aus FAZ.NET, 4. 12. 2021 Antoine Watteau, Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint zu Geschmackssachen
Von
Andreas Kilb
Ein besonderer Reiz von Watteaus „Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint“ liegt darin, dass es, anders als die meisten Werke des Malers, kein reines Fantasiebild ist. Es zeigt reale Personen in einem realen Raum. Links ist ein Gehilfe gerade dabei, ein Porträt Ludwigs XIV. in eine Kiste zu packen. Ein anderer trägt einen Spiegel, ein dritter wartet mit einem Holzgestell auf dem Rücken auf seinen Einsatz. In der Mitte reicht ein Kavalier im weinroten Rock einer Dame in rosa Seidenrobe, die gerade das Ladengeschäft betritt, seine Hand; ihr rechter Fuß steht noch auf einem Pflasterstein. In der rechten Bildhälfte präsentiert Gersaint persönlich einem älteren Paar eine Waldszene mit nackten Nymphen im ovalen Rahmen. Der Mann hat sich hingekniet, um die Frauenkörper durch sein Lorgnon besser begutachten zu können; seine Begleiterin studiert derweil stehend das gemalte Blattwerk. Rechts von der Gruppe blickt eine sitzende junge Frau im silbergrau gestreiften Kleid in einen Spiegel, den ihr eine Verkäuferin hinter der Theke hinhält. Zwei junge Männer, offenbar ihre Begleiter, schauen ebenfalls hinein. Auf dem Straßenpflaster vor ihnen leckt sich ein Hund die Flöhe aus dem Fell.
Er starb in den Armen des Kunsthändlers
Die Szene ist ein Schauspiel des Sehens und Gesehenwerdens. Fast jeder der Dargestellten richtet seinen Blick auf ein Bild oder Spiegelbild – die angeschaute Kunst schaut in Gestalt kunstvoll gekleideter Menschen auf die Betrachter zurück. Zugleich wird das Schauspiel ihrer Vermarktung aufgeführt. Rechts steht eine Kaufentscheidung bevor, links ist der Kauf bereits abgewickelt; im Hintergrund warten weitere Gemälde und Prunkspiegel auf Käufer. Watteau hat das ursprünglich dreieinhalb Meter breite Bild für die halbrunde Fläche unter dem Eingangsbogen von Gersaints Kunsthandel auf dem Pont Notre-Dame gemalt. Was es den Betrachtern versprach, die an dem Geschäft vorbeikamen, war es auch selbst: ein Stück Ware.
Die friedliche Liebe, 1718-19In der Ausstellung, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zum dreihundertsten Todestag Watteaus im Schloss Charlottenburg ausrichtet, ist das „Ladenschild“ der Ausgangspunkt verschiedener historischer Entwicklungslinien, die vom frühen achtzehnten Jahrhundert zum heutigen globalen Kunstmarkt führen. Ein Protagonist dieser Entwicklung war der Kunsthändler Gersaint. Im Juli 1721 starb der an Tuberkulose erkrankte Maler in Nogent-sur-Seine in seinen Armen. Im Vorjahr hatte Watteau sechs Monate lang in den Privaträumen über Gersaints Ladengeschäft auf der Notre-Dame-Brücke gewohnt. Anstelle einer Mietzahlung malte er sein Bild, angeblich in nur acht Tagen.
Gersaint wusste, was er an Watteau hatte, der seit 1717 Mitglied der Königlichen Kunstakademie war. Deshalb ließ er das „Ladenschild“ nur zwei Wochen lang hängen, dann machte er es zu Geld. Nach Watteaus Tod verkaufte er die Zeichnungen, die der Maler ihm hinterlassen hatte, sowie Stiche nach Watteau-Werken. Später schloss er sich mit dem Kunstsammler Antoine de la Roque zusammen, der in seiner Zeitschrift Mercure de France Gersaints Warenlisten publizierte. Als Erster seines Gewerbes gab Gersaint zudem Sortimentskataloge heraus, in denen die Reproduktionen mit biographischen Skizzen der Künstler versehen waren.
Zur gleichen Zeit ließ der Sammler und Gobelinfabrikant Jean de Jullienne vierzig Gemälde und vierhundertfünfzig Zeichnungen von Watteau in Kupfer stechen. Als der „recueil Jullienne“, das erste Werkverzeichnis Watteaus, 1735 in einer Auflage von hundert Exemplaren erschien, war die vierbändige Edition trotz der Berühmtheit des Künstlers ein Misserfolg. Das lag nicht zuletzt daran, dass viele Einzelblätter mit Stichen nach Watteau-Werken bereits vorab den Weg in die Salons des europäischen Adels gefunden hatten, wo sie die Kaufgelüste von Fürsten und Königen weckten.
Auf diese Weise gelangte die Kunst Watteaus auch in die Hände Friedrichs II. von Preußen und seiner Mutter Sophie Dorothea, die eigene Mappen mit den Drucken anlegte. Schon in seiner Kronprinzenzeit in Rheinsberg hatte Friedrich im Kunsthandel die „Friedliche Liebe“ von 1719 erworben, die neben dem „Ladenschild“ das zentrale Exponat der Ausstellung ist. In einem Gedicht von 1737 ermahnte er seinen Hofmaler Antoine Pesne, statt Heiligen und Potentaten lieber „raffinierte Tänze, Waldnymphen, halbnackte Grazien“ zu zeigen.
Watteau-Porzellan, Watteau-Teppiche und Watteau-Fächer
Und Pesne gehorchte: Noch in Rheinsberg übersetzte er eine Figurengruppe aus Watteaus „Friedlicher Liebe“ in eine weniger verträumte, dafür handfester erotische Szene, und auch in seinen Deckengemälden für Friedrichs neues Schloss Sanssouci und den Neuen Flügel in Charlottenburg griff er immer wieder auf watteausche Bildfindungen zurück. Der Gipfel von Pesnes Mimikry ist sein „Kiez bei Freienwalde“ von 1745, in dem er die nasskalte Nüchternheit des preußischen Oderbruchs in ein französisches Rokoko-Arkadien verwandelte.
Geschirrservices mit Watteau-Motiven gehörten zum Angebot der Königlichen Porzellan-Manufaktur
Friedrichs Watteau-Manie sorgte nicht nur dafür, dass Berlin und Potsdam heute den größten Einzelbestand an Werken des französischen Malers besitzen, sie beflügelte auch das preußische Kunstgewerbe. Die Tapisseriemanufaktur des Berliner Kaufmanns Charles Vigne etwa legte mehrere Serien mit „Watteau-Szenen“ auf. Als die Armee Preußens im Zweiten Schlesischen und dann wieder im Siebenjährigen Krieg Meißen besetzte, ließ Friedrich kistenweise Porzellanservices mit Watteau-Motiven aus Meißen nach Berlin schaffen. Die Königliche Porzellan-Manufaktur, die er 1763 von Johann Ernst Gotzkowsky übernahm, fertigte für ihn regelmäßig Garnituren mit watteauscher Bemalung.
Porträt des Sammlers Jean de Jullienne (1686 bis 1766) mit einem Bildnis Watteaus in den Händen
Im gleichen Jahr hatte Friedrich auch das berühmteste aller Watteau-Gemälde gekauft, die zweite und endgültige Fassung der „Einschiffung nach Kythera“. In der Ausstellung wird das Werk nicht gezeigt, es blieb an seinem Standort im Hauptgebäude des Charlottenburger Schlosses. Dafür findet man seinen Nachhall überall auf Fächern, Drucken und Porzellanen. Als letzter einer langen Reihe von Künstlern hat sich Adolph Menzel mit Watteaus Malerei, besonders dem „Ladenschild“, auseinandergesetzt. Durch ihn reicht der Glanz des frühen Rokokos bis in die elektrifizierten Innenräume des Kaiserreichs.
Fächer mit Motiven des Kytzhera-Bildes, Paris um 1820Das
„Ladenschild“ selbst erwarb der preußische König 1746 bei einem
holländischen Kunsthändler. Es war nicht mehr das Bild, das Watteau ein
Vierteljahrhundert zuvor gemalt hatte. Für den Verkauf hatte Gersaint
die Ecken abschneiden und das Gemälde durch einen unbekannten Künstler
am oberen Rand ergänzen lassen. Aus dem raffinierten Spiel, das Watteau
im Bildhintergrund mit Motiven von Rubens, van Dyck, Veronese und
anderen getrieben hatte, wurde so ein klassisches Galerie-Ensemble nach
barockem Vorbild. Später teilte man das Breitformat dann in zwei
handliche Hälften, mit denen Friedrich sein Konzertzimmer schmückte.
Erst 1930 wurden die beiden Teile für eine Ausstellung in der
Preußischen Akademie der Künste wieder zusammengefügt. Das Bild, das wir
jetzt sehen können, trägt die tiefen Spuren seiner Vermarktung. Aber
sie verblassen vor dem Genie Watteaus.
Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe. Im Schloss Charlottenburg, Berlin; bis zum 9. Januar 2022. Der Katalog kostet 39,90 Euro.
Einschiffung nach Kythera, 1719
Nota. - Vermarktung hat sich seit der Renaissance - seit es einen Kunstmarkt gibt, nicht wahr - zu einer eignen Kunstform entwickelt, Albrecht Dürer war ein früher Meister. Aber die haben sich selbst vermarktet. Watteaus Besonderheit ist zum einen, dass er von Andern vermarktet wurde, weil er nämlich früh gestorben ist, und vor allem - zum andern -, dass es nicht mehr in zünftigen Werkstätten geschah, sondern in königlich privilegierten Manufak-turen. Die Industrialisierung der Kunst wurde von Königen eingeläutet.
Im übrigen ist mir bei Watteau aufgefallen, dass er in seinen Landschaften den Raum viel energischer als seine Nachfolger in bloßen Schwindel aufgelöst hat.
JE
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