Freitag, 18. September 2020

Chinesische Landschaftsmaler.

aus Badische Zeitung, 18. September 2020                                                           Mei Chings Ansichten von Xuancheng von 1679/80

Kunst als geistiges Refugium 

Das Museum Rietberg in Zürich zeigt chinesische Landschaftsmalerei vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Von Hans-Dieter Fronz 

Europa hinkte hinterher. Während sich in hiesigen Breiten die Künstler des Spätmittelalters noch ungelenk in der Darstellung von Naturräumen versuchten (im Grunde waren ihre Landschaften nicht mehr als ein ausschmückendes Ambiente für historische und mythologische Erzählungen), blickte man in Fernost bereits auf eine jahrhundertealte Tradition der Landschaftsmalerei zurück. In China gab es sie seit dem 10. Jahrhundert, Europa erfand die Gattung rund 700 Jahre später.

Die Ausstellung "Landschaft. Orte der Malerei" im Kunsthaus Zürich veranschaulicht die langwierige Herausbildung dieses neuen Genres in der europäischen Bildkunst. Das Zürcher Museum Rietberg dagegen zeigt in der opulenten und vorzüglich konzipierten Präsentation "Sehnsucht Natur – Landschaften in der Kunst Chinas" Landschaftsmalerei aus dem Reich der Mitte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Annähernd 90 Kunstwerke, darunter raumgreifende traditionelle, aber auch moderne Werke wie Fotokunst und Installation werden geboten. Erstmals in Europa stellt die Schau Beispielen der bedeutendsten Meister der klassischen Landschaftsmalerei moderne Werke chinesischer Künstler internationalen Rangs gegenüber.

Noch früher als die Landschaftsmalerei hatte sich in China seit dem 4. Jahrhundert eine veritable Naturlyrik entwickelt. Grundlage für die frühe Ausprägung beider Kunstformen bildete ein im Vergleich zum westlichen geradezu konträres Konzept des Verhältnisses von Mensch und Natur. Daoismus wie Konfuzianismus entwarfen das Ideal einer harmonischen Einheit von Mensch und Natur. In der Tradition galt Natur als Verkörperung kosmischer Kräfte und Manifestation einer höchsten Wahrheit, an der sich Mensch und Gesellschaft orientieren sollten. So konnte Landschaftsmalerei zur vornehmsten Gattung, ja, zum Inbe-griff chinesischer Kultur avancieren.

Einer der thematischen Schwerpunkte der Ausstellung beleuchtet die enge Verbindung, die die Kunstform nicht selten mit Naturlyrik eingeht; weitere Schwerpunkte sind die aufkommende Reiselust des 16. Jahrhunderts, die eine Vielzahl von Reiseillustrationen und Darstellungen heiliger Berge zeitigte, oder die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Tradition und Erneuerung. In der Gegenwart ist die Landschaftsmalerei nicht lediglich ein Kulturgut der Vergangenheit, sondern lebendige Tradition bis heute.

Shanshui hua: Übersetzt bedeutet der Begriff "Berg-Wasser-Malerei". So sind Gebirge, Flüsse oder Wasserfälle häufige Motive. Die da und dort dezent platzierten Figuren bezeugen, dass das Leben in der Natur nicht bloß ein abstraktes Ideal war, sondern für viele Gelehrte und Beamte eine reelle Option. Aus ihrer Schicht rekrutierten sich auch die Maler selbst. Bildkürzel für das – ersehnte oder gelebte – naturnahe Leben sind Motive wie Strohhütte und Gelehrtenklause. Ersatzweise stellte das Landschaftsbild selbst eine Art geistiges Refugium dar.

Der Rückzug in die Natur konnte freilich auch erzwungen sein. Nach dem Sturz der Ming-Dynastie suchten viele Künstler Schutz auf dem Land. Manche Maler versahen ihre Landschaftsbilder fortan mit versteckten politischen Botschaften. In Xiang Shenmos auf das Jahr 1652 datierter Hängerolle "Herbstwinde" ist das Rot der Blätter der Bäume die Codefarbe seiner Ming-Treue.

Landschaftsmotive diffundierten in die Objektwelt des Alltags hinein, etwa auf Gefäßen oder Fächern. Mei Qings Hängerolle mit majestätischem "Wasserfall" findet so ein Pendant in einer Malerei Zhu Shiyings auf einem Fächerblatt. Meisterlich sind Mei Qings 24 "Berühmte Ansichten von Xuancheng". Muten aber die Albumblätter Gao Qipeis mit Landschaften von der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert geradezu impressionistisch an, so beziehen sich umgekehrt neuere Künstler bis hin zur Gegenwart auf die uralte Tradition. Gleich eingangs scheint das Bezugs- und Spannungsfeld in zwei mächtigen Hochformaten auf: Fa Ruozhens dynamischer Gebirgsszenerie von 1690 tritt Li Xis abstrahierte Gebirgslandschaft von 2009 zur Seite.


In Li Huayis eindrucksvoller "Landschaft" aus demselben Jahr mit ihrer schroffen Archaik bewegt sich zeitgenössische Kunst auf Augenhöhe mit den Alten Meistern; auch in Raymond Fungs Gebirgsszenerie von "Huan-Shang Series II", die ins Abstrakte spielt, gleich der von Liu Guosong. Nahezu leer mutet Qiu Shihuas Leinwand an: Man muss schon genau hinsehen, um die hauchzarte Andeutung einer Landschaft zu erkennen. Huang Yan hält der Landschaftskunst in Body Paintings die Treue.

Künstler wie Shi Jinsong wiederum, der seinen "Lack Pine Tree" mit Eisenschrauben aus Einzelteilen zusammenbaut hat, kritisieren die Ausbeutung und Verdinglichung der Natur. Die vermeintliche Gebirgslandschaft mit See und Wasserfall in Yang Yongjiangs Video aber entpuppt sich als "Phantom City" mit gigantesker Hochhausarchitektur. Reine Bildpoesie ist Lin Tianmiaos umgekehrt von der Decke hängender Baum, dessen Stamm wie Äste und Zweige die Künstlerin lückenlos mit Seidenfäden überzogen hat.

Museum Rietberg, Gablerstr. 15, Zürich. Bis 17. Januar, Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr.

 

Nota. - Malerei ist in China und in Europa aus zwei ganz unterschiedlichen Motiven ent-standen: Während sie im Westen bei Griechen und Römern Mythen und bei den Christen heilige Berichte erzählen sollte und illustrativ gedacht war, sollte sie in China zwecks Medita-tion Ideen veranschaulichen - weshalb sie durch kalligraphierte Dichtung ausgedeutet werden konnte.

Während sie in China von Anbeginn auf transportablen Textil- und Papierrollen verfertigt wurde, die hier wie dort aufgehängt werden konnten, war sie in Europa zuerst Wandmalerei; in Tempeln und Villen, dann in byzantinischen Basiliken und Palästen, später in Kathedra-len und Adelsburgen. Das Tafelbild kam hier erst mit der Renaissance auf und markiert selbst einen Schritt zur Ablösung der Kunst vom Thematischen hin zur Selbstdeutung - und eben nicht zur Meditation, sondern zu ästhetischer Betrachtung.

Und da die fernöstlichen Gedanken um die Einheit von Menschenleben und Natur kreis-ten, gerieten Menschen- und Landschaftsdarstellung nie in Spannung zu einander - während im Westen menschliche Figuren noch lange als Entschuldigung für bloße Landschaftsdar-stellung dienten. JE

Claude

 

 

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