Dienstag, 31. August 2021

Phänomenologie und Vernunftkritik.

                                                                   zu Philosophierungen

Alles, was wirklich ist, ist erfahrbar; anders wäre sein nur ein Hilfsverb - Kopula - und kein Zeit-Wort. Erfahrbar ist eines nur als Dieses oder irgend ein Anderes. Es kann Dieses nur sein im Verhältnis zu einem Anderen: als dessen Anderes.

Woran unterscheide ich sie? An den Merk malen, die ich an ihnen - be merke. Sie selber un-terscheiden sich gar nicht, sie bemerken nichts. Nicht einmal, dass sie in einem Verhältnis stehen, und schon gar nicht zu einander. Merkmale gibt es nur, wenn und wo einer sie be-merkt.

Dieses Bemerken ist das Phänomen. Wohl wird das Wort im außerphilosophischen Ge-brauch verwendet als das, was bemerkt wird. Im philosophischem Gebrauch hat es aber nur Sinn als das Bemerken selber: als das, was geschieht.

In diesem Sinn rede ich immer wieder vom phänomenologischen Verfahren der Transzen-dentalphilosophie; bei Kant erst noch vorwiegend, strictu sensu dann bei Fichte.

Das wirft die Frage auf nach dem Verhältnis zu der philosophischen Schule, die diesen Na-men ausdrücklich reklamiert, der Husserl'schen Phänomenologie (den Ausdruck 'transzen-dental' hat sie ebenfalls in Anspruch genommen). Die Ähnlichkeiten beider philosophischer Richtungen sind wiederholt herausgestellt worden, so als würde einer der beiden Stifter da-durch gewinnen. Entscheidend ist aber der eine und große Unterschied.

Die "Phänomene", nämlich das, was im Denken erscheint, sind für Husserl schlicht und bedenkenlos die Begriffe, wie sie im Bewusstsein eines gebildeten Westlers nun eben vor-kommen. Von ihnen zieht er, wie die Häute von einer Zwiebel, die äußeren Bedeutungs-schichten, die von einer profanen Reflexion nach und nach aufgetragen wurden, wieder ab und legt so am Schluss, wo's nach eidetischer Reduktion dann doch nicht mehr weitergeht, in intuitiver Wesenssschau den eigentlichen Sinnkern frei - das Noema.

So weit war er in umfänglichen Detailstudien gekommen, als in den zwanziger Jahren seinen Kritikern und wohl ihm selber eine fatale, nämlich enttäuschende Ähnlichkeit mit Platos Id-en auffiel: So viel Aufwand, um fast zweieinhalb Jahrtausende Geistesgeschichte zurück zu spulen?

Er fing nochmal neu an, und es war die berühmte Krisis-Schrift von 1935, die dann durch Einführung des Lebenswelt-Begriffs vor allem die - marxisierende - Neubelebung der phä-nomenologischen Schule in den siebziger Jahren inspirieren sollte.

Der Grund der Verlegenheit hat einen Namen. Es ist die Begriffshuberei. Wie konnte ein deutscher Professor im 19. Jahrhundert das Materiel des Denkens anders auffassen denn als Begriff? Wittgenstein ist Anfang des 20. Jahrhunderts dem neukantianischen Wien ins prag-matische Cambridge entwichen und ist bei dem Mathematiker Russell auch nicht tiefer ge-langt. Mit diesem Vorgehen kann man nicht weiter kommen als bis zu der Vorstellung mik-rologischer Bedeutungsatome, die sich auf wundersame Weise - Sprachspiel  heißt die Ver-legenheitslösung - in das Bewusstsein der Sterblichen infiltriert und dabei - Geh nicht mit fremden Männen mit! - prompt die Unschuld verloren haben.

Die dumpfe Sterilität der heutigen "systematischen" Richtung wäre das unvermeidliche Schicksal auch der Husserl'schen Phänomenologie geworden, wäre sie nicht rechtzeitig entschlafen. Das steht den Systematikern erst noch bevor.

Aber darauf braucht keiner zu warten.

 

PS. Ein phänomenologisches Ansetzen am Sprachspiel, nämlich an den natürlichen Spra-chen von dir und mir, ist Wittgenstein wohlbemerkt nie in den Sinn gekommen. Er greift sich aus dem Sprachmaterial heraus, was ihm grad ins Auge springt. Systematiker können in ihm kaum ein Vorbild finden. 


 

Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE  

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