aus welt.de, 18.02.2021 zu Jochen Ebmeiers Realien;
Das Geheimnis der Dunklen Materie
Schwarze
Löcher sind unsichtbar. Die mysteriöse Dunkle Materie im Universum
auch. Bis heute konnten Wissenschaftler nicht die Frage klären, woraus
Dunkle Materie besteht. Doch möglicherweise gibt es einen Zusammenhang
zwischen Schwarzen Löchern und Dunkler Materie. Darüber spricht der
Physiker und Astronaut Ulrich Walter in diesem Interview und bei
„Spacetime“ im WELT Fernsehen.
Schwarze
Löcher sind unsichtbar. Die mysteriöse Dunkle Materie im Universum
auch. Bis heute konnten Wissenschaftler nicht die Frage klären, woraus
Dunkle Materie besteht. Doch möglicherweise gibt es einen Zusammenhang
zwischen Schwarzen Löchern und Dunkler Materie. Darüber spricht der
Physiker und Astronaut Ulrich Walter in diesem Interview und bei
„Spacetime“ im WELT Fernsehen.
WELT: Im Zentrum
unserer Milchstraße gibt es ein gewaltiges Schwarzes Loch – auch
Sagittarius A* genannt. Seine Masse entspricht der von 4,3 Millionen
Sonnen. Manche Menschen haben Angst davor, dass unsere Erde irgendwann
von diesem Monster verschluckt werden könnte. Ist diese Sorge
berechtigt?
Ulrich Walter: Nein, ganz und gar
nicht. Dafür sind wir viel zu weit von diesem Schwarzen Loch entfernt.
Unser Sonnensystem, und damit auch die Erde, umkreist das Zentrum der
Milchstraße in einem Abstand von rund 30.000 Lichtjahren – und das
bereits seit 13 Milliarden Jahren. Daran wird sich auch künftig nichts
ändern.
WELT:
Aber das Schwarze Loch könnte gefährliche Strahlung abstrahlen, wenn es
mal größere Mengen Materie als üblich verschluckt. Ist das ein Risiko
für uns?
Walter: Es ist richtig, dass Schwarze
Löcher unter anderem intensive Röntgenstrahlung aussenden, wenn sie
Materie verschlingen. Wären wir näher am Zentrum der Milchstraße, könnte
uns diese Strahlung tatsächlich gefährlich werden. Doch wir sind weit
genug weg. Wir leben in der habitablen Zone unserer Galaxie.
WELT: Auch Galaxien haben eine habitable Zone?
Walter:
Durchaus. Meist hört man den Begriff habitable, also bewohnbare Zone,
im Kontext von Exoplaneten. Damit es auf einem Planeten Leben geben
kann, darf er nicht zu nah und nicht zu weit weg von seinem
Zentralgestirn sein. Sonst ist es auf diesem Planeten entweder zu heiß
oder zu kalt. Der Abstandsbereich, in dem Leben nicht grundsätzlich
ausgeschlossen ist, wird habitable Zone genannt. Bei Galaxien ist es
ähnlich.
Zu nah am Zentrum der Milchstraße wären wir von der
energiereichen Strahlung des Schwarzen Lochs betroffen. Zudem ist im
inneren Bereich der Galaxie die Dichte von Sternen größer und damit die
Wahrscheinlichkeit, dass es in kosmischer Nachbarschaft eine
Supernova-Explosion gibt. Auch die Strahlung, die bei einem solchen
Ereignis freigesetzt wird, kann Leben auf einem Planeten auslöschen. Am
äußeren Rand einer Galaxie wiederum gibt es noch nicht genügend feste
Materie, aus der sich Planeten bilden können. Alle schwereren chemischen
Elemente müssen ja zunächst einmal bei einer Supernova-Explosion
entstehen. Das setzt wiederum voraus, dass es ausreichend viele alte
Sterne geben muss. Unser Sonnensystem und damit unsere Erde befindet
sich jedenfalls in der habitablen Zone der Milchstraße, in der alle
Bedingungen für das Entstehen von Leben auf Planeten grundsätzlich
erfüllbar sind.
Der studierte Physiker Ulrich Walter war schon selbst im All. Heute ist
er Professor für Weltraumtechnik. Bei WELT TV erklärt er seinen
Zuschauern spannende Phänomene im All – zum Beispiel die Dunkle Materie.
WELT: Über welchen Bereich erstreckt sich die habitable Zone in unserer Milchstraße?
Walter: Ungefähr in einem Bereich von 10.000 bis 40.000 Lichtjahren vom Zentrum aus gemessen.
WELT: Haben eigentlich alle Galaxien im Zentrum ein Schwarzes Loch?
Walter:
Sehr wahrscheinlich ja. Alle Sterne schwerer als drei Sonnenmassen
enden schließlich als Schwarzes Loch. Da die Sternendichte im Zentrum
einer Galaxie sehr hoch ist, bilden sich dort im Laufe der Zeit auch
besonders viele dieser stellaren Schwarzen Löcher. Diese wiederum
fressen sich nach und nach gegenseitig auf und wachsen so zu einem
sogenannten supermassiven Schwarzen Loch. Auch Sagittarius A* im Zentrum
unserer Milchstraße muss auf diese Weise gewachsen sein. Denn ein
Schwarzes Loch mit 4,3 Millionen Sonnenmassen kann logischerweise nicht
unmittelbar aus nur einem Stern entstanden sein. Die meisten
Astrophysiker gehen heute davon aus, dass tatsächlich alle Galaxien im
Zentrum mindestens ein supermassives Schwarzes Loch besitzen.
WELT:
Dann gibt es also in unserer Milchstraße sicher noch viele stellare
Schwarze Löcher, die früher oder später mit Sagittarius A* verschmelzen
werden?
Walter: Genauso ist es. Und wir reden da
nicht über ein paar Exemplare. Man schätzt die Anzahl stellarer
Schwarzer Löcher in unserer Milchstraße auf etwa 100 Millionen. Die
können wir, wie Sagittarius A*, nicht sehen. Es gibt im Wesentlichen nur
zwei Möglichkeiten, die Existenz eines Schwarzen Lochs zu belegen.
Entweder man vermisst die Bahn eines Sterns, der in relativ geringem
Abstand ein Schwarzes Loch umrundet. So konnte Physiknobelpreisträger
Reinhard Genzel die Existenz von Sagittarius A* beweisen und zugleich
seine Masse bestimmen.
Die andere Möglichkeit ist der Nachweis
jener Strahlung, die Schwarze Löcher beim Verschlucken von Materie
freisetzen. Beide Methoden funktionieren bei stellaren Schwarzen Löchern
nicht. Aufgrund der großen Abstände zu anderen Objekten fließt nur sehr
selten Materie in sie hinein. Und nur bei größeren Materiemengen hätte
man überhaupt eine Chance, die dabei entstehende Strahlung mit
empfindlichen Teleskopen zu detektieren. Auch aus diesem Grunde ist die
Messung von Gravitationswellen so interessant. Wenn zwei Schwarze Löcher
miteinander verschmelzen, senden sie Gravitationswellen aus. Das ist
dann auch ein indirekter Nachweis für die Existenz dieser Schwarzen
Löcher. Diese Messmethode steht den Astrophysikern erst seit wenigen
Jahren zur Verfügung. In dieser Zeit wurden schon so viele Fusionen von
Schwarzen Löchern beobachtet, dass solche Vorgänge offenbar häufiger
sind als zuvor gedacht. Keines dieser Ereignisse spielte sich allerdings
in unserer Milchstraße ab.
WELT:
Auch wenn sich im Zentrum unserer Milchstraße ein massereiches
Schwarzes Loch befindet, so reicht dessen Schwerkraft plus die aller
sichtbaren Sterne nicht aus, um ein Auseinanderfliegen unserer
rotierenden Galaxie zu verhindern. Doch offensichtlich ist unsere
Galaxie durchaus stabil.
Walter:
Das ist richtig. Die Masse und damit die Gravitationskraft der Sterne
ist, angesichts der großen Abstände zwischen ihnen, nicht ausreichend,
um die Spiralgalaxie in ihrer bekannten Form stabil zu halten. Im
inneren Teil der Galaxie gibt es zwar ausreichend Materie, um die
Milchstraße zusammenzuhalten. Doch der Rand der Galaxie rotiert mit so
hoher Geschwindigkeit, dass er eigentlich wegfliegen müsste.
Astrophysiker haben ausgerechnet, dass fünfmal mehr Materie vorhanden
sein müsste, um die Stabilität der Milchstraße zu ermöglichen. Und so
ist die Hypothese entstanden, dass es zusätzlich Dunkle, also für uns
unsichtbare Materie geben müsse, die mit ihrer Schwerkraft die Galaxie
zusammenhält.
Und es gibt noch ein weiteres Indiz für die
Anwesenheit von Dunkler Materie. Die Umlaufgeschwindigkeit in unserer
Galaxie ist unabhängig vom Abstand zum Zentrum. Eigentlich müsste sie
nach den Gesetzen der klassischen Physik mit wachsendem Abstand
abnehmen. Durch zusätzliche Dunkle Materie im äußeren Bereich der
Galaxie könnte man jedoch diese Anomalie bei der
Rotationsgeschwindigkeit erklären.
WELT:
Aber bislang haben die Astrophysiker noch nicht herausgefunden, woraus
diese Dunkle Materie eigentlich besteht. Wie ist denn da der Stand der
Dinge?
Walter: Anfangs dachte man, dass es sich
bei der Dunklen Materie um einen neuen Typus Elementarteilchen handelt,
die lediglich über zwei Naturkräfte mit der Umwelt interagieren – per
Gravitation und über die sogenannte schwache Wechselwirkung. Diese
hypothetischen Teilchen hat man WIMP genannt. Dieses Akronym steht für
„Weakly interacting massive particle“. Weil Dunkle Materie nicht
elektromagnetisch – also insbesondere nicht mit Licht – wechselwirkt,
hat das zur Folge, dass sie unsichtbar ist.
Außerdem hat es die
Konsequenz, dass man diese Materie schlichtweg nicht berühren kann.
Meine Hand würde durch ein Stück Dunkle Materie einfach hindurchgreifen,
ohne dass ich irgendetwas spüren würde. Andererseits müssen WIMPs
dennoch sehr massiv im Sinne einer starken Gravitationskraft sein.
Deshalb scheidet das Neutrino als Kandidat für die Dunkle Materie aus.
Neutrinos sind zwar elektrisch neutral und unterliegen nur der schwachen
Kraft und der Gravitation. Doch sie sind einfach nicht massiv genug.
Die Neutrinomasse ist viel zu klein, um die besagten Effekte in der
Milchstraße erklären zu können. Außerdem fliegen Neutrinos mit nahezu
Lichtgeschwindigkeit durchs All. Mithin können sie kein ortsfester
Gravitationskitt in einer Galaxie sein.
WELT: Wenn es keine Neutrinos sind, welche anderen Teilchen kommen dann infrage?
Walter:
Forscher haben da insbesondere zwei hypothetische Teilchen ins Visier
genommen – Neutralinos und Axionen. Nach ihnen hat man intensiv mit
eigens dafür gebauten Detektoren gefahndet. Bislang vergebens. Die
Theoretiker haben sich dann eine sogenannte MOND-Theorie ausgedacht.
MOND steht für „Modified Newton Dynamics“ und besagt, dass man die
Wirkung der guten alten Gravitationstheorie von Isaac Newton bei extrem
großen Distanzen so modifiziert, dass sich damit die Stabilität der
äußeren Teile von Galaxien auf dem Papier erklären lässt. Das ist
natürlich ein grundsätzlich anderer Ansatz. In diesem Fall braucht man
gar nicht mehr nach irgendeiner Dunklen Materie zu suchen, sondern die
uns bekannte Materie wechselwirkt dann schlicht mit einer entsprechend
veränderten Gravitationskraft.
WELT: Sind Sie Anhänger der MOND-Theorie?
Walter:
Ich persönlich favorisiere eine weitere Möglichkeit. Nicht wenige
Forscher halten es mittlerweile für plausibel, dass die Dunkle Materie
in unserer Milchstraße aus sehr viel mehr als diesen 100 Millionen
„kleinen“ Schwarzen Löchern besteht. Beim Urknall sind demnach
sogenannte primordiale Schwarze Löcher entstanden, die typischerweise
nur so viel Masse besitzen wie unsere Erde. Solche vergleichsweise
kleinen Schwarzen Löcher können nur bei extrem hohen Dichten und
Energien entstehen, wie es eben beim Urknall der Fall war.
WELT:
Vor der Inbetriebnahme des weltgrößten Teilchenbeschleunigers am Genfer
Forschungszentrum Cern wurde ja seinerzeit gewarnt, dass bei dem
Zusammenstoß von Teilchen bei sehr hohen Energien Schwarze Löcher
entstehen könnten, die dann möglicherweise die Erde verschlucken.
Walter:
Genau. Wenn Teilchen im Beschleuniger mit so hohen Energien
aufeinanderprallen, dann können in der Tat extrem winzige Schwarze
Löcher entstehen. Die sind aber vollkommen ungefährlich. Sie zerstrahlen
innerhalb kürzester Zeit und sind dann wieder verschwunden. Ihre Masse
ist ja schließlich winzig, nur so groß wie die von zwei Atomkerne. Diese
Schwarzen Löcher haben gar keine Chance, weiterzuwachsen und nach und
nach die ganze Erde zu verschlucken. Schwarze Löcher mit Erdmasse können
jedoch über viele Milliarden Jahre existieren. Die Theorie sagt voraus,
dass sie rund 1050 Jahre stabil bleiben. Also alle beim
Urknall entstandenen primordialen Schwarzen Löcher von der Größe eines
Berges oder größer, sollte sie es geben, würden noch heute existieren.
Und so gibt es in unserer Milchstraße nicht nur das supermassive Loch
Sagittarius A* und Millionen von stellaren Schwarzen Löchern, sondern
möglicherweise auch noch Milliarden oder sogar Milliarden mal Milliarden
solcher Minilöcher. Sie könnten über die ganze Milchstraße verteilt
sein. Wie viel es wirklich sind, weiß niemand. Ihre Massen könnten von
der eines Steins bis zu der eines großen Planeten reichen.
WELT: Wie viele Anhänger haben denn diese verschiedenen Theorien zur Dunklen Materie?
Walter:
Bis vor Kurzem haben etwa 80 Prozent der Physiker an das Neutralino
geglaubt. Seit zwei, drei Jahren hat sich das aber geändert. Mit den
vielen Suchexperimenten, die man über Jahre hinweg durchgeführt hat,
hätte man das Neutralino eigentlich längst entdecken müssen – wenn es
denn existiert. Das hat zu einer gewissen Ernüchterung geführt. Im
Moment konzentrieren sich die Experimentatoren auf die Suche von
Axionen. Deren Anhängerschaft schätze ich auf 40 Prozent. Auf die
MOND-Theorie setzen rund 20 Prozent, und die primordialen Schwarzen
Löcher favorisieren 20 bis 30 Prozent. Es gibt in dieser Frage also
derzeit keine Mehrheitsmeinung.
WELT: Wie könnte man denn die Existenz der primordialen Schwarzen Löcher beweisen?
Walter:
Auch wenn die Abstände zwischen den primordialen Schwarzen Löchern groß
sind und der interstellare Raum nur sehr wenig Materie enthält, so
müsste doch ab und zu irgendwo etwas Materie in ein solches Schwarzes
Loch fallen und dabei ein kleiner Blitz entstehen. Tatsächlich gibt es
ein Forschungsprojekt, bei dem man nach solchen Blitzen am Rande unseres
Sonnensystems Ausschau hält. Aus den Bahndaten der äußersten
Kleinplaneten in unserem Sonnensystem, den sogenannten transneptunischen
Objekten, wurde die Hypothese eines sogenannten Planeten X abgeleitet.
Möglicherweise handelt es sich ja bei diesem bislang nicht mit
Teleskopen nachgewiesenen Planeten um ein primordiales Schwarzes Loch.
Nota. - Versteh ich das recht? Der Gedanke ist wohl, dass im Innern der Schwarzen Löcher die Materie in eine Art Default-Zustand zerfällt - der womöglich ihrem Ausgangszustand "nach dem Urknall" ähnelt? Ich bin Laie, ich darf meine Einbildungkraft spielen lassen. For-scher dürfen das auch: 'um auf andere Gedanken zu kommen'. Das sind dann allerdings wirklich Gedanken und keine bloßen Einfälle: weil sie ihnen nachgehen können.
JE