Donnerstag, 23. Dezember 2021

Der Grund allen Stoffs.

  Martina Taylor, pixelio.de;  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das Ich muss jenen Widerstreit entgegengesetzter Richtungen, oder, welches hier das glei-che ist, entgegengesetzter Kräfte setzen; also weder die eine allein, noch die zweite allein, sondern beide; und zwar beide im Widerstreite, in entgegengesetzter, aber völlig sich das Gleichgewicht haltender Thätigkeit. 

Entgegengesetzte Thätigkeit aber, die sich das Gleichgewicht hält, vernichtet sich, und es bleibt nichts. Doch soll etwas bleiben und gesetzt werden: es bleibt demnach ein ruhender Stoff, etwas Krafthabendes, welches dieselbe wegen des Widerstandes nicht in Thätigkeit äussern kann, ein Substrat der Kraft, wie man sich jeden Augenblick durch ein mit sich selbst angestelltes Experiment überzeugen kann. Und zwar, worauf es hier eigentlich an-kommt, bleibt dieses Substrat nicht als ein vorhergesetztes, sondern als blosses Product der Vereinigung entgegengesetzter Thätigkeiten. Dies ist der Grund alles Stoffs, und alles mög-lichen bleibenden Substrats im Ich (und ausser dem Ich ist nichts), wie sich immer deutli-cher ergeben wird.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte,  Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 336.


Nota. - Hier wird er mysteriös. 'Es soll' etwas übrigbleiben, wohl wahr. Die Transzenden-talphilosophie soll aber herausfinden, wie das möglich ist. Es reicht nicht, es bloß zu be-haupten. Tätigkeit plus Antitätigkeit ergibt Untätigkeit = nichts, aber kein Schweben, das ein Spur hinterlassen könnte. Im besten Fall noch: zurück auf Anfang; nur, beim zweiten Ver-such wäre das Ergebnis kein anderes. Wir kämen also nie vom Fleck.

Es handelt sich nicht um Physik. Es handelt sich um den Gang der Vorstellung [recte: des Vor-stellens]. Im Vorstellenden muss eine Spur des Schwebens erhalten sein, die ihn zum Bestim-men herausfordert und ihm das unbestimmt Schwebende zu einem bestimmbaren Stoff werden lässt. - Wozu hat er denn im vorangegangenen Absatz der reinen Tätigkeit keine An-ti tätigkeit, sondern eine unreine Tätigkeit entgegengesezt? Verunreinigt  wurde die reine Tä-tigkeit vom Widerstand des Nichtich, auf den sie inzwischen gestoßen war. Der Zusammen-stoß war das Schweben (die 'erste Synthesis'). Von ihm bleibt eine Spur = Bestimmbarkeit. 


Er hat es sich einmal eingebrockt: Er will das Vorstellen selbst darstellen, das aber kann er immer nur auf diskursive Weise durch das Verknüpfen von Begriffen. Sicher ist das ein in-adäquates Medium, aber wir haben sonst keins. Dass im Resultat gelegentlich auf lächerliche Weise Haare gespalten werden, muss man wohl oder übel in Kauf nehmen.
13. 4. 18

Nota II. -  Begriffen hatte ich es schon irgendwie, aber doch noch nicht recht verstanden. Ich war noch im Konstruieren aus Begriffen befangen und noch nicht beim Nachbilden in der Vorstellung angekommen: Das Ziel, das zu erreichen ist, ist gegeben, in historischer Wirklichkeit: Es ist das reelle System der Vernunft, wie es im Moment gegeben war (das Weltbild der Newton'schen Physik). Maßstab der transzendentalen Rekostruktionen waren nicht die Prämissen, die ihr herauszuarbeiten gelungen war, sondern das fertige System. Sollten die Prämissen nicht ausreichen, das System zu rechtfertigen, lag - apriori, wie ich sagen darf - der Mangel nicht beim System, sondern in den Prämissen. Nicht das System müsste ausgebessert werden, sondern die Prämissen nachgerüstet. Sie müssten freilich pas-sen: nach vorne zum System und rückwärts zu den bereits erarbeiteten Prämissen.

Doch dass das Problem in der Unangemessenheit des Konstruierens aus Begriffen mit dem Konzipieren in der Vorstellung lag, war mir immerhin schon gewärtig.

JE

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