fürchtete Brunelleschi ständig den Diebstahl seiner Ideen. Schließlich einigte sich die Opera auf einen Kompromiss: Brunelleschis Plan wurde weitgehend übernommen, doch die Opera stellte ihm einen zweiten Bauleiter zur Seite – niemand anderen als Brunelleschis Gegenspieler von 1401, Lorenzo Ghiberti.

Filippo Brunelleschi (1377–1446) Filippo Brunelleschi (1377–1446) | Das Porträt des Goldschmieds und Baumeisters ist Teil eines Gemäldes im Louvre. Es stammt aus Florenz und entstand im 16. Jahrhundert.

Der Bau der Kuppel sollte noch weitere 16 Jahre benötigen. Eine lange Zeit, in der Ghiberti wiederholt versuchte, Brunelleschi zu verdrängen. Womöglich auch, weil er bemerkte, dass jener der weitaus fähigere und erfinderischere Baumeister war. So konstruierte er zum Bei-spiel ein Ochsengespann, das mit einer Art Rückwärtsgang versehen war. Brunelleschi hatte erkannt, dass die zu jener Zeit vorherrschenden Göpel, die aus einer Art Laufrad mit Ge-triebe bestanden, nicht dazu geeignet waren, Lasten aus der Höhe der Kuppel abzusenken. Brunelleschis Ochsengespann mit Gangschaltung machte dies aber möglich, sogar ohne die Ochsen umspannen zu müssen.

Ebenso stellte sich die Konstruktion der Kuppel als ein wahrhaftiges Meisterwerk heraus. Die Ziegel für die innere Kuppel wurden in einem Fischgrätenmuster gelegt, dem so genannten Opus spicatum. Das erhöhte die Stabilität der Konstruktion und half dabei, den Einsturz der Kuppel zu vermeiden.

Brunelleschi entledigte sich seines Widersachers

Ghiberti und seinen störenden Einfluss soll Brunelleschi schließlich mit einer List losgewor-den sein. Er stellte sich eines Tages krank und ließ Ghiberti an seiner statt wichtige Holz-balken einziehen – in dem Wissen, dass sein Widersacher dazu nicht in der Lage war. Plötz-lich genesen, erschien Brunelleschi auf der Baustelle, beklagte lautstark die mangelhafte Ar-beit Ghibertis und sorgte so dafür, dass dieser seiner Position enthoben wurde. Brunelleschi konnte nun die Arbeit an der Kuppel unbehelligt beenden. Und so wurde schließlich am 25. März 1436, 140 Jahre nach der Grundsteinlegung, die Kathedrale eingeweiht.

Mit dem Laternenaufbau, der das ohnehin schon höchste Bauwerk der Stadt auf 114 Meter anwachsen lassen sollte, wartete man noch zehn Jahre. Doch kurz nach Baubeginn am 15. April 1446 starb Brunelleschi. Sein damals hohes Ansehen zeigte sich darin, dass er in der Krypta des Doms bestattet wurde. Eine solche Ehre wurde nur den wichtigsten Bewoh-nern der Stadt zuteil, in diesem Fall einem Goldschmied und autodidaktischen Architekten.

Die Kuppel hat Brunelleschi berühmt gemacht. Vor allem gilt er heute als einer der ersten Renaissance-Architekten. Wie der Kunsthistoriker und Autor Ross King in seinem Buch »Brunelleschi's Dome« schreibt, war dies ungeachtet der Tatsache geschehen, dass es sich bei der Kuppel eigentlich nicht um ein Renaissance-Bauwerk handelt. Im Gegensatz zur Kuppel des römischen Pantheons, an der sich Brunelleschi möglicherweise orientiert hatte, besteht die Kuppel von Santa Maria del Fiore tatsächlich aus vier Bögen und damit aus einzelnen Teilen.

Dennoch gilt Brunelleschi als geradezu prototypischer Renaissance-Mensch, weil er spiele-risch verschiedene Disziplinen miteinander verschränkte und sich antike Bauten zum Vorbild nahm. Die Idee der Renaissance sollte die nächsten zwei Jahrhunderte prägen. Nicht nur in Florenz, sondern im ganzen mitteleuropäischen Raum. 

 

Nota. - Ein wahrer Renaissancemensch, ohne Zweifel. Ein zünftiger Meister des Mittelalters hätte sich nicht einfallen lassen, die Regeln seiner Kunst durch eigene Eingebung schlicht zu überbieten. Aber auch ein bedeutendes Bauwerk der Renaissance. Die Kuppel - nicht der Dom: Fragt einer, was italienische Gotik sei, fällt ihm - nach San Marco in Venedig - zuerst der florentiner Dom ein.

'Gotisch' ist ein Wort, das in Italien geprägt wurde, von Giorgio Vasari. Ein Bauwerk in dem Stil, den wir heute so nennen, findet sich in Italien nicht - die scheußliche Parodie in Mailand ist ein Pfusch aus vielen Jahrhunderten. Tatsächlich nennt Vasari "gotisch" alles, was in Italien vor der zwanghaften Hinwendung auf die vornehmlich römische Antike ge-baut worden war - und das ist beim florentiner Dom allerdings der Fall. Den ersten markan-ten stilistischen Akzent erhielt das Bauwerk durch Giottos Entwurf des Campanile aus dem frühen 14. Jahrhundert. Als Maler gilt Giotto mit gutem Grund als Begründer der Renais-sance - "Schönheit und Natürlichkeit" -, aber als Baumeister orientierte er sich durchaus an seinen transalpinen Zeitgenossen. 

Zu einem Renaissancemonument wurde der Dom von Flroenz erst durch den Goldschmied Brunelleschi.

Campanile von Giotto.
 



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