
aus scinexx zu Jochen Ebmeiers Realien
Keas haben ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten
Papageien verstehen das Prinzip unterschiedlicher statistischer Chancen
Gefiederte Mathegenies: Auch Keas haben offenbar ein Gefühl für statistische Wahrscheinlichkeiten. Die Vögel erkennen, welche Farbe aus einem mit unterschiedlichen Anteilen schwarzer und oranger Stäbe gefüllten Glas am wahrscheinlichsten gezogen wird – und richten ihr Verhalten entsprechend aus. Dabei können sie in ihre Kalkulationen sogar soziale Informationen miteinbeziehen. Bisher galt diese komplexe Fähigkeit als Domäne von Menschen und Menschenaffen, wie die Forscher berichten.
Auch wenn Unsicherheit im Spiel ist, kann der Mensch begründete Entscheidungen fällen: Er orientiert sich in diesem Fall an Wahrscheinlichkeiten. Diese Fähigkeit gehört zu den wichtigsten unseren Gehirns und ermöglicht es uns, Chancen und Risiken besser abzuschätzen und unser Handeln entsprechend auszurichten.
Das Gefühl für statistische Wahrscheinlichkeiten entwickelt sich dabei erstaunlich früh. So zeigen Studien, dass schon wenige Monate alte Babys eine grobe Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Geschehnisse haben. Sie reagieren zum Beispiel verdutzt, wenn eine mit farbigen Bällen gefüllte Lottomaschine gehäuft die seltenere und damit unwahrscheinlichere Farbe zieht. Auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, können auf diese Weise kalkulieren. Doch von anderen Tieren war diese Fähigkeit bisher nicht bekannt.
Mathetest für schlaue Vögel
Um herauszufinden, ob es doch noch weitere Stochastik-Genies im
Tierreich gibt, haben sich Amalia Bastos von der University of Auckland
und ihre Kollegen nun den Keas (Nestor notabilis) gewidmet. Diese in
Neuseeland heimischen Bergpapageien sind für ihre Neugierde und
frappierende Intelligenz fast schon berühmt. So können die olivgrünen
Vögel Reißverschlüsse öffnen, Werkzeuge nutzen und sogar ihr eigenes Spiegelbild erkennen. Beherrschen sie aber auch das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten? Für
diesen Test brachten die Forscher sechs Keas zunächst bei,
schwarzfarbige Stäbchen mit einer leckeren Belohnung in Verbindung zu
bringen. Dieselben Objekte in orange konnten sie dagegen nicht gegen
Futter eintauschen. Nachdem die Papageien dies verstanden hatten, folgte
der entscheidende Versuch: Ihnen wurden zwei Gläser mit jeweils
unterschiedlichen Anteilen schwarzer und orangener Stäbe präsentiert.
Gewinn oder Niete?
Vor den Augen der Vögel griff ein Versuchsleiter dann in beide Gläser und nahm in der geschlossenen Hand jeweils einen Stab heraus – die Keas konnten nicht erkennen, welche Farbe sich in der Faust verbarg. Nun sollten die Tiere durch einen Stupser mit dem Schnabel anzeigen, aus welcher Hand sie den Stab bekommen wollten.
Das erstaunliche Ergebnis: Tatsächlich wählten die Papageien konsequent jene Hand aus, die in den mit hauptsächlich schwarzen Objekten gefüllten Behälter gegriffen hatte. Die Vögel stellten offenbar gekonnt Prognosen darüber auf, bei welcher Entscheidung die Chance auf eine Belohnung am größten war.
Soziale Verzerrung erkannt
In einem nächsten Schritt testeten Bastos und ihre Kollegen, ob die Keas auch zusätzliche Informationen in ihre Berechnungen miteinfließen lassen. Dazu installierten sie eine deutlich sichtbare Barriere in den Gläsern, die den unteren vom oberen Inhalt trennte. Dadurch waren nur die oberen Stäbchen für die Versuchsleiter erreichbar – und das erkannten auch die Papageien: Sie orientierten sich bei ihrer Entscheidung nun daran, welcher der zugänglichen Abschnitte mehr schwarze als orange Stäbe enthielt.
In einem dritten Experiment erhöhten die Wissenschaftler die Komplexität noch weiter: Können die Keas auch soziale Informationen in ihre Kalkulation miteinbeziehen? Um dies zu überprüfen, wurde den Keas gezeigt, dass bestimmte Personen eine Vorliebe für die begehrten schwarzen Tauschobjekte haben. Sie zogen regelmäßig gezielt diese Farbe aus dem Glas, selbst wenn sich darin viel mehr orange Stäbe befanden.
Wie bei Kindern und Schimpansen
Beim eigentlichen Test konnten die Papageien nun entweder die Hand dieses Versuchsleiters wählen oder die von einer Person, die diese Neigung nicht gezeigt hatte. Es zeigte sich: Die Vögel entschieden sich häufiger für die Faust der Person mit bekannter Schwarzvorliebe. Sie können demnach Wissen über Wahrscheinlichkeiten auch mit dem Verhalten bestimmter Individuen verknüpfen.
„Diese Ergebnisse sind überraschend, weil sie die Befunde aus Experimenten mit Menschenkindern und Schimpansen widerspiegeln“, erklärt Bastos. „Sie zeigen, dass die Vögel das Verhältnis von Objekten bestimmen, um eine Prognose über ein unsicheres Ereignis zu stellen – und sie können in diese Vorhersage auch noch andere Arten von Informationen integrieren.“
Zweimal unabhängig entwickelt
Wie die Forscher betonen, beweisen sie damit zum ersten Mal, dass Vögel zu statistischen Schlussfolgerungen fähig sind. Dies belegt: Es braucht nicht unbedingt ein so großes und komplex strukturiertes Denkorgan wie das von Menschen und Menschenaffen dafür. Damit scheint das Verständnis für Stochastik auch kein Alleinstellungsmerkmal unserer Entwicklungslinie zu sein. Denn die Abstammungslinien von Mensch und Kea haben sich bereits vor mindestens 312 Millionen Jahren voneinander getrennt.
Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass die Grundlagen für diese komplexe kognitive Fähigkeit im Laufe der Evolution zweimal unabhängig voneinander entstanden sind – einmal bei den Primaten und einmal bei den Vögeln. Doch nicht nur für das Verständnis der evolutionären Wurzeln der Intelligenz ist diese Erkenntnis spannend, wie das Team betont.
Sie könnte auch hilfreich für die Entwicklung künstlicher Intelligenzen (KIs) sein: „Wenn wir verstehen, welche Prozesse diese beiden Gehirne gemein haben, wenn sie mit solchen Aufgaben konfrontiert werden, können wir auch KIs kreieren, die Entscheidungen mit ‚gesundem Menschenverstand‘ treffen“, sagt Bastos‘ Kollege Alexander Taylor. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-14695-1)
Quelle: Nature Press/ University of Auckland
Nota: Während auf scinexx vorsichtig von einem "Gefühl" für Wahrscheinlichkeiten spricht, ist auf dem neuseeländischen Video ganz unbefangen von judgment die Rede. Man kann immer nur beten, dass sich Naturwissenschaftler neben ihrem Fachwissen doch auch bitte eine gewisses Quantum Algemeinbildung verschaffen möchten. Doch von verstehen, von einem Mathetest und von Mathegenies, von beherrrschen und berechnen redet auch scinexx. Dabei betrachtet es sich doch wohl als ein Wissenschafts-Magazin!
JE
Papageien können Wahrscheinlichkeiten abschätzen
Sie zählen
zu den intelligentesten Vögeln und überraschen Forscher dennoch immer
wieder. Eine neue Studie zeigt: Keas haben ein Gefühl für Statistik
von David Rennert
von David Rennert

Eine Frage der Verhältnisse
Für ihre Studie brachten die Forscher sechs Keas bei, Gegenstände mit Bedeutungen zu assozieren. Die Tiere konnten zwischen einem schwarzen und einem orangen Stäbchen wählen. Entschieden sie sich für ein schwarzes Stäbchen, erhielten sie immer einen Leckerbissen, wählten sie ein oranges, gingen sie stets leer aus. Das hatten die Papageien schnell begriffen.

Im nächsten Schritt wurden die Stäbchen gemischt. Den Tieren wurden nun durchsichtige Gefäße präsentiert, die Objekte beider Farben beinhalteten. Die Mengenverhältnisse waren jedoch verschieden: In einem Gefäß befanden sich mehr schwarze Stäbchen, im anderen mehr orange. Nun entnahm ein Studienleiter mit je einer Hand ein Stäbchen aus den beiden Gefäßen und verbarg es in der Faust, ohne dass die Vögel sehen konnten, welche Farbe es hatte. Dann mussten die Tiere entscheiden, aus welcher Faust sie ein Stäbchen wollten.
Unbeirrbare Papageien
Das Ergebnis: Die Papageien bevorzugten fast immer die Hand, in der sich ein Stäbchen aus dem Gefäß mit mehr schwarzen als orangen Objekten befand – und entschieden sich damit für die wahrscheinlichere Variante, einen Leckerbissen zu bekommen. Damit begnügten sich Bastos und Kollegen aber nicht. In einem weiteren Experiment unterteilten sie die Gefäße in der Mitte und füllten in den unteren Gefäßteil Stäbchen in einem anderen Schwarz-Orange-Verhältnis ein als in den oberen.
Würde das die Vögel in die Irre führen? Mitnichten: Sie berücksichtigen nur das Verhältnis im oberen (und für den Forschungsleiter zugänglichen) Bereich bei ihrer Wahl – und staubten auch diesmal mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Leckerli ab. Die Keas bezogen also die Mengenverhältnisse im greifbaren Gefäßteil stärker in ihr Kalkül ein als die im gesamten Behälter.

Keas haben eine komplexe Sozialstruktur und leben in größeren Gruppen. Sie interagieren viel mit ihren Artgenossen. Können sie auch soziale Informationen miteinbeziehen, wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht? "Wir wollten wissen, ob die Vögel merken, wenn es bei den Experimenten Präferenzen einzelner Studienleiter gibt", sagte Bastos. Dafür wurde der Stäbchenversuch im nächsten Schritt mit zwei Versuchsleitern durchgeführt, wobei einer absichtlich öfter schwarze Stäbchen aus dem Behältnis nahm, in dem sich mehrheitlich orange Objekte befanden.
Und wieder zeigten die Tiere eine klare Präferenz: Sie wählten häufiger die Hand der Person, die in vorhergehenden Runden entgegen der Wahrscheinlichkeit öfter schwarze Stäbchen entnommen hatte. "Wir wussten, dass Keas sehr intelligent sind, und waren nicht sehr überrascht, dass sie Wahrscheinlichkeiten grundsätzlich berücksichtigen können", sagte Bastos. "Aber dass sie dabei auch soziale Informationen von Menschen miteinbeziehen, ist wirklich erstaunlich."
Studie
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