Dienstag, 9. Juni 2020

Synthetisch einbilden, analytisch urteilen.

putz                            zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wo gehe ich an, und wo mein Machen? Ich finde mich nur als das Bestimmte. Dieses setzt ein Bestimmbares voraus, das uns die Einbildungskraft liefert. Mein Machen setzt immer diese und ihr Produkt vorheraus, und daher kommts, dass uns immer etwas als gegeben erscheint; daher eine Objektivität der Welt.

So erscheint uns die Einbildungskraft notwendig als ein Gegebenes. Das Objekt der Ein-bildungskraft ist teilbar ins Unendliche. Diese Teilbarkeit ruht nicht als immanente Eigen-schaft in dem Bestimmbaren an sich, denn dieses ist meine Einbildungskraft selbst, welche bloß zusammenfasst. Es heißt also bloß: Das durch die Einbildungskraft Gelieferte wird hinterher geteilt durch die Urteilskraft; jedenfalls wird sie [=die Teilung] gesetzt als vorzuneh-mend.

Eigentlich ist also eine Wechselwirkung zwischen Einbildungskraft und Urteilskraft. Beide sind nur durch einander zu beschreiben. Man könnte daher sage: Die Einbildungskraft ist Vermögen absoluter Ganzen [sic], die Urteilskraft das Vermögen des Einfachen, beides steht in Wechselwirkung. Kein Einfaches ohne Ganze[s]
, kein Ganzes ohne unendliches Einfa-che[s]. Man erinnert sich an den alten Sorites. Wenn man sagt, die Einbildungskraft fasst zu-sammen etwas unendlich Teilbares, so heißt das: teilbar für die Urteilskraft. Es heißt also: Für denselben Geist ist dasselbe ein Ganzes, Eins, was für denselben Geist auch bloße Sammlung des Teilbaren ins Unendliche ist.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 198 2, S. 203


Nota. - Das erste Ursprüngliche ist das Gefühl, und weil es fließend ist, liefert es mir nur Mannigfaltiges. Es aus dem Fluss als eins und dasselbe - nicht nur Eines, sondern ein Gan-zes - herauszuheben ist eine Leistung meiner Einbildungskraft. Das Ganze ist gewisserma-ßen das mit-sich-selbst Einige, das Eine ist aber das von allen andern Unterschiedene. Bei-des ist real, nämlich im ersten Vorstellen=Anschauen, dasselbe; erst in der Reflexion, für die ideale Tätigkeit, treten sie auseinander. Real ist es dieselbe Tätigkeit, doch ideal zerfällt sie in Synthese und Analyse.

JE, 31. 5. 19

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