Mittwoch, 3. März 2021

Stilkassiker jenseits der Zeit.

 

aus Badisches Zeitung, 3. 3. 2021                                                                                                         

Ein neuer Stil
Sie sind zeitlos, elegant und haltbar – eben Klassiker: Vor 150 Jahren starb in Wien Michael Thonet, der Vater des Caféhausstuhls.  

Von Leticia Witte (KNA)

Dieser Stuhl weckt heimelige Assoziationen: Wir schlendern in ein kleines Café oder in ein stuckverziertes, weitläufiges Kaffeehaus, nehmen Platz, lehnen uns zurück, greifen ohne Hast zu einem Buch oder einer Zeitung im Holzhalter, und während wir Espresso oder Wiener Melange trinken, schweift der Blick leichthin über Besucher und Passanten.
 
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Es ist der Stuhl Nr. 14, der ein solches Gedankenkarussell in Gang zu setzen vermag. Er steht für den typischen Kaffeehausstuhl, bei dem Rückenlehne und leicht ausgestellte Hinterbeine von zwei gebogenen Holzstäben gebildet werden. Dieses Möbelstück ist mittlerweile ein Designklassiker, der seinen Platz auch in Museen hat. Sein Schöpfer: Michael Thonet, der vor 150 Jahren, am 3. März 1871, starb. Es ist beileibe nicht der einzige Klassiker aus dem Hause Thonet, wenngleich er als erster Stuhl gilt, der aus gebogenem massiven Holz hergestellt wurde. So gibt es einen ähnlichen Kaffeehausstuhl mit verspielterer Lehne (Nr. 4) sowie Stahlrohr-Freischwinger in unterschiedlichen Varianten.


 
Thonet gewann mit seinen Kreationen mehrere Auszeichnungen bei Weltausstellungen, 1867 die Goldmedaille bei der Weltausstellung in Paris. Mit seinen Stühlen wurden vornehme Adressen möbliert, und nach Firmenangaben finden sich Exemplare auch auf historischen Postkarten und Gemälden. Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg.

Er begann in Boppard am Rhein, wo Thonet am 2. Juli 1796 geboren wurde. Er wurde Tischler und machte sich ab 1819 mit einem eigenen Betrieb selbstständig. Im Jahr 1842 holte ihn der österreichische Staatskanzler Clemens Graf von Metternich nach Wien, weil er auf Thonets Möbel aufmerksam geworden war.
 
Dort erhielt er laut LVR-Portal Rheinische Geschichte ein Patent für seine Methode des Holzbiegens mit Hilfe von Druck und Dampf, das er auf den Möbelbau anwandte. Zuvor war ihm ein solches Patent versagt geblieben. In Wien arbeitete Thonet in unterschiedlichen Werkstätten, war an der Innenausstattung des Palais Liechtenstein beteiligt und begann mit einer eigenen Möbelproduktion. Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt das Unternehmen dann den Namen Gebrüder Thonet, der sich auf die Söhne Michael Thonets bezog, die ihm nach Wien gefolgt waren. Es dauerte nicht lange, bis die Firma mit ihren Produkten bekannt war.

 
 
Es gab erste Ehrungen, diverse neue Werke wurden in Betrieb genommen. Zu dem Ruhm hatte Stuhl Nr. 14 (heute 214) mit seiner minimalistischen Ästhetik aus gebogenem Holz entscheidend beigetragen. In den 1850er Jahren perfektionierte Thonet die sogenannte Bugholz-Technik, so dass eine Anfertigung in Serie möglich wurde. Hinzu kam: Die Stühle konnten in Einzelteile zerlegt in die ganze Welt verschickt und vor Ort montiert werden: "6 Teile, 2 Muttern, 10 Schrauben" – derlei griffig beschreibt die Firma heute das Prinzip.
 
Ein Fall fürs Museum und doch höchst lebendig

Der erfolgreiche Unternehmer prägte mit seinen Produkten einen neuen Stil in der Einrichtung von Cafés, Wohnungen und vielen öffentlichen Gebäuden. Thonet starb am 3. März 1871 und liegt in der Grabstätte der Familie auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben – die allerdings deutlich weniger minimalistisch ausgefallen ist. Das Unternehmen wurde von seinen Söhnen weitergeführt, die sich in den 1930er Jahren dann auch den Stahlrohrmöbeln widmeten und Entwürfe unter anderem von den Architekten Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe fertigten. Ab 1960 arbeitete das Unternehmen beispielsweise mit Egon Eiermann zusammen. Heute ist die 1889 gegründete Fabrik im hessischen Frankenberg Firmensitz und Produktionsstandort, an dem Klassiker und neue Modelle gefertigt werden. Thonet-Stühle sind ein Fall fürs Museum – einerseits. Andererseits sind die haltbaren und zeitlosen Möbelstücke höchst lebendig in Gebrauch, nicht nur in Cafés.

Eine umfassende Sammlung von Thonet-Stühlen beherbergt das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein. Sie wird auch online präsentiert unter:
https://collection.design-museum.de
 
 

 
Nota. - In Thonets Caféhausstuhl resümiert sich die Ästhetik des Biedermeier: elegant, schlicht, haltbar, unauffällig und sparsam. Sie ist als geschmackliche Grundströmung un-verwüstlich - so, wie Thonets Stühle.
JE
 
 
 
 

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