Montag, 13. Juli 2020

Hans Blumenberg würde heute hundert.

aus Tagesspiegel.de, 13. 7. 2020                                                                                                                        zu Philosophierungen

Zum heutugen hundertsten Geburtstag von Hans Blumenberg  schreibt Sebastian Tränkle im Berliner Tagesspiegel: 

... In der akademischen Philosophie hingegen spielt Blumenbergs Denken gegenwärtig kaum eine Rolle. Das mag zunächst an einem von der analytischen Philosophie geprägten methodischen Zugriff liegen. Er dominiert auch dort, wo die Denker (wie Kant und Hegel) oder die Probleme der „kontinentalen“ Tradition bearbeitet werden.

Davon mit bedingt, hat sich ein Verständnis von Philosophie etabliert, das mit Geschichte wenig anzufan-gen weiß. Kein Wunder also, dass Blumenbergs Denken, das aus den Tiefen der Geistesgeschichte schöpft, wenig Anklang findet.

Hinzu kommen Darstellungsformen wie Essay, Glosse und Aphorismus. Was im Feuilleton meist als „lite-rarisch“ gepriesen wird, genügt nicht den formalen Standards, wie sie etwa von Peer-Review-Verfahren durchgesetzt werden. Schließlich hat ein Denken, das Umwege präferiert, einen schweren Stand in einer Fachkultur, in der logische Stringenz als Primärtugend angesehen wird.

Irritationen für die philosophische Gegenwart

Die Blumenberg-Rezeption findet denn auch eher in den Nachbardisziplinen statt. Neben der editorischen Arbeit am Nachlass dominieren Forschungsansätze, die das Werk rekonstruieren. Provoziert vom Bezugs-reichtum der gelehrten Bücher wird es Gegenstand ideengeschichtlicher Darstellungen, wie in Kurt Flaschs Studie zum frühen Blumenberg.

Oder die vielfältigen Schreibweisen wecken die literaturwissenschaftliche Neugier. Nun ist das alles zu begrüßen. Und doch bleibt angesichts der wenigen Versuche, systematisch an Blumenbergs Philosophie anzuschließen, ein Nachgeschmack. Denn die eigentliche Würdigung eines Philosophen liegt nicht in musealisierenden Elogen, sondern in der lebendigen Auseinandersetzung mit seinen Thesen.

Blumenbergs Werk hält sowohl Anknüpfungspunkte als auch Irritationen für die philosophische Gegenwart bereit. So weist seine Grundhaltung Nähen zu solchen Ansätzen auf, die Philosophie weniger als eine strenge Wissenschaft verstehen.

Ihnen geht es nicht um unbezweifelbare Aussagen und allgemeingültige Erklärungen, sondern um den ethischen oder erkenntnistheoretischen Wert von individuellen und alltäglichen Erfahrungen. Bei Philoso-phen wie dem 2018 verstorbenen Stanley Cavell oder dem in Zürich lehrenden Michael Hampe führt das dazu, literarischen Texten oder Filmen philosophische Dignität zuzusprechen. Und wie bei Blumenberg wirkt das auf die eigene Darstellungsform zurück.
 
Metaphern im Alltag

Eine Herausforderung der Sichtverengung auf das Systematische geht von Blumenbergs historischem Philosophieren aus. Es sucht, systematische Probleme im Horizont ihrer Lösungsversuche verständlich zu machen. So wartet seine nachgelassene Beschreibung des Menschen nicht mit einer Definition des Men-schen auf, sondern sammelt zunächst „Definitionsessays“, historische Versuche, eine solche Bestimmung zu geben.

Eine dergestalt unsystematisch auftretende Philosophie bereitet allerdings einer systematischen Anknüp-fung Schwierigkeiten. Denn bisweilen geht solches Vorgehen mit einer irritierenden Zurückhaltung be-züglich der eigenen theoretischen Positionierung einher.

Doch kann es nicht um die Übernahme von Blumenbergs Positionen gehen. Wer sich, wie jüngst Felix Heidenreich in einem bei Metzler erschienenen Essay zur „Politischen Metaphorologie“ fragt, was man heute mit Blumenbergs Denken „machen“ kann, der landet bei dessen Verfahren.

Vor allem die Metaphorologie, die den Funktionen von Metaphern in der Geistesgeschichte nachspürt, erweist sich als vielversprechend. Das gilt besonders dort, wo sie oft verdeckt wirkende Leitmetaphern herausarbeitet. Ein prominentes Beispiel ist das Licht als Metapher der Wahrheit.

Alltägliche Formulierungen wie „Licht in eine Sache bringen“ belegen ebenso die Macht solcher Metapho-rik wie die Rede von der „Aufklärung“. Mitunter kann sie unser Verständnis von der Welt grundsätzlich strukturieren. Die Metaphorologie zeigt, dass Leitmetaphern ebenso orientierend wie kanalisierend auf das Denken, Sprechen und Handeln einwirken können. 

Bedeutungsgeschichte von Metaphern

Blumenberg hat sich für die politischen Konsequenzen der kanalisierenden Wirkungskraft weniger inter-essiert. Unter dem Begriff des Framing werden sie in der kognitionswissenschaftlichen Metaphernfor-schung von George Lakoff und Elisabeth Wehling thematisiert. Aber auch hier hat die Metaphorologie – der neurowissenschaftliche Deutungen kultureller Phänomene fremd bleiben – mehr anzubieten.

Dank ihres Tiefenblicks zeigt sie, wie Metaphern an einer langen Bedeutungsgeschichte voller „Umbeset-zungen“ teilhaben. Überdies indizieren einzelne in der Rede auftretende Metaphern ein Assoziationssy-stem, das ihrem jeweiligen Gebrauch zugrunde liegt.

Um ein Beispiel von Kant aufzugreifen: Die Darstellung eines autoritär regierten Staates als Handmühle verweist auf eine mechanische, die Darstellung eines verfassungsmäßig regierten Staates als Organismus auf eine organische „Hintergrundmetaphorik“. Es liegt nahe, solche Metaphernkomplexe auf ihre Einbet-tung in soziale Funktionszusammenhänge hin zu befragen.

Kritische Kraft der Metaphorologie

Hier enttäuscht Blumenberg allerdings: Zunächst interessiert er sich für die geistesgeschichtliche Funktion, später für die anthropologische Grundfunktion von Metaphern. Das bezeichnet den Punkt, an dem mit der Metaphorologie über die Metaphorologie hinauszugehen ist. Die geistesgeschichtlichen Befunde gilt es mit sozial- und kulturgeschichtlichen Untersuchungen abzugleichen.

Ihre kritische Kraft entfaltet die Metaphorologie schließlich dann, wenn die von ihr aufgezeigten Meta-phernkomplexe gesellschaftstheoretisch durchleuchtet werden. Sie sind im Horizont von etablierten Denk- und Praxisformen zu dechiffrieren.

Jene Hintergrundmetaphorik des Organischen etwa hat in der Moderne eine ideologische Aufladung erfah-ren. Sie wirkt in der politischen Idealvorstellung einer gewachsenen, heimat- und erdverbundenen Gemein-schaft. In ideologischen Formationen wie dem modernen Antisemitismus bildet das einen Gegenentwurf zur funktionalistischen modernen Gesellschaft.

Wie die Metaphorik des organischen Gemeinwesens eine normative und letztlich handlungsleitende Kraft entfaltet, zeigt sich an der Identifikation von Juden als Parasiten und Krankheitserregern, die den „Volks-körper“ befielen. Auch dort, wo Populismen gegenwärtig den gewachsenen Volkswillen gegen die Techno-kratie der Institutionen anrufen, sind metaphorische Alternativen wie die von organisch und mechanisch im Spiel.

Als „Kritik der Kulturkritik“ (Blumenberg) oder „Jargonkritik“ (Adorno) wird Metaphorologie zur Ideolo-giekritik. Ein solches Verfahren ist auf traurige Weise an der Zeit – und bringt die Philosophie wieder in Kontakt mit historischen Gegenständen.


Nota. - Die Metapher ist kein Begriff. Sie ist immer vieldeutig und bildhaft unstet. Er ist eindeutig und festgestellt; und wo nicht, muss er es schleunigst werden, wenn er sich weiter vernehmen lassen will.

Für ernstgemeinte Philosophie, nämlich eine solche, die sich als Wissenschaft versteht, scheint nur er in Frage zu kommen; sie höchstens mal als Zwischenüberschrift.

Doch ist es wirklich nur ein Schein. Wo von reellen Gegenständen die Rede ist, die sich definieren und an ihrem Ort situieren lassen, ist das Begreifen allerdings der angemessen Modus des Verstehens. So verfahren die realen und namentlich die Naturwissenschaften. Doch dazu gehört die Philosophie nicht. Sie beschäftigt sich nicht mit einem reellen, sondern mit einem schlechthin ideellen Gegenstand - der allerdings, und das macht die Sache kompliziert, in der wirklichen Welt nicht nur wirklich vorkommt, sondern die führende Rolle spielt; nämlich mit dem Geist, dem Denken, dem Urteilen, dem Vorstellen, dem Wissen selbst. 

Mit dieser führenden Rolle beschäftigt sich ihrerseits eine reale Wissenschaft: die sogenannten Geistes-  oder besser so zu nennenden idiographischen Wissenschaften. Sie beschreiben die Schicksale und Wirk-samkeit der tatsächlichen Vorstellungen und Meinungen der Menschen in deren geschichtlichen Verstrik-kungen. 

Nicht so die Philosophie. Sie fragt nicht, welches Verhältnis die wirkliche Welt zu den Vorstellungen hat, sondern umgekehrt, welches Verhältnis die Vorstellungen zu den Dingen der Welt haben - nämlich ob sie über jene gültige und sei es nur pragmatisch gültige Aussagen treffen können.

*

Die begriffliche Darstellung der Welt hat eine selbstverständliche, aber darum unausgesprochene Prämisse. Die Welt wird vorgestellt als ein sich dehnender Raum von definierten Bedeutungspartikeln. Ob dabei dem Bedeutungspartikel ein bestimmte, ebenso partikulares Phänomen 'entspricht' - und was Entsprechung hier heißen soll -, mag unentschieden bleiben; doch dies ist der Vorsellungsrahmen; auch der Vorstellungsrah-men der auf Wittgenstein sich berufenden 'analytischen' oder, wie sie sich selber nennt, "systematischen" Philosophie dieser Tage; und es ist die einzige Vorstellung, die ihre Selbstbenennung als systematisch ir-gend rechtfertigen könnte.

Der Haken ist: Ein solches logisches Bedeutungsuniversum hinge in der Luft. Es hat nichts, das es begrün-det. Es kann nur so tun, als begründete es sich 'durch sich selbst': dadurch, dass "alles passt". Aber das träfe für das Wahnsystem eines Paranoikers so gut zu wie für die Vernunftsysteme der Begriffshuber: Es "trägt sich selbst", so verwundert sich die Phänomene auch die Augen reiben.

*

Dem hatte, sollte man meinen, die kritische Philosophie ein für allemal ein Ende bereitet. Ihr völlig reali-stischer Ausgangspunkt war, dass sich ein oder das Vernunftsystem historisch einmal ausgebildet hatte und allgemeine Geltung beanspruchte. Letzteres durfte es aber auf die Dauer nur, wenn es sich als begründet rechtfertigen konnte. Sache der Philosophie war es seither, seine Gründe ausfindig zu machen und es selbst als gültig zu erweisen; oder es als reine Phantasmagorie zu verwerfen.

Das historisch vorfindliche Vernunftsystem besteht aus einer Mannigfaltigkeit von definierten Begriffen und den logischen Schlussverfahren, durch die sie idealiter schlechthin mit einander verknüpft sind; wobei als Aufgabe der Philosophie nur übrigbliebe, die Art ihrer Verküpfung ausfindig zu machen - und gegeben-enenfalls die Definitionen zu ajustieren

Dies ist nun seinerseits kein 'Begriff' - in dem Sinne nämlich, dass es aus vorab gegebenen Begriffen und erwiesenen Schlussverfahren konstruiert woden wäre: Denn damit wäre das Vernunftsystem logisch 'sich selbst vorausgesetzt' - und hinge, wie gesagt, frei in der Luft.

*

Eine kritische, ihre Gründe überprüfende Philosophie kann die von Begriffen erfüllte Welt nicht als gege-ben voraussetzen, sondern höchstens, sofern es gelingt, aus den Bedingungen ihre Möglichkeit verständlich machen. Sie stößt dabei schließlich, nachdem alle historisch-faktischen Bestimmungen von ihr abgezogen sind, auf das vorstellend tätige Subjekt. Mit Begriffen kann sie nichts anfangen, denn die Bedingungen der Möglichkeit eines Vernunftsystems soll sie ja erst erweisen! Wie ein X, das unbestimmt und doch zur Selbstbestimmung bestimmt sein soll, 'sich selbst bestimmt', kann nich diskursiv in Begriffen und Logik "mit der Klarheit und Deutlichkeit des Geometers" demonstriert, sondern allenfalls in Bildern anschaulich gemacht werden. Dieses sich-selber-Bilden zu Etwas... muss nicht, aber kann vorgestellt werden. Muss allerdings, wenn vorab Übereinkunft da ist, dass... am Ende das Vernunftsystem herauskommen soll.

Wo Begriffe noch nicht bestimmt sind, sondern erst noch bestimmt werden sollen, kann die Sprache nur mehr oder minder zwingende Bilder verwenden; Wortbilder, Metaphern.

*

Das unternimmt Blumenberg nicht. Er illuminiert die Bildergeschichten der Mythen durch... Bilder. Dies bis in die äußerste Weite und bis ins kleinste Detail. Er türmt die Bilder zu babylonischen Höhen und ver-folgt sie bis in die äußersten Verästelungen. Das ist sehr lehrreich - wenn man es wissen will. Ob man es wissen soll oder gar muss, bleibt metaphorisch in der Schwebe. Der bleibende Ertrag beispielsweise seiner voluminösen Arbeit am Mythos ist, von den philologischen Subtilitäten abgesehen, die ja nicht jedermanns Fall sind, dass in den Mythen Aussagen über die Welt zu finden sind, die sich in diskursiver Sprache kaum formulieren lassen. Und so greift er immer wieder auf metaphoische Wendungen zurück, die zufällig etwas erhellen - nämlich wenn der Leser zufällig sowieso seiner Meinung zuneigt.

Mir hat namentlich ein Satz über Fichtes radikalisierte Version, den echten durchgeführten Kritizismus gefallen: ein endgültiger und "letzter Mythos" - die "Geschichte, die von dem spielenden oder abenteu-ernden oder bildnernden Ursubjekt handelt".*

Der Schönheitsfehler ist bloß - Metaphern können den Andern bestenfalls zum Einverständnis verlocken, aber, anders als die begriffliche Demonstration, nicht zwingen. Beim  anschaulichen Hervorbringen der einen Vorstellung aus der vorangegangen ist der Zweck die Prämisse, und nur so ist die Darstellung zwin-gend. Nur darum kann sie auf Begriffe verzichten.
JE

*) Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/M, 1999, S. 295f.

 

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