Montag, 9. November 2020

An Neo Rauch glücklich vorbei.

aus FAZ.NET, 9. 11. 2020                                Volker Stelzmanns verdreifachtes Selbstbildnis Triple, 1995.
Volker Stelzmann wird achtzig 
Der Desillusionierer 
Auf dem westöstlichen Triptychon: Volker Stelzmann, Maler zwischen Zwanziger-Grandezza und hartem überzeitlichem Zweifel, wird achtzig. 

Ein in Blutrot getauchtes Triptychon des Schreckens: Auf dem linken Bildflügel stolziert ein Messerwerfer in rotgelackten Frauenstiefeln mit High Heels vor einem älteren Mann umher, der wie von unsichtbaren Banden gefesselt seine Arme auf den Rücken genommen hat. In der Mitte vollführen drei Akrobaten, darunter ein Mann mit Halbglatze und langem Pferdeschwanz am Hinterkopf, in dem man vielleicht ein Selbstporträt des Künstlers erkennen darf, mit nach oben gereckten Beinen Jonglagekunststücke, wobei sich der Kopf des mittleren Kopfstehenden wie bei de Chirico in einen roten Ball verwandelt hat. Und manieriert verschraubt wie ein spätgotischer Moreskentänzer tippt rechts ein perverser Magier auf die Schuhspitze einer „zersägten Jungfrau“, deren Leib im Kasten vom Rahmen ein weiteres Mal abgeschnitten wird, während die Säge vor ihr bedrohlich im Scheinwerferlicht glänzt.


Alles steht kopf: Volker Stelzmanns Triptychon Variété, 1994/95.

Volker Stelzmanns „Variété“, 1994/95 entstanden, greift ein Thema auf, das in den zwanziger Jahren auch von Max Beckmann oder Otto Dix vielfach und in derselben Form monumentaler Triptychen bearbeitet wurde, jedoch münzt der 1940 in Dresden geborene Maler es auf zeitgenössische Bedürfnisse um: Hinter den wie Gliederpuppen aus dem Atelier wirkenden Figuren seines Panoptikums illusionistischen Irrsinns und professioneller Verstellungen ziehen jeweils rote Farbbahnen in die Diagonale, die nicht von ungefähr an den englischen Seelenmaler Francis Bacon erinnern. Die Sozialisation im Osten und die Ausbildung an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo das Erbe von Beckmann, Dix und Grosz hochgehalten wurde, sieht man Stelzmanns Bildern im Positiven heute noch an – was nicht heißt, dass er sich nicht durch moderate Erweiterungen in die Moderne eine sehr charakteristische Handschrift erarbeitet hätte.

Berliner Nacht, 1989

Nachdem Stelzmann 1986 nach einer Reise in den Westen nicht in die DDR zurückkehrte und nach einer Gastprofessur in Frankfurt nur zwei Jahre später eine ordentliche Professur an der Hochschule der Künste in Berlin erhalten hatte, stellte er 1992 erstmals wieder in den jetzt neuen Bundesländern aus, in der Leipziger Universität. Die Titel seiner Ausstellungen aber bewahren etwas von der am eigenen Leib erfahrenen Geschichte, so etwa die Schau „Konspirationen“ in der Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffenburg, wo er im Jahr 2009 sein berühmt gewordenes Monumentalwerk mit dem ebenfalls sprechenden Titel „La Partenza/Der Aufbruch“ zeigte - konspirativ war er dabei eher mit Alten Meistern wie Grünewald, El Greco, Zurbarán oder Michelangelo, nicht aber mit dem Zeitgeschmack. Andere Ausstellungen hießen bündig „Parallelen“ (2010), „Stationen“ (2011) oder „Positionen – Depositionen“ (2004), womit auch die depositio als Kreuzabnahme nach dem Vorbild seiner Heroen Pontormo und Fiorentino aus dem italienischen Manierismus gemeint war.

Römisches Bild, 1991

Anders als viele ehemalige Ost-Kollegen schaffte es der Künstler nach 1989 mithin in die großen gesamtdeutschen Sammlungen und Galerien, wo dieser dritte Weg zwischen westöstlicher Abstraktion und Figuration in der ganzen Wucht malerischer Präsenz unverändert seine Faszination entfaltet. Heute wird Volker Stelzmann, der in Berlin lebt und arbeitet, achtzig Jahre alt.

Auffahrt, Niederfahrt 2005
 

Nota. - Der Knotenpunkt der pp. Leipziger Schule war der noch immer nicht hoch genug gelobte Werner Tübke. Auf die allgegenwärtige Frage, was man heute malen kann, hat er eine ganz individuelle, aber darum plausible Antwort gefunden: Nicht 'so wie die italieni-schen Manieristen', sondern so, wie er malen würde, wenn er heute ein italienischer Manie-rist gewesen wäre. Na, da machen Sie was draus! 'Was' er gemalt hat, was auf seinen Bildern zu sehen ist, lässt sich da schon gar nicht mehr aussprechen, geschweige denn 'objektivie-ren'.

Sowas muss einer können, sonst wird es flach. Gekonnt hat es Arno Rink, der weniger die manieriestische Malweise als den surrealen Unterton kultiviert hat. Der hier besprochene Volker Selzmann malt dagegen mit den Augen und Händen Pontormos, aber so, als wäre er ein deutscher Expressionist. Das muss einer nicht nur können, sondern zuerst einmal kön-nen wollen. Und am Ende muss es doch wohl nach was aussehen, damit man es sich auch ansehen mag; das ist die Kunst daran. Wenn einer berichten könnte, wie er das macht, wär's ja keine Kunst.

JE

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