Donnerstag, 3. September 2020

Die Landschaftsmalerei war nie ein Genre wie die andern.

aus nzz.ch, 1.09.2020                                                    Salvator Rosa Paesaggio con Pitagora e pescatori, um 1662

Die Füße auf der Erde, der Kopf im Himmel – was ist die Landschaft? Etwas in uns selbst?
Landschaftsbilder sind innere Heimaten. Sie erzählen, was uns berührt.
von Maria Becker

Claude Monet hätte wohl nur gelächelt. Die Landschaftsmalerei, eine niedere Gattung? Für ihn war sie die höchste Kunst – von den Felsen der Normandie bis zu den Seerosenteppi-chen im Garten von Giverny. Dabei war dem französischen Maler die alte Hierarchie, die 1648 von der Académie royale de peinture et de sculpture aufgestellt worden war, sicher nicht unbekannt. Danach rangierte die Landschaft noch unterhalb des Genres, war also unbedeutender als die Bilder, die vom Wirtshaus oder vom Dorfplatz erzählen.

Nur das Stillleben stand unter der Landschaft. Um Fische und Blumen auf die Leinwand zu bringen, musste man offenbar kein Pictor doctus sein. Um aber die antiken Mythologien oder gar die berühmten Schlachten der Geschichte darzustellen, brauchte es Gelehrsamkeit. Nichts brachte einem Maler mehr Ehre ein als das Historienbild. In diesem war alles ent-halten: Geschichte, Religion, Anatomie des Menschen und der Dinge. Und selbstverständ-lich spielte auch die Landschaft mit – als Hintergrund.

Die Hierarchie der Bildgattungen war auch zu Monets Zeiten nicht ganz obsolet. Noch immer konnte ein Maler mit Porträts meist mehr erzielen als mit Landschaften. Doch immerhin hatten diese seit der Romantik einen Siegeszug ihrer Gattung erlebt. Die Land-schaft konnte nun für sich stehen und ihre eigene Erzählung entfalten: das Rauschen der Herbststürme bei Constable, die wilde See bei Turner, die Transzendenz des Waldesgrunds bei Caspar David Friedrich. Die Landschaft brauchte nicht einmal die kleinen Staffagefi-gürchen, mit denen die Anwesenheit des Menschen bezeugt wurde. Sie war nun Bedeutung genug, um ihren Raum zu behaupten und sich selbst zu repräsentieren.

Spiegel des Kosmos

Dabei war die Landschaftsmalerei gerade in ihren Anfängen im ausgehenden Mittelalter ein ungeheurer Bedeutungsraum. Sie war Spiegel des Kosmos, Offenbarung Gottes, losgelöst von irdischen Bindungen und doch aus dem gewachsen, was dem Menschen vor den Augen lag. Der flämische Maler Joachim Patinir hatte sie 1520 wie ein Elysium komponiert: mit einem bizarren Felsen im Vordergrund, der an Böcklins Toteninsel erinnert, und einer blauen Flussmündung, in der Himmel und Erde verschmelzen. Ganz winzig vor dem Felsen schwebt die Aureole der entrückten Maria Magdalena. Sie ist das Zeichen für Gottes Wirken. Die Landschaft selbst ist die Welt – mit allem, was dazugehört. In ihrem Raum offenbart sich der Daseinsgrund des Menschen.

Joachim Patinir und Werkstatt, Landschaft mit dem Heiligen Hieronymus, um 1520

Patinirs «Weltlandschaft» gehört zur Sammlung des Kunsthauses Zürich. In einer Präsentation, die eine Reihe der schönsten Werke der Altmeisterabteilung zeigt, wird die Entwicklung der Landschaftsmalerei nachgezeichnet. Dabei wird deutlich, wie die Erforschung der Natur nach und nach den Blick auf die Landschaft verändert. Landschaft, zu der auch die Topografie der bewohnten Orte gehört, ist nun keine Chiffre mehr wie in den Goldgründen der Altarbilder, sondern mehr und mehr ein plastischer Raum, in dem sich ein unendlich differenziertes Leben entfaltet. Noch die kleinste Blume ist einer exakten Wiedergabe wert, ebenso wie die Erscheinung der Wolkenformationen.

In der Ausstellung ist selbstverständlich auch die umstrittene Tizian-Landschaft integriert, die im letzten Jahr Kontroversen unter den Fachleuten erregt hat. Ob sie nun vom Meister selbst oder in seiner Werkstatt geschaffen oder gar viel späteren Datums ist, sei dahinge-stellt. Auffällig ist, wie unscheinbar ihre Bilderzählung daherkommt. Da ist rechts unten ein Paar. Der Mann und die Frau haben Laute und Flöte niedergelegt, die Musik beider ist zu Ende. So klein die Gruppe ist, sie zieht den Blick auf sich im weiten Raum der Landschaft. Dem Betrachter wird klar: Diese Figuren sind keine Staffage, in ihnen zeigt sich das Wissen um den Abschied, vielleicht ein Abschied für immer. So wird auch die Abendstimmung des Bildes zum Abschied. Die Blicke des Paares gehen ins Leere.

Tiziano Vecellio zugeschrieben, Abendlandschaft mit Figurenpaar, um 1518–1520

Präsenz des Göttlichen

Diese Landschaft ist durch und durch irdisch gestimmt und lebensnah erzählt – ganz im Geist der Renaissance. In diesem Punkt trifft sie sich mit den Niederländern des Goldenen Zeitalters. Lebensnah sind auch die weissen Tuchbahnen, die in den Dünen um die Stadt Haarlem ausgelegt sind. Das ist Menschenwerk. Die Bleichen, die Jacob von Ruisdael wie selbstverständlich in seine Topografie aufnimmt, waren ein wichtiger Wirtschaftszweig des niederländischen Gewerbes. Doch hier wird das Irdische – ebenso wie die Landschaft insgesamt – zum Anzeiger der kosmischen Ordnung.

Am Horizont verbindet die stattliche Kirchensilhouette von St. Bavo Himmel und Erde. Die Landschaft hatte in den protestantischen Niederlanden, in denen explizit religiöse Themen nicht mehr gefragt waren, eine enorme Aufwertung erfahren. Sie wurde lesbar wie die Bibel. In der Natur war die Präsenz des Göttlichen sichtbar und natürlich auch im arbeitsamen Streben der Menschen. Das war ein für die Malerei überaus fruchtbarer Grund, um eine sehr hoch entwickelte Kunst zu schaffen. So gehören diese Landschaften zum Schönsten, was das Goldene Zeitalter hervorgebracht hat.

Jacob van Ruisdael Die Bleichen von Haarlem, um 1670/1675

Der Himmel ist tief, der Blick weit bei den Niederländern. Die Füsse auf der Erde, scheint der Kopf schon im Himmel zu sein. «Avec un ciel si bas» heisst es in Jacques Brels Homma-ge an seine platte Heimat Flandern. Was ist die Landschaft? Etwas in uns selbst? Schliesslich enthält sie das, was wir kennen. Sie berührt uns als Heimat im Bekannten. Zieht man alle Symbolik ab, hat die Malerei nichts anderes gemacht, als diese Heimat zu spiegeln. Auch Monet hat letztlich in seiner Kunst nichts anderes getan. Und er war tüchtig dabei, minde-stens genauso tüchtig wie die geschäftigen Niederländer.

Kunsthaus Zürich, bis 8. November. Katalog Fr. 29.–.

 

Nota. - Bei allen andern Genres ist es so: Zuerst ist das Thema da, dazu wird das passende Bild gesucht. Bei der Landschaft ist zuerst das Bild da. Wird dazu ein Thema gesucht? Malerisch betrachtet ist ja keines nötig. Doch lange Zeit wurde es als Vorwand darüber geschoben. Nicht aus künstlerischen Gründen, sondern der Verkäuflichkeit halber. 

Die ersten Landschaftsgemälde zeigen erdachte Landschaften, mit der rätselhaften Aus-nahme von Albrecht Altdorfer, der richtiger Weise auch kein Thema als Ausrede brauchte. Selbst Claude Lorrain musste fast sein Leben lang Phantasielandschaften zu seinen Themen erfinden, bevor er den Mut fand, Landschaften, die ihm vor Augen lagen, ab zumalen ohne thematische Zugabe.

Doch eigentlich schreit die Landschaft danach, ihr thematische Unterstellungen zu erspa-ren. Es macht sie zwar tauglich für eines jeden Betrachters eigene Projektion - erlaubt ihm aber auch, darauf zu verzichten. So ist bei C. D. Friedrich der frömmelnde Blick des Malers zwar kaum zu übersehen. Man kann ihn aber ohne weiters auch ignorieren und seine Land-schaften als bloße Bilder betrachten; von allem Thema absehen und lediglich anschauen.

Cézanne, La carrière de Bibémus, 1887

Davon oben kein Wort. Turner wird zwar immerhin erwähnt. Dass er an der Landschaft aber gerade das weglässt, was sie zu einem Lebensraum macht, nämlich die Konturen der Dinge und mit ihnen die Tiefe des Raums, kommt gar nicht vor. Sein Beinahe-Zeitgenosse Corot löst den Raum mehr und mehr in (nicht sehr) farbige Flächen von helleren und dunkleren Tonwerten auf. In Corots Atelier hat zeitweilig Pissarro gemalt und gelernt, und bei dem im Atelier arbeitete Paul Cézanne. Der oben reichlich in Anspruch genommene Monet wurde dagegen ein häufiger Gast in London, wo er William Turner studierte, wie man seinen Bildern unschwer ansieht.

Ich nehme an, in Zürich haben sie keinen Turner noch Corot, Pissarro oder Cézanne. Des-wegen durfte die Berichterstatterin sie weglassen. Aber ein Beitrag zu so einem erheblichen Gegenstand, der für's Ästhetische auch nicht einen Satz findet, ist dürftig.

*

Und umso überraschender, als dasselbe Blatt seinerzeit einen Essay über die Entstehung der Landschaftsmalerei aus dem Geit des Nominalismus gebracht hat. In der Zwischenzeit gab es frei-lich personelle Veränderungen in den Redaktionen für Kunst und Geisteswissenschaften. Dort stellt man jetzt keine großen Ansprüche mehr an die Leser. Andersrum muss man es anscheinend ebenso halten.

JE

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