Donnerstag, 7. April 2022

Gibts Hypnose wirklich?


aus spektrum.de, 6. 4. 2022

Mysterium Hypnose                                                                                     zu  Jochen Ebmeiers Realien
Was passiert im Gehirn?


Von Martje Sältz

Die Wissenschaft lebt vom Irrtum. Vom ständigen Erforschen, Erkennen, Verwerfen, Wieder-von-vorn-beginnen. Die Pandemie war (und ist) ein lebendiges Beispiel dafür. Auch die Hypnose stellt keine Ausnahme dar. Allein der Wortursprung von Hypnose legt das schon nahe: Griechisch hypnos = Schlaf.

Geprägt wurde dieser Begriff Anfang des 19. Jahrhunderts vom schottischen Arzt James Braid, der in der Tat der Meinung war, Hypnose sei ähnlich wie Schlaf. Diese Ansicht ist inzwischen längst verworfen. Auch die Theorien, dass magnetische Kräfte (Animalischer Magnetismus) oder allein die rechte Hirnhälfte entscheidend für Hypnose seien wurden eindeutig widerlegt. Die Frage bleibt:

Was passiert bei der Hypnose tatsächlich im Gehirn?

Der Versuch einer Definition

Noch bis heute tun Forschende sich schwer, überhaupt eine umfassende Definition für das Phänomen der Hypnose zu finden. Eine Arbeitsgruppe der amerikanischen Gesellschaft für Psychologie (APA) definiert Hypnose als einen „Bewusstseinszustand mit fokussierter Aufmerksamkeit, vermindertem Bewusstsein der Umgebung und einer gesteigerten Empfänglichkeit für Suggestionen“. Ob und inwieweit Hypnose tatsächlich ein eigener Bewusstseinszustand ist, darüber herrscht in der Forschung allerdings seit Jahrzehnten Uneinigkeit.

Suggestionen und Suggestibilität

Beim Lesen der Definition mag man über den Begriff Suggestionen stolpern, deshalb hier eine kurze Erklärung.

Suggestibilität beschreibt, wie beeinflussbar eine Person ist. Sprich wie empfänglich sie dafür ist, durch die Außenwelt* vorgeschlagene Gefühle oder Ideen unfreiwillig ins eigene Denken und die eigene Wahrnehmung zu übernehmen. Die dabei übermittelten Gefühle, Ideen oder Gedanken sind dann die Suggestionen. Im Rahmen einer Hypnose heißt eine Suggestion etwa „du spürst, wie deine Augen immer schwerer werden“, woraufhin bei manchen Menschen ganz automatisch die Augen zufallen. Das ist ein Unterschied zu einem Befehl wie „schließe deine Augen!“, auf den bewusst eine freiwillige Reaktion folgt.

(*Im Rahmen einer Autosuggestion können die Suggestionen auch von der Person selbst ausgehen. Das ist zum Beispiel bei einer Selbsthypnose der Fall.)

Beispiel: Placebo

Ein weiteres Beispiel für eine Suggestion ist der Placebo-Effekt: Ein Arzt/eine Ärztin behauptet, dass die verabreichte Tablette gegen Schmerzen hilft. Und obwohl sie keinerlei Wirkstoff enthält, vermindert sich allein durch den Glauben an die Wirkung der körperliche Schmerz des Patienten/der Patientin. Suggestionen können also Einfluss auf den körperlichen Zustand nehmen.

Hypnotisierbarkeit


Nicht jeder Mensch spricht gleich gut auf Suggestionen an. Deshalb gibt es auch große Unterschiede, wie gut Menschen hypnotisierbar sind. Die Hypnotisierbarkeit ist eine feste Eigenschaft, die im Erwachsenenalter weitestgehend stabil ist. Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass sie auch genetisch verankert ist.

Gemessen wird die Hypnotisierbarkeit zum Beispiel über den Stanford Hypnotic Susceptibility Score. Hierfür werden vorgeschriebene Suggestionen in aufsteigender Schwierigkeit getestet und so geschaut, wie beeinflussbar die Testperson wirklich ist.  

Hypnotisierbarkeit ist in der Gesellschaft annähernd normalverteilt. Das heißt der überwiegende Teil der Bevölkerung spricht mäßig gut auf Hypnose an, 10-15% reagieren kaum oder gar nicht und weitere 10-15% sind hoch empfänglich für Hypnosen.

Die Art der Hypnose sowie die Motivation und Erwartungen der hypnotisierten Person haben zwar ebenfalls einen Einfluss auf den Erfolg der Hypnose. Diese Faktoren haben aber einen deutlich geringeren Anteil als die grundsätzliche Hypnotisierbarkeit.

Was passiert nun im Gehirn?

Zurück zur Ausgangsfrage: Was passiert während einer Hypnose im Gehirn? Die kurze Antwort lautet: Man hat nach wie vor keine Ahnung. Die weniger frustrierende Antwort ist: Es gibt neue Theorien, die auf moderner Bildgebung basieren. Eine der führenden Theorien geht von einer Top-Down-Regulation aus.

Top-Down-Regulationen beschreiben einen Prozess, bei dem Gedanken (oder auch allgemein höhere Hirnfunktionen) „von oben herab“ einen Einfluss auf andere Hirnprozesse, Bewusstsein, Wahrnehmung und Körperfunktionen nehmen.

Die rein verbale Suggestion (“deine Augenlider fühlen sich schwer an”) schafft es also, die Wahrnehmung der hypnotisierten Person zu verändern (die Augenlider fühlen sich wirklich schwer an) und letztlich sogar eine motorische Reaktion zu erzeugen (die Augen werden geschlossen).   

Drei Netzwerke im vorderen Teil des Gehirns scheinen durch Hypnose besonders aktiviert zu werden und solche Top-Down-Prozesse und damit die hypnotische Antwort erst zu ermöglichen. Ihnen wird deshalb eine besondere Rolle zugeschrieben:

  1. Das Central Executive Network (CEN) sorgt dafür, dass wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf etwas richten und komplexe Aufgaben lösen können. Während einer Hypnose ist dieses Netzwerk wohl aktiver und könnte so dazu beitragen, gedankliche Bilder zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.
  2. Das Salience Network (SN) verarbeitet unter anderem innere und äußere Einflüsse und schafft ein Bewusstsein für diese. Die Verbindung zwischen dem CEN und dem SN ist unter Hypnose oftmals erhöht. Das könnte eine entscheidende Voraussetzung dafür sein, dass während der Hypnoseeinleitung der Fokus auf die Suggestionen durchgehend erhalten bleibt.
  3. Das Default Mode Network (DMN) schließlich ist ein Netz aus Hirnregionen, die in Ruhe oder beim Gedankenwandern aktiv sind. Daher der Name „Default Mode Network“ – also etwa Ruhenetzwerk. Je tiefer die Hypnose, desto geringer ist die Aktivität in diesem Netzwerk. Hypnose ist demnach etwas anderes als Nichtstun oder Tagträumen für das Gehirn. Dadurch, dass dieses Netzwerk unter Hypnose etwas inaktiviert wird, könnte wiederum das fokussierte Denken begünstigt werden.

Übrigens geht man davon aus, dass bei Menschen mit hohem Ansprechen auf Hypnose diese Netzwerke verändert miteinander kommunizieren und somit empfänglicher für Suggestionen machen.

Das war jetzt sehr theoretisch – wozu überhaupt Hypnose?

Der spannendste Anwendungsbereich von Hypnose in der Medizin ist sicherlich die Schmerztherapie. Funktionelle MRT-Studien haben gezeigt, dass über Hypnose suggerierter Schmerz genau die Areale im Hirn aktiviert, die auch bei echtem Schmerz aktiviert werden. Ganz im Gegenteil zum normalen Vorstellen von Schmerz außerhalb einer Hypnose.

Praktischer ist aber natürlich der umgekehrte Fall, nämlich wenn Hypnose tatsächliche Schmerzen stillt. Und das hat sie in zahlreichen Studien bereits sehr erfolgreich getan, insbesondere was Geburtsschmerzen angeht – allerdings natürlich nur bei Menschen, die generell auf Hypnose ansprechen.

Die Theorie dafür, wie Hypnose das schafft, klingt erstmal simpel. Demnach besteht Schmerz aus zwei unterschiedlichen Komponenten: Der sensorischen Komponente (= was der Körper wahrnimmt) und dem tatsächlichen Leiden (= was der Körper aus dem wahrgenommenen Schmerz macht). Hypnose scheint diese beiden Komponenten voneinander zu trennen und einfach neu zu entscheiden, dass der wahrgenommene Schmerz nicht in negativen Gefühlen darüber endet.

Fazit

Das war ein sehr kurzer Überblick über eine aktuelle Theorie zur Hypnose – zumindest solange aktuell, bis sie wieder verworfen wird. Die ehrliche Antwort auf die Frage in der Überschrift müsste lauten: Man weiß es nicht. Beides sehr frustrierende Aussagen, ich weiß. Aber so ist sie eben, die Wissenschaft
.
 

Quellen

  • Elkins GR, Barabasz AF, Council JR, Spiegel D. Advancing Research and Practice: The Revised APA Division 30 Definition of Hypnosis. Am J Clin Hypn. 2015;57(4):378-385. doi:10.1080/00029157.2015.1011465
  • Kihlstrom JF. Neuro-hypnotism: prospects for hypnosis and neuroscience. Cortex. 2013;49(2):365-374. doi:10.1016/j.cortex.2012.05.016
  • Thompson T, Terhune DB, Oram C, et al. The effectiveness of hypnosis for pain relief: A systematic review and meta-analysis of 85 controlled experimental trials. Neurosci Biobehav Rev. 2019;99:298-310. doi:10.1016/j.neubiorev.2019.02.013
  • Flemons D. Toward a Relational Theory of Hypnosis. Am J Clin Hypn. 2020;62(4):344-363. doi:10.1080/00029157.2019.1666700
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  • Terhune DB, Cleeremans A, Raz A, Lynn SJ. Hypnosis and top-down regulation of consciousness. Neurosci Biobehav Rev. 2017;81(Pt A):59-74. doi:10.1016/j.neubiorev.2017.02.002
  • Tuominen J, Kallio S, Kaasinen V, Railo H. Segregated brain state during hypnosis. Neurosci Conscious. 2021;2021(1):niab002. Published 2021 Mar 10. doi:10.1093/nc/niab002
  • Landry M, Lifshitz M, Raz A. Brain correlates of hypnosis: A systematic review and meta-analytic exploration. Neurosci Biobehav Rev. 2017;81(Pt A):75-98. doi:10.1016/j.neubiorev.2017.02.020
  • Jiang H, White MP, Greicius MD, Waelde LC, Spiegel D. Brain Activity and Functional Connectivity Associated with Hypnosis. Cereb Cortex. 2017;27(8):4083-4093. doi:10.1093/cercor/bhw220
  • Foto von Tim Mossholder von Pexels
  • https://pixabay.com/images/id-4041583/

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