Der früheste Vernunftkritiker war Descartes. Nicht etwa, dass er die Frage gestellt hätte: Was ist Vernunft? Er ging nicht spekulativ an die Sache heran, sondern pragmatisch: Welche Art zu denken ist vernünftig? Sein Kriterium für Vernünftigkeit war... die Mitteilbarkeit des Denkens; Mitteilbarkeit nämlich um des Beurteilens willen - und um Streitfragen zu ent-scheiden. Das Vermögen, richtig zu entscheiden, nämlich über das, 'was vernünftig ist', schreibt er jedermann zu.
Klar und deutlich gesagt: Prüfstein vernünftigen Denkens ist für Descartes der Begriff. Der Vortrag des Denkens müsse clare et distincte erfolgen, "klar und deutlich wie die Demon-strationen der Geometer", lautet die kanonische Formel des Discours de la méthode. Der ideale Vorlauf der geometrischen Demonstration ist die Konstruktionsanweisung, die reale Demonstration ist deren Umkehrung. Und was die Konstruktionsanweisung für die geome-trische Figur, ist die Definition für den Begriff, und deren praktische Umkehrung ist das Argument.
Kriterium für die Richtigkeit eines Denkens ist sein Vermögen, Einstimmigkeit im Urteilen zu erzwingen, klar und deutlich; dass es so mitteilbar ist, dass keine Intelligenz ihm auswei-chen kann. Das Mittel sind die definierten Begrifffe und die Kombinationsvorschriften der Logik.
Es geht hier wohlbemerkt nicht um das zu-Begreifende, nicht um das Gemeinte - ob es nämlich wahr ist -, sondern um sein Verständnis: ob es jeder nämlich so verstehen muss, wie es gemeint ist.
Maßstab der Vernunft ist die Übereinstimmung im Urteilen, ein pragmatischer Grundatz. Über Wahrheit und Richtigkeit der Urteile ist dadurch nichts ausgesagt.
Die werden von Descartes allerdings nicht nur treuherzig angenommen. Die Wahrheit der als vernünftig erkannten Urteile wird ihm verbürgt durch das mathematische Verfahren der Vernunft: Dieses sei nämlich dasselbe wie jenes, das GOtt bei der Erschaffung der Welt angewendet habe. In der Vernunft lässt sich Gott gewissermaßen in die Karten schauen. Dies noch nicht im Discours de la méthode, sondern erst nachträglich in den Meditationes de prima philosophia unter Verweis auf die Parallelität von res extensa und res cogitans.
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