
aus spektrum.de, 13. 8. 2021 zuJochen Ebmeiers Realien,
Wie viele Freunde kann ein Mensch haben?
Schon
die Urahnen des Menschen beschränkten ihre Kontakte auf höchstens 150.
Den Grund vermuten Forschende in der begrenzten Kapazität des Gehirns.
Mit dem Internet ist die Zahl allerdings ein wenig gewachsen.
von Corinna Hartmann
Wie
viele Menschen jemand um sich schart, scheint Typsache zu sein. Die
eine kennt fast die ganze Stadt und kommt keine zehn Meter weit, ohne
dass sich ein Plausch mit einer Bekannten ergibt. Dem anderen reichen
zwei, drei enge Vertraute.
Dennoch
ist die Zahl der Freunde nicht beliebig. Als Forscher das
Sozialverhalten näher betrachteten, zeigte sich: Beziehungsgeflechte
folgen einem universellen Muster. Wie der britische Anthropologe Robin
Dunbar in den 1990er Jahren herausfand, können die meisten Menschen höchstens 150 Sozialkontakte
regelmäßig pflegen. Dazu zählen nicht nur Freunde, sondern alle
Kontakte, die auf Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung fußen –
inklusive Nachbarn, Kollegen und Vereinskumpel. Die Besetzung kann sich
im Lauf der Jahre ändern. Doch die Zahl selbst, nach ihrem Entdecker
»Dunbar-Zahl« genannt, ist erstaunlich konstant.
Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum Psychologie, 5/2021 (September/Oktober)
Auf dem sozialen Parkett ist Grips gefragt
Ursprünglich
erforschte Dunbar das Sozialverhalten von Primaten. Dabei stieß er auf
einen Zusammenhang: Je größer das Gehirn, desto größer die Gruppen, zu
denen sich eine Affenart zusammenrottet. Entscheidend ist, welchen
Anteil am Gehirn das Volumen des Neokortex hat, also des evolutionär
jüngsten Teils der Großhirnrinde, der höhere kognitive Fähigkeiten
ermöglicht. Mit steigender Komplexität der Affengesellschaften ist
offenbar mehr Grips gefragt: Sich auf dem sozialen Parkett geschickt zu
bewegen, ist eine erstaun-liche Leistung – auch bei unseren Verwandten im
Tierreich.
Wächst
eine Gruppe über das typische Limit einer Spezies hinaus, reicht die
neuronale Kapazität zur Verarbeitung sozialer Information nicht aus. Die
Affen schaffen es nicht mehr, ihre Kontakte zu koordinieren; die Gruppe
zerfällt. Deshalb haben Lemuren einen kleineren »Freundeskreis« als
Makaken.Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum Kompakt: Nähe und Distanz – Abstand im sozialen Miteinander
Dunbar fand Entsprechungen in der Geschichte von Homo sapiens. Anthropologen gehen davon aus, dass sich schon Sippen von Jägern und Sammlern zu Gruppen von etwa 150 Personen zusammenschlossen. Als die Menschen sesshaft wurden, bildeten sie jungsteinzeitliche Siedlungen mit 120 bis 150 Bewohnern. Laut einer der ältesten bekannten Volkszählungen – beauftragt im Jahr 1086 von König Wilhelm I. – umfasste ein englisches Dorf damals im Mittel 150 Menschen.
Die Kommunen
der Hutterer, einer nordamerikanischen Glaubensgemeinschaft ähnlich den
Amischen, umfassen heute noch maximal 150 Personen. Übersteigt die
Einwohnerzahl 150, gründen sie eine neue Gemeinde. Sie befürchten, dass
die sozialen Bande, die ihnen so wichtig sind, in weniger überschaubaren
Kolonien nicht mehr halten.
Drei bis fünf zählen zu den engsten Freunden
Mit seinen 150 sozialen Kontakten ist der Mensch Spitzenreiter. Sein »soziales« Gehirn ist besonders ausgereift. Es besteht unter anderem aus Regionen, die an der so genannten Mentalisierung beteiligt sind: der Fähigkeit, anderen eigene Gedanken, Gefühle und Absichten zuzuschreiben. Kinder entwickeln diese Fähigkeit mit ungefähr vier Jahren. Daneben braucht es ein gutes Gedächtnis, um sich die vielen Gesichter und zugehörigen Namen zu merken und sich an frühere Begegnungen zu erinnern.
Auch die Vielfalt der Beziehungen erfordert geistige Ressourcen. So lassen sich gemäß Dunbars Modell verschiedene Grade der Verbundenheit ausmachen: Die meisten Menschen zählen 10 bis 15 Personen zu ihren Freunden; drei bis fünf davon sind die engsten Vertrauten. Mit diesem inneren Kreis haben sie in der Regel mindestens einmal pro Woche Kontakt und teilen mit ihnen Sorgen und Geheimnisse. Der Kreis der guten Bekannten beläuft sich auf etwa 50.
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Dass ein Leben nur für eine begrenzte Zahl von Freunden Platz hat, ist weitgehend anerkannt, auch wenn manche Forscher das Konzept der Dunbar-Zahl hinterfragen.
Über das Limit wird aber weiter debattiert. Neuere Studien kommen an
Stelle von maximal 150 inzwischen auf bis zu 200 Kontakte. Dunbar hat
seine alte Grenze ebenfalls ein wenig verschoben – auf 180 Personen. Das
sei den sozialen Online-Netzwerken zu verdanken: Sie erleichtern es,
Kontakt zu sehr vielen Menschen zu halten. Einer US-Studie zufolge wuchs
der Freundeskreis schon in den Nullerjahren mit dem Aufkommen der ersten sozialen Online-Medien.
Doch selbst Facebook und Whatsapp ermöglichen keine grenzenlosen Kontakte. Eine Studie unter 1,7 Millionen Twitter-Nutzern
zeigte: Sie unterhielten zu höchstens 100 bis 200 virtuellen Bekannten
stabile Beziehungen. Auch die Online-Kommunikation hat ihre Grenzen.
Nota. - Man stelle sich vor, es wäre anders: Jeder Mensch könnte unzählig viele Freunde und auch... Feinde haben, ohne sich zwischen ihnen zu verirren. Am Anfang unserer Gat-tung mögen die familiären Bindungen eng und wenige gewesen sein, weil das vagante Le-ben in der Feuchtsavanne größere Verbände nicht erforderlich machte. Doch mit der Aus-weitung der gesellschaftlichen Tätigkeit wäre eine grenzenlose Ausdehnung der persönli-chen Bekanntschaften einhergegangen: Sogenannte Strukturen, die das Zusammenwirken von Vielen mit vielen Anderen regulieren, wären niemals erforderlich geworden. Ganz ge-nau gesagt: Ihre Regulierung wäre nie erforderlich geworden.
Es ist uns selbstverständlich, dass Sozialität Ordnung und Regulierung bedeutet. Den Ge-danken, dass es womöglich die organischen Grenzen unserer Gehirnorganisation sind, die Strukturen, nämlich Herrschaft erforderlich mach(t)en, müssen wir uns erst nach und nach zu Gemüte führen.
Andernfalls wäre unser gesellschaftliches Zusammenleben allein auf unsere Vernunft - ich meine: ganz allein auf die Vernunft angewiesen. Doch ob sie sich ohne den vorläufigen Schutz wenigstens einiger weniger durch Ordnung und Regeln überhaupt hätte ausbilden können, wäre durchaus zeifelhaft.
Das Aufkommen von Social Networks bedeutet keine Ausweitung von Sozialitäten, son-dern das Einsickern eine anderen Qualität: Auf Facebook vertraut ist mir keine Person, sondern ein Avatar. Das ist keine Erweiterung, sondern eine Korruption.
JE
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