Samstag, 11. Dezember 2021

Der Rhythmus beim Lesen ist derselbe wie der beim Sprechen.

aus Die Presse, Wien, 10. 12. 2021                                                                                                 zuJochen Ebmeiers Realien

Das Auge folgt dem Rhythmus der gesprochenen Sprache
Blickbewegung gleicht dem Takt des Sprechens.

Nicht nur Dialektforscher wissen, dass zwischen gesprochener und geschriebener Sprache Unterschiede bestehen. Doch Sprachwissenschaftler der Uni Wien fanden eine bisher unen-deckte Schnittstelle zwischen Sprache und Schrift, beides Alleinstellungsmerkmale des Men-schen. Das Team um Benjamin Gagl (Cognitive Science Hub) verglich die Augenbewegungen beim Lesen in sogenannten Blickbewegungsexperimenten.

„Das Lesen ist eine der faszinierendsten kulturellen Errungenschaften des Menschen“, sagt Gagl. „Die gesprochene Sprache beeinflusst auch das Lesen. Bis jetzt ist aber wenig über ihre gemeinsamen zugrunde liegenden Mechanismen bekannt.“

In Kooperation mit der Goethe-Universität in Frankfurt belegten die Forscher, dass die zeit-lichen Strukturen des Lesens mit denen der gesprochenen Sprache übereinstimmen: Die rhythmischen Abläufe der Augenbewegungen beim Lesen sind mit der dominanten Rhythmik im Sprachsignal nahezu identisch (Nature Human Behaviour, 6. 12.).

Die neue Methode zeigt, dass vor allem bei wenig geübten Leserinnen und Lesern die Rhythmik von Lesen und Sprechen zeitlich eng gekoppelt ist. Erfahrene Probanden lasen schneller und konnten zwischen zwei Augenbewegungen mehr Information aus dem Text entnehmen.

Eine Metastudie über Blickbewegungen aus 14 Sprachen ergab zudem, dass zeichenbasierte Schriftsysteme (wie Chinesisch) zu langsameren Leserhythmen führen. Die Sprachwissen-schaftler vermuten nun, dass die Sprachsysteme im Gehirn als Taktgeber für die Augen beim Lesen dienen, um die Informationsverarbeitung zu vereinfachen. (APA/vers)

 

Nota. - Offenbar entzifeern wir beim Lesen nicht zuerst die Buchstaben und setzen sie dann zu Wörten zusammen, sondern erkennen gleich die Wörter - nachdem wir die Sätze gesehen haben, in denen sie stehen. 

Ein Autor, der verstanden werden will, tut daher gut daran, dem Rhythmus der gesprochenen Wörter zu folgen. (Es sei denn, er will nicht allzuleicht verstanden weerden.)

JE

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