Freitag, 25. September 2020

Chinesische Landschaftsmaler, II.


aus FAZ.NET,
Landschaften Chinas in Zürich
Zufluchtsort für Träume und Utopien
In Tusche-Gewittern versteckt sich Politisches: Im Museum Rietberg offenbaren Landschaftsbilder aus China verblüffende Annäherungen an den Westen. 

Von Stefan Trinks

Man muss die derzeitige chinesische Autokratie nicht mögen, um sich dennoch gern daheim eine der nun in Zürich gezeigten zeitgenössischen Tusche-Landschaften aufzuhängen, die wiederum auf die ein Jahrtausend alte, stark kodifizierte Tradition der Landschaftsmalerei Chinas rekurrieren. Auf solchen Augenweiden kann man in endlosen Spaziergängen ver-loren gehen.

Die größtenteils mit den spektakulären und bis zu sechshundert Jahre alten Naturbildern aus dem eigenen Bestand des Museums Rietberg bestückte Schau „Sehnsucht Natur – Spre-chende Landschaften in der Kunst Chinas“ birgt somit ein altbekanntes Verlangen wie auch ein neues Problem: Aus bekannten Gründen gibt es aktuell einen Eskapismus „in die Natur“, der sich in einer Vielzahl von Ausstellungen niederschlägt („Was ist Natur?“ in Bad Hom-burg, Zheng Bo und Otobong Nkanga zum Verhältnis von Mensch und Natur im Gropius Bau Berlin und viele mehr). Der Untertitel „Sprechende Landschaften“ wiederum offenbart das Problem. Als solche würden in der europäischen Kunst etwa Felsformationen in Kopf- oder Körperform bezeichnet; „sprechend“ in den zu sehenden chinesischen Landschaften hingegen ist gar nichts, sofern nicht sinologische Spezialkenntnisse vorhanden sind. Und gerade diese Hermetik macht das Entdecken jener verborgenen Kontinente des Wissens über die anschaulichen Exponattexte sowie den Katalog so faszinierend.

Pflanzbeete der Bedeutung

Denn anstelle von sprechenden könnte man auch von politischen Landschaften sprechen (und vielleicht sollte das Ersetzen der Worte ja tatsächlich keine schlafenden Hunde im Reich der Mitte wecken). Ist doch seit annähernd tausend Jahren die Landschaft in der chinesischen Kunst Versteck für Politisches wie Exilort für Träume und Utopien gleicher-maßen.

Huang Yan Chinese Landscape – Tattoo, No. 7 1999 
 
Bereits im elften Jahr-hundert schreibt der Kunsttheoretiker und Hofmaler Guo Xi: „Ge-bunden und gefangen im Schmutz und Lärm der Welt zu sein – dies verab-scheut der Mensch natur-gemäß. Zwischen Quel-len und Felsen ungebun-den herumzustreifen, dar-an erfreut er sich natur-gemäß.“ Was vor einem Millennium in der Erfindung der autono-men Landschaftsmalerei Chinas als religiös basiertes, taoistisches oder konfuzianisches „Zu-rück zur Natur“ mit ihren Kraftquellen begann, eroberte sich sukzessive immer mehr Pflanzbeete der Bedeutung. Von Anfang an waren die Künstler hier Angehörige der Intel-ligenz, die anders als etwa europäische Kollegen gerade darauf stolz waren, die Landschafts-malerei nicht zum Broterwerb, sondern nur als Hobby auszuüben.
 
Mit der größten Präzision des Strichs

Wiederholt liest man in den wortreich poetischen Aufschriften auf den Bildern von Burn-out-Zuständen der kaiserlichen Beamten, die durch das mentale, oft vom Bett aus gemalte In-die-Landschaft-Wandern oder Reisen in die Provinzen mit dem Pinsel erfolgreich kuriert werden. Und immer wieder „porträtieren“ sich die Hochgebildeten selbst in der Figur groß-stadtabgewandter Eremiten in einfachsten Strohhütten oder unter Kiefern, dem chinesi-schen Symbol für Geradlinigkeit und Unbeugsamkeit noch bei rauhestem Gegenwind.


Chen Guan Reisende in den Bergen 1631.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es handelt sich bei den Malereien nicht um Bob-Ross-hafte Produkte von Laienmalern, die therapeutisch Natur in feierabendlichen Tusche-Gewittern zu bannen versuchen. Der Vizejustizminister Gao Qipei etwa malt um 1700 in klarer Distinktion nicht mit einer ordinären Feder oder dem Tuschepinsel, vielmehr wie Leonardo mit den Fingern, indem er den Nagel so anspitzt und zweiteilt, dass er sich mit ihm als unmittelbarster Körperextension direkt und mit größter Präzision des Strichs in das Papier einschreiben kann.

Duftige Formationen mit Moiré-Effekt 

Eine traute Bootsfahrt auf einem See mit fallendem rotem Laub kann so bei dem einst wohlhabenden Xiang Shengmo, der all seine Reichtümer verlor, zu einer melancholischen Abrechnung mit barbarischen Usurpatoren werden, da Rot bis heute in China Glück und Freude symbolisiert. Nach der Ming-Dynastie herrschten von 1644 an die Mandschu aus dem Norden. Unter deren Qing-Dynastie gab es schon eine erste Kulturrevolution, da viele der Gebildeten nicht für diese „Barbaren“ arbeiteten und in den Untergrund gingen. Der-artige „Exile im Bild“ gab es dann wieder im zwanzigsten Jahrhundert, wenn etwa der ein Jahr vor der Kulturrevolution gestorbene Fu Baoshi das 1200 Jahre alte Poem „Gelehrte unter Kiefern“ illustriert, weshalb sein Grab von den Revolutionären postum geschändet wurde.

Li Keran, Auf schroffen Gipfeln wohnt Schönheit in unendlicher Vielfalt 1961 

Schon bei der aller-ersten Gegenüber-stellung  einer klassi-schen Landschaft des späten siebzehn-ten Jahrhunderts von Fa Ruozhen und Li Xis „Bardo-Mind Landscape“ von 2009 zeigt sich, dass die im schlanken Hochrechteck in ein und derselben Raum-ebene übereinander-gestaffelten wolkigen Felsen und Bäume von dem jungen Ma-ler Xi durch  ebenfalls duftige Formationen mit Moiré-Effekt er-setzt wurden, die von ferne genauso land-schaftsartig wirken.

 

Hinter den betongebauten Termitenhügeln

Die ketzerische Frage wäre eher, ob es der in der Ausstellung vom ersten Saal an durchge-haltenen Kontrastierungen historischer Landschaftsbilder mit zeitgenössischen überhaupt bedurfte. Die Antwort lautet ja, denn indem die in die Landschaft gepflanzten Problema-tiken den uns vertrauten immer stärker ähneln, wird auch das Verständnis für die Menschen in diesem so fernen Reich größer. Schließlich verbinden sich Europa und das Riesenreich China in der Malerei von Li Keran. Seine im Innern mit schwarzen Zacken und Blitzen gefüllten Felsformationen „Auf schroffen Gipfeln wohnt Schönheit in unendlicher Vielfalt“ von 1961 könnten auch von Jackson Pollock gemalt sein. Wenig verwunderlich: Der Künst-ler studierte im Westen. Oder auf dem Bild „Fisch, Vogel, Fels“ des großen Verrätslers und Regimegegners Bada Shanren von 1694, wo ein Fisch im Nichts des Weißraums über einem See schwebt. Ein Sinologe, wer hier nicht an französischen Surrealismus denkt. Ling Shihua wiederum, die mit der englischen Schriftstellerin Vita Sackville-West befreundet war, malt die charakteristische Form des Thuner Sees mit einer typisch Schweizer Kirchturmspitze. Im zwanzigsten Jahrhundert nähern sich mithin der Westen und China stilistisch an.

Bada Shanren Fisch, Vogel, Fels 1694 

Emblematisch zeigt sich das im letzten Saal an dem kinogroß projizierten Video „Phantom Landscape“ des Biennale-Künstlers Yang Yongliang. Bei den wie Gelehrtensteine majestätisch aufragenden Felszäh-nen vor einer Bucht in malerischem Sfumato be-merkt man erst nach einer Weile, dass es sich um ein sich permanent wandelndes Video einer sich eben-falls permanent wandelnden chinesischen Megalo-polis handelt. Die Landschaft ist klassisch kompo-niert, aber alle Ingredienzen ausgetauscht durch Modernes, das aus dem Westen übernommen wurde: Die Felsen bestehen aus Myriaden sich metropolishaft auftürmender Hochhäuser für Millionen, die traditionellen Kiefern sind durch unzählige Kräne und Hochspannungsmasten ersetzt. Was an Giften in der Bucht hinter den betongebauten Termitenhügeln herumschwimmt, möchte man sich lieber nicht genauer vorstellen. Offenbar ist das Utopia der Ideallandschaft für die meisten Künstler nur noch als Dystopie denkbar.

Um aber keine Conoisseure zu vergraulen: Man kann die ausgestellten Landschaften in ihrer wuseln-den Detailfülle auch ohne jede Interpretation ein-fach nur so stundenlang genießen. Mit dem Wissen, das einem die Züricher Ausstellung schenkt, steigt indes die Hochachtung für diese panoramatischen politischen Zeichen-Dschungel noch um ein Viel-faches.

Sehnsucht Natur. Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas. Im Museum Rietberg, Zürich; bis zum 17. Januar 2021. Der Katalog kostet 42 Euro.
 
 
Nota. - „Gebunden und gefangen im Schmutz und Lärm der Welt zu sein – dies verabscheut der Mensch naturgemäß. Zwischen Quellen und Felsen ungebunden herumzustreifen, dar-an erfreut er sich naturgemäß. Der Höfling Guo Xi hat den Satz im elften Jahrhundert aufgeschrieben. Hätte ihn der Städter Petrarca, als er im Frühling 1335 den Mont Ventoux bestieg, nicht wohl ebenso aussprechen können? Nein, hätte er nicht. In der christlichen Vorstellungswelt, in der er aufgewachsen war, waren Mensch und Natur keine konfuzia-nisch-taoistische Ergänzung, sondern standen in dem Gegensatz von Seelenheil und Versu-chung. Petrarca war ein Pionier des freigeistigen Naturalismus, und war sich dessen bewusst.

Eine eigenständige Landschaftsmalerei ist im Westen erst dreihundert Jahre nach Petrarca entstanden, und anders konnte es nicht sein. Doch konnte es auch nicht anders sein, als dass ihre Protagonisten in China keine selbst-ständischen Künstler waren, sondern kaiserliche Beamte, die ihre Malerei neben ihrer gesellschaftlichen Stellung und im Gegensatz dazu be-trieben; nicht als Beruf, sondern als Wiedergutmachung; Kompensation - aber anders, als Joachim Ritter und Odo Marquardt es meinten.
JE

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