Montag, 30. August 2021

Kreativitätsmythen.

Daumier               zu  Levana, oder Erziehlehre; zu Jochen Ebmeiers Realien
aus spektrum.de, 30. 8. 2021


Können Sie Mythen und Fakten zur Kreativität unterscheiden?
Sind Kinder kreativer als Erwachsene? Oder braucht es für kreative Höchstleistungen zehn Jahre harte Arbeit? Eine internationale Studie prüft das Allgemeinwissen zum Thema Kreativität und zeigt, welche Irrtümer verbreitet sind.


von Christiane Gelitz

Um kreative Köpfe ranken sich viele Geschichten. Ihre Ideen erscheinen so wundersam und magisch wie der Moment, wenn sich im Theater der Vorhang hebt. Dabei weiß die Wissenschaft längst mehr über den vermeintlichen Zauber. Welche Mythen rund um das Thema Kreativität dennoch fortbestehen, hat eine internationale Forschungsgruppe jetzt in mehreren Ländern untersucht

Mathias Benedek von der Universität Graz und sein Team warben auf Online-Plattformen rund 1300 Erwachsene unter anderem aus Deutschland, Österreich, China sowie den USA an. Die Versuchspersonen bekamen 30 Aussagen über Kreativität vorgelegt, zum Beispiel »Kreatives Denken spielt sich überwiegend in der rechten Hirnhälfte ab«, vermischt mit anderen Aussagen etwa aus der Hirnforschung sowie Fragen zu ihrer Person.

»Die Kreativitätsmythen wurden im Schnitt von jedem Zweiten für wahr befunden«, berichten Benedek und seine Kollegen. Wie sie in der Fachzeitschrift »Personality and Individual Differences« schreiben, stimmten rund vier von fünf Befragten der falschen Aussage zu, dass Brainstorming in Gruppen mehr Ideen hervorbringt, als wenn jeder für sich nachdenkt. Fast zwei Drittel hielten Kinder für kreativer als Erwachsene, und fast ebenso viele glaubten fälschlich, dass die meisten Menschen abstrakte Kunst nicht von abstrakten Kinderzeichnungen unterscheiden können. Jeweils mehr als die Hälfte hingen außerdem dem Irrglauben an, dass vor allem die rechte Hirnhälfte fürs kreative Denken zuständig sei.

1 Kreative Leistungen sind in der Regel das Ergebnis einer plötzlichen Eingebung.

58 %

2 Beim Brainstorming in der Gruppe entstehen mehr Ideen, als wenn jeder für sich nachdenkt.

80%

3 Die erste Idee, die jemand hat, ist oft nicht die beste.

49%

4 Damit etwas als kreativ gilt, muss es sowohl neuartig als auch nützlich oder zweckdienlich sein.

46%

5 Kreative Menschen sind meist offener für neue Erfahrungen.

87%

6 Kreative Ideen sind von Natur eine gute Sache.

59%

7 Die meisten Menschen könnten abstrakte Kunst nicht von abstrakten Kindermalereien unterscheiden.

63%

8 Ob etwas als kreativ angesehen wird, hängt vom Zeitgeist und den sozialen Normen ab.

81%

9 Kreative Ideen basieren typischerweise auf Informationen, die auf eine neue Weise kombiniert werden.

83%

10 Kreatives Denken spielt sich überwiegend in der rechten Gehirnhälfte ab.

54%

11 Menschen verfügen über ein gewisses Maß an Kreativität und können daran nichts ändern.

20%

12 Kreativität kann man nicht messen

58%.

13 Wenn man bei einem Problem nicht weiterkommt, hilft es, eine Pause zu machen und es dann erneut zu versuchen.

97% 

14 Kinder sind kreativer als Erwachsene.

68%

15 Für einen kreativen Durchbruch (z.B. einen erfolgreichen Roman) braucht es in der Regel mindestens zehn Jahre Übung und Arbeit.

37%

 

Mit den Fakten taten sich die Befragten weniger schwer: Hier erkannten beispielsweise 97 Prozent richtig, dass eine Pause hilft, auf neue Ideen zu kommen. Aber auch nur rund jeder Zweite wusste, dass die erste Idee oft nicht die beste ist und dass kreativen Höchstleistungen typischerweise zehn Jahre Arbeit vorausgehen.

Kreativität ist veränderlich

»Laienvorstellungen waren gekennzeichnet durch eine Überschätzung von Zufall und kindlichem Verhalten«, fassen die Autoren zusammen. Die Rolle der strategischen Steuerung und Expertise beim kreativen Denken werde unterschätzt. Diese Naivität sei problematisch, denn die Mythen ignorierten, wie viel harte Arbeit hinter kreativen Leistungen stecke. Sie legten nahe, dass man nur zu warten brauche, bis die Kreativität wie ein Blitz einschlage. Immerhin hielten die meisten Kreativität nicht für eine seltene Begabung, und nur wenige dachten fälschlicherweise, sie sei ein festes Maß und unveränderlich.

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Ob die Befragten an Kreativitätsmythen glaubten, hing weder mit ihrem Alter noch ihrem Geschlecht zusammen. Allerdings waren die Befragten, die vermehrt Irrtümern anhingen, weniger gebildet. Sie bezogen ihr Wissen auch eher aus dem Fernsehen, den sozialen Men und dem Freundeskreis anstatt aus Büchern, Zeitschriften und Vorträgen.

Dennoch wollen Benedek und seine Kollegen den Glauben an Kreativitätsmythen nicht einfach mit fehlendem Wissen erklären. Vielmehr sehen sie darin die Tendenz, sich auf Meinungen oder einfache Heuristiken zu verlassen, wenn sie plausibel und wissenschaftlich klingen. Selbst Fachleute seien sich nicht immer einig, welche Annahmen hinreichend belegt oder widerlegt seien, räumt die Forschungsgruppe ein. Doch Wissenschaft zeichne sich gerade dadurch aus, die geltende Lehrmeinung immer wieder zu überarbeiten. Der Stand der Forschung, auf dem die folgende Auflösung gründet, kann deshalb auch nur einen – wenn auch gut begründeten – Zwischenstand abbilden.

Auflösung zu »Fakt oder Mythos«<

Die Nummern verlinken auf Studien, die Mathias Benedek und sein Team beispielhaft als Beleg oder Gegenbeleg zur jeweiligen Aussage anführen.

Korrekte Aussagen: 3, 4, 5, 8, 9, 13, 15

Falsche Aussagen: 1, 2, 6, 7, 10, 11, 12, 14

 
 
Nota. - Es ist wie mit der Intelligenz: Jeder stellt sich darunter was vor, doch wenn er es als Begriff bestimmen soll, kommt er in Verlegenheit. Aber in umgangssprachlichem Zusam-menhang braucht man selten wohldefinierte Begriffe; Ungefähres reicht, um den andern anzuzeigen, was man meint. Mit andern Worten, streng wissenschaftlich ist diese Unter-suchung zweifelhaft. Ist sie jedoch plausibel genug, um allgemein darüber reden zu können?
 
Nehmen wir die Frage der Messbarkeit. Dass Intelligenz nicht messbar wäre, wird heute keiner mehr frischheraus sagen - da sie ja bekanntlich seit hundert Jahren gemessen wird. Wenn man nämlich einen Begriff absichtsvoll aus Parametern zusammensetzt, die alle messbar sein müssen, dann... wird wohl der Begriff auch messbar sein. Doch als Erläute-rung muss man sich mit der Antwort begnügen, Kreativität sei das, was der Kreativitätstest misst...
 
So. Und dann fragen Sie das große Publikum mal, ob es wohl alles für objektiv hält, was man messen kann - oder ob das nicht eher ein populärwissenschaftlicher Irrtum sei.
 
PS. Der Zufall will es, dass heute in der Neuen Zürcher zwei Beiträge erscheinen, die darauf hinweisen, dass ein Übermaß an Expertise und Erfahrung die Kreativität auch hemmen könnten [ad 15)].
JE

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