Samstag, 30. April 2022

Wollen und Wünschen.

                           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik  

2) Um den Begriff des Wollens noch klarer zu machen, wollen wir ihn mit dem Begriffe des Wunsches vergleichen und den Unterschied aufzeugen. Zuförderst: Durch den Willen soll etwas realisiert werden können, durch den Wunsch aber nicht. Nun kann das Gewünschte und das Wünschen von zweierlei Art sein: Entweder man sieht ein, dass das Gewünschte nicht von uns abhänge, wenn man es auch wollte, oder dass es von uns abhänge, man wollle sich aber nicht die Mühe geben, es zu realisieren. Diese letzte Art von Wünschen ist die Stimmung vieler Menschen, die nie im Ernste wollen, sondern es beim Wünschen bewen-den lassen. Dieses ohnmächtige Wünschen wird oft mit dem Wollen verwechselt, und daher verkennt man die hohe Macht des Wollens erst ganz.

Mit dieser Art des Wünschens haben wir es allein hier zu tun. Es ist etwas Bestimmtes, von allen Entgegengesetzten Verschiedenes. Mein Wollen schwebt nicht mehr, wie beim Delibe-rieren, über Entgegengesetzten; der Wunsch hält sein Objekt fest, es fehlt ihm bloß die Form des Wollens. Die Materie ist da, man will sich aber nur nicht dazu entschließen.

/ Auch wird beim Wunsch das Objekt gefordert, nur wird es nicht unbedingt gefordert. Der Wunsch geht nicht bloß auf das Objekt des Wollens, das realisiert werden soll, sondern auch auf ein andres, das wegfallen soll.

Beim Wollen abstrahiere ich schlechthin von allem außer dem Gewollten, alles andere gebe ich auf; beim Wünschen ist noch immer etwas, das mich zurückhält, Furcht von Anstren-gung, Folgen etc. Das Wollen ist Konzentration des ganzen Menschen mit seinem ganzen Vermögen auf einen Punkt. Das richtige Bild davon ist der Akt der angestrengten Aufmerk-samkeit. 

(Es gibt viele, die mit offenen Augen träumen, mit ihren Gedanken regellos herumschwei-fen, von einem aufs andere kommen. Soll etwas Gutes und Rechtes werden, so muss man bestimmt eins nach dem andren denken und alles miteinander verknüpfen.)

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J. G. Fichte; Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 125f. 
 
 
 
Nota. - Ich will x schlechterdings. - Ich wünsche x anstelle von y. Wäre y nicht gesetzt, könnte ich x nicht wünschen. Das eine ist bedingt, das andere unbedingt, das eine ist relativ, das andere absolut. Ob mein Wünschen stärker ist oder mein Wollen, ist davon nicht be-rührt. Doch könnten sich beim Wünschen stets die gegebenen Bedingungen verschieben, und ich müsste erneut deliberieren und Dieses einem Andern vorziehen.
JE, 25. 11. 16
 
 
 
 
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE,  

Relativität und ihre Bedingtheit im Absoluten.

                                                                         zu

Die Idee von einem Absoluten wird überhaupt erst denk bar unter der Voraussetzung eines radikal relativistischen Blicks auf die Wirklichkeit.

Ein durchgängig relativistisches Bild des Wirklichen ist nur möglich durch die Fiktion eines absoluten Bezugspunkts.

Anders bliebe das mannigfaltige Wirkliche auf ewig chaotisch sinnlos.



Nota. Das obige Bild gehört mit nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Out Of The Box (Lob der Zerstreuung).


aus spektrum.de, 30. 4. 2022
Kreativität
Die Gedanken sind frei? Nicht in Videomeetings!

Videocalls bleiben wohl auch nach der Pandemie ein fester Bestandteil unserer beruflichen Kommunikation. Wenn es um kreative Ideenfindung geht, sollte man sich jedoch besser in persönlicher Runde treffen.


von Anton Benz

»Treffen wir uns persönlich, oder machen wir einen Videocall?« Diese Frage wird für viele bleiben, auch wenn sich das Coronavirus in die Reihe der endemischen Erreger gesellt hat. Umfragen deuten darauf hin, dass viele Arbeitnehmer weiterhin vermehrt aus dem Home-Office arbeiten wollen. Der große Nachteil: Bei Gesprächen über den Bildschirm leidet die Kreativität. Zu dem Ergebnis kamen Melanie Brucks von der Columbia University und Jonathan Levav von der Stanford University in der Fachzeitschrift »Nature«.

Zunächst sollten rund 300 Versuchspaare überlegen, wie sich eine Frisbee oder eine Luftpolsterfolie möglichst ungewöhnlich einsetzen ließe. Während sich die eine Hälfte der Gesprächspartner dabei gegenübersaß, kommunizierte der andere Teil in einer Videokonferenz. Studierende bewerteten danach, wie neu die Ideen der Probanden waren. In den digitalen Begegnungen entstanden dabei weniger Einfälle, die zudem unkreativer waren als die Vorschläge, die während eines realen Treffens generiert wurden. Ging es allerdings um die Auswahl der besten Idee, waren Videomeetings gleichauf.


Spektrum Kompakt:  Kunst, Kitsch und Kreativität Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum Kompakt: Kunst, Kitsch und Kreativität

Um herauszufinden, was genau die Leute, die sich gegenübersaßen, kreativer machte, statteten die Marketingforscher die Laborräume mit verschiedenen, mehr oder weniger ungewöhnlichen Gegenständen aus. Saßen die Teilnehmenden zusammen, ließen sie öfter den Blick durch den Raum schweifen und konnten sich nach dem Experiment an mehr Einzelheiten aus der Umgebung erinnern. Je häufiger sie umherschauten und an je mehr Gegenstände sie sich erinnerten, desto mehr kreative Ideen entwickelten sie, berichten die Forschenden. In einer Videokonferenz verweilte der Blick hingegen stärker auf dem Bildschirm. Das bestätigt Laut Brucks und Levav die Hypothese, dass die virtuelle Kommunikation das Sichtfeld schmälert und man dadurch auch weniger »out of the box« denken kann.

 

 

Freitag, 29. April 2022

Vernunftwesen und Übermensch.

Hercules Farnese                                                                                                      aus

Ein »Ding an sich« ebenso verkehrt wie ein »Sinn an sich«, eine »Bedeutung an sich«. Es gibt keinen »Tatbestand an sich«, sondern ein Sinn muß immer erst hineingelegt werden, damit es einen Tatbestand geben kann. 

Das »was ist das?« ist eine Sinn-Setzung von etwas anderem aus gesehen. Die »Essenz«, die »Wesenheit« ist etwas Perspektivisches und setzt eine Vielheit schon voraus. Zugrunde liegt immer »was ist das für mich?« (für uns, für alles, was lebt usw.).

Ein Ding wäre bezeichnet, wenn an ihm erst alle Wesen ihr »was ist das?« gefragt und be-antwortet hätten. Gesetzt, ein einziges Wesen mit seinen eignen Relationen und Perspek-tiven zu allen Dingen fehlte, so ist das Ding immer noch nicht »definiert«.

Kurz: das Wesen eines Dings ist auch nur eine Meinung über das »Ding«. Oder vielmehr: das »es gilt« ist das eigentliche »es ist«, das einzige »das ist«.

Man darf nicht fragen: »wer interpretiert denn?« sondern das Interpretieren selbst, als eine Form des Willens zur Macht, hat Dasein (aber nicht als ein »Sein«, sondern als ein Prozeß, ein Werden) als ein Affekt.

Die Entstehung der »Dinge« ist ganz und gar das Werk der Vorstellenden, Denkenden, Wollenden, Empfindenden. Der Begriff »Ding« selbst ebenso als alle Eigenschaften. – Selbst »das Subjekt« ist ein solches Geschaffenes, ein »Ding« wie alle andern: eine Verein-fachung, um die Kraft, welche setzt, erfindet, denkt, als solche zu bezeichnen, im Unter-schiede von allem einzelnen Setzen, Erfinden, Denken selbst. Also das Vermögen im Unterschiede von allem Einzelnen bezeichnet: im Grunde das Tun in Hinsicht auf alles noch zu erwartende Tun (Tun und die Wahrscheinlichkeit ähnlichen Tuns) zusammen-gefaßt.
[556]   
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Nietzsche, Aus dem Nachlass  (XII)



Nota. - Und wieder schleicht er um den Eingang zur Transzendentalphilosophie herum. Aber mehr auch nicht. Wenn "alle" ihre - zufälligen? - Meinungen über das Wesen des Dings zu Protokoll gegeben hätten - dann wäre es "definiert"? Nicht ein einziger dürfte fehlen, schiebt er als Einschränkung nach, aber dadurch wird es nicht besser. Denn "alle" ist genauso zufällig wie "alle minus einem".

Nämlich wenn es um empirische Subjekte geht. Doch was die meinen, ist ohnehin zufällig, wie viele sie auch wären. Geltend - 'geltend an sich' - könnte ihre Meinung nur sein, wenn sie selber als nicht zufällig gedacht würden, sondern in irgendeiner Weise als notwendig. Was ist aber das einzig überindividuell und gewissermaßen notwendig Geltende an Nietz-sches empirischen Subjekten? Ihre Teilhabe am Willen zur Macht. Die geschieht aber im-mer nur als ein Willen zu seiner eignen Macht. Es ist sein Wille zur Übermacht - über die andern. Es ist etwas, was sie trennt, sogar feindlich gegeneinander werden lässt. Welche Art von Notwendigkeit könnte daraus entstehen?

Angenommen, zum Schluss bleibt ein einziger Übermensch übrig. Dann aber nicht aus Notwendigkeit, sondern durch Kampf - Sieg und Niederlage. 'Nicht bloß Zufall, sondern natürliche Auslese', sagt der Darwinist. Da hätte er aber gleich sagen können: Der Stärkere hat Recht. Nietzsche, dafür wären Ihre Abstecher zur kritischen (transzendentalen) Philoso-phie nicht notwendig, sondern ganz überflüssig gewesen.

Notwendig ist an den empirischen Subjekten derjenige Anteil, der sie zu Vernunftwesen macht. Nicht, weil sie vernünftig sein sollen (wer könnte das bestimmt haben?), sondern weil der Mensch der Gegenwart das faktisch von sich voraussetzt: indem er mit Andern verkehrt wie mit seinesgleichen - nämlich solchen, die miteinander vernünftige Zwecke auf venünftige Weise ermitteln und teilen. Vernünftig sind sie nicht überhaupt, sondern ledig-lich in dem Maße, wie sie so verfahren: Das ist das Kriterium. Es ist eine historische Gege-benheit. In logischer Hinsicht ist sie daher zufällig. Aber für die historischen Subjekte un-serer Tage ist sie gegeben. Für ihre Selbstbewusstheit ist es notwendig.

Je mehr vernünftige Zwecke sie auf diese Weise gemeinsam bestimmen, umso weiter reicht das Reich der Vernunft und reicht die Geltung ihrer Bestimmungen.* Sie werden auf diese Weise nie zu einem Schluss kommen? Nein. Wozu auch? Dann bliebe der Vernünftigkeit ja nichts mehr zu tun.

*) Dass es ständig Streit darüber gibt, was vernünftig ist, versteht sich. Aber nicht anders geschieht das Ermit teln.
JE, 17. 1. 19