Dem diskursiven Denken liegt als Prämisse die ungeahnte Fiktion zugrunde, der logische Raum – Ein und Alles – sei eine geschlossene Sphäre, deren Umfang lückenlos von Begrif-fen angefüllt ist, die einander wechselseitig bestimmen. In unserer wirklichen Vorstellung ist die Welt hingegen ein – 'zwar endlicher, aber unbegrenzter' – Raum, in dem Bedeutungen teils so nah bei einander liegen, dass sie einander berühren, ineinander verfließen und bei genauem Hinschauen gar nicht recht zu unterscheiden sind; und teils ganz beziehungslos neben einander liegen ohne ein Drittes, an dem sie wenigstens zu vergleichen wären.
Die ungeahnte Fiktion nehmen wir in Anspruch, wenn und wo wir uns vernünftig verhalten wollen. Nicht, dass wir glaubten, dass es wirklich so ist; aber wir handeln doch so, als ob es so sei.
Das
sind die sonntäglichen Momente in unserm geschäftigen Alltag.
Normalerweise reicht uns ein Ungefähr, um tagein tagaus zurechtzukommen.
Der scharfe Konflikte, der nur auf Messer Schneide zu entscheiden wäre,
ist gottlob die Ausnahme. Doch nur, weil Vernunft uns ausnahmsweise in
jedem Fall zuhanden oder doch zu Kopfe ist, können wir unser
all-tägliches Ungefähr riskieren.*
Das ändert nichts daran, dass ein fertiges System der Vernunft immer eine Fiktion
bleibt. Nur weil wir meinen, an sich sei die Welt ein wechselwirkendes
System aus realen Teilchen, die zugleich Bedeutungs-Partikel darstellen, und insgesamt einen Sinn
hat, der unabhängig davon ist, ob ihn jemand einsieht - nur darum ist
es möglich, dass wir uns in unserer All-tagsroutine regelmäßig verständigen und nach heftigem Kampf am Ende meist noch eine Friedenslösung finden. Indem sie zeigt, wie sie zustande kam, stellt die Transzendentalphi-losophie klar, dass es sich um eine Fiktion handelt.
Wozu ist das gut? Um dem Missverständnis abzuhelfen, im Sein der Dinge sei irgend ein Sinn eingeschlossen.
"Ihr Hauptnutzen ist
negativ und kritisch. Es mangelt in dem, was nun gewöhnlich für
Le-bensweisheit gehalten wird, nicht daran, daß sie zu wenig, sondern
daran, daß sie zu viel enthält. Man hat eben die erräsonierten Sätze der
oben beschriebenen erschaffenden Meta-physik hereingetragen – und diese
sollen [wieder heraus] gesondert werden. Sie hat die Bestim-mung, die
gemeine Erkenntnis von aller fremden Zutat zu reinigen... Für die theoretische Philosophie, Erkenntnis der Sinnenwelt,
Naturwissenschaft ist sie regulativ. Sie zeigt, was man von der Natur
fragen müsse.
Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts
überhaupt ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt,
indem sie zeigt, daß sie und ihr ganzes Schicksal ledig-lich von sich
selbst abhängen; indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt." (Rück-erinnerungen...)
*) Das so genannte Zeitalter der Vernunft begann, als in den Verträgen von Münster und Osnabrück der Westfälische Frieden
geschlossen wurde. Nachdem GOtt dreißig Jahre lang für Mord und
Verwüstung gesorgt hatte, musste als glaubwürdiger Bürge die Vernunft
nach-rücken.
JE, 30. 1. 19
Nota - Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE
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