Montag, 22. Juni 2020

Architektur ist zwar keine bildende Kunst, aber die Architekten sind heute mehr Künstler als Maler und Bildhauer.

             aus Geschmackssachen
 
In der Gegenwart ist der Architekt, wenn er seine Aufgabe erfüllt, eigentlich der künstlerischere Künstler als der Maler oder Bildhauer. Während jene ihre ästhetischen Probleme selber aushecken und lösen, wie es ihnen pläsiert – und dieses ist so unerheblich, so belanglos, so gleichgültig und willkürlich wie jenes –, ist den Archi-tekten ein zumindest in diesem Sinn objektives Problem gegeben, als ein Anderer, ein Auftraggeber, es ihnen vorgegeben hat; und es ist nicht nur ästhetisch – dies sogar erst in zweiter Linie -, sondern sachlich: Die Lösung muss nicht nur funktional sein; will sagen: der Architekt muss verstanden haben, um welche Funktion es geht; sondern auch ökonomisch: Funktion und Aufwand müssen in einem vertretbaren Verhältnis zu einander ste-hen.


Und außerdem soll sich die Lösung ästhetisch sehen lassen. Irgendeine Form wird die Sache sowieso haben, ob er darauf absieht oder nicht. Die Ingenieure der frühen Industriearchitektur haben anscheinend gar nicht dar-auf abgesehen – und ihre Lösungen verschlagen uns heut die Sprache (vermutlich, weil uns die damalige Funk-tionalität postindustriell völlig fremd geworden ist). Der heutige Architekt ist das, was der Bildende Künstler gar nicht mehr sein kann, so sehr er auch so tut: ein Erfinder. Doch die faulen Gecken unter ihnen halten sich für Bildende Künstler und kaprizieren sich auf die Repräsentations-Bauten des Reichtums; die müssen nicht funktionieren, sondern Eindruck machen, und was es kostet, spielt schon gar keine Rolle. 

Ob Frank Gehry als Architekt etwas taugt, wird sich erst sagen lassen, wenn er eine städtischen Wohnanlage zustande gebracht haben wird; bisher hat er sich glücklich darum gedrückt.


- Das habe ich unlängst im Andenken an Frei Otto geschrieben. Es ist weniger paradox, als es klingt. Die ästhetischen Probleme, die sich die zeitgenössischen Maler und Bildhauer stellen, sind an den Haaren herbei-gezogen. Die Augen öffnen sie niemandem, es ist alles schonmal dagewesen. Ästhetische Qualitäten mögen in den Werken noch immer ihren Platz haben, wenn man auch nicht viel davon zu Gesicht bekommt. Aber Pro-bleme, die einer Lösung harrten, sind sie nicht.

Architektur ist keine bildende Kunst, jedenfalls erst, wenn sie ihren sachlichen Funktionen gerecht geworden ist. Dagewesen ist davon auch das meiste, aber das spielt gar keine Rolle: Um uns die Augen zu öffnen, sind Häuser ja nicht da. Aber die Probleme, die die Architekten zu lösen haben, sind nicht geringer geworden, son-dern erheblicher, und zwar sind sie erst in zweiter oder dritter Linie ästhetisch, doch eben deshalb problemati-scher, nämlich realer als die der bildenden Künstler.

 
  28. 5. 15

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