C. D. Friedrich zu Philosophierungen; zu Geschmackssachen
Die Auflösung dieser Aufgabe ist der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks, und daher aller Aufmerksamkeit würdig.
Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, und nur die
allgemeine Mitteilbar-keit derselben sollte im Geschmacksurteile der
Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches
Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust
würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfin-dung
sein, und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können,
weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge.
Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des
Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche als subjektive
Bedingung des Geschmacksurteils demselben zum Grunde liegen und die
Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts [anderes]
allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis, und Vorstellung, sofern sie
zum Erkenntnis gehört. Denn sofern ist die letztere nur allein objektiv,
und hat nur dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die
Vorstellungskraft Aller zusammenzustim-men genötigt wird. Soll nun der
Bestimmungsgrund des Urteils über diese allgemeine Mit-teilbarkeit der
Vorstellung bloß subjektiv, nämlich ohne einen Begriff vom Gegenstande
gedacht werden, so kann er kein anderer als der Gemütszustand sein, der
im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zueinander angetroffen wird,
sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen.
Die Erkenntniskräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel
gesetzt werden, sind hiebei in einem freien Spiele, weil kein
bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt.
Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des
frei-en Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu
einem Erkenntnisse überhaupt sein. Nun gehören zu einer Vorstellung,
wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis
werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begriffs[,] der die Vor-stellungen vereinigt. Dieser Zustand eines freien Spiels
der Erkenntnisvermögen bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand
gegeben wird, muß sich allgemein mitteilen lassen: weil Erkenntnis als
Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen (in welchem
Subjekte es auch sei) zusammen stimmen sollen, die einzige
Vorstellungsart ist, die für je-dermann gilt.
Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in
einem Geschmacksurteile, da sie ohne einen bestimmten Begriff
vorauszusetzen stattfinden soll, kann nichts anders als der
Gemütszustand in dem freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt
erforderlich ist, zusammenstim-men) sein: indem wir uns bewußt sind, daß
dieses zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis
ebensowohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein
müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf
jenem Verhältnis als subjektiver Bedingung beruht.
Diese bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes
oder der Vorstellung, wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an
demselben vorher, und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der
Erkenntnisvermögen; auf jener Allgemeinheit aber der subjektiven
Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet sich allein diese
allge-meine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der
Vorstellung des Gegen-standes den wir schön nennen, verbinden.
Daß seinen Gemütszustand, selbst auch nur in Ansehung der
Erkenntnisvermögen, mit-teilen zu können, eine Lust bei sich führe:
könnte man aus dem natürlichen Hange des Menschen zur Geselligkeit
(empirisch und psychologisch)
leichtlich dartun. Das ist aber zu unserer Absicht nicht genug. Die
Lust, die wir fühlen, muten wir jedem andern im Ge-schmacksurteile als
notwendig zu, gleich als ob es für eine Beschaffenheit des Gegenstan-des,
die an ihm nach Begriffen bestimmt ist, anzusehen wäre, wenn wir etwas
schön nen-nen; da doch Schönheit ohne Beziehung auf das Gefühl des
Subjekts für sich nichts ist. Die Erörterung dieser Frage aber müssen
wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie ästhetische Urteile a
priori möglich sind, vorbehalten. ...
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Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Erstes Buch, § 9 in Werke, ed. Weischedel, Bd IX, Ffm 1968, S. 131
Nota. - Kant
hat eine völlig neue Art zu denken in die Welt gesetzt, da hatte er
genug zu tun; all den jahrhundertealten scholastischen Ballast
abzustreifen, den er in der Wolf-Baum-garten-Schule mitbekommen hatte,
fehlte ihm die Zeit. Oder anders - wenn sein Herange-hen an das
Erkenntnisvermögen insgesamt auch ein phänomenologisches ist, hängt er
in der Durchführung immer noch der Unsitte an, vorab Begriffe zu
definieren und hernach Erkenntnis daraus zu stricken.
Etwa
so: Weil ästhethische Urteile mitgeteilt werden, müssen sie auf
Erkenntnis ausgegan-gen sein, denn nur Erkenntnis lässt sich mitteilen.
Ergo muss den Geschmacksurteilen et-was Allgemeingültiges zukommen. -
Wenn aber nun gerade dies das Paradox der ästheti-schen Urteile wäre: dass sie so mitgeteilt werden, als ob sie allgemeine Geltung beanspru-chen könnten, obwohl sie doch aus rein privatem Erleben stammen -? Weshalb man über Geschmack sehr wohl streiten kann, nur nicht argumentieren, weil eben die Begriffe fehlen.
Man könnte sagen: Im Streit über Geschmacksurteile findet ein freies Spiel der Vorstel-lungskräfte statt, das eben deshalb ein Spiel ist, weil die Erkenntnisvermögen dabei immer nur so tun, als ob... Das
wäre nicht bloß der natürliche Hang der Menschen zur Geselligkeit,
sondern die Eigenlogik der Geschmacksurteile: dass sie danach drängen,
mitgeteilt zu wer-den, weil sie erst ganz sie selber sind, sobald sie Junge werfen.
JE 25. 10. 14
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