Donnerstag, 19. August 2021

Einbilden und verständigen.

gralsbaum                                                                                         aus Neuromantiker

Es ist nicht wahr, dass die Vernunft an den Wörtern hängt. Die Mitteilung der Vernunft hängt an den Wörtern: die Verständigung, der Verstand.

Auch die Bilder können mitgeteilt werden, im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbar-keit zumal. Aber es gibt keine Gewissheit, ob sie so ankommen, wie sie losgeschickt wur-den: ob der Emp-Fänger sie so auf-fasst wie der Ent-Sender sie ab-gelassen hat. Das ana-logische Denken fordert die Einbildungskraft heraus, und auf die ist nur sehr unterschied-lich Verlass: bei dem einen schafft sie viel, vielleicht zu viel, bei dem andern wenig... Und ob, das lässt sich vom Sender gar nicht kontrollieren.

In einem Lebensverbund (‚Gesellschaft‘), der auf Arbeitsteilung beruht, kann aber das Gelingen der Mitteilung nicht dem Zufall überlassen bleiben. Die ganzen Bilder müssendurch Abstraktion/Reflexionzu vielen einzelnen Zeichen zerlegt und mit einer Gebrauchs-anleitung zu ihrer Rekomposition ausgestattet werden: lauter Bedeutungsatome („Informa-tionen“), die nach allgemeinen, d. h. öffentlichen, nämlich zwingenden und kontrollierbaren Denkgesetzen zusammengesetzt sind: der Logik.

mitteilen

Die Begriffe und die Logik sind in der Tat pragmatische Produkte: Sie bewähren sich – täglich aufs Neue – als Medien der Verständigung.

Aber das, worüber Verständigung geschieht; das, was mitgeteilt wird, das sind 1.) Anschau-ungen und 2.) Vorstellungen, die „zuerst“ als Bilder „da“ waren. Mit den Zeichen und ihren Verbindungsregeln werden sie nur „beschrieben“.

Und selbstredend kann es gelingennämlich diesem oder jenem , dass aus dem freien Ge-brauch der Zeichen und Verbindungsregeln neue Bilder sichtbar werden. Aber sie schaffen die Bilder nicht, sondern sie führen, d. h. verführen... die Einbildungskraft!

Der Verstand kann den Blick frei machen – nämlich durch die im zu langen Gebrauch opak gewordenen Bilder hindurch; aber sehen muss jeder selbst.

times square

Allerdings ist es wahr – und insofern haben die Lamentationen der Postman & Co. was für sich -, dass es kaum noch ein Bild gibt, das nicht schon tausendmal „da war“ – und darum tausendmal bezeichnet wurde. Der vergesellschaftete Einbildner kann gar nicht anders als die im Verkehr bewährten Zeichen „immer schon“ in die Bilder mit hineinzusehen – was deren ‚Gehalt‘ aber nicht vermehrt, sondern im Gegenteil schmälert: indem auf diese Be-deutung besondern abgesehen wird, wird von jeder andern – eben auch denkbaren – abge-sehen.

Kritisches Denken ist nur in einem flachen Verständnis dasjenige, das sich auf die Prüfung beschränkt, ob die Zeichen auch wirklich alle nach den Regeln der Kunst (dem Denkgesetz) zusammengesetzt sind. Im ausgezeichneten Sinn ist das kritische Denken dasjenige, das den Gebrauch der im Verkehr bewährten Zeichen immer wieder mit dem Anblick der Bilder ver-gleicht. Das ist keine diskursiver, sondern ein intuitiver Akt. Ob in den Bildern „mehr“, das heisst was andres zu sehen ist, als die konventionellen Zeichen herausholen, ist ein ästheti-sches Urteil, kein logisches.

kartoffel

Das ist im übrigen, was man Witz nennt, und das Vermögen dazu heißt Humor.

8. 4. 09

 

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