aus Über Ästhetik, Rohentwurf; 3
Vollkommenheit ist eine ästhetische
Kategorie.
Was denn sonst?
Funktionalität mißt sich an einem
jeweiligen Zweck. Wie ‚genau’ etwas funktionieren muß, ist eine Frage des
Zwecks: Im wirklichen Leben reichen Grade des Ungefähr. Funktionalität hat ihr
Maß außer sich. Was aber die Zwecke
taugen, läßt sich nicht funktional bestimmen.
In der Logik gibt es richtig und falsch.
Ihr Maß ist immanent: das richtige Verfahren, die formale Richtigkeit. Das
Falsche ist nicht unvollkommen, sondern nicht-richtig. Was die Resultate jedoch selber ‚wert’ sind, ist keine Frage der Logik.
Vollkommenheit hat kein Maß außer ihr, aber
auch nicht in sich: sie hat kein Maß. Man
könnte sagen, sie ist Maß. Ist sie aber nicht. Denn dazu müßte sie bestimmt werden kön-nen, kann sie aber nicht (denn wäre sie durch etwas, dann wär sie nicht vollkommen). Sie ist keine Vorstellung, sondern eine Idee, qualitas qualitatium. Ihre Bestimmtheit ist eben, daß sie unbestimmbar ist; ihr Wesen ist, daß sie fehlt. Sie ist die ästhetische Idee schlechthin. Sie ist die Suche nach der ‚guten Figur’. Ist sie gefunden, erweist sie sich nach längerer Betrach-tung (sic) als unvollkommen.
könnte sagen, sie ist Maß. Ist sie aber nicht. Denn dazu müßte sie bestimmt werden kön-nen, kann sie aber nicht (denn wäre sie durch etwas, dann wär sie nicht vollkommen). Sie ist keine Vorstellung, sondern eine Idee, qualitas qualitatium. Ihre Bestimmtheit ist eben, daß sie unbestimmbar ist; ihr Wesen ist, daß sie fehlt. Sie ist die ästhetische Idee schlechthin. Sie ist die Suche nach der ‚guten Figur’. Ist sie gefunden, erweist sie sich nach längerer Betrach-tung (sic) als unvollkommen.
Die Idee der Vollkommenheit hat die Ethik
aus der Ästhetik geborgt; Vollkommenheit des Handelns ohne Absicht auf einen
Zweck; ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck’. (In der philoso-phischen Schulsprache wurde
die Idee der Vollkommenheit zum ‚Begriff’ des Absoluten substantifiziert; so
als ob es ‚sei’: Kant, De mundo
sensibilis atque intelligibilis... Bei Fichte: das logisch Absolute ist „vollständige
Wechselwirkung“.)
Und umgekehrt ist der Grund des Ästhetischen
ein ethischer: Etwas erscheint vollkommen, wenn es so ist, wie es sein soll.
(So läßt sich ein jedes Ding unter ästhetischem Gesichts-punkt betrachten: als
ob es so sei, wie es sein soll; wobei der Ursprung des Sollens ein Rätsel
bleibt.)
Der spezifisch ästhetische Name der
Vollkommenheit ist Schönheit. Das Schöne ist Bild des Vollkommenen. Paradox:
als dieses Bild ist es nur eines; ist
bestimmt; also unvollkom-men: Bestimmung des Unbestimmbaren.
irgendwann um das Jahr 2000
Der Schlusssatz scheint alles Vorangehende zu desavouieren, tatsächlich bestätigt er es. Was schön ist oder wenigstens schöner als das andere, war immer umstritten, doch immer gab es herrschende Moden - früher wechselten sie langsam, jetzt schneller, und heute konkurrieren sie sogar. Doch dass das Schöne 'Maß und Substanz' des Ästhetischen sei, stand nicht in Frage. Es gab im frühen Mittelalter die Auffassung, nicht der ästhetische Schein, sondern der spirituelle Gehalt sei Zweck der Kunst, doch seit der Renaissance schob sich wieder die antike Auffassung vor die christliche.
Modern wurde die Kunst, als nicht länger das Schöne Inbegriff des Ästhetischen war, sondern... ja, was eigentlich? Das Erhabene rückte im Rokkoko in den Vordergrund, dann der Ausdruck (aber von was?), Zwiespalt, Zerrissenheit als Abbild der Welt, und wieder soll die Kunst bedeutend sein, Kitsch, Agitprop, Satire...; alles, nur nicht schön. Es besteht nicht einmal mehr Einverständnis, dass Kunst ästhetisch sein soll. Darüber, was sie stattdessen sein soll, herrscht erst recht kein Einverständnis, doch ebendies: ihre pp. Selbstreferenzia-lität wird zu ihrem auszeichnenden Merkmal. Der historisch vielleicht unausweichliche Ver-such, ein Absolutes zu bestimmen, endet schließlich seinerseits unausweichlich in völliger Beliebigkeit.
Ganz kann Kunst nicht vom Ästhetischen emanzipiert werden, es bleibt immer ein deko-rativer Rest, doch mit der Aura ists vorbei. Dass sich das Ästhetische seinerseits aus der Vormundschaft der Kunst befreit, ist ja schon lange im Gange, die englische Arts&crafts-Bewegung war ein Anfang, Bauhaus und Art Déco brachten den Durchbruch, und in den Fünfzigern sahen die Küchengardinen aus, als wären sie von Mondrian. Und auch hier enden wir im Dekorativen.
Dabei kann es nicht bleiben. Es gab immer und wird immer geben Leute, die nach ästheti-schen Gesichtspunkten gestalten wollen - nur nach ästhetischen Gesichtspunkten in einer Zeit, in der die Möglichkeit des Überflusses greifbar ist und nicht jede Anstrengung sich durch einen sachlichen Vorteil rechtfertigen muss. Künstler wird man sie auch noch nen-nen, vielleicht nur noch in einem uneigentlichen Verständnis.
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