aus spektrum.de, 04.12.2021
Das Problem mit der Bildung
Bildung
sei Deutschlands wichtigste Ressource, heißt es immer wieder. Dabei ist
nicht mal so ganz klar, was das eigentlich ist. Doch auf eine Idee
stößt man dabei immer wieder
von Matthias Warkus
Im
Koalitionsvertrag der vermutlich kommenden Bundesregierung taucht die
Zeichenfolge »Bildung« 136-mal auf (häufiger als fast alles außer
»Klima« und »Arbeit«). In der Bundesre-publik sind wir es – spätestens
seit Georg Pichts Warnung vor der »Bildungskatastrophe« 1964 – gewohnt,
dass Politik und ihre mediale Diskussion ständig um Bildung kreisen.
Grund genug, daran die typisch philosophische Frage zu stellen: Was ist
Bildung eigentlich?
Es wird Sie
nicht überraschen, dass Bildung ein philosophisches Konzept ist –
zumindest in der gängigen Hinsicht, in der sie von Ausbildung und
Erziehung abgegrenzt wird. Dass diese Abgrenzung üblich ist, leuchtet
auch intuitiv ein: Man kann gut erzogen sein, also auf Grund äußerer
Einwirkung in der Kindheit und Jugend freundlich, höflich,
rücksichtsvoll, einfühlsam und so weiter, ohne einen Funken Bildung zu
haben. Genauso kann man ohne Bildung auch gut ausgebildet sein, also
beispielsweise komplizierte handwerkliche Techniken oder die
Konventionen eines anspruchsvollen Büroberufs beherrschen.
Was ist dann aber Bildung? Wer in Deutschland von ihr spricht, beruft sich in der Regel irgendwie auf ein Verständnis von ihr, wie es um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert herum vorlag. Es streckt seine Wurzeln durch die Epoche der Aufklärung hindurch bis in den Humanismus der Renaissance, bekam seinen letzten Schliff aber durch Literaten der Klassik und Romantik sowie Philosophen, die wir heute Vertreter des deutschen Idealismus nennen.
Der Kern ist dabei, grob gesagt: Der
Mensch ist noch nicht fertig, wenn er laufen, sprechen, sich die Schuhe
zubinden, lesen, schreiben und Nudeln mit Tomatensauce kochen kann. Was
ihn als Menschen im Innersten ausmacht – seine Fähigkeit, wahrzunehmen,
zu empfinden, zu denken, sich frei zu entscheiden, Freude am Leben zu
haben, unter anderen Menschen verantwortlich zu handeln, sich
eigenständig auszudrücken, also seine Menschlichkeit und
Einzigartigkeit – muss sich entwickeln und dazu gepflegt werden wie eine
Pflanze.
Der Mensch ist unfertig
Während
ein Baum sich nun aber nicht selbst gießen, düngen, hochbinden und
zurückschneiden kann, kann es der Mensch auf entscheidende Weise nur
selbst, da seine spezifischen Fähigkeiten gerade mit seinem Verhältnis
zu sich selbst zu tun haben (also: reflexiv sind). Bildung ist sozusagen
ein Sich-Erschaffen des Individuums und seines Verhältnisses zu sich
selbst: ein Prozess, bei dem der Mensch das, was er schon (aber nur
irgendwie) ist, erst verwirklicht.
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Dieser Vorschlag erfreut sich bis heute größter Beliebtheit; vor allem konservative Intellektuelle setzen Bildung bis heute mit Belesenheit gleich. Es gibt allerdings durchaus das Argument, dass Bildung sich an weniger konventionellen Gegenständen genauso vollziehen kann, dass es beispielsweise auch im klassischen Sinn das Selbst bilden kann, intensiv als Fan einer mittelmäßig spielenden Bundesligamannschaft zu leben, ist dies doch auch eine Auseinandersetzung mit Schönheit, Moral und Drama.
Wie sehr »Bildung« im Koalitionsvertrag nun mit diesem Bildungsbegriff zu tun hat, möchte ich hier nicht beurteilen. Man kann aber davon ausgehen, dass alle einschlägigen Diskussionen in Deutschland immer zumindest mit einem schwachen Nachglühen dieses Begriffs unterlegt sind – und sei es in der Form, dass man, ob berechtigt oder nicht, bedauert, man könnte ihn aus welchem Grund auch immer nicht so sehr berücksichtigen, wie man es eigentlich müsste. Die belesene, kreative, aber dabei harmonisch ausgewogene Künstlerpersönlichkeit ist zumindest zwischen den Zeilen bis heute ein beliebtes Idealbild.
Nota. - Das ist kurz und knapp und dabei so einfältig, dass ihm keiner recht widersprechen kann. Und doch macht sich derAutor sicher keine Illusionen: Wie oft im Koalitionsvertrag dieser drei Parteien von Bildung auch die Rede ist - das, was er darunter versteht, meinen sie bestimmt nicht.
JE
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