Freitag, 30. April 2021

Das Gefühl ist faktisch das erste Ursprüngliche.

                               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

5.) Was ist das nun für ein Bewusstsein, das mit dem Triebe ver-/68/knüpft werden soll? Mit dem Bewusstsein, das wir bisher kennen, mit der Anschauung verhält es sich so: Wir er-blicken in ihr Reales und Ideales getrennt; das erstere hat sein vom Idealen unabhängiges Sein, das letzte sieht nur zu. 

Bei dem Bewusstsein, von dem wir hier reden, kann dies der Fall nicht sein, es gibt hier kein reales Sein, es wird nicht gehandelt, sonach müsste hier Ideales und Reales zusammenfallen; das Ideale wäre hier sein eigner Gegenstand, kein unmittelbares Bewusstsein, und dieses ist ein Gefühl. Man fühlt kein Objekt, das Objekt wird angeschaut.

Jedes Objekt, sogar ein Handeln, soll etwas sein, ohne dass ich mir desselben bewusst wür-de. Der transzendentale Philosoph erinnert freilich, dass etwas ohne Bewusstsein nicht sein könne, aber der gemeine Menschenverstand sieht dies nicht so an. Man unterscheidet Han-deln und Bewusstsein. Ein Gefühl ist aber gar nicht, ohne dass gefühlt werde, die Reflexion ist mit dem Gefühl notwendig und unzertrennlich verbunden. Das Gefühl ist ein bloßes Set-zen der Bestimmtheit des Ich.

Wir haben nun ein mittelbares Bewusstsein eines unmittelbar Materialen, welches wir be-durften. Oben suchten wir das formale [Bewusstsein], wir kamen auf ein Subjekt-Objekt, auf ein sich-selbst-Setzen. In diesem Gefühle, wie sich weiter unten zeigen wird, kommen Ich und NichtIch zusammen vor, und zwar nicht lediglich zufolge der Selbstbestimmung, son-dern in einem Gefühle.

Im Gefühle ist Tätigkeit und und Leiden vereinigt; in wiefern das erste vorkommt, hat es Beziehung auf das Ich; in wiefern aber das zweite vorkommt, auf ein NichtIch, aber im Ich wird es gefunden, das Gefühl ist faktisch das erste Ursprüngliche. - 

Man sieht hier schon, wie alles im Ich vorkommen kann und dass man nicht aus dem Ich herauszugehen braucht. Man brauche nur eine Mannigfaltigkeit von Gefühlen anzunehmen, und es würde sich leicht zeigen lassen, wie man die Vorstellungen von der Welt davon ablei-ten könnte.

_______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 67f.



Nota I. - Ich bin nicht sicher, dass ich das richtig verstehe: '...und dieses ist ein Gefühl'? - ...

So schrieb ich am 31. 8. 16, und der folgende Kommentar bestätigte: Ich hatte es nicht richtig verstanden.

Nota II. - Für Kant bedeutete Anschauung Sinnlichkeit. Bei Fichte dagegen geht der An-schauung das Gefühl voran. In ihm sind Leiden und Tätigkeit Eins. Wohl ist das Fühlen selbst rein rezeptiv; aber es kommt nur vor, sobald die Tätigkeit des Ich auf einen Wider-stand stößt - das ist die aktive Seite. Das Ich fühlt nicht das Ding oder Objekt oder Gegen-stand, sondern lediglich den Widerstand, den er oder es ihm leistet. Auf ein Ding 'hinter' dem Widerstand als dessen Ursache wird lediglich geschlossen. Und erst das nennt Fichte Anschauung: der erste Grad von Reflexion. Der gefühlsmäßige Anteil von Leiden entfällt jetzt: "Das Anschauen ist, im Gegensatz mit dem Gefühle, Tätigkeit." (Anschauung nimmt bei Fichte systematisch denselben Platz ein wie bei Kant die transzendentale Apperzeption: die synthetische Vereinigung Mannigfaltiger - 'Merkmale' - zu einem Dies.)

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Und noch einmal: Die Wissenschaftslehre ist keine Metaphysik, die aus selbstgewählten Voraussetzungen ein Wirkliches - hier: ein wirkliches Bewusstsein - konstuiert. Sondern sie legt in einem Vorgefundenen - hier: dem wirklichen System der Vernunft - dessen allerer-sten Grund frei, von dem allein nicht mehr abstrahiert werden kann, ohne dass alle Be-stimmtheit unmöglich würde. Dieses ist: das Vermögen des Bestimmens selbst, eine ur-sprüngliche prädikative Qualität. Aus dieser Voraussetzung - und aus dieser Voraussetzung allein - müsste das wirklich gegebenen System der Vernunft re konstruiert werden können, wenn die Vernunft selber begründet sein soll. 

JE

 folgt: Das Anschauen ist, im Gegensatz zum Fühlen, Tätigkeit.


Nota. Das obige Bild gehört mit nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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