
Sei es die Technik, das Medium oder der Inhalt. Ein einziger Stil konnte Richter nie zugeordnet werden. Er war immer mehrere Künstler zugleich. Erst kürzlich stellte er abstrakte Kirchenfenster im ältesten Kloster Deutschlands fertig. Das war die Nummer 957, die letzte.
Denn erst vergangene Woche machte der in Köln lebende Künstler bekannt, dass er den Pinsel für immer aus der Hand legen wolle. Zwar werde er weiterhin zeichnen, doch das Arbeiten an seinen großformatigen Leinwänden sowie das körperlich anspruchsvollen Verarbeiten der Farbe seien ihm mit 88 Jahren zu viel geworden. Irgendwann sei eben Ende, sagte er.
Dass ihm das Bank-Austria-Kunstforum in Wien genau jetzt eine große Retrospektive widmet, die seine Malerei in den Fokus stellt, scheint sich gut zu fügen. Lange ist es her, dass dem "deutschen Picasso" eine große Ausstellung in Wien ausgerichtet wurde, die letzte fand 2009 in der Albertina statt.
Mit Gerhard Richter: Landschaft schließt das Kunstforum eine bisher klaffende Lücke. Denn so divers sein Werk auch ist, zu einem Thema kehrte er immer wieder zurück: der Landschaft. Dass die Schau die umfangreichste ist – insgesamt sind es 130 Arbeiten –, die weltweit zu dem Thema gezeigt wird, verwundert.
Immerhin macht das Sujet mit Landstrichen, Seeblicken und Himmelsausschnitten etwa ein Fünftel seines Werks aus. Lisa Ortner-Kreil, die die Schau gemeinsam mit dem deutschen Kunsthistoriker Hubertus Butin kuratiert hat, nennt es seinen "safe place", von dem aus er sich immer wieder neu orientierte.
Dennch wurden Richters Landschaften lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Erst vor fünfzehn Jahren begann man sich des Themas verstärkt anzunehmen. Aber als Richter Ende der 1970er-Jahre begann, Bilder inspiriert von Caspar David Friedrichs Landschaftsmotiven zu malen, galt das Genre als rückwärtsgewandt. Zu romantisch und verträumt muteten die tiefen Horizonte und der breite Abendhimmel an.
Auch heute könnte man darin Kitsch oder Nostalgie ausfindig machen. Doch Vorsicht! Das lassen einen Richters Bilder nur glauben. Der Künstler selbst bezeichnete seine Landschaften einmal als "verlogen". Er manipuliert diese ideale menschenleere Welt. Er zerteilt sie in schmale Ausschnitte, setzt Beschriftungen frech darunter oder lässt ganze Landstriche verschwimmen. Immer wieder bricht er die vermeintliche Idylle. Sieht man sich die Ruhrtalbrücke an, hat man plötzlich Sehnsucht nach diesem Ort, an dem man noch nie war. Und gleichzeitig merkt man, wie das Geländer den Ausblick trübt. Ordinär stößt es sich in den pastelligen Himmel.
Nicht ohne Grund nennt Richter jene Arbeiten "Kuckuckseier": Zwar könne er sich der Motive der deutschen Romantik bedienen, ihre geistige Tradition aber nicht fortsetzen. So erhaben seine wattigen Wolken auch dahintreiben, niemals sind sie Symbol für irgendetwas.
Ein klassischer Landschaftsmaler ist Richter nicht. Wie so oft bedient er sich auch bei diesem Genre an Fotovorlagen. Seine Natur entsteht nie nach wahrhaftigem Vorbild, nie "en plein air". Es sind "Landschaften aus zweiter Hand".
Von hier an macht die Ausstellung deutlich, wie Richter ab Mitte der 70er seine Landschaften in die Abstraktion driften lässt. Es beginnt ein Spiel: Die Farbschlieren im meterlangen Gemälde St. Gallen lassen an einen verwischten Birkenwald denken. Im Seestück spiegeln sich Gewitterwolken und aufgeraute Wellen fast wie in einem dystopischen Raum. Zeichnungen zeigen, dass Richter dieses doch so zeitgenössisch wirkende Bild vor bereits 50 Jahren schuf – und dafür noch zwei Fotos aneinanderklebte.
Die ordentlich in fünf thematische Kapitel gegliederte Schau funktioniert und unterwirft sich keiner Chronologie. Zeit scheint es in Richters Werken nicht zu geben.
Zum Schluss hin wird es immer surrealer. Der Künstler erhebt sich in seiner Allmächtigkeit: 1968 malträtierten Richter und Sigmar Polke das Foto eines Gebirges so lange, bis es sich in einen Kreis verwandelte. Jahre später formte Richter eine glatte, dreidimensionale Kugel daraus. Da liegt sie jetzt.
In den letzten Bildern fegen pastose Farbschleier über die
Landstriche hinweg. Die Übermalungen heften sich an die Bäume, beißen
sich in die Seeufer und den Himmel – die Welt wird endgültig zur
Fiktion.
Ab 1.10. bis 14. 2. 2021
Richter-Skala
aus derStandard.at, 28. September 2020
Wenn diese Woche im Kunstforum Wien die Ausstellung Gerhard Richter: Landschaft (bis 14. Februar 2021) eröffnet, dann geht für die hauseigene Kuratorin Lisa Ortner-Kreil auch ein jahrelanges Wunschprojekt ins Finale.
Immer wieder war es in die Warteschleife gerutscht, erzählt sie, 2017 wurde es konkreter, 2018 legte sie gemeinsam mit Hubertus Butin, der in den 1990er-Jahren als Kunsthistoriker im Atelier des Künstlers tätig war, und in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich los.
Als erste Station wurde damals Wien und als Termin Herbst 2020 fixiert, im Frühjahr 2021 soll die Ausstellung dann in Zürich zu sehen sein (ab 26. März 2021). Dann kam die Pandemie samt internationalen Lockdownverordnungen, die den internationalen Ausstellungskalender durcheinanderwürfelten. Hinzu kamen logistische Probleme im internationalen Leihverkehr, Ausfälle für Luftfracht, langwierige Landtransporte und wechselnde Quarantänebestimmungen für begleitende Kuriere.
Zwischendurch stand eine Verschiebung um ein Jahr im Raum, im Juni entschied man sich endgültig zur planmäßigen Durchführung. Realisierbar, da der Löwenanteil der Leihgaben aus Mitteleuropa komme, betont Ortner-Kreis. Am Ende musste man nur auf zwei ursprünglich vorgesehene Werke aus dem Museum of Modern Art (New York) verzichten, die aber vielleicht in Zürich zu sehen sein werden.
Für Wien fand man adäquaten Ersatz, auch für Richters Wiese aus dem Jahr 1983, das bereits ein Mal im Kunstforum gastierte: von Oktober 2009 bis Jänner 2010, als die Unicredit Highlights aus ihrer Konzernsammlung präsentierte. Über Fusionen im Laufe der Jahre gehört zu Letzterer auch jene der Hypovereinsbank (München).
Auf Anordnung der Konzernmutter wurden im Herbst vergangenen Jahres einige Kunstwerke via Christie’s London versilbert, darunter vier Gemälde Gerhard Richters: Das Gemälde Wiese wechselte für 3,78 Millionen Euro den Besitzer. Von einem Rekord war dieser Wert zwar weit entfernt, jedoch gemessen am einstigen Kaufpreis mehr als stattlich: Mitte der 1980er-Jahre waren solche Bilder noch für unter 15.000 Euro zu haben.
Der sogenannte Richter-Faktor lag damals bei etwa 150 DM oder 77 Euro. Er geht auf ein Dokument zurück, das im Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels in Köln verwahrt wird: Konkret handelt es sich dabei um einen Vertrag, den Gerhard Richter 1967 mit seinem damaligen Galeristen Heiner Friedrich schloss und der eine Berechnung für die Preisgestaltung inkludierte: "Bruttowert gleich Verkaufspreis eines Bildes ergibt sich aus folgender Formel: Höhe + Breite mal zehn = DM".
Richtig teuer wurden Richters Arbeiten ab den 1990ern, wobei die Preisentwicklung in seinem Fall über einen längeren Zeitraum eine solide im Sinne einer sukzessive steigenden war. Eine erste wesentliche Zäsur bescherte jedoch die erste Retrospektive 40 years of painting in den USA (2002/2003, u. a. Museum of Modern Art, New York), die die weltweite Nachfrage an seinen Arbeiten befeuerte.
Als beispielhaftes Dokument der Marktentwicklung seit Mitte der 1990er eignet sich das aus vier Panelen bestehende, einem Altar gleichendes Werk Wolken (Fenster) aus dem Jahr 1970: Karl-Heinz Essl ersteigerte es 1997 bei Christie’s für 488.300 Euro. 2014 gehörte es zu jenen Werken, die man zur teilweisen Refinanzierung eines von Hans-Peter Haselsteiner gewährten Überbrückungskredites zur "Rettung" der Sammlung opfern musste.

Für 7,94 Millionen Euro wanderte es damals via Christie’s London in eine US-amerikanische Privatsammlung. Aus dieser gelangte es Ende Juli bei Sotheby’s zur Versteigerung und wechselte nun für 11,53 Millionen Euro den Besitzer. Ein Potenzial, das – zumindest theoretisch – eine Vielzahl von Werken eint, die als Leihgaben aus Privatsammlungen im Kunstforum gastieren.
Dazu gehören mit Sternbild (1969) und Venedig (1986) zwei Gemälde aus der Kollektion des im Juli 2019 verstorbenen Sammlers Frieder Burda. Der hatte sie einst – in Bausch und Bogen mit acht weiteren "Richters" – für 1,75 Millionen DM oder knapp 895.000 Euro von Helge Achenbach erworben, wie der einstige Kunstberater in seinen Memoiren verriet (Selbstzerstörung, Riva-Verlag, 2019).
Eine weitere Leihgabe steuerte Milliardärin Heidi Horten bei. Sie nennt zumindest vier Werke des deutschen Künstlers ihr Eigen, die 2018 im Leopold-Museum gastierten. Darunter Schneelandschaft (verwischt) von 1966, ihr allererster Richter, den sie im November 1996 für gerade mal 244.500 Dollar ersteigerte. Mittlerweile ist dieses Werk ein Vermögen wert. Ein Aspekt, der sich auch im Versicherungswert der mit mehr als 130 Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotoarbeiten Künstlerbüchern und Objekten bestückten Ausstellung spiegelt: Er beläuft sich auf stattliche 400 Millionen Euro.
Der Künstler selbst hadert etwas mit der Preisentwicklung, obwohl sie auch seine Einnahmen mehrt – sei es über steigende Galeriepreise oder auch die im Kunsthandel in Europa über die Folgerechtrichtlinie anfallenden Tantiemen: zumindest vier Prozent, maximal 12.500 Euro je Besitzerwechsel.
Der vorläufige Rekordwert (siehe Tabelle) liegt bei knapp 41 Millionen Euro, die 2015 für eines seiner abstrakten Bilder bezahlt wurde. Solche Summen hätten etwas Schockierendes, erklärte er damals in einem Interview mit der Zeit. Domplatz, Mailand (1968), mit dem 29 Millionen erzielt wurden, hält er für völlig überbezahlt: "Das Bild finde ich nicht so doll, auch wenn es mich zu vielen weiteren Städtebildern angeregt hat."
Der Richter-Hype spült zeitgleich Werke aus seinen Anfangsjahren an die Oberfläche, die er lieber aus dem Verkehr gezogen wüsste. Es seien "zeittypische studentische Arbeiten", jedoch keine "Marktware", sie hätten keinen künstlerischen, sondern nur dokumentarischen Wert. In seinem Werkverzeichnis kommen in den 1960er-Jahren geschaffene Arbeiten aus der Vorzeit seiner figürlich-realistischen Phase deshalb nicht vor. Diese Form der rückwirkenden Entziehung der Anerkennung stieß durchaus auf Kritik. Den 88-jährigen Künstler tangiert derlei nicht.
Die aktuell anberaumte Ausstellung wird übrigens von einer Besonderheit begleitet: Blattecke titelt
die Druckgrafik, die in einer Edition von 30 Stück – jeweils für Wien
und Zürich – aufgelegt wird. Sie basiert auf einem der zehn Ölgemälde
mit dem Titel Umgeschlagene Blätter (1965) und deren
charakteristischem Trompe-l’œil-Effekt: erhältlich im Shop des
Kunstforums, das am Verkaufspreis von 4500 Euro beteiligt wird.
Nota. - Viel gesehen habe ich auf seinen Bildern nie. Beeindruckt hat mich aber: Was immer er anfasst, gelingt. Handwerklich gibt es nirgends was zu beanstanden. Aber bald fand ich, Alleskönner sei nicht wirklich ein Lob, nämlich nicht von einem Künstler, von dem man erwartet, dass er anderen zeigt, worauf es ihm wirklich ankommt. Von der "sich ständig variierenden Diversität seines Œuvres" schreibt Frau Rustler. Man kann aber auch sagen, er malt alles mögliche. Oder was ihm grad einfällt. Dass er allen zeigt, was er alles kann, frommt einem Handwerker. Für einen Künstler gibt es keinen Grund, das zu zeigen.
Allerdings ist es wahr, dass es seit etwa Mitte
des zwanzigsten Jahrhundert in der bildenden Kunst kaum noch was gibt,
das nicht so oder so schonmal dagewesen ist, weder thematisch noch
formal. Repliken malen und krampfhaft mit einer persönlichen Note
versehen wäre trivial. Dagegen ist technisch lupenreine Faktur heute
eine rarissime Ausnahme. Und das an ständig wechselnden Sujets - das
bringt immerhin Abwechslung. So kann man zwischen-durch immer wieder mal
Landschaften, aber schließlich auch wieder ungegenständlich malen oder schaben.
Über den Verdacht, er könne es nicht besser, ist Richter jedenfalls
erhaben. Und die astronomischen Summen, die die Sammler dafür bezahlen - nicht für Gegenständliches, vgl. die Tabelle -,
geben ihm Recht: der teuerste zeitgenössische Künstler, und ganz ohne
das Bordell-Parfum von Jeff Koons und Damien Hirst! In der
Kunstge-schichte hat er seinen Platz. Doch welches seiner Bilder kann
darauf hoffen - etwa das Kölner Kirchenfenster?
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