
aus scinexx Wenn kleinere Kinder häufig Computerspiele spielen, dann beeinflusst dies ihre Wahrnehmungsverarbeitung. zuJochen Ebmeiers Realien
Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass ein zu großer Medienkonsum jüngeren Kindern eher schadet. So deuten Langzeitstudien daraufhin, dass langes Fernsehschauen bei Kindern die verbale, soziale und emotionale Entwicklung beeinträchtigen kann. Auch die späteren Schulleistungen können sinken. Abendliches Surfen oder Computerspiele spielen führt zudem besonders bei Kindern oft zu Schlafstörungen. Wissenschaftler empfehlen daher, Kleinkinder bis vier Jahre möglichst gar nicht oder nur sehr wenig vor Bildschirme zu setzen.
Doch wie ist dies mit interaktiven Medien, wie beispielsweise eigens für kleinere Kinder entwickelten Tabletspielen? „Sie unterscheiden sich in vieler Hinsicht vom Fernsehen, weil sie unter anderem interaktiv sind, die motorische und sensorische Koordination trainieren und eine Vielfalt an Aktivtäten anbieten“, erklären Veronika Konok von der Eötvös Lorand Universität in Budapest und ihre Kollegen.
Zudem erfordern diese Spiele oft ein sensorisches Multitasking: Die Kinder müssen viele verschiedene Reize auf einmal verarbeiten und ihre Aufmerksamkeit zwischen den verschiedenen Inhalten verlagern. Das weckte bei den Forschenden die Frage, ob und wie solche Spiele die Wahrnehmung der Kinder verändern – und im Speziellen die Fokussierung auf lokale versus globale Muster und Inhalte.
Sonne oder Sterne – was sehen Sie hier zuerst? Typischerweise sehen wir Menschen zuerst das übergeordnete Muster, dann die Detailformen.
Der Grund: Von Natur aus erfassen Kinder und Erwachsene erst die globale übergeordnete Struktur, dann die Details. Anders ausgedrückt: Wir sehen erst den Wald, dann die Bäume. „Auf das globale Bild zu fokussieren hilft uns dabei, die Welt in kohärenten Sinnzusammenhängen zu erfassen, und nicht als Haufen unzusammenhängender Flecken“, erklärt Konok. „Wir verarbeiten automatisch zuerst das globale Muster, selbst wenn wir uns bewusst auf die Details konzentrieren wollen.“
Doch in der digitalen Welt ist der Schwerpunkt ein anderer: „Bildschirminhalte sind normalerweise reich an lokaler Information mit einer Fülle kleinster Details“, so die Forschenden. Um im Spiel gut abzuschneiden, müssen Nutzer vor allem diese Details schnell erfassen und verarbeiten. Weil bei kleineren Kindern das Gehirn noch sehr plastisch ist, liegt die Vermutung nahe, dass eine intensive Beschäftigung mit solchen Spielen ihre Wahrnehmung verändern könnte.
Um das zu überprüfen, führte das Team mit zwei Gruppen von Vorschulkindern einige Wahrnehmungstests und psychologische Experimente durch – einer Kindergruppe mit häufiger Nutzung von Tabletspielen und einer nicht-digital geprägten. In einem Test sahen die Kinder übergeordnete Muster, die aus vielen kleineren Formen gebildet wurden – beispielsweise eine Sonne aus vielen kleinen Sternen. Die kleine Testpersonen sollten dann je nach Durchgang entweder die kleinen oder großen Objekte erkennen und durch Klick anzeigen.
In einem weiteren Experiment testeten Konok und ihr Team die Fähigkeit der Kinder zur Perspektivübernahme – im Fachjargon auch Theory of Mind genannt: Konnten sie sich in die Sichtweise eines anderen Menschen hineinversetzen? Dafür zeigten die Forschenden den Kindern einen Smartiesbehälter, in dem überraschenderweise keine Süßigkeiten, sondern ein Bleistift versteckt war. Die Frage an die Kinder war: Was würde eine andere Person im Behälter erwarten, wenn er ihn sieht?
Durch diese Tests wollten Konok und ihr Team herausfinden, ob es in diesen grundlegenden Bereichen der Wahrnehmung und Weltsicht Unterschiede zwischen Kinder mit viel oder wenig Mediennutzung gab.
Das Ergebnis: Tatsächlich fanden die Forschenden deutliche Unterschiede in zwei Aspekten. Der eine betraf die Erfassung globaler und lokaler Muster: Solange sich die Kinder nur auf eine einzige Form – beispielsweise die Sonne aus kleinen Sternen – konzentrieren mussten, dominierte wie für dieses Alter üblich die globale Sicht.
Anders jedoch, wenn mehrere Formen gleichzeitig erschienen und die Aufmerksamkeit geteilt werden musste. „Dann zeigten die mediennutzenden Kinder eine lokale Präferenz – sie waren im Erkennen der Details schneller als bei der globalen Form“, berichten Konok und ihr Team. Die Kinder sahen demnach erst die Bäume, dann den Wald statt wie normalerweise üblich umgekehrt. In einem weiteren Experiment zeigte sich ein ähnlicher Effekt.
„Diese Daten stützen die Annahme, dass das Spielen digitaler Spiele zu einer Verschiebung der Aufmerksamkeitsverarbeitung vom Globalen zum Lokalen führt“, schreiben die Forschenden.
Auch in Bezug auf die Perspektivübernahme fand das Team Unterschiede zwischen den Kindergruppen: „Die mediennutzenden Kinder zeigten schlechtere Theorie-of-Mind-Fähigkeiten als die Nichtnutzer“, berichten Konok und ihr Team. Die Kinder verstanden oft nicht, dass eine andere Person nicht wissen kann, dass sich statt der Smarties ein Bleistift in der Box verbirgt.
„Dies bestätigt frühere Ergebnisse zu den Effekten des exzessiven Fernsehens bei Vorschulkindern: Auch dies führt zu einer schlechteren Perspektivübernahme“, erklären die Wissenschaftler. Sie führen diesen Effekt darauf zurück, dass Fernsehen und digitale Spiele einen Fokus auf dem kleinteiligen, Lokalen erfordern, die Theory of Mind aber einen ganzheitlichen Ansatz und ein globales Verständnis der Situation und Zusammenhänge braucht.
Nach Ansicht der Forschenden legen diese Ergebnisse nahe, dass die intensive Beschäftigung mit digitalen Medien die Wahrnehmung und Weltsicht von Kindern deutlich verändern kann. Was das aber langfristig für die Generation der Digital Natives bedeutet, ist noch unklar. „Die atypische Aufmerksamkeit der Tabletnutzer-Kinder ist nicht notwendigerweise schlecht, aber eben anders – und das können wir nicht ignorieren“, betont Konoks Kollegin Krisztina Liszkai-Peres.
In jedem Fall seien die Informationen über solche Auswirkungen der Digitalnutzung für die Pädagogik wichtig, sagen die Forschenden. Es könnte hilfreich sein, um beispielsweise Spiele für Kleinkinder entsprechend anzupassen oder aber um bei der Real-Life-Pädagogik gezielter gegensteuern zu können. (Computers in Human Behavior, 2021; doi: 10.1016/j.chb.2021.106758)
Quelle: Eötvös Loránd University (ELTE)
Nota. - Es geht offenbar gar nicht um Computer- vs. Brett-, Ball- oder Geländespiele, sondern um digitale und also nicht-analoge, nicht-bildhafte, unanschauliche und an ästhe-tische Darstellung der Welt. Bei geeigneter Versuchsansordnung dürfte man obigen Test ebensogut mit erwachsenen Probanden machen können. Allerdings werden die beoachteten Folgen bei Kleinkindern rascher eintreten und länger anhalten.
Die Pointe kommt aber erst noch: Es ist die digitale Technik, die den Iconic turn im Alltag alias die vielbeklagte Bilderflut überhaupt es möglich gemacht hat. Und hier kommen wir doch auf die Computer spiele zurück; denn die verleiten nicht zum wertenden Betrachten von Ganzen Bildern, sondern sie trimmen auf ein strenges Reiz-Reaktions-Schema. Doch sind sie als Spiele getarnt, so dass nicht nur Kinder freiwillig mit sich selbst vornehmen, was sie sich von keinem andern zumuten ließen. Beachte: Die im obigen Bericht beanstandete Lokalität und Kleinteiligkeit der Bilder kommt daher, dass sie in den Spielen eben nicht als Bilder, sondern lediglich als Zeichen verwendet werden.
JE
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