
aus derStandard.at, 10. März 2020
Jazzkonzert
Dem Gehirn beim Erinnern zuschauen
Forscher zeigen, wie Gehirnzellen bei der Gedächtnisbildung und beim Erinnern die gleichen Sequenzen abspielen
von Friederike Schlumm
Wenn vergessen geglaubte Erinnerungen wieder auftauchen, haben wir manchmal das Gefühl, unserem Gehirn bei der Arbeit zusehen zu können. Stück für Stück kommen die Bausteine der Erinnerung zum Vorschein, als würde sie jemand aus unsortierten Schubladen herauskramen. Doch was genau passiert im Gehirn, wenn wir unser Gedächtnis durchsuchen?
Eine neue Studie, die kürzlich im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen ist, dokumentiert, was tatsächlich passiert, wenn Erinnerungen abgerufen werden. Was aus Tierstudien bereits bekannt war, konnten die Forscher nun erstmals beim Menschen nachweisen: Unser Gehirn wiederholt bestimmte Aktivitätsmuster, kurz bevor uns die Erinnerung bewusst wird.
An den Experimenten nahmen sechs Epilepsie-Patienten teil, die vorübergehend ein Hirnimplantat besaßen. Mithilfe dieses Messgeräts sollte ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet werden, um den Ursprung der epilepti- schen Anfälle zu ergründen. Dieser medizinische Eingriff bietet Wissenschaftern die seltene Gelegenheit, die Aktivität einzelner Gehirnzellen zu messen. Bei anderen Methoden wie der Elektroenzephalographie (EEG) oder Magnetresonanztomographie (MRT) können lediglich Schwankungen in der Gesamtaktivität größerer Gehirnareale bestimmt werden.
Die Elektroden wurden den Patienten im Bereich des vorderen Temporallappens unter der Schläfe implan- tiert. Im Experiment mussten sich die Teilnehmer eine Reihe zufällig kombinierter Wortpaare merken. Im späteren Verlauf wurden sie dann gebeten, zu einem Wort, das ihnen auf einem Bildschirm angezeigt wur- de, das jeweils zugehörige Wort zu benennen.

Jede Zeile ist eine Gehirnzelle, jeder Stricht zeigt Aktivität an, der zeitliche Verlauf ist von links nach rechts dargestellt. In der Sequenz sind manche Zellen früher aktiv als andere.
Wiederholungen beim Abrufen von Erinnerungen
Die gleichen Aktivitätsmuster konnten auch bei der Abfrage der gelernten Wörter beobachtet werden, wie beim Abspielen einer Aufnahme des Orchesters. Während die Teilnehmer nachdachten, wurden die Muster denen der Lernphase immer ähnlicher, bis ihnen das passende Wort einfiel. In den Durchgängen, wo die Probanden das richtige Wort nicht fanden, blieb diese Angleichung aus. "Die Ergebnisse zeigen, dass unser Gehirn individuelle Abfolgen neuronaler Aktivität benutzt, um Erinnerungen abzuspeichern und vergan- gene Ereignisse wieder abzurufen", sagt Studienleiter Kareem Zaghloul.
Das Video der National Institutes of Health erklärt das Studiendesign: Während des Erlernens des Wortpaares, werden bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn gemessen. In einer Ruhephase fehlen diese Muster. Beim Erinnern an das fehlende Wort tauchen die gleichen Muster wieder auf.
Eine besonders hohe Ähnlichkeit der Aktivitätsmuster wurde erreicht, wenn kurz zuvor auch Signale aus dem mittleren Temporallappen gemessen wurden. Dieser enthält den Hippocampus und andere Gehirn- strukturen, die schon lange als wichtige Zentren für die Gedächtnisbildung bekannt sind. Möglicherweise sitzt dort der "Dirigent" des neuronalen Orchesters. Für Zaghloul sind die neuen Erkenntnisse bedeutend, um herauszufinden, wie die Gedächtnisbildung funktioniert. "Es hilft uns nicht nur, uns selbst zu verstehen, sondern auch wie neuronale Schaltkreise in Gedächtnisstörungen versagen."
Originalpublikation
Science: Replay of cortical spiking sequences during human memory retrieval
Nota. - Das Geheimnis ist: Wenn ich suche, muss ich schon wissen, was ich suche. Doch wenn ich's wüsste, müsste ich nicht suchen. Also habe ich nur eine gewisse -, nein: eine ungewisse Vorahnung. Das ist ein Wissen vor dem Wissen, ein Vor-Wissen; ein Meta-Wissen. Wer ist das, der da vor-weiß? Ein Dirigent, sagt Friederike Schlumm.
Wir wissen aber von den Hirnforschern, dass sie einem solchen noch nie begegnet sind. Es ist aber in jedem Fall einer, der nicht schon weiß, sondern erst noch 'vom Wissen weiß'. Sein Was ist einstweilen unbestimmt, er bestimmt es erst nach und nach während des Suchens. Genauerr: 'An sich' war es vorher-bestimmt; er ak- tualisiert die Bestimmung nun für sich. 'An sich' ist er aber nur im je gegebenen Moment. Er war lediglich 'schon vorher da'. Nicht vor aller Zeit, sondern vor diesem Zeitpunkt. Wenn er nicht vom Herrn erschaffen wurde, muss er sich irgendwann selbst gebildet haben; nicht vor, sondern in der Zeit.
JE
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