Dienstag, 24. August 2021

Realität und Wirklichkeit

                                                  zu Geschmackssachen; aus Philosophierungen

Was alles geschieht, nennen die romanischen, vom Latein abgeleteten Sprachen real, und selbst das französich überformte Englisch. Real kommt vom Nomen res: Ding, Sache. Was geschieht, heißt auf Deutsch wirklich, und das kommt vom Verbum wirken. In den Spra-chen ist eine heimliche Ontologie vorgezeichnet. 

Generell privilegieren die romanischen Sprachen substantivische Konstruktionen, während in germanischen Sprachen die Tätigkeitsform überwiegt. Fichte hatte das in den Reden an die deutsche Nation  als einen Vorzug des Deutschen vor dem Französichen genannt und nicht zuletzt darum die Nationwerdung der Deutschen zu einer Bildungsangelegenheit machen wollen.

Die Franzosen hielt er allerdings, als Nachkommen der Franken, für einen deutschen Stamm - aber einen, der seine ursprüngliche deutsche Sprache zugunsten des neulateini-schen Französisch abgelegt hätte. Und den Vorzug des Deutschen hielt er zudem für einen vorübegehenden - nachdem seit dem Dreißigjährigen Krieg das Französische zur Sprache der Gebildeten geworden war und das Deutsche verdinglicht hatte.

Bis heute hält sich im Deutschen der nominale Stil - im öffentlichen Raum, genauer gesagt: in der Verwaltung. Im wirklichen Leben fühlen wir uns selber und begegnen uns die Andern als wirkend, das schlägt sich in unserem Reden nieder. Die Verwaltung betrachtet alles - auch sich selbst - als Objekt. Tätigkeiten gibt es da gar nicht, sondern nur Vorgänge. 

Man könnte meinen, die Nominalität des Französischen ermöglichte eine größere Diffe-renziertheit der Sätze, indem nämlich die Vielzahl der Nomina dazu zwingt, sie in mannig-faltige Stellungen zueinander zu bringen, um dem Satz eine Aussage zu geben. Im Franzö-sischen kann man Sätze bauen, die sich über eine Seite erstrecken, ohne dass ein Verb darin vorkommt - sondern stattdessen zum Abschluss der Periode das dürftige Hilfsverb être. Deren Aussage ist aber so undeutlich, dass man fast meinen möchte, sie hätte keine. War-um? Weil die mannigfaltigen Stellungen der Substantive zueinander in bloßem Dunst ver-schwimmt, wenn sie nicht dekliniert werden können. Das Fehlen der Deklination ist die zweite Schwäche der neulateinischen Sprachen. Sie sind ideal für den behördlichen Ge-brauch und können durch ihren Klangreichtum sogar noch Bella figura machen. Sie neigen bloß dazu, nichts zu sagen.

23. 1. 19 




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.  JE

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