
aus spektrum.de, 12. 6. 2022 zuJochen Ebmeiers Realien
Hirn & Weg startet in einen Themenmonat rund um Künstliche Intelligenz (KI) und Neuronale Netzwerke. Dies ist der dritte Beitrag zum Thema
Von
Ronja Völk
Intelligenz
Intelligenz wird auf verschiedenen Arten definiert:
Edward Boring definierte Intelligenz im Jahr 1923 so: “Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst.” Jedoch liefert schlichtes Verweisen auf einen Intelligenztest keine wirkliche Definition für Intelligenz. Der Intelligenztest wurde 1904 von Alfred Binet entwickelt, um in Paris Schulkinder mit Lernschwächen zu erkennen. Jedoch können Intelligenztests sehr unterschiedlich sein und erfassen nie alle Fähigkeiten einer Person, dazu kommen Schwankungen in der persönlichen Tagesform.
Howard Gardner spricht von “multiplen Intelligenzen”, also verschiedenen Arten von Intelligenz wie zum Beispiel die soziale Intelligenz. Soziale Kompetenzen sind sehr wichtig, werden aber rein wissenschaftlich nicht als Intelligenz definiert.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Intelligenz am häufigsten als Fähigkeit zu Problemlösung definiert, aber auch Merkfähigkeit, logisches Denken und Anpassungsfähigkeit werden häufig genannt[1].
Physarum polycephalum stellt sich vor
Der Organismus um den es geht, ist weder eine Pflanze noch Tier oder
Pilz. Er gehört zu einer eigenen Unterart, den sogenannten „echten
Schleimpilzen“. Er bewohnt seit über einer Milliarden Jahre die Erde,
schon bevor es die ersten Pflanzen gab. Der Schleimpilz mit lateinischem
Namen Physarum polycephalum besteht nur aus einer einzelnen Zelle.
Jedoch kann diese bis zu mehreren Quadratmetern groß werden. Um den gesamten Organismus zu versorgen, besitz Physarum ein Netz aus Venen, die in einem bestimmten Rhythmus pulsieren und so Nährstoffe im Plasma transportieren. Wenn Physarum Aussicht
auf Futter hat, kann er bis zu 4 cm pro Stunde wachsen. Wie bei einem
Einzeller nicht anders zu erwarten, besitzt Physarum kein Gehirn, also
kein Geflecht aus Nervenzellen, die miteinander kommunizieren. Trotzdem
ist der Schleimpilz fähig, komplexe Probleme zu lösen. Doch wie genau
diese Zelle dazu in der Lage ist, dafür gibt es bisher nur Theorien.
Fähigkeiten
Der Schleimpilz ist in der Lage, eine Nahrungsquelle zu finden. Dabei
breitet er sich in Richtung der Quelle breitflächig aus. Ist die Quelle
gefunden, werden ineffiziente Ausprägungen zurückgebildet.
Interessanterweise kann Physarum auch in einem Labyrinth dabei den
effizientesten Weg erkennen.
Der Schleimpilz hat zudem vielen Menschen etwas voraus, denn er kann
sich ausgewogen ernähren. Wird er mit einer Auswahl an Nahrungsquellen
konfrontiert, wählt er die Nahrungsquelle mit dem optimalen Zucker und
Proteingehalt aus, die er für sein Wachstum benötigt. Ist keine optimale
Quelle vorhanden, kombiniert er die beiden nahrhaftesten Energiequellen
so miteinander, dass Sie den optimalen Ernähungs-mix für ihn kreieren.
Bei seiner Nahrungssuche passiert er nie dieselbe Stelle zweimal.
Forscher haben herausgefunden, dass der Schleimpilz auf seinem Weg ein
Geflecht hinterlässt. Damit markiert er die Stelle und vermeidet sie bei
einer erneuten Suche.
Erstaunlich ist auch, dass der Schleimpilz zu
einem gewissen Maße fähig ist zu lernen. Physarum vermeidet Salz. Wird
hinter einer Salz bestreuten Brücke eine Nahrungsquelle platziert,
überwindet er sich und wandert langsam über das Salz. Er kann sogar von
dieser positiven Erfahrung lernen. Je öfter er sich schon über salzigen
Untergrund gequält hat, desto schneller meistert er den Weg. Bis zu
4-mal schneller als üblich kann er dabei werden. Trifft Physarum auf
einen anderen seiner Art, kann er mit ihm verschmelzen und dieses Wissen
sogar weitergeben.
Roboter
Um die Bewegungen von Physarum sichtbarer zu machen, wurden Roboter
gebaut, welche von Physarum gesteuert werden. Die Bewegungen des
Schleimpilzes werden dabei in elektrische Impulse umgewandelt, welche
die Richtung des Roboters bestimmen. Dabei hält sich der Roboter in
seinen Bewegungen eher von Licht fern, da der Schleimpilz grelles Licht
meidet.
Möglicherweise kann diese Technologie genutzt werden, um die
Oberfläche von fremden Planeten zu erkunden. Der Vorteil von
biologischen Komponenten ist hierbei, dass sie oft energieeffizienter
sind als Maschinen und sich selbst regenerieren können[2].
Ist der Pilz intelligent? Gegenstimmen behaupten, der Pilz lasse sich
hauptsächlich von chemischen Gradienten leiten und besitzt keine
wirklichen Problemlösungs-Fähigkeiten. Ob der Schleimpilz als
intelligent bezeichnet werden kann oder nicht, hängt natürlich davon ab,
wie man Intelligenz definiert. Bisher gibt es, wie oben erwähnt keine
allgemeingültige Definition.
Ein Großteil der Menschen vertritt die Meinung, das KIs noch nicht
wirklich intelligent sind, aber es eines Tages werden könnten. Ob wir
eine Technologie oder ein Lebewesen als intelligent beschreiben, hängt
zum Beispiel davon ab, ob es viele verschiedene Aufgaben lösen kann. Ist
dies der Fall, empfinden wir Dinge häufig als intelligenter. Auch
empfinden wir oft Dinge, die menschenähnlich sind als intelligent wie
zum Beispiel humanoide Roboter.
Dabei verschiebt sich die Grenze, welche Technologien wir als
intelligent empfinden, immer weiter hin zu komplexeren Systemen. Oft
empfinden wir Dinge als intelligent, die wir nicht verstehen. Wie der
britische Science-Fiction Schriftsteller Arthur C. Clarke schon sagte:
Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.
Jede ausreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.
– Arthur C. Clarke –
Wenn wir die Technologie jedoch verstehen, verschwindet die Magie.
SchlusswortKönnen unsere eigenen, komplexen Gedankengänge auch irgendwann verstanden werden und jede Entscheidung und jedes Gefühl als bloße Rechnung dargestellt werden[3]?
Nächste Woche betrachtet Louisa künstliche Intelligenz von der kritischen Seite.
Quellen:
[1] Carter, Rita, The brain in minutes, London Quercus (IN MINUTES), ISBN: 9781786485809
[2] Jacques Mitsch, 2019, ARTE, Der Blob – Intelligenz ohne Gehirn?, https://www.arte.tv/de/
[3]
Haenlein, Michael; Kaplan, Andreas (2019). A Brief History of
Artificial Intelligence: On the Past, Present, and Future of Artificial
Intelligence. California Management Review, (), 000812561986492–.
doi:10.1177/0008125619864925
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