aus spektrum.de, 23.09.2020 Pieter van der Werff, Grablegung Christi, 1709. Der Künstler verwendete die Farbe für den Mantel der
Maria.
Kleine Geschichte vom Preußisch Blau, dem Zufallsfund der Alchemisten
Blau
kommt in der Natur selten vor und war viele Jahrhunderte lang teurer
als Gold. Bis um 1700 in einem Berliner Labor ein Experiment
danebenging
von Daniel Meßner und Richard Hemmer
Um
1700 trafen in Berlin die beiden Alchemisten Johann Jacob von Diesbach
und Johann Conrad Dippel aufeinander – eher zufällig. Und eher zufällig
entdeckten sie das Rezept für das erste neuzeitliche, künstliche
Pigment: das Preußisch oder Berliner Blau.
Diesbach war ein Schweizer Soldat, der
als Söldner unterwegs war und in die preußische Hauptstadt kam, um mit
der Herstellung von Farben Geld zu verdienen. Dippel hatte sich bereits
einen Namen als Alchemist gemacht. Alchemie und Chemie verwendeten die
Menschen zu dieser Zeit synonym. Die Chemie war noch keine Wissenschaft,
sondern – eben – Alchemie, und die galt als Geheimwissen. Bücher und
Experimente wurden unter der Hand weitergegeben, häufig verschlüsselte
man die Rezepturen noch. In den meisten Anweisungen ging es darum, Gold
herzustellen oder den Stein der Weisen zu entdecken. Und der versprach
nicht weniger als das ewige Leben.
Dippel war überzeugt davon, dass er eine Tinktur hergestellt hatte, mit der er Silber in Gold verwandeln könne. Deshalb holte ihn Graf August von Wittgenstein, der als Oberhofmar-schall am Hof des preußischen Königs diente, 1704 nach Berlin. Wie viele Fürsten damals finanzierte von Wittgenstein ein Alchemielabor. Dort stellten die Gelehrten auch Farbpigmente, Schießpulver und Arzneimittel her, um sie zu verkaufen. Die Stoffe und Mittelchen brachten den Männern gutes Geld.
Diesbach
und Dippel arbeiteten zur selben Zeit im Alchemielabor. Der eine wollte
dort Farben entwickeln, der andere ein Allheilmittel, das »Dippelsche
Tieröl« oder »Oleum animale Dippelii«. Dafür hatte jener Tierblut so
lange destilliert, bis er ein farbloses Öl erhielt, das er als
Medikament gegen alle möglichen Krankheiten verkaufte.
Die Alchemisten entdecken das erste moderne künstliche Pigment
Eines
Tages im Jahr 1706 machte sich Diesbach daran, Florentiner Lack zu
produzieren, auch bekannt als Karminrot, das häufig in der Malerei
verwendet wurde. Florentiner Lack bestand aus Cochenille-Schildläusen (Dactylopius coccus),
die ursprünglich aus Süd- und Mittelamerika stammten. Aus den
weiblichen Tieren kann der Farbstoff Karmin gewonnen werden, dessen
Hauptbestandteil die Karminsäure ist.
Diesbach hatte die Läuse
getrocknet, zu Pulver verarbeitet und eine Kalium-Aluminiumsulfat-Lösung
hinzugefügt. Nach ein paar weiteren Schritten – er gab unter anderem
Pottasche hinzu – schüttete er die Masse durch einen Filter und ließ sie
trocknen. Übrig blieb ein tiefrotes Pulver, das er als Florentiner Lack
anbot.
An einem Nachmittag nahm Diesbach nicht seine eigene Pottasche, sondern bediente sich bei Dippel. Den Tierblutresten an der Asche schenkte er zunächst keine Beachtung. Doch als er sie zu seiner Mischung hinzufügte, färbte sich die Flüssigkeit tiefblau statt rot. Was war geschehen? Das Blut hatte eine chemische Reaktion ausgelöst. Aus Karminrot war ein Blau geworden. So hatten die im Blut enthaltenen Eisenionen, grob erklärt, zu einem Elektronenübergang zwischen Fe2+- und Fe3+-Ionen geführt. Das sorgte für die blaue Farbe. Die beiden Alchemisten hatten damit versehentlich das erste moderne, künstliche Pigment hergestellt. Gottfried Wilhelm Leibniz machte den Vorschlag, die Farbe »Berliner Blau« zu taufen. Weltweit durchgesetzt hat sich allerdings die Bezeichnung »Prussian Blue«, »Preußisch Blau«, das heute auch als »Eisenblau« firmiert.
Dippel konnte aus der Entdeckung kein Kapital schlagen. Er musste kurze Zeit später wegen Majestätsbeleidigung aus Berlin fliehen. Für Diesbach hingegen war die Herstellung des neuen Blautons ein sehr einträgliches Geschäft. Blaue Farben waren nämlich bis zu diesem Zeitpunkt entweder teuer oder nicht lichtecht. Häufig verwendeten Künstler Farben, die aus dem Mineral Azurit oder dem mit Kobalt gefärbten Glas Smalte angemischt wurden. Beide Blautöne bleichen allerdings mit der Zeit aus. Das begehrteste Blau wurde aus dem Gestein Lapislazuli gewonnen, das vor allem im heutigen Afghanistan abgebaut wurde. Daraus entstand Ultramarin (»jenseits des Meeres«). Diese Farbe war teurer als Gold, weshalb es sich die meisten Künstler nicht leisten konnten. Daher fand das Berliner Blau bei ihnen reißenden Absatz, als es um 1700 als günstige Alternative auf den Markt kam.
Das erste Gemälde, in dem Berliner Blau nachweislich vorkommt, stammt aus dem Jahr 1709: die »Grablegung Christi« von Pieter van der Werff [s. o.], das heute im Schloss Sanssouci in Potsdam hängt. Seitdem ist die Farbe aus der Kunstwelt nicht mehr wegzudenken. Viele Künstler wie Claude Monet, Edvard Munch oder Pablo Picasso malten damit. Und auch auf einem der berühmtesten grafischen Werke der Welt ist der Blauton zu sehen: »Die große Welle vor Kanagawa«.
Doch spätestens ab 1724 warf das Geschäft für Diesbach nicht mehr viel ab. Er hatte das Monopol zur Herstellung der Farbe verloren, nachdem John Woodward, ein Mitglied der Londoner Royal Society, die zuvor geheime Rezeptur veröffentlicht hatte. Die Nachahmer optimierten die Herstellung. So ließ sich die Farbe auch ohne Läuse fertigen – und damit sank der Preis des Berliner Blaus noch einmal deutlich.
Das Berliner Blau entwickelten Chemiker weiter: Mitte des 18. Jahrhunderts wurde bei Experimenten mit der Farbe eine bis dahin unbekannte Säure entdeckt. So gelang es dem französischen Chemiker Pierre-Joseph Macquer, das Berliner Blau in die Komponenten Eisensalz und Zyanwasserstoff zu zerlegen. Die Säure Zyanwasserstoff erhielt den Namen Blausäure. Die hochgiftige Substanz ist die Basis für Zyklon B, das die Nationalsozialisten für den Massenmord in den Konzentrationslagern verwendeten.
Heute nutzen Maler Berliner Blau kaum noch als Pigment. Es kommt jedoch in anderen Bereichen zum Einsatz: In der Chemie wird es häufig verwendet, um in Flüssigkeiten Eisen nachzuweisen. Und seit 1990 steht es auch auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. Apotheken bieten es als Medikament gegen eine Vergiftung mit Thallium und radioaktivem Zäsium an.
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