aus welt.de, 20. 6. 2020 zu Jochen Ebmeiers Realien
Was zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit schief läuft
Der Öffentlichkeit dauert alles zu lange, für die Wissenschaft läuft
vieles zu schnell. In der Krise offenbart sich ein grundlegendes
Missverständnis. Die Sicht eines Forschers auf die Lage.
Mitte März
merkte ich schlagartig, dass für das Verhältnis von Naturwissenschaften
und Öffentlichkeit eine neue Zeit begonnen hatte. In vielen europäischen
Ländern stieg damals die Zahl der Menschen, bei denen eine Infektion
mit dem neuen Coronavirus nachgewiesen worden war. Und bei uns im Labor
war eine Journalistin zu Gast, der ich unser eben begonnenes Projekt zur
molekularbiologischen Untersuchung von mit Sars-CoV-2 infizierten
Zellen erklärte.
Schon das war ungewöhnlich, interessierten sich
Medien und Öffentlichkeit sonst doch eher in Ausnahmefällen und bei
abgeschlossenen Projekten für die Grundlagenforschung. Diesmal klingelte
aber zusätzlich das Telefon, ein Fernsehsender brauchte biologische
Expertise für eine Gesprächsrunde zum Coronavirus.
Die „Wissenschaftskommunikation“, also der Dialog der Wissenschaft mit einem interessierten Publikum, ist in der Pandemie zu einem hektischen Tagesgeschäft
geworden. Statt Informationstage für ein abgeschlossenes Projekt lange
vorzubereiten, ziselierte Kommunikationskonzepte zu entwerfen und
umzusetzen, gilt es nun tagesaktuell zu argumentieren, zu podcasten, zu
bloggen und zu twittern.
Wie schwierig es für die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Getümmel sein kann,
konnten wir in den vergangenen Wochen mehrmals beobachten.
Das ist nicht überraschend: Der Umgang mit Ungewissheiten und der
Zeithorizont sind in der Wissenschaft ganz anders als in der
(Medien-)Öffentlichkeit.
Ungewissheiten sind das Lebenselixier
der Wissenschaft. Wo es Unklarheiten gibt, wo etwas nicht bekannt ist,
wo etwas Neues entstehen soll, hat wissenschaftliches Arbeiten erst
seinen Daseinszweck. Im Krebsgang tastet sich eine Forschungsdisziplin,
tasten sich Dutzende, Hunderte oder mehr Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler langsam an eine Erkenntnis heran. Dabei tun sich auf dem
Weg meist mehr Fragen auf als Antworten gegeben werden. Je näher man
hinschaut, desto komplizierter wird die Welt.
In
der Pandemie trifft dieses schrittweise und bisweilen selbstgenügsame
Vorgehen auf reales Leiden und auf Ängste. Wenn Menschen krank werden
und sterben, wenn der Lohn ausbleibt, wenn Eltern monatelang zu Hause
gleichzeitig den eigenen Job und die Kinderbetreuung irgendwie erledigen
müssen, wenn Menschen ihre Arbeit verlieren, dann werden klare
Antworten gewünscht. Von der Politik, die sie als Grundlage für ihre
weitreichenden Entscheidungen braucht. Von den Medien, vor allem dort,
wo das Verständnis für Abwägungen und die Feinheiten im wissenschaftlichen Arbeiten fehlt.
Wer
kann nun zwischen diesen beiden Welten, Wissenschaft und
Öffentlichkeit, vermitteln? In den vergangenen Jahren kam es zu einer
Aufwertung der sogenannten „Wissenschaftskommunikation“, gefördert und
gefordert von Öffentlichkeit und Politik. Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sollen, mithilfe der Kommunikationsabteilungen ihrer
Institutionen, die Brücke zu Medien und Publikum selbst schlagen. Also
neue wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln, Fragen beantworten und
Neugier befriedigen, aber auch Werbung für die eigene Arbeit machen.
Als Kompensation für den schwindenden Wissenschaftsjournalismus ist
das nicht unproblematisch, wenn eine sowohl kritische wie fachkundige
Vermittlung wegfällt. Trotzdem, für ein Publikum, das Wissenschaft
ohnehin spannend findet, und gern Vorträge über Grundlagenforschung
hört, funktionierte das in normalen Zeiten ganz gut.
Nun
aber, in der Pandemie, traf man als Wissenschaftler auf Journalisten,
die sonst über Wirtschaft und Politik berichten. Bei diesen an
Kontroverse, Kürze und Klarheit gewöhnten Journalisten stößt der
Erkenntnisprozess der Wissenschaft eher auf Unverständnis. Er wird nicht
als Stärke, sondern als Schwäche wahrgenommen. Wissenschaftlicher
Widerstreit wird als Konflikt gesehen anstatt als Erkenntnisprozess.
Oder einzelne Aussagen werden herausgegriffen und zugespitzt.
Problematisch
ist dabei gar nicht die Härte der Kritik. In der Wissenschaft sind
vernichtende Gutachten, meist anonym, für Publikationen oder Anträge
eher die Regel als die Ausnahme. Die Spannung entsteht aus der Art und
Weise, wie in der Wissenschaft kommuniziert wird. Grundsätzlich werden
alle Erkenntnisse und Studien als vorläufige Teile eines Mosaiks
gesehen. Nicht als fertig zusammengesetzte Bilder, schon gar nicht für
sich alleine alles erklärend, sondern als Schritte in einem Prozess, die
auch wieder rückwärts gegangen werden können. Um im Zweifelsfall auch
im Rückwärtsgang besser zu werden, der Wahrheit ein kleines Stück näher
zu kommen.
Natürlich gibt es in allen Forschungsdisziplinen immer
wieder Meilensteine, Studien, die auch nach Jahren und Jahrzehnten noch
zentral sind. Als solche sind sie aber erst im Nachhinein erkennbar.
Gerade jetzt, wenn Tausende Studien gleichzeitig erscheinen und
teilweise schon bei der Publikation der finalen, begutachteten Version
veraltet wirken, kann nicht gesagt werden: Das stimmt, und das stimmt
nicht. Deswegen betonen wir bei jeder Veröffentlichung immer wieder die
Limitationen einer Studie. Wir erklären stets, was sie nicht erklären
kann.
Bis zum Durchbruch wird es dauern
Der
Nachrichten-Rhythmus in der Öffentlichkeit misst sich in Stunden oder
allenfalls Tagen. In der biomedizinischen Forschung geht es weitaus
langsamer voran. Es geht um viel, doch der Fortschritt in einem Projekt
von einer Woche zur nächsten ist oft so klein, dass er gar nicht
wahrgenommen wird. Erst im Rückblick wird gelegentlich klar: Damals, das
war der entscheidende Moment!
Aber wie vermittelt man diese
gedehnte Zeitlichkeit einer Bevölkerung, die zu Hause bleiben muss, die
Krankheit fürchtet und ungeduldig auf Erlösung durch Impfstoffe oder
Medikamente hofft? Gerade in der Impfstoffentwicklung erleben wir
derzeit einen gigantischen, weltweiten Kraftakt mit über 200 Ansätzen
und vielen Milliarden Euro Fördermitteln.
Optimisten gehen davon
aus, dass trotzdem erst frühestens Anfang nächsten Jahres eine Impfung
möglich sein wird. Wahrscheinlich wird auch erst einmal keine genügend
große Menge Impfstoff verfügbar sein, um die gesamte Bevölkerung zu
impfen. Vermutlich werden daher Risikogruppen und bestimmte
Berufsgruppen als erste geschützt. Aber bereits das wäre ein großartiger
Erfolg, die Entwicklung einer Impfung dauert normalerweise viele Jahre.
Bei
den Medikamenten liegen die größten Hoffnungen auf Wirkstoffen, die
bereits für andere Anwendungen zugelassen sind und vielleicht den
Krankheitsverlauf bei Covid-19 beeinflussen können. Auch da: Ermutigende
Resultate gibt es, aber noch keinen klaren Weg zu einer Therapie.
Bis
zum Durchbruch wird es also noch eine ganze Weile dauern. Bis dahin
muss die Gesellschaft mit dem Virus leben. Die Naturwissenschaften
können dazu nur einen Teil beitragen. Kleine Fortschritte helfen zu
verstehen, wie Gefahren minimiert werden können, aktuell die
Beschreibung von Superspreading-Events als Treiber der Pandemie.
Entscheidend dafür, wie die Gesellschaft die Infektionswellen übersteht,
ist das Verhalten von uns allen im Alltag: Ob wir zuverlässig Masken
tragen, Quarantänevorschriften beachten, Abstand halten, uns an die
Arbeitswelt im Homeoffice anpassen und insgesamt Rücksicht aufeinander
nehmen.
Der Lockdown hat auch Forschung verzögert.
Die
Pandemie verändert auch die Wissenschaft. Die Beschleunigung, die
weltweit seit Januar eingesetzt hat, ist faszinierend und ambivalent
zugleich. Die Aufmerksamkeit für jedes Forschungsvorhaben, das die
Pandemie betrifft, schmeichelt und spornt an. Sie verleitet aber auch zu
überstürzt publizierten und damit fehleranfälligen
Arbeiten. Viele Forschungslabore, die bisher nie mit Viren gearbeitet
haben, wollen aus ehrlichem Antrieb helfen, ihre Ressourcen und ihr
Wissen beitragen.
Aber es ist auch klar, dass im ewigen Ringen um
Forschungsfördergelder eine Verlagerung in Richtung Covid-19
stattfindet und man daher früh einen Fuß in der Türe haben muss.
Gleichzeitig hat die Pause im Lockdown viele andere Forschungsarbeiten
ausgebremst, Experimente mussten abgebrochen werden, es fürchten vor
allem junge Wissenschaftler einen Bruch in ihrer ohnehin prekären
Laufbahn.
Was
das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit angeht, zeigt die
Pandemie vor allem eines: Es braucht mehr Austausch und Verständigung
darüber, wie neue Erkenntnisse tatsächlich entstehen. Sie fallen nicht
als Lehrbuchwissen vom Himmel, der Weg verläuft nicht immer gerade.
Nicht selten kommt ausgerechnet die entscheidende Idee aus einer
vermeintlichen Sackgasse, aus einer Nische. Und es ist immer ein
vorsichtiges Herantasten, ein ständiges Hinterfragen, ein Prüfen von
Daten und Quellen.
Das Wissen um diese Kultur hätte nicht nur den
Vorteil, dass mehr Menschen die Möglichkeiten und Grenzen von Forschung
realistisch einschätzen könnten, im Normalbetrieb wie in
Extremsituationen. Es wäre auch eine Übung in intellektueller
Selbstermächtigung und könnte die Neugier auf die Welt in all ihrer
Komplexität beflügeln. Dazu können wir als Wissenschaftler gern unseren
Teil beitragen.
Der Autor ist Molekularbiologe im Max-Delbrück-Centrum
für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin. Er
untersucht molekulare Prozesse in Zellen, die mit Herpes- oder
Coronaviren infiziert sind. Emanuel Wyler postet in den sozialen Medien
seit Beginn der Pandemie zu aktuellen Studien und veröffentlicht auf
seinem Blog ein regelmäßiges „CoronaInfo“.
Nota. - Wissenschaft ist öffentliches Wissen: Das reicht als Definition völlig aus. Das heißt nicht, dass die Öffentlichkeit der Wissende ist und auch nicht, dass Wissenschaft dazu bestimmt ist, von der Öffentlichkeit gewusst zu werden. Es heißt, aber das ist allerhand, dass das gesellschaftliche Corps der Wissenschaftler für die ganze Gesellschaft zu einer Instanz geworden ist, an der sie Orientierung findet. Doch nicht eine Instanz, die ihr Orientierung gibt. Das muss der öffentliche Meinungskampf besorgen, und wieviel Gehör die Stimme der Wissenschaft dort findet, ist jedesmal neu auszumachen.
Und schon gar nicht ist Wissenschaft eine Instanz, die öffentliche, und das heißt politische Entscheidungen fällt. Welche Ergebnisse des öffentlichen Meinungskampfs für die Gesellschaft bindend sein sollen, ent-scheidet die Politik - und ist dessen eigentlichstes Thema.
Das Thema: Wie schafft es die Wissenschaft, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen? Bis die Ge-meinschaft der Wisenschaftler selber zu einm - 'einstweilen definitiven' - Ergebnis gekommen ist, braucht es seine Zeit. Nicht nur müssen die Fakten gesichert, sondern sie müssen auch gewichtet werden. Und es muss den Opponenten sicherheitshalber die Gelegenheit bleiben, auch ihren Ergebnissen Gehör zu verschaffen. Das dauert, je nach Sachlage und je nach Tragweite, mal kurz und mal lange.
Am besten wärs, die vorläufigen Ergebnisse erst einmal abzuwarten, ehe das Thema überhaupt in die breite nichtfachliche Öffentlichkeit getragen wird. Aber die würde ihren Namen nicht verdienen, wenn sie so lange warten wollte; wobei sie weniger die Schwierigkeit der Sache selbst bremsen, als vielmehr die öffentliche Tragweite beschleunigen wird.
Und schlimstenfalls entsteht ein Tohuwabohu wie anlässlich von Covid 19. Man kanns nicht ändern.
JE
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