zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Wer sich das Ich zuerst dachte, der hatte einen Begriff davon. Wie kommt dieser Begriff zustande?
Um
mich selbst als mich selbst wahrnehmen zu können, müsste ich mich schon
als gesetzt voraussetzen. Zu der Tätigkeit, mit der ich mich setze,
ging ich über von einer Ruhe, Untä-tigkeit, die ich der Tätigkeit
entgegensetze. Anders konnte man die Vorstellung der Tätig-keit nicht
bemerken; sie ist ein Losreißen von einer Ruhe, von welcher zur
Tätigkeit über-gegangen wird. Also nur durch Gegensatz war ich vermögend,
mir meiner Tätigkeit klar bewusst zu werden und eine Anschauung
derselben zu bekommen.
Handeln ist gleichsam Agilität, Übergehen
im geistigen Sinne, dieser Agilität wird im Be-wusstsein
entgegengesetzt ein Fixiertsein, ein Beruhen. Umgekehrt kann ich mir
auch der Ruhe nicht bewusst werden, ohne dass ich mir der Tätigkeit
bewusst bin. Man muss daher beide zugleich ansehen, um eine von beiden
einzeln ansehen zu können. Nur durch Gegen-satz ist ein bestimmtes
klares Bewusstsein möglich. Wir haben es hier aber nicht mit diesem Satze
überhaupt, sondern mit dem einzelnen bestimmten Falle zu tun, der hier
in Frage kommt.
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Ruhe, in
dieser Ruhe wird das, was eigentlich ein Tätiges ist, ein Gesetztes;
es bleibt keine Tätigkeit mehr, es wird ein Produkt; aber nicht etwa ein
anderes Produkt, als die Tätigkeit selbst, kein Stoff, kein Ding,
welches vor der Tätigkeit des Ich vorherging; sondern bloß das Handeln
wird dadurch, dass es ange-schaut wird, fixiert. So etwas heißt ein
Begriff, im Gegensatz der Anschauung, welche auf die Tätigkeit als
solche geht.
In
dieser in sich zurückgehenden Tätigkeit, als ruhend angeschaut, fällt
Subjekt und Objekt zusammen, und dadurch entsteht das Positive,
Fixierte. Dieses Zusammenfallen beider, und wie dadurch die Anschauung
in einen Begriff verwandelt wird, lässt sich nicht anschauen, son-dern nur denken. Nur
die Anschauung lässt sich anschauen, nicht denken; das Denken lässt
sich nur denken, nicht anschauen. Jede Äußerung des Gemüts lässt sich
nur durch sich selbst auffassen. Dies bestätigt die oben aufgestellte Theorie des Bewusstseins.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 32f.
Nota. - Was hier allgemein Handeln heißt, wird später als reale Tätigkeit bezeichnet werden, der im Anschauen eine ideale Tätigkeit gegenübertritt. Sie ist die Rückwendung des Tätigen gegen sich selbst, sie ist Reflexion, erst im Akt des Reflektierens wird das Ich sich zum Ob-jekt. Und wird die Tätigkeit zu einem Bild ihrer selbst: Von der Agilität als dem Modus wird abgesehen, im Bild wird festgestellt das Quale der Tätigkeit, nämlich das, um dessentwillen agiert wird. Im Begriff ist eine Absicht dargestellt. Das Ich ist nicht überhaupt Subjekt-Ob-jekt (überhaupt 'gibt es' kein Ich), sondern nur insofern, als es sich handelnd anschaut; nur als ein Subjekt-Objekt 'ist' ein Ich.
JE
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